Dieser Begriff ist respektheischend. Er vermittelt Entschlossenheit und Durchsetzungskraft. Die Mitglieder des nordatlantischen Bündnisses verpflichten sich, zusammenzustehen, Feinde abzuwehren, bedrängten Mitgliedern zu helfen und gemeinsam strategisch auf Herausforderungen in definierten Teilen der westlichen Hemisphäre zu reagieren. Als de Gaulle die NATO verließ und der Sitz dieser Organisation von Fontainebleau nach Brüssel verlegt wurde, bestand die Gefahr, dass die NATO implodiere. Das Gegenteil war der Fall. Nun lautete die Parole: „Jetzt erst recht.“ Weniger Rücksichtnahme auf die „Force de Frappe“ des französischen Grandseigneurs und Kämpfers der Résistance und mehr Geschlossenheit im Bündnis. Die Verzahnung der Militäreinheiten durch Stationierung auf dem Gebiet der Bündnispartner und gemeinsame Manöver verstärkten diesen Eindruck der Geschlossenheit.
Der Zerfall der Sowjetunion und die Möglichkeit, den Einflussbereich zu arrondieren, schufen Begehrlichkeiten. Die NATO erweiterte sich bis hin zur russischen Grenze und selbst den dortigen Machthabern wurde bei der NATO zur Besänftigung noch ein Beobachterstatus eingeräumt. Jetzt, so schien es jedenfalls, hatte die NATO alles unter Kontrolle, zumal selbst Frankreich wieder unter den Schutzschild dieser Organisation zurückfand. Aber war das noch die NATO, die wir kannten? Schon vor geraumer Zeit forderte der französische Präsident Sarkozy ein europäisches Verteidigungsbündnis, natürlich möglichst unter seiner Führung. Da kamen ihm die Konflikte in Nordafrika, Tunesien, Libyen und Ägypten gerade recht. Wenn es keine europäische Armee gibt, so doch die NATO. Jetzt kann sie zeigen, was sie drauf hat. Aber nanu? Einer macht nicht mit. Schon wieder ein Fontainebleau? So weit ist es noch nicht gekommen. Der, der nicht mitmacht, hält sich die Option offen, doch dabei zu sein oder auch nicht, je nachdem, wie sich der Wind im eigenen Lande dreht. Eine NATO, die Geld kostet, eine NATO, die keinen Feind mehr hat, eine NATO, die dem Bürger erklärt werden muss, eine NATO, die konsequent handeln soll. Wie soll das zusammenpassen? Vielleicht ändert sich morgen die Welt? Vielleicht gewinnt Gaddafi doch noch? Vielleicht brauchen wir libysches Öl oder sein Geld? Vielleicht ist es gut, für Atomkraftwerke zu sein, oder vielleicht dagegen, für und gegen das Klima und seine Veränderungen, sich für den finanziellen Rettungsschirm für in finanzielle Bedrängnis geratene Staaten in Europa auszusprechen oder deren Liquidator zu werden. Deutschland befindet sich in einer Vorreiterrolle. Alternativlos hat Deutschland den Weg für Möglichkeiten geöffnet, die alle Optionen wahren, je nachdem, welche Opportunität auf der Tagesordnung steht. In diesem Sinne hat Sarrazin völlig recht: Deutschland schafft sich ab. Aber die NATO wird, das zeigt das Beispiel von Fontainebleau, dadurch auch ohne Deutschland stärker.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski