Dass Ausstellungen der Porträts und Gesichtslandschaften, die Udo Lauer geschaffen hat, als öffentliche Präsentationen stattfinden, überrascht mich überhaupt nicht. Udo Lauer hat es immer verstanden, alles miteinander zu verknüpfen. Er ist ein Networker im besten Sinne des Wortes. Er ist halt neugierig auf Menschen, aber auch auf Natur, Technik und auf Landschaften. Lauer liegt immer auf der Lauer. Schon als kleiner Bub in Bielefeld hat er den Erwachsenen die Erklärung nicht abgenommen, dass die Milch vom Milchhändler kommt. Er bestand darauf, die Kuh selbst zu treffen. So ist er hinausgefahren aufs Land, um Kühe zu studieren. Er hat ganz früh das Beobachten gelernt, das langatmige Begreifen der Erscheinung einer Sache und ihrer Bewegung. Dabei entdeckte er auch die vielfältigen Zusammenhänge zwischen der Erscheinung und ihrer Funktion. Niemals bildet der Fotograf Lauer ein Geschöpf, einen Gegenstand oder eine Landschaft nur als ästhetisches Phänomen ab, sondern er vermittelt mithilfe des Objektivs, objektiv, d. h. auch technisch den Gegenstand seiner Betrachtung. Dadurch bleibt der Sinn, die funktional-ästhetische Zusammengehörigkeit, mithin das Ganze erhalten. Lauer zerlegt nicht, sondern bewahrt das Erlebte in seinen Bildern. Er weckt bei seinem Betrachter Verständnis für das, was er selbst beim Betrachten verstanden hat, und zwar das Wesen des von ihm ausgesuchten, angepeilten und übertragenen Eindrucks seines „Object of Desire“.
Er unterzieht sich dieser Übung aus grenzenloser Schaulust und hingebungsvoller Pflicht gegenüber den Betrachtern seiner Bilder. Sie sind ihm unersetzlich wichtig. Uns will er Geschichten erzählen von fremden Ländern, die er bereist hat, von großen Ereignissen, Entdeckungen auch im kleinsten Raum. Es lohnt sich, bei Lauers Fotografien sehr genau hinzuschauen, um zum Beispiel die Reaktion des Porträtierten auf den Fotografen selbst zu entdecken.
Lauer zieht es vor, Dialoge nicht mit Worten zu bestreiten, sonst wäre er – wie er immer mal wieder sagt – Redner geworden, sondern er erzählt mit seinen Bildern, die er seinen Betrachtern anvertraut.
Um dies zu ermöglichen, haben seine Bilder stets einen sinnvollen Aufbau. Dieser wird bestimmt durch Abstand, Respekt, klare Struktur und Wärme. Lauer ist ein lebensfroher Mensch und das wissen nicht nur seine engen Freunde. Das merkt man, selbst wenn man ihn nicht näher kennen sollte, an der Farbe seiner Bilder und ihrem Ausdruck. Die Wirklichkeit strahlt in unterschiedlicher Dichte Wärme ab, deren Quelle er in seinen Abbildungen sichtbar macht. Udo Lauer lässt seine Betrachter teilhaben, lädt sie ein, zu begreifen, ohne sie zu bevormunden. Er erzählt uns lange Geschichten der Porträtierten, bis wir zuhören wollen, und freut sich wie ein Schneekönig darüber, wenn wir anfangen, uns selbst und anderen davon zu erzählen, was wir mit ihm und seinen Bildern erlebt haben.
Lauer will, dass wir uns vorbereiten auf seine Bilder, uns Zeit lassen mit dem Betrachten und auch die Muße pflegen. Jeder sollte daher innehalten, genauer hinschauen, anstatt seine Bilder im Galopp zu erledigen. Der nur flüchtige Betrachter wird die Tiefe seines eigenen möglichen Einverständnisses mit den Abgebildeten sonst nicht erfahren.
Die Abbildung selbst hat verschiedene Ebenen und Schichten. Dies beruht darauf, dass Lauer stets den richtigen Moment sucht und auch findet, das Objekt der Betrachtung von seiner Vergänglichkeit entkoppelt und so verdichtet in seiner einzigartigen Präsenz. Um dies zu erreichen, ist viel Geduld vonnöten. Schon früh hat Udo Lauer mit seiner Agfa-Box – mehr Kiste als Fotoapparat – Blende und Zeit so lange studiert, bis er deren entscheidende Zusammenhänge begriffen hatte. Stets ist ihm der Umgang mit seinem Handwerkszeug außerordentlich wichtig. Er hat alles – wie die Berliner so sagen – „von der Pike auf“ gelernt. Er ließ sich als Aushilfe in einer Drogerie anstellen, um Filme entwickeln zu dürfen. Disziplin, Fleiß und ein unbeirrbarer Glaube an die Notwendigkeit seiner Aufgabe haben ihn zu einem verlässlichen Fotografen gemacht. Was bedeutet uns aber – den Betrachtern – die uns anvertraute Fotografie? Lauer sagt: „Das Foto ist der Triumph über die Vergänglichkeit“, nicht nur: „cogito ergo sum“, sondern „ich bilde ab, ich halte fest, also bin ich.“ Die fundamentalen Fotografie-Erlebnisse des Udo Lauer sind Prozesse von Stunden und halten doch nur Momente der Ewigkeit fest. In den Archiven der Ewigkeit sind inzwischen Tausende von Bildern, die Udo Lauer in der Zeit seines Lebens gemacht hat, und weitere kommen hinzu. Er hat damit nicht nur seinem Beruf genügt, sondern unsere Wirklichkeit, unsere Träume und Sehnsüchte vielfältig dokumentiert. Er hat sich dabei stets zurückgehalten und blieb im Hintergrund, und dabei ist er nicht nur Fotograf, sondern ein engagierter Tausendsassa, der am 28.08.1942 auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof zur Welt gekommen ist. Udo Lauer, der Weltenbummler, der Seemann, der Heiler, der Geschichtenerzähler und der Netzwerker.
Seine Menschlichkeit hat Udo Lauer stets bewiesen durch seine Fürsorge für andere Menschen, seine heilende Tätigkeit, die Adoption gefährdeter Kinder, sein Gespür für Mythen und Geschichten, seine Freundschaft, seine scheue Bewunderung für Angehörige aller Völker dieser Welt, die er während seiner langen Reisen als Seemann und Fotograf hat kennenlernen dürfen.
Die gesamte Persönlichkeit des Udo Lauer ist in einem rätselhaft klaren Satz zusammengefasst:
„Lerne ohne Pfeile Bogenschießen.“
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski