Archiv für den Monat: August 2018

Bünde

Was ist mit den jungen Menschen los? Diese Fragestellung beschäftigt Eltern, Schulen und Medien. Unsere Kinder wenden sich rechtsnationalem Gedankengut zu, so wird gesagt und haben wenig Verständnis für unsere Demokratie und den Rechtsstaat. Fassungslose Lehrer und Politiker bieten daher fast über Nacht Demokratieunterricht für Schüler an und versuchen, sie abzubringen von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Wenn die Kinder sich aber davon überhaupt nicht abbringen lassen wollen, was dann? Gibt es einen Plan B im Umgang mit Jugendlichen, die es beim Denken und Meinen nicht belassen, sondern handeln? Ich fürchte nein. Den Grund dafür sehe ich allerdings weniger im rassistischen, nationalistischen und antidemokratischen Gedankengut, als darin, dass wir aufgehört haben zu verstehen, worauf es Kindern und Jugendlichen ankommt, und zwar auf Gruppenerlebnisse.

Unsere Eltern waren leider oft bei der Hitlerjugend oder beim BDM, wir selbst waren bei der FDJ oder den Pfadfindern. Meine Mutter war beileibe keine Nationalsozialistin, aber bezeichnenderweise beim BDM, obwohl die Nazis ihren Vater auf dem Gewissen hatten. Ich selbst war beim CVJM (Christlicher Verein junger Männer). Auch wenn wir für Gott und Jesus Christus kämpften, sangen wir oft die gleichen Lieder, wie sie schon bei der Hitlerjugend erklangen und unterzogen uns ähnlichen Ritualen. Es war mir damals wichtig, nachts beim Zelten andere Gruppen zu überfallen, ihnen die Fahne zu rauben und schließlich irgendwann aufzusteigen in der Hierarchie als Führer der Gruppe.

Da ich im Osten nicht gelebt habe, kann ich nicht abschließend behaupten, ob auch bei der FDJ sich alles nach diesem Muster vollzogen hat, gehe aber stark davon aus. Gruppenerlebnisse sind wichtig für den jungen Menschen, weil sie die Möglichkeit erlauben, Leben zu erproben, mit anderen Worten erwachsen zu werden, Inhalte spielen dabei weitaus weniger eine Rolle, als verlässliche Rituale. Keiner, der beim CVJM oder den Pfadfindern ist, bleibt später zwangsläufig Christ. Das gilt auch für diejenigen Kinder und Jugendlichen, die sich anderen ggf. völkischen Bewegungen anschließen. Sie tun es, weil wir versagen, ihnen keine konkreten alternativen Angebote unterbreiten, die sie Gruppenstolz, Auseinandersetzung und Hierarchien sowie deren Überwindung erleben lassen.

Da wir selbst alles in Frage stellen, Hierarchien, Autoritäten und jede Form von Unterschiedlichkeit, machen wir es den Kindern und Jugendlichen fast unmöglich, selbst einen Standpunkt zu erlangen, wenn sie mit der Angebotslosigkeit unserer Gesellschaft nicht einverstanden sind. Wo ist der Stolz, der Wagemut, die Autorität, das Vorbild, das Kämpferische, die Herausforderung und das überzeugende organisatorische Angebot für Kinder und Jugendliche? Wenn wir da zündende Ideen haben, erreichen wir sie wieder, lassen sie eine Welt erkennen, die jenseits von Individualismus, materiellem Gewinnstreben und Hedonismus noch eine Sinnperspektive bietet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Echo

Ich erinnere mich genau, dass es anlässlich der Verleihung des Musikpreises „Echo“ zu einem Eklat kam, weil das Musikwerk von Rappern ausgezeichnet wurde, welches antisemitische, frauenverachtende und rassistische Textpassagen aufwies. Beim „Echo“ handelt es sich um einen Musikpreis, der nicht für die Güte eines Werkes, sondern für dessen Erfolg vergeben wird.

Offenbar waren diese Rapper, ihr Verlag, ihre Produzenten und Vertriebspartner sehr erfolgreich und vermochten viele Konsumenten davon zu überzeugen, sich deren Produkt zu kaufen. Viele ebenfalls ausgezeichnete Preisträger und Teilnehmer der Veranstaltung begegneten der Preisverleihung an die Rapper mit wütenden Protesten und gaben auch den ihnen verliehenen Echopreis zurück.

Neben den Protesten gegen die Rapper selbst richteten sich diese auch gegen den Verleiher des Echopreises, der inzwischen reagiert hat und das bisherige Format für erledigt erklärte. Merkwürdigerweise aber richtete sich der Protest nicht auch gegen die Konsumenten der menschenverachtenden Produkte. Offenbar treffen hier die Anschauungen der Rapper selbst, die auf ihre Meinungsfreiheit und künstlerisches Dürfen pochen, mit dem Recht der Konsumenten zusammen, alles zu erwerben, was auf dem Markt ist. Darin scheint mir allerdings ein Fehlschluss zu liegen.

Anspruch auf Freiheit hat meines Erachtens nur derjenigen, der auch bereit ist, Verantwortung für sein Handeln und dessen Auswirkungen auf andere zu übernehmen. Menschenverachtende Texte sind aber verantwortungslos. Ihnen kann nur mit einem gesellschaftlichen Konsens begegnet werden, sie zu ächten. Der Bürgermeister Bart Somers der belgischen Stadt Mechelen hat ein Beispiel dafür geschaffen, wie dies zu bewerkstelligen ist. Nach ihm geht es nur mit Zwang, also „Law and Order“, aber auch mit der Vermittlung einer Möglichkeit, den eigenen Hass zu überwinden, konstruktiv in der Gesellschaft zu wirken, Verantwortung zu übernehmen und Lebensfreude im Gleichklang mit anderen Menschen wiederzufinden.

Meines Erachtens sollte denjenigen, die antisemitische Parolen in Deutschland verbreiten, Gelegenheit geboten werden, Konzentrationslager zu besuchen, um sich selbst die Konsequenzen ihres Verhaltens vor Augen zu führen. Diejenigen, die Flüchtlinge daran hindern wollen, ihr Land zu verlassen und deshalb – wie in Dresden geschehen – skandieren: „Absaufen, absaufen“ müssten konkret zur Rede gestellt werden, ob sie es auch hinnehmen, dass ihr Kind oder Enkelkind „ersaufen“ soll, ob sie dies gar für ihre Familie und die Gesellschaft fordern, dass wir alle ertrinken in unserem allgemeinen Hass auf alles.

Wir hatten uns in dieser Gesellschaft einmal dazu verabredet, weltoffen, tolerant, menschenliebend, demütig und verzeihend zu sein. Dabei geht es nicht um eine im Detail ausformulierte Leitkultur unserer Gesellschaft, sondern um das Verfassungsgebot, die Würde des Menschen zu achten. Wer dieses Würdegebot gegenüber anderen Menschen verletzt, sollte in dieser Gesellschaft mit Konsequenzen rechnen müssen. Wer gegen unsere „ordre public“ verstößt, hat keine Entscheidungsfreiheit mehr. Sie sollte ihm von der Mehrheitsgesellschaft genommen werden.

Wehret den Anfängen. Der Opferschutz muss verstärkt werden und auch die Repression gegen jede Art von Tätern, die die Duldsamkeit unserer Gesellschaft herausfordern. Um konsequent vorgehen zu können, müssen Staatsanwalt und Gerichte sowie die Polizei personell und formell zu schnellerem Handeln in der Lage sein. Es müssen Zentren eingerichtet werden, in denen Jugendliche, aber auch Erwachsene nicht allein gelassen werden mit ihren Sorgen und Nöten.

Es müssen aber auch konkrete soziale Programme entwickelt werden, die nicht nur Gruppen, sondern auch dem Einzelnen Lebensperspektiven aufzeigen. Eine Gesellschaft, die es hinnimmt, dass viele in unserer Gesellschaft nur noch anwesend sind, aber nicht mit Herz und Seele hier leben, kann die Bedrohung, die aus einer kalten menschenverachtenden Gesellschaft sich entwickelt, schon heute erfahren. Es geht also nicht darum, nur den Anfängen zu wehren, sondern wir müssen konsequent handeln, und zwar jetzt. Wir müssen alle Volksverführern und verantwortungslosen Ideologen Einhalt gebieten. Das hat mit Zwang zu tun, schafft aber auch Orientierung und fördert den Respekt gegenüber einer entschlossenen Gemeinschaft freiheitsliebender Menschen. Diese ist und soll die Mehrheit bleiben. Dafür stehen wir, oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

 

Selbstgenügsamkeit

Was wäre, wenn alle Menschen so wären, wie ich. Ich verspreche: ein Paradies. Es gäbe keine Kriege mehr, kein Hass, keine Gewalt, keine Diebstähle, es herrschte nur Respekt und Höflichkeit. Jeder übernähme für sich und andere Verantwortung, um nur einige Aspekte zu nennen. Ob dies langweilig wäre, vermag ich nicht zu sagen, weiß aber ganz genau, dass diese utopische Vorstellung nicht funktioniert. Es wäre eine Welt ohne Pestizide, ohne Plastik und wenig Fleisch.

Die Autoindustrie wäre erledigt, da sie nur alle 30 Jahre ein Auto bauen dürfte, die Bekleidungsindustrie ohnehin und sämtliche Warenhäuser wären geschlossen, Amazon und Ebay gegenstandslos. Mit dieser Erkenntnis wehre ich mich, wenn auch etwas wehmütig, im Interesse meiner Mitmenschen dagegen, dass die Welt so ist, wie ich es mir wünsche und andere Menschen das genauso sehen sollten.

Die Schlussfolgerung daraus ist aber, dass keiner der Auffassung sein kann, das Leben anderer habe sich in seinen Vorstellungen von der Welt auszurichten. Würde es so funktionieren, gäbe es zum Beispiel im Frühjahr keinen Spargel mehr, da keine Menschen aus Rumänien, Syrien oder Afghanistan mehr in der Lage wären, unseren Spargel zu stechen, weil man sie nicht mehr ins Land ließe.

Da die „Urdeutschen“ für diese Arbeit nicht geeignet sind, fällt also die Spargelernte aus. Mangels Arbeitskräfte werden kontinuierlich auch die Rentenerwartungen abgebaut und Sozialleistungen gestrichen. Ganz zweifellos ist das bitter, aber nicht ungerecht, denn es wird eintreten, was gewollt war. Wir haben unser deutsches Paradies. Wir sind unter uns. Ohne Investitionen von außen, ohne fremde Menschen und Einmischungen. Wir hätten, was manche wollen, vielleicht sogar künftig eine Mehrheit der Deutschen, wenn wir ihrem Willen entsprächen.

Wenn dann später einmal das Klagen einsetzen sollten, sind diejenigen, die den Zustand zu verantworten haben, entweder verstorben oder haben sich neuen Ideen zugewandt. Verantwortung ist ausgesprochen flexibel, ob in Trumps Amerika, in Frankreich, Italien, Türkei und demnächst auch in Deutschland.

Dabei könnte alles so einfach sein: Anstatt uns auf die eigenen Interessen zu fixieren, könnten wir auch die Interessen anderer berücksichtigen und dabei unsere Möglichkeiten erweitern, anstatt sie zu verengen. In der Welt von morgen ist dies sogar unumgänglich, will man verhindern, in einem altzeitlichen Museum zu erstarren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gender

Mit oder ohne Sternchen, sprachlich zumindest ist es außerordentlich schwierig geworden, das Geschlecht eines Menschen korrekt zu benennen. Die deutsche Sprache drückt in manchen Begriffen nicht gleichzeitig das Weibliche und Männliche aus und muss daher zu Umschreibungen finden, die zumindest sprachgerecht erscheinen. Das Anliegen verstehe ich zwar, kann den lauthals verkündeten „Wahnsinn“ darin nicht erkennen, begreife aber, wie vielleicht sogar viele Menschen nicht, um was es eigentlich geht.

Es geht anscheinend um die real wirkliche, aber auch sprachliche Gerechtigkeit für Lesben, Schwule, Transgender und Intersexuelle. Ich kann nicht verpflichtet sein, alles genau zu wissen und zu begreifen, aber ich verstehe sehr gut, dass sogar eine Vielgeschlechtlichkeit in einem Menschen angelegt sein kann, und zwar männlich und weiblich bestimmt.

Nicht begreifen kann ich aber, was das eigene sexuelle Verhalten als Metrosexueller, Schwuler oder Lesbe damit zu tun haben soll? Das eigene sexuelle Verhalten erscheint mir in erster Linie Privatsache zu sein und kann nicht eigentlich wirklich Gegenstand einer Debatte werden, die die eigene Zugehörigkeit zu einem Geschlecht mit Verhaltensweise vermengt und daraus Ansprüche ableitet. Menschen sollen Menschen lieben können, vielleicht Fetische oder auch Tiere, Menschen sollen Menschen partnerschaftlich verbunden sein und heiraten, wenn sie mögen, aber daraus, ob diesen oder jenem Geschlecht oder keinem angehören, ein sprachliches Monstrum zu schaffen, erscheint mir nicht angemessen.

Da wir wenig von uns wissen, wissen wir auch nicht, in welcher Geschlechtlichkeit wir auf die Welt kommen und wie sich diese später ausdrückt. Wir sollten daher auch darauf nie festgelegt sein, sondern uns jeweils opportun frei entscheiden können. Dies wiederum setzt voraus, dass wir optional alle Möglichkeiten lebenslang in uns verwahren und uns darauf besinnen, so der Körper, der Verstand oder die Gefühle uns dies sagen.

Ich bin daher dafür, sämtliche weiblichen und männlichen Endungen komplett zu streichen und in Pässen sowie allen sonstigen Ausweisdokumenten „intersexuell“ einzutragen. Diese Beschreibung der Sexualität wird dem Menschen am nächsten gerecht, belässt es auch bei allen öffentlichen Einrichtungen beim Status quo, gleichermaßen nutzbar für allerlei Geschlecht und auch einer digitalen Zukunft zugewandt. Ich denke, dass die Aufhebung der Geschlechtlichkeit zur Versöhnung beiträgt und auch dazu führen kann, dass keiner seines Geschlechts wegen mehr benachteiligt wird.

Wenn es nur noch ein Geschlecht gibt, versagen alle Argumente, Frauen und Männer unterschiedlich zu behandeln, sie zu diskriminieren oder schlechter zu bezahlen. Mit dieser letzten Anstrengung verwirklichen wir den amerikanischen Human-Right-Appell „All men are created equal“.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Distanziertheit

Populismus, was ist das eigentlich? Meist wird der Populismus – jedenfalls ist so meine Wahr­nehmung – aus einer Wirkung heraus erklärt. Die Wirkung selbst wird aber nur unscharf beschrieben, provozierend und/oder reaktiv auf ein Verhalten eines Teils der Bevölkerung hin. Politiker, die wir als Populisten bezeichnen, schaffen zwischen sich und dem angesprochenen Teil der Bevölkerung eine Wechselbezüglichkeit, die verbal stark ist und diesem Teil der Bevölkerung Wohltaten verheißt.

Mit dieser sehr unzulänglichen Betrachtungsweise sind wir aber dennoch dem Populismus nicht sehr nahe gekommen, denn verbale Kraftmeierei bei Politikern ist auch ohne populistische Absicherung möglich. Ist Verantwortungslosigkeit ein populistisches Zeichen?

Ich glaube, nein. Auch derjenige, der sich dem populistischen Raum zugehörig fühlt, also vorwiegend in seiner Echokammer verweilt, übernimmt durchaus Verantwortung durch seine Äußerungen und sein Verhalten. Er ist damit einverstanden. Mir scheint der Populist genauso facettenreich zu sein, wie jeder andere Politiker und Bürger auch. Es gibt diejenigen, die systemisch denken, frei nach dem Motto: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Es gibt Intellektuelle, die den populistischen Gemeinsinn als Möglichkeit begreifen, eigene und fremde Interessen so zu bündeln, dass sie wie ein neues gesellschaftliches Produkt aussehen.

Schließlich wird Populismus nicht nur durch kalkulierte, sondern auch durch freigewordene Emotionalität bewegt, denn daraus kann ein Lebenssinn entstehen, der angepasstes Bürgerverhalten nicht zu zeigen vermag. Populismus ist also nicht monokausal in seiner Ursache, geschweige denn phänomenal eindeutig bestimmbar.

Gerade der Chamäleon-Charakter des Populismus erschwert die Einordnung und die Möglichkeiten, Ihnen zu begegnen. Hilfelose Politiker reagieren auf Populismus entweder mit Abscheu oder Parolen, wie „wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen“ ohne durch geduldige Analyse Ursache und Wirkung zu erschließen. Schließlich kann Populismus auch nur dort gedeihen, wo nicht populistisch orientiere Gesellschaften für die Nahrung vorgesorgt haben, deren sich die Populisten bedienen.

Gelänge es dem Populismus, sich der Gesellschaft insgesamt zu bemächtigen, wäre diese erledigt. Der Populismus aber auch, weil er zwischenzeitlich an seinen eigenen inneren Widersprüchen zerbrochen wäre. Menschen haben es in der Hand, sich des Populismus zu entledigen. Verachtung ist dabei der falsche Weg.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstmitleid

Es herrscht großes Leid in dieser Welt. Dies ist nicht unvorstellbar, sondern vorstellbar, weil wir es täglich sehen. Aus unterschiedlichen Gründen sterben täglich Menschen weltweit unter höllischen Qualen, aber auch bei uns herrscht großes Leid.

Hiob ist keine ferne biblische Gestalt, sondern begegnet uns täglich auf unseren Straßen, mal als Bettler verkleidet, mal als Straßenkind, mal jung, mal alt. Viele Menschen tragen großes Leid. Manche dieser Menschen erfahren Mitleid, teils tatkräftig durch Helfer im Einsatz in Kriegsgebieten und Flüchtlingscamps, teils emotional durch Solidaritätserklärungen und Durchhalteappelle.

Was bedeutet nun Mitleid? Heißt es: „Dein Leid ist auch mein Leid und ich teile es mit dir?“ Angesichts der Unüberbrückbarkeit der Wahrnehmung eines in Afrika verhungernden Kindes und unserer wohlbehüteten Zuwendung erscheint mir dies kaum möglich. Und doch sind all die Menschen, die in dieser Welt unter erbärmlichen Umständen leben oder sterben, darauf angewiesen, dass wir hinschauen, uns ihrer Erbarmungswürdigkeit bewusstwerden.

Keine Distanziertheit tröstet uns darüber hinweg, dass Leid Teil eines weltumspannenden Prozesses des Werdens und Vergehens ist, da jeder von uns auch Teil des Ganzen ist. Deshalb ist es auch eine Frage des Selbstmitleids, das wir aufbringen müssen, um das Leid anderer zu erkennen, dieses zu verkraften und zu lindern. Wenn wir helfend handeln, dann auch um unser selbst Willen aus Selbstmitleid.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Grenzen

Angesichts der Flüchtlingsströme versiegt die Debatte über das Schützen unserer äußeren Grenzen in Europa nicht. Es geht mir aber hier nicht um die äußeren Grenzen, sondern die inneren Grenzen, die wir ziehen, um Ereignisse nicht zuzulassen, weil wir sie bei anderen nicht respektieren wollen.

Das sind keine klar definierten Grenzen, sondern selbstverständliche oder verabredete Linien, deren Überschreitung Konflikte auslösen können. Der einzelne Mensch kann Grenzen setzen und erklären, bis dahin und nicht weiter. Um diese Grenzziehung zu verteidigen, muss er entweder darauf vertrauen, dass ein anderer diese Grenze achtet oder er bei Missachtung den Grenzverletzer zur Rechenschaft ziehen kann.

Wie die äußeren Grenzen sind folglich auch die inneren Grenzen von der Machtfrage geprägt, aber nicht nur. Innere Grenzziehungen beruhen auf dem Kalkül, dass deren Überschreiten Störungen verursacht, die den Verlust sozialer Anerkennung des Grenzverletzers mit einschließt. Das System der inneren Grenzen hat sich seit Bestehen der Menschheit bewährt und stellt daher den Kompass für eigenes Verhalten und das Verhalten anderer Menschen dar.

Aber gerade heute stellen wir vermehrt fest, dass Menschen bewusst zu Grenzverletzungen neigen. Sie verletzen diese bewusst, um die Konsequenzen zu erfahren oder deren Konsequenzlosigkeit. Eine beispielhafte Konsequenzlosigkeit der Grenzverletzung macht den Menschen aber hilf- und wehrlos. Wenn er sieht, dass er mit seinen Appellen an Recht, Moral und Menschlichkeit nicht mehr weiterkommt, wird er möglicherweise selbst zum „Kannibalen“ und zerstört alles, was ihm in seinem Furor noch im Wege steht.

Eine entgrenzte Gesellschaft kennt also ad hoc Bünde der Macht, der Gier, der Ziellosigkeit und des schlechten Geschmacks. Eine Welt ohne innere Grenzen ist zudem so langweilig, dass sie selbst die permanenten Grenzverletzer nach Wegfall aller Hemmungen um den Triumpf ihres Verhaltens bringt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wille

Einen freien Willen gebe es nicht, behauptet der Wissenschaftler Yuval Noah Harari. Was er meint, so wird aus seinen Darstellungen deutlich, ist nicht der freie Wille an sich, verantwortlich diese oder jene Entscheidung zu treffen, sondern der Grund des Willens. Das hat mit der Freiheit zu tun, einen freien Willen überhaupt zu entwickeln.

Dieser Gedanke ist so einleuchtend, dass man ihm, sobald man ihn hört, verfällt. Uns Menschen ist daran gelegen, den eigenen Willen zum Ausdruck zu bringen, aber dann, wenn die Konsequenzen der Willensäußerung nicht so ausfallen, wie wir es erhofften, die Möglichkeit einer Entschuldung zu nutzen.

„Die Gedanken sind frei …“ so heißt es doch so schön in einem Lied. Freiheit ist ein Zauberwort, dass die Erlösung verspricht aus dem engen Korsett der täglichen Abhängigkeiten. Ist dies Illusion? Ich glaube das nicht und stimme dem Wissenschaftlich Harari daher nicht zu. Es mag sein, dass die Komponente der Freiheit, die einen freien Willen erzeugen können, sehr eingeschränkt sind, aber sie beruhen nicht wie zum Beispiel bei einem Computer auf einer Rechenleistung. Die Bestimmungsmerkmale des Menschen sind nicht algorithmisch erfasst.

Zwischen den zweifellos vorhandenen Faktoren, die genetisch, umweltbedingt und situativ sein mögen, ergeben sich Nuancen, die spielerisch und nicht prognostizierbar auf Situationen reagieren. Das entkleidet den freien Willen nicht seiner Verantwortung, verdeutlicht aber die Zufälligkeit, auf dem dieser beruht. Der freie Wille oszilliert wie in einer Röhre und verändert – um im Bild zu bleiben – stets seine Farbe, kann aber seinen Sinn und seine Ursachen selbst nicht ermessen. Nie vermögen wir Menschen die Freiheit unseres Willens, der uns zum Handeln bestimmt, jemals festzustellen. Deshalb sollten wir stets die Wirkung unseres Tuns mit einkalkulieren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Touristen

Ach´ wie schön ist Panama! Das Ziel moderner Touristen ist die Welt. Es gibt aber kein beständiges Ziel. Statt immer wieder Italien ist Teheran, Moskau, Peking und Vancouver angesagt. Nicht nur die Städte, aber gerade diese geben den Touristen Gelegenheit, sich Dank Selfie und Internet mit der ganzen Welt zu vernetzen und zu zeigen, was alles geht. Es ist üblich geworden als Tourist, ob in der Stadt oder auf dem Land gleichermaßen, mit Flip-Flops, kurzen Hosen und T-Shirts aufzutreten. So sind Touristen zwar leicht erkennbar, aber gerade dies weist auf ein Problem hin. Die Touristen sind in der Überzahl.

Dank Verkehrsmitteln, Airbnb und Billighotels ist für Touristen heute fast alles möglich. Sie nehmen eine Stadt in Besitz, und zwar zu jeder Jahreszeit. Manche Städte – wie Palma de Mallorca – klagen darüber schon und versuchen, Kontingentierungen einzuführen. Bewohner anderer Städte reagieren aggressiv gegenüber Touristen oder ziehen sich in wenige von den Touristen noch unerkannte Quartiere zurück.

Um das Problem zu benennen: Die meisten Gegenden in dieser Welt sind zunächst von den ortsansässigen Menschen zum Nutzen ihrer Bedürfnisse gestaltet worden. Sie legen noch immer Wert auf bestimmte Sitten und Gebräuche, die ihre Heimat ausweist, zum Beispiel Ästhetik und zivilisierten Umgangston. Ein bestimmtes ortstypisches Verhalten verkörpert also diesen Menschenschlag, dessen Errungenschaften und Verhaltensweisen, die der Tourist eigentlich kennen lernen sollte. Das Gegenteil ist heute aber oft der Fall.

Der Tourist schert sich überhaupt nicht um die einheimische Bevölkerung, ihre Esskultur, Gebräuche und Sprache. Mit Englisch geht alles und das Verhalten, zumindest in der Gruppe entspricht der angemaßten Freiheit. Let´s Party, ein paar Tage später sind sie ja ohnehin wieder weg, also weitergezogen. Diese durchaus herrschende Touristenmentalität wird heute oft beklagt und kann durch mehr Umsatz nicht kompensiert werden. Wenn man sich nur für wenige Augenblicke am Brandenburger Tor aufhält, Selfies schießt und anschließend Donuts oder Eis dort zu sich nimmt, erfährt man nichts über Berlin.  Die Touristenwelt passt nicht zu uns Bewohnern, ob in der Stadt oder auf dem Land.

Wir müssen anfangen, von Touristen Respekt vor uns zu erwarten und dies als Teil einer Kampagne werden lassen, die Fremde willkommen heißt, aber auch das Einhalten von Regeln einfordert. Tun wir dies nicht, werden Aggressionen wachsen und sich Abwehrverhalten entwickeln, die Selbstschutzcharakter aufweisen. Gesetzgeber, Staat und Gemeinden müssen schleunigst diese Regeln aufstellen. Wenn die Touristen sich daran halten, sind sie willkommen, wenn nein, sollten sie wegbleiben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski