Klingt doch gut, Freiheit im Netz, oder? Verlassene Inseln, fremde Strände, Freiheit auf allen Meeren und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Aber, vor allem Kampf und fette Beute. Und das auch völlig legal, legale Piraterie auf allen Wegen und Straßen. Wünschen wir uns das? Früher einmal haben wir dieses Freibeutertum bekämpft, dessen Wirkungsmacht beschnitten. Und nun wollen wir diese Raubzüge als Errungenschaften der modernen Zeit akzeptieren, unser Regelsystem in Frage stellen und die neue Macht sogar feiern. Wollen wir das wirklich? Erinnern wir uns: Es gab Despoten, Fürsten und Feudalherren, die Regeln für die Benutzung von Straßen und Wege erließen. Später wurden Straßenverkehrsordnungen geschaffen, der Schienen- und der Telefonverkehr und schließlich auch die Versorgungsnetze geordnet. Wir haben eine Bundesnetzagentur. Was wollen die Gesetze und Agenturen bewirken? Sie achten darauf, dass der Verkehr reibungslos funktioniert, aber auch darauf, dass sich jeder zum Beispiel der Straße nicht auf Kosten anderer bedient. Jeder soll auf seine Art und Weise weiterkommen, soweit er die Regeln beherrscht und akzeptiert.
Was hat sich daran geändert bzw. was soll daran geändert werden? Doch eigentlich nichts. Unsere Gemeinschaft, die grundsätzlich demokratisch verfasst ist, lebt davon, dass jeder Freiheit im Rahmen bestimmter Regeln hat. Freiheit bedeutet, die Freiheit des anderen zu achten, ob dies die Verfügungsfreiheit über sein Eigentum anbetrifft, seinen Besitz, Nutzungs- und Verfügungsrechte. Da hat Piraterie nichts zu suchen. Sie verspricht eine Freiheit, die die Freiheit der anderen raubt und ähnlich fragwürdig ist, wie die Ausübung des rücksichtslosen Kapitalismus. Doch wir leben in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat. Rechtsstaat bedeutet nicht nur die Rechtsgewährung des Bürgers vor dem Gericht, sondern bedeutet, dass der Bürger sich darauf verlassen kann, dass seine persönlichen und wirtschaftlichen Rechte durch die Autorität des Staates geschützt werden. Infolgedessen hat jeder einzelne Bürger und die Gemeinschaft insgesamt einen Anspruch an die von ihm gewählten Vertreter, gegenüber dem Parlament, der Regierung und sonstigen Staatsorgane, dass seine Rechte wahrgenommen und gewahrt werden. Das heißt, auch für das Internet soll eine Netzagentur zuständig sein, die schärfstens darüber wacht, dass Regeln, die für diesen Verkehrsbereich erlassen worden sind bzw. noch erlassen werden müssen, eingehalten werden. Wer diese Regeln nicht einhält, kann sich nicht auf einen Piratenstatus berufen, sondern wird aus dem Verkehr gezogen. Das ist beileibe keine konservative Haltung, sondern die klare Überzeugung, dass die Demokratie es wert ist, erhalten zu bleiben.
Wir brauchen keine Piraterie, keine grenzenlose Freiheit, keine neue Machtkonstellation in den Händen neuer Feudalherren, sondern verlässliche Netzstrukturen, die jedem einem Chance bieten, von den Errungenschaften anderer zu profitieren, indem er selbst ein Gegenangebot unterbreitet, in der Regel die ihm erbrachte Leistung auch bezahlt und dabei den Leistungserbringer auch achtet. An dieser Grundeinstellung ändert sich auch dadurch nichts, dass Webnetze international aktiv und Kontrollen natürlich schwierig sind. Piraterie wurde auch in der Geschichte gemeinsam bekämpft, da keiner bereit war, die Verluste hinzunehmen und wusste, dass derjenige, der auf Dauer gegenüber der Herausforderung ignorant reagiert, selbst Opfer werden kann. Es ist daher unser gemeinsames Anliegen, eine freiheitseinschränkende und Verfassungsgrundsätze durchbrechende Piraterie zu ächten und für deren Eindämmung zu sorgen. Damit wird allerdings in keiner Weise bestimmter interessanter Ansätze der Piratenpartei widersprochen, soweit es um die Errichtung größerer Bürgerbeteiligung geht und bestimmte Aspekte der Machtkonzentration im Staat in Frage gestellt werden. Der Souverän ist der Bürger, er hat die Policy zu entwickeln, die dazu angetan ist, eine verlässliche gesetzliche Grundlage durch den Staat für die Nutzung der Datenstraßen zu sorgen. Allerdings darf die grundsätzliche Systemdurchbrechung in einer repräsentativen Demokratie nicht erfolgen. Vor allem die Grundrechte des Grundgesetzes gebieten den Abgleich mit systemischen Gegebenheiten und Freiheitsrechten, die unumstößlich sind. Bleibt: Das Thema der Piraten aufzugreifen, für Abhilfe von systemtechnischen Schwierigkeiten zu sorgen und diesen so den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski