Archiv für den Monat: März 2019

Selbsterkenntnis

„Erkenne dich selbst.“ Dieses Zitat wird Chilon von Sparta zugeschrieben. Selbsterkenntnis? Wer bin ich, wer sind wir? Ich weiß es nicht, vielleicht aber meine geneigten Leser. Möglicherweise dadurch, dass sie mir dabei behilflich sind, durch die dialogische Praxis des Schreibens zumindest Aspekte meines Selbst zu erfahren. Schaffen sie Erkenntnis?

Meine Leser sind dann der Lackmustest, Katalysator oder Spiegel. Auch, wenn ich meine Leser nicht kenne, bin ich doch in deren Augen nach ihrer Beurteilung und in ihrem Empfinden der- oder diejenige Person. Ich bin selbst für mich aber eher unbekannt, ein Mensch aus Körper, Genen, Geist und Seele, von der Natur vorgegeben, von den Umständen geprägt, programmatisch auf dieses Leben eingerichtet. Die Umstände schaffen dann eine Eigenbewertung, die in der Gemeinschaft eine stete Anpassung erfordert, mich prägt und meine Fähigkeit, mich selbst zu täuschen, verstärkt und mich stets zwingt, Opportunitäten folgende neue Identitäten zu schaffen.

Dies geschieht durch andauernde Selbstbetrachtung und Einübung von Rollenklischees, und zwar mit einer derartigen Intensität, dass ich letztlich geneigt bin zu glauben, das eigene entworfene Ich sei für mich stimmig. Glauben das andere auch? Zu meiner Beruhigung und Enttäuschung bin ich selbst davon überzeugt, weil sie ihrerseits Kostüme schneidern, in die sie mich einzwängen, darauf beharren, das Kleid sei für mich stimmig, obwohl es aus den Nähten platzt, in allen Generationen-, Alters- und Geschlechterklischees.

Das Selbst wird vom Klischee bestimmt, die Selbsterkenntnis verweigert. Um aus den Klischees herauszufinden, benötigen wir die Erarbeitung einer ganzheitlichen wissenschaftlichen Erfahrung des Menschen, die weder selbstbehauptend, noch reaktiv ist, weder vorspiegelt noch eingrenzt sondern offen ist. Das Selbst ist facettenreich, komplex und einzigartig. Dies zu erfahren und zu erfassen, könnte uns dabei helfen, uns in Zeiten eines sich bereits am Horizont schemenhaft abbildenden Maschinenwesens, in Stellung zu bringen als uns selbst erkennende Menschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ethic Solutions (Teil 2)

Kein Bereich ist ausgenommen und kein Instrument ungeeignet, dafür einen menschlichen Mehrwert unter Einschränkung des Ressourcenverbrauchs zu schaffen. Wir begreifen, dass der Lebenssinn im Tätigsein an sich und nicht im Geld besteht. Macht ist eine Frage der Fähigkeit, mit vorhandenen Instrumenten Neues zu erproben und Erfolge in der Reduzierung von Verschwendungen zu erlangen. Die Konzentration auf das Wesentliche und der Pluralität ist ein Teil des ethischen Kanons.

Dass wir uns etwas vormachen, glaube ich nicht. Wir haben nur den Hebel noch nicht gefunden, um unsere Ansprüche in eine neue Richtung zu lenken. Revolutionen sind uns verdächtig und angepasst lebt es sich scheinbar bequemer. Aber nicht die Angst, sondern die Neugier führt zur Erprobung von Möglichkeiten, die uns dabei helfen können, auch unseren Kindern eine Welt zu öffnen, die ihnen Lust und Freude bei der Verwirklichung ihrer Bedürfnisse erlaubt.

So geht es um die Anwendungen und Umsetzungen ethischer Grundsätze im privaten und öffentlichen Bereich, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft, in Unternehmen und der Politik. Wir alle haben schon als Kinder von den Eltern vernommen, was man zu tun habe und was man besser lässt. Diese Grundsätze müssen Auswirkungen auf unser integres Verhalten lebenslang haben und unsere Kinder ermutigen, diese Grundsätze ebenfalls zu beachten. Allein schon die Beachtung des Fremdnutzens vor Eigennutz, die Bereitschaft zu geben, anstatt immer nur zu fordern, kann ein Schlüssel zur philanthropischen Welt bieten, der Ressourcen schont, wahre Bedürfnisse erkennen lässt, Anmaßungen vermeidet und Verantwortung wahrnehmen lässt.

Es kommt nicht darauf an, ob alle gleich mitmachen, denn jeder kann Vorbild sein und desto mehr Vorbilder es gibt, desto mehr Nachahmer sind erwartbar. Dank Influencer und Enabler wächst die Schar derer, die den Planten für erhaltungswürdig erachten. Na dann mal los!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ethic Solutions (Teil 1)

Die Welt ist schön! Vor Jahrtausenden haben wir damit begonnen, sie nach unseren Bedürfnissen zu gestalten. Wir haben immer alles von Menschen für Menschen gemacht und dabei entsprechend unserer Bedürfnisse auch auf die Ressourcen dieser Welt zurückgegriffen. Bei der Übertreibung unserer Nutzungsmöglichkeiten haben wir viele Fehler gemacht. Wir haben großen Schaden angerichtet, aber vieles ist uns auch gelungen. Probleme, die im Anthropozän besonders sichtbar geworden sind, beruhen auf unserer Fähigkeit, Entwicklungen auf allen Gebieten voranzutreiben.

Das Ergebnis ist ein enormes Bevölkerungswachstum, aber auch weniger Seuchen und Krankheiten, eine enorme Energieausbeute mit allen bekannten Konsequenzen, aber auch weniger Hunger, mehr Arbeit und Beschäftigung, kurzum mehr Lebensperspektive. Wir müssen alles sehen. Auch die großen Fortschritte, obwohl sie stets eine Kehrseite aufweisen, die uns Angst macht und uns verzagen lässt: Überbevölkerung, Verseuchung der Meere, Abschmelzen der Pole, Klimawandel, Atomkraft, Digitalisierung und schließlich „artificial intelligence“. Wir dürfen uns aber von der Verantwortung nicht zurückziehen, sondern haben Grund zu handeln, nicht völlig anders, weil dies unserem Leben nicht entspricht, aber mit abweichenden Perspektiven als bisher.

Kein „anderes Wesen“ kann uns retten, sondern wir können selbst unsere Fähigkeiten nutzen, die wir bei der Ressourcenausbeutung erworben haben. Vor dem Handeln steht das Erkennen. Unsere Welt ist unternehmensbestimmt. Sie ist aufgrund der industriellen Revolution, wie wir sie nennen, auf den Warenverkehr ausgerichtet, der den Stakeholdern, aber auch den Destinatären nutzt. Die dadurch gewonnenen Erfahrungen im Kapitalismus sollten ausgedehnt werden auf einen bisher kaum erschlossenen Bereich, um auch dort Mehrwerte zu schaffen, die uns gesellschaftlich und persönlich voranbringen. Philanthropie steht da für ein ethisches Verhalten, das kapitalistische Befähigungen mit den Möglichkeiten verbindet, ideell und finanziell einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen und zu nutzen.

Dies kann in allen Bereichen geschehen und geschieht bereits jetzt schon in der Gesundheitsfürsorge, der Pflege, der Bildung, der Müllvermeidung, der Zweit- und Drittnutzung von Gegenständen, der Finanzierung, der Ernährung, der Energie und der Wohnungswirtschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Restitution

Es ist gut, dass Bewusstsein und Sensibilität dafür wachsen, dass geraubte oder nicht ethisch sauber erworbene Kunst- und Kulturgegenstände wieder an frühere Eigentümer bzw. Besitzer zurückzugeben seien. Dies sollte allerdings nicht nur das Naziraubgut, die Enteignung und Übervorteilung von Juden betreffen, sondern alles, was in Kriegen oder unter Ausnutzung von Machtpositionen direkt oder indirekt entwendet wurde.

Nach meiner Auffassung ist die Begrifflichkeit hier weit zu fassen, denn, wie der Volksmund zu Recht weiß: „Unrecht Gut gedeiht nicht gut.“ Das heißt, der Raubbegriff sollte auch diejenigen Artefakte mitumfassen, die nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv Einfluss auf das Herausgabebegehren ehemaliger Rechteinhaber haben. Es geht nicht nur um Rechtspositionen, sondern auch um Würde und Integrität.

Was sich auf persönlicher Ebene vollziehen sollte, gilt gleichermaßen für ehemalige Kolonien, Mandatsgebiete und andere Machtsphären, die zur Unterdrückung von Kulturen, Wesensarten und Traditionen missbraucht wurden. Nicht nur die materielle, sondern auch die immaterielle Restitution ist unumgänglich, um nicht nur zwischen den Völkern dieser Welt einen Austausch auf Augenhöhe stattfinden zu lassen, sondern Erfahrungen zu erlauben, die durch selbstermächtigte Interpretation, Anmaßung und Verweigerung des selbstbestimmten „Anderen“ verschlossen sind.

Kulturschätze anderer Völker glänzen im Licht ihrer Regionen, Bezüge und jahrtausendalten Interpretationen ganz anders in unserem Bewusstsein, als das intrinsische Vorbild unserer eigenen historischen und kulturellen Apologie. Wir müssen mehr in Restitutionsfragen investieren, um nicht museal zu erstarren, sondern aus dem materiellen und ideellen Besitztum an geborgten Gegenständen Kraft für Neues schöpfen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kinderaugen

Das Wesentliche findet sich im Verborgenen. Um dies zu entdecken, wäre es hilfreich, auf kindliches Wissen zurückzugreifen. Die Kindeserfahrung gilt nicht nur dem Offensichtlichen, sondern Sinne, Gelüste und Erwartungen sind auch auf das gerichtet, was das Ding im Inneren ausmacht. Das Kind erfährt die Erlebnisintensität jeden Augenblicks, auch schon des nächsten. So, wie das Kind die sich ihm öffnenden Möglichkeiten erfährt, können auch wir wieder eintauchen in das Wesentliche, das sich hinter dem Offensichtlichen verborgen hält.

Um zum Wesentlichen vorzudringen, benötigen wir Hilfsmittel, die uns erlauben, durch Zeit und Wirklichkeiten unserer Wahrnehmung zu reisen und auch Gegenden zu besuchen, die seelisch und gedanklich in unserer Vergangenheit liegen oder uns in der Zukunft einladen. Begeben wir uns auf diese Inter-Journey der Gedanken und Gefühle, kann jeder Moment ein Abenteuer sein, ein Moment des weiten Schauens mit der Chance, Dinge zu entdecken, die wir bisher übersehen haben oder auch bei uns bisher nicht vorgekommen sind.

Indem wir in uns selbst reisen, erweitern wir unseren Horizont der Wahrnehmung, erkennen neue Instrumente der Daseinsbewältigung auch im realen Raum. Die Reisen, die wir in unser Bewusstsein und Unterbewusstsein antreten können, sind gleichermaßen entgrenzt, wie die eines Kindes. Erinnern wir uns doch, dass das, was wir uns als Kind vorgestellt haben, sich ereignete, in einem Tapetenmuster, einem Wolkenbild oder in der völlig unkonkreten aber passenden Vorstellung. Sind wir in der Lage, alle unsere früher so behänd beherrschten Hilfsmittel wieder zu nutzen, öffneten sich nicht nur die Möglichkeiten des Sehens, sondern auch des Tuns.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski