Archiv für den Monat: Dezember 2013

Netzpiraterie

Klingt doch gut, Freiheit im Netz, oder? Verlassene Inseln, fremde Strände, Freiheit auf allen Meeren und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Aber, vor allem Kampf und fette Beute. Und das auch völlig legal, legale Piraterie auf allen Wegen und Straßen. Wünschen wir uns das? Früher einmal haben wir dieses Freibeutertum bekämpft, dessen Wirkungsmacht beschnitten. Und nun wollen wir diese Raubzüge als Errungenschaften der modernen Zeit akzeptieren, unser Regelsystem in Frage stellen und die neue Macht sogar feiern. Wollen wir das wirklich? Erinnern wir uns: Es gab Despoten, Fürsten und Feudalherren, die Regeln für die Benutzung von Straßen und Wege erließen. Später wurden Straßenverkehrsordnungen geschaffen, der Schienen- und der Telefonverkehr und schließlich auch die Versorgungsnetze geordnet. Wir haben eine Bundesnetzagentur. Was wollen die Gesetze und Agenturen bewirken? Sie achten darauf, dass der Verkehr reibungslos funktioniert, aber auch darauf, dass sich jeder zum Beispiel der Straße nicht auf Kosten anderer bedient. Jeder soll auf seine Art und Weise weiterkommen, soweit er die Regeln beherrscht und akzeptiert.

Was hat sich daran geändert bzw. was soll daran geändert werden? Doch eigentlich nichts. Unsere Gemeinschaft, die grundsätzlich demokratisch verfasst ist, lebt davon, dass jeder Freiheit im Rahmen bestimmter Regeln hat. Freiheit bedeutet, die Freiheit des anderen zu achten, ob dies die Verfügungsfreiheit über sein Eigentum anbetrifft, seinen Besitz, Nutzungs- und Verfügungsrechte. Da hat Piraterie nichts zu suchen. Sie verspricht eine Freiheit, die die Freiheit der anderen raubt und ähnlich fragwürdig ist, wie die Ausübung des rücksichtslosen Kapitalismus. Doch wir leben in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat. Rechtsstaat bedeutet nicht nur die Rechtsgewährung des Bürgers vor dem Gericht, sondern bedeutet, dass der Bürger sich darauf verlassen kann, dass seine persönlichen und wirtschaftlichen Rechte durch die Autorität des Staates geschützt werden. Infolgedessen hat jeder einzelne Bürger und die Gemeinschaft insgesamt einen Anspruch an die von ihm gewählten Vertreter, gegenüber dem Parlament, der Regierung und sonstigen Staatsorgane, dass seine Rechte wahrgenommen und gewahrt werden. Das heißt, auch für das Internet soll eine Netzagentur zuständig sein, die schärfstens darüber wacht, dass Regeln, die für diesen Verkehrsbereich erlassen worden sind bzw. noch erlassen werden müssen, eingehalten werden. Wer diese Regeln nicht einhält, kann sich nicht auf einen Piratenstatus berufen, sondern wird aus dem Verkehr gezogen. Das ist beileibe keine konservative Haltung, sondern die klare Überzeugung, dass die Demokratie es wert ist, erhalten zu bleiben.

Wir brauchen keine Piraterie, keine grenzenlose Freiheit, keine neue Machtkonstellation in den Händen neuer Feudalherren, sondern verlässliche Netzstrukturen, die jedem einem Chance bieten, von den Errungenschaften anderer zu profitieren, indem er selbst ein Gegenangebot unterbreitet, in der Regel die ihm erbrachte Leistung auch bezahlt und dabei den Leistungserbringer auch achtet. An dieser Grundeinstellung ändert sich auch dadurch nichts, dass Webnetze international aktiv und Kontrollen natürlich schwierig sind. Piraterie wurde auch in der Geschichte gemeinsam bekämpft, da keiner bereit war, die Verluste hinzunehmen und wusste, dass derjenige, der auf Dauer gegenüber der Herausforderung ignorant reagiert, selbst Opfer werden kann. Es ist daher unser gemeinsames Anliegen, eine freiheitseinschränkende und Verfassungsgrundsätze durchbrechende Piraterie zu ächten und für deren Eindämmung zu sorgen. Damit wird allerdings in keiner Weise bestimmter interessanter Ansätze der Piratenpartei widersprochen, soweit es um die Errichtung größerer Bürgerbeteiligung geht und bestimmte Aspekte der Machtkonzentration im Staat in Frage gestellt werden. Der Souverän ist der Bürger, er hat die Policy zu entwickeln, die dazu angetan ist, eine verlässliche gesetzliche Grundlage durch den Staat für die Nutzung der Datenstraßen zu sorgen. Allerdings darf die grundsätzliche Systemdurchbrechung in einer repräsentativen Demokratie nicht erfolgen. Vor allem die Grundrechte des Grundgesetzes gebieten den Abgleich mit systemischen Gegebenheiten und Freiheitsrechten, die unumstößlich sind. Bleibt: Das Thema der Piraten aufzugreifen, für Abhilfe von systemtechnischen Schwierigkeiten zu sorgen und diesen so den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Leistung ad absurdum

Die Bestimmung des Menschen ist es zu leben und dafür zu sorgen, dass er Leben schafft und erhält. Um dies zu bewerkstelligen, ist der Mensch darauf angewiesen, sich Mittel zuzuführen, die dazu geeignet sind, sein Leben zu erhalten, damit er geben kann. Lebenserhaltend waren die Jagd nach Tieren und später der Ackerbau. Überschüsse, die der Mensch produzierte, hat er an die Gemeinschaft abgegeben, um von dieser oder Einzelnen eine Gegenleistung zu erhalten, die es ihm erlaubten, noch erfolgreicher bei der Jagd oder beim Ackerbau und der Viehzucht zu sein und damit seine Erhaltungskraft zu verbessern. Der Tauschhandel funktionierte allerdings nur eingeschränkt, denn nicht jeder Mensch brauchte bei Abgabe seines Angebots zur gleichen Zeit ein Gegenangebot. So wurde die geleistete Arbeit angeschrieben, entweder kreditiert oder in einer Schuldverschreibung bestätigt. So entstand die Geldwirtschaft. Was bleibt, ist, dass im Grundmuster Geld nichts anderes ausdrückt als eine erbrachte Leistung. Soweit die reale Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, das Geld sich von der Arbeit entkoppelt hat bzw. entkoppelt wurde und als Steuerungsmittel für den Finanz- und Warenverkehr taugte. Aber dennoch bleibt der Gegenleistungsaspekt erhalten. Durch die Disparität der Betrachtung von Geld aus verschiedenen Blickwinkeln heraus entstehen gefährliche Strudel, die das Schiff unserer Gemeinschaft – wenn wir dieses Bild nutzen wollen – heftig ins Schlingern bringen kann. Einerseits begreifen viele leistende Menschen in unserer Gesellschaft, dass das Geld, welches ihnen ausgezahlt wird, eine Kompensation für ihre Arbeit darstellen soll, andererseits nehmen sie wahr, dass Geld offenbar keine werterhaltende Rolle spielt, beliebig Versprechensträger in unserer Gesellschaft sein kann, ohne dass die Versprechen auch tatsächlich eingehalten werden. Aus dieser Wahrnehmung heraus kann sich ein Strudel formen, der unser Schiff verschlingt, ob wir die Ursache für das Unglück gesetzt haben oder nicht.

Der Staat als einer der Hauptfinanzträger, wie er sich heute generiert, beansprucht einerseits in der Form von Steuern Geldmittel seiner Bürger, obwohl er andererseits offenbar in der Lage ist, sich grenzenlos zu verschulden. Was erwartet dann der Staat noch von seinen Bürgern? Welche Leistungen erbringt der Staat gegenüber seinen Bürgern, die ein faires Äquivalent zu deren Leistungen darstellt. Zwingen die merkwürdigen unterschiedlichen Geldbetrachtungen von Staat und Bürgern nicht dazu, dass Geld als Beschaffungsmittel zu entzaubern und es der allgemeinen Spekulation anheim zu geben? Kann es denn sein, dass der Staat und weite Teile der Wirtschaft und der Gesellschaft zocken, während der schwer arbeitende Bürger in der Gesellschaft mit Sorge ansehen muss, wie seine Arbeit aufgrund dieser Umstände entwertet wird. In Frageform gegossen, lassen sich die Antworten am besten finden. Wir müssen vorwärts denken zu einem System, das Leistungsanreize schafft, Leistungen adäquat bezahlt und Leistungen fordert, nicht nur vom Bürger, sondern auch vom Staat für seine Bürger, die sich auch hier als äquivalent darstellen. Der Staat ist nicht der Vormund des Bürgers, sondern dessen Bittsteller. Er hat Ordnungsaufgaben zu erfüllen, den Rechtsstaat zu erhalten und mit seinem Regelwerk für Fairness bei den Markt- und Netzzugängen zu sorgen. Nicht aber ist der Staat dazu befugt, das Maß der Leistung des Bürgers stets dadurch neu zu bemessen, in dem er den Referenzrahmen des Geldes verändert. Dadurch wird Leistung ad absurdum geführt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

„Politisch korrekt“

Wenn ich, einmal abgesehen vielleicht von Straßenfeger und Motz, die Zeitungen aufschlage oder überhaupt dem gesamten medialen Ansturm trotze, stelle ich verblüfft fest, dass dort die Menschen überhaupt nicht vorkommen, denen ich täglich in der U- und S-Bahn begegne. Weniger, dass es mich erschreckt, aber deshalb umso wichtiger für mich ist es zu sehen, dass viele von diesen Menschen überfordert, abgestumpft, kindisch, unbeholfen, überfettet, rücksichtslos, gelegentlich insgesamt verwahrlost wirken. Und, das ist ein großer Teil, nicht ein kleiner Teil unserer Bevölkerung, den diejenigen nicht kennenlernen und auch nicht kennenlernen wollen, die es vorziehen, sich möglichst nicht auf der Straße zu bewegen, insbesondere nicht die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Aber diese, von mir beschriebenen Menschen, gibt es.

Es ist auch kein Geheimnis. Diejenigen, die wie ich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, unterhalten sich gelegentlich darüber. Nicht, um ihre Abscheu über diese Menschen zum Ausdruck zu bringen, sondern ganz im Gegenteil, darüber nachzudenken, was in unserem Gesellschaftssystem falsch läuft, dass ehemals Kinder, die mit so großem Enthusiasmus in die Welt gekommen sind, eine derartige Beeinträchtigung Ihres Lebens erfahren müssen. Politisch korrekt sind meine Aussagen sicher nicht. Sie werden infolgedessen auch mit Sicherheit heftig angegriffen werden, auch von denjenigen, die von sich meinen, meiner Beschreibung zu entsprechen. Aber auch diejenigen werden mich angreifen, die an dem Status quo überhaupt nichts ändern wollen. Denn die Menschen, so wie sie jetzt sich präsentieren, sind willfährig, kaum geneigt zur Revolte gegen ihre miserable Situation. Schuld an diesem Elend ist nicht nur soziale Kälte, wie sie oft schlagwortartig beschrieben wird, sondern die Perspektivlosigkeit des Menschen. Als Konsument, als Steuerzahler ist er tauglich. Das reicht dem Staat und der Wirtschaft. Der Medienindustrie ist er tauglich, ebenfalls als Konsument auf Augenhöhe. Möglichst Sitcoms, um keine Herausforderungen entstehen zu lassen. Um die Ruhe zu halten, wird belohnt und wieder belohnt, entweder durch Konsumgüter, die der Belohnte selbst kaufen muss oder das von ihm erworbene Genussgut, welches sein Gemüt besänftigen soll. Natürlich muss der Genuss gesteigert werden, aber zwischen jeder schon verbrauchten Droge und der künftigen klafft ein Entzugsmoment. Der Mensch erkennt, dass sich an seinem Leben nichts ändert, er nicht wirklich bereichert wird, sondern einfach nur so für sich dahinlebt. Als Kind hätte er sich gegen diese Wahrnehmung vehement gestemmt und für sich Perspektiven eingefordert. Jetzt, als erwachsener Mensch nimmt er das Geschehene hin. Was wäre zu tun? Zunächst den Menschen, insbesondere den jungen Menschen aus dieser Abhängigkeit herauszunehmen. Ihm zu verdeutlichen, dass er ein selbstbestimmtes Leben führt und Konsum nicht sein größtes Glück sein kann. Das müsste der Kern des Bildungsauftrages sein. Weiter müsste der Überforderung durch Unterforderung entgegengewirkt werden. Die Nivellierung auf unterem Niveau fördert zunächst nur die Bequemlichkeit, dann aber die Apathie. Ein Mensch, der nicht gefordert wird, strengt sich irgendwann auch nicht mehr an. So wird insbesondere der junge Mensch verkannt. Der ist nicht nur leistungsfähig, sondern leistungsbereit. Er braucht Vorbilder und Leistungsanreize, die es ihm ermöglichen, seine gesamten Potentiale anzubieten. Da ist die Gesellschaft gefordert, die den Staat in die Pflicht nimmt und ihm auferlegt, nicht durch Kindergarten und Schulreglementierung einen willfährigen Staatsbürger zu formen, sondern einen grundgesetzkonformen Rebellen, der für sich uns eine Mitmenschen die Schutzwürdigkeit der Würde jedes einzelnen Menschen als Auszeichnung und mit Stolz annimmt.

Der freie Mensch akzeptiert die Regeln der Gesellschaft und die Gesetze, gestaltet aber gleichwohl seine Räume mit selbst und verzichtet auf die scheinbaren Wohltaten der Abhängigkeit vom Staat und seinen Trägern. Der freie Mensch hat nicht nur Freude an seinem Leben, sondern bereichert durch seinen Schöpfungswillen auch unser Leben. Selbst, wenn er den augenblicklichen Konsum abschüttelt, wird er gerade deshalb in der Lage einerseits einzusparen, andererseits neue Wege des gesellschaftlichen finanziellen Ausgleichs zu finden, der alle bereichert, auch diejenigen, die heute noch mit Macht eine derartige Entwicklung verhindern wollen, damit ihre eigene Überlegenheit nicht in Gefahr gerät. Es sollten alle Schlüsse aus dem öffentlichen Nahverkehr ziehen, bevor es gänzlich vorbei ist mit der Gemütlichkeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Loyalität

Loyalität kenne ich. Viele Menschen und ich haben uns aufeinander eingelassen, wir haben uns wechselseitige Versprechungen abgegeben, an die wir uns halten. Dieser Pakt ist geschlossen.

Illoyalität kenne ich. Wo ich ihr begegnete, habe ich sofort reagiert und gar nicht versucht zu verstehen, sondern mich sofort von dem illoyalen Menschen getrennt, selbst dann, wenn eine gewisse Flexibilität und ein bestimmter Opportunismus vorteilhafter gewesen wäre.

Warum? Vertrauen wiederherzustellen ist unmöglich. Illoyalität und Korruption ist nur entdeck­bar, aber nicht heilbar. Es ist wie bei einer Liebesbeziehung: Trust never comes back, when lost.

Und dann die Form der Loyalität, die alleine auf Vorteilserkenntnis beruht und vergleichbar ist mit dem symbiotischen Verhältnis zwischen Putzfisch und seinem Wirt. Solange beide Vorteile daraus ziehen, bleiben sie sich erhalten, anderenfalls frisst der eine den anderen auf. Aus Kalkül, mit wenig Emotion, aber aus gutem Grund.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Stolz

Kaum ein Amerikaner hätte ein Problem damit zu bekennen, dass er stolz auf sein Land sei. I´m proud to be an american. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein? Wie klingt das anders, fremd? Stolz ist weitgehend aus unserem Sprachschatz verbannt. Stolz scheint anzuknüpfen an eine schlimme Vergangenheit Deutschlands, scheint verbunden zu sein mit Überheblichkeit und Ei­gennutz. Im unter­schiedlichen Sprachgebrauch schwingt dies sicherlich auch mit. Stolz hat die Aura des Triumphalen, signalisiert Macht. Wer stolz ist, kann sich dies leisten. Ist damit Stolz das Privileg der Arrivierten? Im Englischen klingt dies anders. Gerade derjenige, der am Rande der amerikani­schen Gesellschaft steht, verkündet so seinen Stolz. Der Stolz ist das, was noch bleibt, wenn der Mensch abgewirtschaftet hat. Der Arme verkündet seinen Stolz. Wenigstens also. Wer hier bekennt, stolz auf sein Land zu sein und nicht der politischen Meinungsfüh­rerschaft Deutschlands angehört, muss dagegen fürchten, für einen verkappten Nazi gehalten zu wer­den. Stolz geht allenfalls im kleinen privaten Raum, zum Beispiel stolz auf seine Kinder zu sein, die das Abitur bestanden haben oder eine Lehr­stelle bekamen. Stolz darauf, Vater zu werden, stolz auf ein Lob oder einen Preis, aber mehr Stolz ist nicht drin. Kann man aber so dem Stolz gerecht werden? Ist wirklich nicht mehr drin oder verstehen wir einfach nicht, stolz zu sein? Woher kommt Stolz? Was sind seine Bestandteile? Bei der Bewusstwerdung geht es nicht um eine etymologi­sche Ableitung, sondern darum, welche Signale Stolz setzt. Stolz ist derjenige, der etwas er­reicht hat. Eine Leistung ist vollbracht, und zwar zunächst eine eigene. Zunächst also ist Stolz sehr per­sönlich, festgemacht an der Fähigkeit, zufrieden mit den eigenen Umständen oder einer Leis­tung zu sein. Dies wiederum hat mit der generellen Selbst­wahrnehmung eines Menschen zu tun. Ich bin es mir selbst wert, dass ich stolz sein kann. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Damit wird auch gleichzeitig signalisiert, dass der würdige Mensch bereit ist, stolz zu sein auf sein eigenes Verhalten, seine Leistungen und das, was er für an­dere tut. Stolz und Würde sind Geschwisterpaare der selben Eltern. Die Würde des Menschen erlaubt diesen Stolz. Der Stolz muss aber nicht persönlich bleiben, sondern aus der Summe des Stolzes jedes einzelnen Menschen formt sich das ganze, und zwar das stolze Wir-Gefühl, abge­leitet von der Erkenntnis, dass nicht nur ich alleine, sondern jeder andere Mensch in einer Gesell­schaft eben­falls viel dazu beiträgt, dass das Werk gelingt, der Gemeinde, den Staat, Europa und Menschen überhaupt die Hilfe zuteil wird, die sie benötigen, aber oft nicht selbst organisieren können. Stolz ist die Bekräftigung des Willens, im Erreichten nicht stehenzubleiben, sondern sich weiter zu engagieren, im persönlichen, privaten Bereich genauso wie in der Gesellschaft. Stolz ist so gese­hen ein wichtiger Beweger der Bürgergesellschaft. Im bin stolz, dieser anzugehören.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Die Entschlüsselung des menschlichen Wesens

Es heißt, alle Organe des Menschen hätten ihre Entsprechungen auf seiner Fußsohle. Gilt das auch für seine Spiritualität? Tritt der Mensch tagaus tagein auf dem herum, was sein Wesen aus­macht? Der Mensch, das unbekannte Wesen. Es wird definiert durch seine Eigenschaften und seine Körperlichkeit, seine Sexualität und seine Schaffenskraft, kurzum der Mensch ist, was er äußerlich zu sein scheint. Es gibt Wissenschaftler, die sagen, der Mensch sei letztlich auch nichts anderes als eine Mixtur genetischen Materials und physiologischer Vorgänge. So will der Mensch aber nicht gänzlich be­schrieben sein, des­halb hat er sich die Religion, die Philosophie und die Psychologie angeeig­net. Das stellt natürlich nur eine Auswahl der Möglichkeiten dar und nicht das Ganze. Das Ganze? Das stand und steht niemals auf der Tagesord­nung, die Entschlüsselung des menschli­chen Genoms, seines Wesens, die Erforschung seiner Ganzheit jenseits wissen­schaftlich segmen­tierter Betrachtungen. Der Mensch ist kein Witz der Natur, eine zufällige Laune im naturwissen­schaftlichen Wettbewerb, sondern etwas Einzigartiges. Eine Einzigartigkeit, die bisher noch nicht ent­schlüsselt wurde. Wir scheinen diese Entschlüs­selung zu scheuen oder scheitern an unserem Unvermögen. Das wirkliche Wissen darum, was uns im Inneren zusam­menhält, würde mögli­cherweise allen unseren Offensichtlichkeits­überlegungen aus dem Bereich der Naturwissenschaft, der Philosophie und Religion eine Abfuhr erteilen. Der Sinn des Ganzen könnte viel stärker sein als alle Jahrtausend alten Selbstversiche­rungen im einzelnen Aspekt. Aber dennoch, wir wissen alles und dieses Wissen, was nicht nur kognitiv gespeist wird, wacht über unsere Entwicklung, gibt den gradlinigsten Verhaltensweisen wie auch sämtli­chen Irrationalitäten einen umfassenden Sinn. Alle ist wichtig, was pas­siert und kann nicht als unnütz oder schädlich verwor­fen werden. Es sind Angebote, die uns in die Lage verset­zen, unserer ureigensten Bestim­mung gerecht zu werden. Diese ist endlich un­endlich, in jedem Moment gefangen und dehnt sich aus bis weit hinter unsere Vorstellungskraft. Alles ist wahr in jedem Augenblick unserer Erkennt­nis und unserer Empfindung. Wir sollten die Chance nutzen, von uns mehr zu erfah­ren als das, was uns Einzeldisziplinen zur Beruhigung oder zur Verzweiflung anbieten. Die Ent­schlüsselung des menschlichen Wesens wäre zwar den Aufgaben eines Forschungsinstituts wert, würde aber uns  vielleicht allzu sehr überraschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Denkbank

Professor Eberhard Minx, Dr. Bernhard von Mutius und Lutz Engelke haben eine Denkbank gegründet. Was ich mir darunter vorstelle, ist eine Einrichtung, wo das Denken angespart werden kann und Zinsen trägt. Wahrscheinlich wird man dort auch Denkkredite aufnehmen können, deren Rückzahlung man mit angemessener Verzinsung schuldet. Im Retail-Geschäft wird diese Bank aktiv sein, aber, so ist zu vermuten, auch im Zertifikatehandel. Vielleicht gestaltet sich das Geschäft dieser Bank viel riskanter, als auf den ersten Blick zu vermuten ist, aber eher wahrscheinlich beruht meine Irritation darauf, dass ich in letzter Zeit erfahren musste, wie das übliche Geldbankgeschäft in Verruf geraten ist. Dennoch, die Geldbanker machen weiter wie bisher mit hohen Gewinnen, satten Renditen und vor allem vorzeigbaren Boni für ihre Mitarbeiter. Das Geld ist billig und dann zu haben, wenn man über entsprechendes Eigenkapital verfügt. 30 % eigenes Kapital, das ist die Marke. Ist das Denken auch zu beziehen, wenn entsprechendes Eigenkapital zur Verfügung steht? Profitiert die Denkbank vom Ausleihen des Denkens und ist in der Lage, ihren Mitarbeitern ähnliche Boni auszuzahlen? Wie sieht das mit dem Denkhandel abseits der Öffentlichkeit aus?

Der Banktresor wird geöffnet und schon stellen sich schwere Fragen ein. Das Geld bleibt unter sich, verschafft den Vermögenden noch mehr Vermögen, profitiert vom Ungleichgewicht innerhalb des Systems. Und wie ist das mit dem Denken bestellt? Wie erleben breite Bevölkerungsschichten die Akkumulation des Denkens, nehmen Teil am Reichtum und fahren Profite ein? Bleibt alles, Produkt für Produkt, in der Denkwelt, oder gibt es Überschneidungen? Ist es möglich, dass das Denken auch einen finanziellen Mehrwert schafft oder auch finanzieller Reichtum das Denken befördert? Und welches Denken wäre dann gefragt? Das Denken in Systemen mehrt die Gewinne, das ungebundene Denken bedroht und erneuert Systeme, schafft Raum für künftige Gewinne.

Geld an sich ist nichts wert. Das bisschen Material. Da sind sich alle einig. Geld erfährt seinen Wert dadurch, dass es nicht jeder drucken darf und wir verabredet haben, diesen Münzen und diesem Papier einen Wert zuzumessen. Wert erfährt das Geld durch unsere Wertschätzung – und wie verhält es sich mit dem Denken? Auch das Denken an sich hat keinen Wert. Wert erfährt das Denken nur, wenn wir es schätzen. Bei diesem Vergleich beschleicht uns Unbehagen. Während wir das Geld aufhäufen und verbriefen können, ohne dass deshalb ein Wertverlust eintritt, verliert das Denken an Wert, wenn es nicht genutzt wird. Geld wird in Fluss gebracht, um etwas zu bewegen. Das gilt für das Denken auch, aber während Geld auch nur um seiner selbst willen gesammelt werden kann, bleibt der Wert des Denkens von seinem Verbrauch abhängig. Das über die Denkbank vertriebene Denken ist also umlauf- und nicht vermögensthesaurierend gesteuert. Aber natürlich kann man Denken auch anhäufen, im Gegensatz aber zum Geld nur zweckbestimmt und in aller Öffentlichkeit.

Banken handeln mit Geld, aber sie stellen es nicht her. Eine Denkbank vertreibt das Denken. Dies natürlich nur dann, wenn auch entsprechendes Denken vorhanden ist. Wie Geld wird auch Denken erzeugt. Abgesehen von inflationären Geldmehrungen durch Staaten entsteht Geld durch Arbeitsprozesse, unter anderem in Fabriken. Auch das Denken wird hergestellt. Es gibt sogar Denkfabriken, die sich darauf spezialisiert haben, das Produkt zu generieren. Das Geldprodukt ist standardisiert, Scheine und Münzen bekannt bis hin zu sämtlichen Verbriefungen und Ersatzdokumenten. Standardisiertes Denken. Gibt es das? Das muss es geben. Man spricht vom Denken in engen Kästchen, selbstbeschränktem Denken, Denken in Funktionszusammenhängen etc. Diese Art des Denkens ist für Fabriken gut geeignet. War es das dann? Nein! Das Denken ist mehr und stellt das Geld in den Schatten, überflügelt es mit seinen Möglichkeiten, hebt ab zum Höhenflug. Denken ist unbegrenzt, kollektiv wie individuell, wie Pioniere, wie Wanderer, die sich auf dem Weg gemacht, sich den unendlichen Möglichkeiten, der Vielzahl von Wegen, den geraden und den labyrinthischen gleichermaßen anvertraut haben. Denken ist vorläufig, fragmentarisch, wie das Spähen durch ein Kaleidoskop für Kinder. Ein kurzer Dreh des Sehrohrs und schon hat sich die Landschaft verändert, sind die Glasperlen weitergerutscht, eröffnen sich neue Perspektiven und laden das denkende Ich ein, weitere Erfahrungen zu machen, die in der Denkbank anderen dann als Wegzehrung zubereitet werden können. Jeder Denker hat Teil an dem geschaffenen Reichtum Einzelner und aller, steht damit nicht nur den Privilegierten zur Verfügung. Also, Geld oder Denken? Wer klug ist, wählt das Denken. Das wahre Vermögen …

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski