Archiv für den Monat: Januar 2019

Brandmal

Kritisch wurde vor Kurzem in den Medien darüber berichtet, dass eine Waldorfschule in Berlin die schulische Aufnahme eines Kindes mit der Begründung abgelehnt habe, der Vater sei Mitglied der AfD im Abgeordnetenhaus. Zwar wurde in Medienberichten eingeräumt, dass Waldorfschulen durchaus das Recht haben, als Privatschulen frei über die Aufnahme oder Ablehnung eines Schülers zu entscheiden, dies aber im Hinblick auf die AfD-Zugehörigkeit des Vaters bedenklich sei. Bei der AfD handele es sich ja um eine rechtsstaatlich legitimierte Partei, das Verhalten der Waldorfschule sei daher diskriminierend.

Ist das so? Der AfD will ich ihre Legitimation überhaupt nicht absprechen. Ich unterstelle zudem, dass es sich bei dem AfD-Abgeordneten durchaus um einen persönlich integren Mann und einen bemühten Vater handelt, der seinem Kind die Chance einer breiten musischen und kulturellen Entwicklung bieten wollte. Vielleicht war er selbst einmal Waldorfschüler gewesen. Womöglich war es völlig falsch, dem Kind den Zugang zur Waldorfschule zu verweigern, weil die Rückbezüglichkeit zum Elternhaus vorteilhaft für alle gewesen wäre.

Aber! Dieses Aber bleibt wichtig und steht für sämtliche Aber der Zukunft, die verhindern sollen, dass unser auf Würde begründetes Leben gefährdet wird. Dieses Aber nehme ich auf, wenn ich die AfD als rechtsstaatlich legitimiert anerkenne, aber jeden der ihr angehört und für sie spricht, dafür verantwortlich mache, was in ihrem Namen gesagt oder getan wird. Da gibt es keine Halbheiten, keine persönlichen Zuweisungen, sondern neben der persönlichen Verantwortung auch die Gruppenverantwortung für alle Behauptungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen, ob sie in diesem oder jenem Zusammenhang geäußert werden.

Alles, was die pädagogische Pluralität, die Ausbildung zur Empathie, Verantwortung und die Bereitschaft zu geben, untergräbt, kann nicht – weder moralisch noch demokratisch – legitimiert werden. Toleranz verträgt keine Beliebigkeit, kein Changieren in der Moral und dem Abwägen von Einzelinteressen. Es geht um den Schutz unseres pluralistischen integren Lebens.

Das Verhalten der Waldorfschule finde ich daher im Ergebnis konsequent und richtig. Kinder müssen die Maßstäbe für den Zugang zu unserer Gesellschaft erlernen, sehen, dass Aufnahmebewilligungen dort versagt werden, wo die Gefährdung eines würdevollen menschlichen Lebens auftreten könnte. Wenn die Gefahr manifest geworden ist, ist es zu spät.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Team

Lasst uns ein Team bilden! Teambuilding ist in der Moderne eine so selbstverständliche Anforderung an eine Verhaltensweise, die – wie zum Beispiel zum Thema „Gendergerechtigkeit“ – keinen Widerspruch zulässt. Wer in einer bestimmten Situation nicht für Teambuilding ist, sondern seinen eigenen Weg gehen will, muss sich vergegenwärtigen, als Ausgrenzer gebrandmarkt zu werden. Nicht stets andere Menschen mit „an Bord zu nehmen“, sondern diese vielleicht sogar abzuweisen, gilt oft als sozial bedenklich. „Gemeinsam sind wir stark“, „we work“, „kooperatives Handeln“ oder „WeQ statt IQ“.

An unserem gemeinsamen Handeln werden wir gemessen, ob in Betrieben, Kultureinrichtungen und sogar privat. Die moderne Form der Teilhaberschaft wird begründet mit ihrem Mehrwert, ihrer demokratischen Legitimation, Inklusion und sozialer Verantwortung. Sie findet ihre Bestätigung in Vereinen, Verbänden, Selbsthilfegruppen und Gewerkschaften.

Neu ist das natürlich nicht. Waren es früher Brigaden oder Volksgemeinschaften, formieren sich heute wieder Gruppen oder Teams, deren Verhalten auf ein gemeinsames Ziel gerichtet ist. Ein solches Verhalten kann wirkungsmächtig sein. Zu befürchten ist allerdings, dass es auch Widersprüche verhindert, Kreativität lähmt und persönliche Verantwortung unterbindet. Deshalb sollte sich jede teambildende Gemeinschaft einem Regelwerk stellen, welches Widerspruch zulässt und niemanden ächtet, der eigene Wege geht, den Nutzen abwägt und sich dem Team verweigert.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vorsätze

Das neue Jahr ist gespickt mit guten Vorsätzen. Essen und Trinken werden eingeschränkt. Sport steht an erster Stelle. Neben mehr Bewegung, streifen die guten Vorsätze auch die Bereitschaft, mehr Achtsamkeit zu zeigen, Rücksicht auf andere zu nehmen, das Mobbing einzustellen und das Grab der Eltern besser zu pflegen.

Es gibt die verlautbarten guten Vorsätze und die geheimen. Sehr anspruchsvolle Vorsätze können, wenn sie nicht veröffentlicht wurden, schnell wieder revidiert werden. Ungebundene Vorsätze erhalten uns die Freiheit, schwer wiegen dagegen die publizierten Vorsätze, an denen wir mit Kopfschütteln, Häme oder „ich hab´s doch gleich gesagt“ gemessen werden. Aber, statt mich darüber lustig zu machen, will ich für die guten Vorsätze eine Lanze brechen.

Sie sind unverzichtbar, um uns selbst und ggf. auch anderen zu zeigen, dass wir veränderungsbereit sind. Die Veränderungsbereitschaft wartet nur auf den Funken, der diese Fähigkeit entzündet. Wie immer im Leben, kommt es dabei auf das richtige Timing an. Es gilt zur richtigen Zeit den richtigen Impuls aufzunehmen, um dann während des Jahres nicht nachzulassen in der Pflege des guten Vorsatzes.

Wenn der richtige Zeitpunkt gewählt wurde, beschränkt sich der Vorsatz nicht auf den Monat Januar, sondern übersteht auch das ganze Jahr, um sich im folgenden Jahr noch stärker zu manifestieren. Für viele ist der 1. Januar als Impulsgeber des guten Vorsatzes willkürlich gewählt. Für den guten Vorsatz kann auch der 1. Juli oder 1. August oder der 30. September oder sonst ein Tag taugen.

Gute Vorsätze sind nicht an Jahreszeiten gebunden, sondern ereilen uns bei Bedarf. Und dieser Bedarf besteht ständig. Mangels eigener Kreativität bei der Entwicklung von guten Vorsätzen, können wir ungeniert auf diejenigen anderer zurückgreifen, denn gemeinsam ist man sicher am stärksten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rotationseuropäer

Wie bitte? Sie haben noch nie etwas von einem Rotationseuropäer gehört? Das verwundert nicht, macht aber neugierig auf eine Begriffsdefinition, die Sie selbst liefern. Dass Sie dies tun sollten, beruht auf einem einfachen Grund. Ich weiß nämlich auch nicht, was einen Rotationseuropäer ausmacht, bin aber gespannt auf Ihre fantasievolle Beschreibung.

Ich gebe ein paar Stichworte. Sind es vielleicht Europäer, die von einem Land in das andere europäische Land reisen? Sind es vielleicht Arbeitnehmer, die nach den an sie gestellten Anforderungen zum Beispiel auf dem Bau oder in der Spargelernte von Arbeitgebern durch europäische Lande durchgereicht werden? Oder sind es gar Asylanten mit eingeschränktem Bleiberechte, die entsprechend eines europäischen Aufteilungsschlüssels – soweit möglich – quotengerecht in Europa verteilt werden?

Alles erscheint denkbar, liefert womöglich auch das Stichwort für einen künftigen Verteilungsschlüssel bezüglich sämtlicher Europäer, um eine vielfach angemahnte Gerechtigkeit zwischen Ländern, Städten, Gebieten und gar Nationen zu schaffen. Deutsche sollten nach Frankreich aufbrechen, die verbleibenden Deutschen ergänzen sich durch „Brexit-Flüchtlinge“ aus Großbritannien. Alles natürlich auf Zeit. Rotation heißt Bewegung. Wir rotieren also europäisch weiter und reichen Skandinavier nach Italien durch, Ukrainer nach Portugal und Finnen nach Malta.

So entsteht überall Bewegung, Dank der Rotation kommen Engländer dann irgendwann wieder auf die Insel zurück und polyglotte Türken in das Land ihrer Väter. Sie alle haben dann mächtig viel von dem zu berichten, was sie unterwegs erleben durften und freuen sich auf die nächste Rotation. Make Europa great again!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Buss words

„Buss words“ sind Klingelworte. Sie sollen uns erreichen, neugierig machen, Emotionen wecken und aufstacheln. Typische Klingelworte sind „Nudging“, „Achtsamkeit“ und „Nachhaltigkeit“. Das ist nur eine geringe Auswahl derjenigen Worte, die im öffentlichen Raum summen und brummen, Betroffenheit oder Aufmerksam wecken.

Diejenigen, die Klingelworte nutzen, sind die Meister, die sie virtuos nutzen, Gesellen und Lehrlinge sind in der Mehrzahl die Ahnungslosen, die noch Auszubildenden. Alle verbindet der meditative Raum des Wichtigen, des Notwendigen und der Möglichkeit. Klingelworte sind Kontrastworte, zeigen angeblich den Kontrast zur Dummheit und zur Bildungsferne.

Auf mich wirken Klingelworte allerdings überheblich, abgedroschen und selbstbespiegelnd. Meist werden diese Worte ihrer ursprünglichen Bedeutung entkleidet, schaffen wohlfeile Argumentationsreibungen ohne Inhalt und verlieren sich im Ungefähren. Sie entsprechen zudem einer Erwartungshaltung, die nicht der Meister des Worts an sich selbst richtet, sondern an die Anderen, die Lehrlinge, oft vielfach sekundiert durch die Gesellen.

Statt ständig die Selbstbetrachtung zu feiern und dies mit Klingelworten aufzuhübschen, sollten die Meister in die Welt gehen, sich einlassen auf das Wissen, das Empfinden und die Leistungsbereitschaft anderer Menschen. Eine echte menschliche Rückbezüglichkeit, die lösungsorientiert ist, kann auf Klingelworte verzichten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fremdes

Unser Leben besteht aus Selbstversicherungen. Wir gestatten uns, auf Wagnisse nur kontrolliert einzugehen oder im Spiel, weil es da nichts kostet. Bei allen anderen möglichen Wagnissen in unserem Leben rechnen wir das Risiko mit dem Gewinn auf, und zwar auch dann, wenn dieser sich letztlich nicht einstellen sollte.

„Wer wagt, gewinnt“, so heißt es zwar im Sprichwort, aber in Wirklichkeit ist uns das unbekannte Risiko nicht geheuer. Das ist zum einen genetisch bedingt, zum anderen fehlt uns die positive Erfahrung mit dem Fremden, dem Unbekannten, dem Wagnis. Dabei haben wir die ungewissen Möglichkeiten doch ständig im Blick, ob bei der Geburt oder dem ersten Baumausschlag im Frühling.

Diese Fremdheit anzunehmen, könnte sich bewähren. Sie kann auch methodisch gutgeheißen werden. Ganz anders verhält es sich allerdings mit Risiken, deren Wirkung wir nicht von vornherein abschätzen und kalkulieren können. Diese Fremdheit macht uns nicht nur Angst, sondern steht auch in Konkurrenz zu unserer Gewissheit. Das Fremde könnte uns herausfordern, uns überlegen sein. Deshalb sind wir gegenüber dem Fremden, selbst wenn es uns nützen könnte, eher kritisch und ablehnend.

Dabei ist es nur eine Frage der Anschauung und des Vertrauens, zu sehen, wie sich das Fremde entpuppt, ihm eine Chance zu geben und auf den eigenen Mehrwert bei der möglichen Bereicherung unseres Lebens zu hoffen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mehrwert

Nicht nur zu Wahlkampfzeiten klingen Parolen wie: „Arbeit muss sich wieder lohnen!“ durch unsere Landen. Lohn ist in Geld geronnene Arbeit, das wusste nicht nur Karl Marx zu berichten. Das ist die tägliche Erfahrung aller, die für ihre Dienste entlohnt werden. Dabei geht es nicht nur um Arbeiter, sogenannte Werktätige, wie im Maschinenzeitalter, sondern um alle Menschen, die Leistungen für Andere erbringen.

Leistungen für Andere zu erbringen bedeutet aber auch, dass in der Regel mehr geschaffen als durch Entgelt kompensiert wird. Dieser Mehrwert täglicher Arbeit schafft Befriedigung und Reichtum bei denjenigen, die lohnfähige Beschäftigungen anbieten. Sie werden reich, manche derart über alle Maßen, dass ein Zusammenhang zwischen Ihrem eigenen Zutun und dem abgeschöpften Gewinn nicht mehr erkennbar ist.

Der Mehrwert aber, der Reichtum verschafft, steht dann merkwürdigerweise auf der Arbeitsebene nicht mehr zur Disposition. Er wird vielleicht verspielt, verzockt, durch Fehlinvestitionen verausgabt, aber ein Leistungsequivalent soll daraus nicht wieder entstehen. So ist es für mich erklärbar, dass gerade reiche Menschen enorme Schwierigkeiten damit haben, etwas von ihrem Reichtum abzugeben, wenn er ihnen nicht 1 : 1 wieder selbst wohltätig zur Verfügung steht.

Sie jammern über Einsamkeit, fehlende Zuwendung oder Pflege, aber dass sie selbst vielleicht die Ursache ihres eigenen Unvergnügens sind, das dämmert ihnen noch nicht einmal ansatzweise. Der Nimbus des Reichtums verschafft ihnen Gehör, verführt andere wenig begüterte Menschen, ihnen ihre Zeit zur Verfügung zu stellen, zuzuhören und Dienstleistungen zu verrichten. Dies alles in der vergeblichen Erwartung, für ihre Aufmerksamkeit, ihre Zuwendung oder Dienste entlohnt zu werden. Das ist aber nicht so. Dem System entspricht, dass ihnen zwar zuweilen Lob und Geschenke, Vertröstungen auf testamentarische Zuwendungen, Vermächtnisse etc. zuteilwerden, aber niemals tätige Zuwendungen und uneigennützige Hilfe seitens der Vermögenden.

Der Mehrwert zu deren Gunsten bleibt erhalten. Der Mehrwert bleibt selbst dann erhalten, wenn er die Grundlage eines Stiftungsgeschäfts schafft. Es ist dann der steuerliche Mehrwert bis hin zum gesellschaftlichen. Immer steht der Zeiger auf Kompensation, ggf. argumentativ auf „zurückgeben“, aber nie auf geben aus dem geschaffenen Mehrwert als private oder gesellschaftliche Vorleistung.

Dabei könnte die Geschichte vom „Hans im Glück“ auch die Reichen so zufrieden stellen, wenn sie begriffen, dass eine gebende Hand nicht nur Bewunderung hervorruft, sondern auch eine anspruchslose Bereitschaft anderer Menschen, dem Gebenden auch zu geben. So kann der geschaffene Mehrwert allen nutzen und nicht nur dem Vermögenden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski