Archiv für den Monat: April 2020

Blickwinkel

So mancher erinnert sich gern an Friedrich Luft „Die Stimme der Kritik“ und auch viele mit etwas Beklommenheit an den Großmeister der Kritik Reich-Ranicki. Kritikern wie diesen sind Theater, Literatur und natürlich auch die Darbietungen von Opern und konzerntanten Stücken anvertraut. In den klassischen Disziplinen sind die Kritiker die höchsten Instanzen und weisen verbindlich für Zuschauer und Zuhörer den Weg zum Verständnis.

Durch die unerbittlich lobende Bewertung oder gleichermaßen unerbittliche Verurteilung eines künstlerischen Beitrags öffnen sie den Olymp oder sorgen dafür, dass ein Schafott nicht ungenutzt bleibt. Kritiker erfreuen sich ihrer Macht, die sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Emotionen verbindlich machen können. Die Kritik wirkt. Zuhörer und Zuschauer wollen sich in ihrer zustimmenden Anschauung bestätigt sehen oder im Widerspruch dazu.

Vor allem schlagen sie sich auf eine Seite. Sie sind der Meinung: Schauspieler können nicht spielen, Dirigenten nicht dirigieren, ganze Orchester nicht musizieren und so mancher Schriftsteller überhaupt nicht schreiben. Andere wiederum werden über den grünen Klee gelobt. Alles verständlich, aber so frage ich mich: Ist das alles? Kann nicht ein schlecht gespieltes Theaterstück auch inhaltlich stark sein und zur eigenen Orientierung beitragen? Kann das nicht für alles gelten, was wir erleben?

Wenn wir statt mit Ablehnung zu reagieren, versuchen zu verstehen und das Erfahrene in unseren Vorstellungen entspiegeln, schafft das nicht eine Souveränität jenseits der Bevormundung? Kritiken können dabei sehr hilfreich sein, wenn sie uns Werkzeuge für die eigene Beurteilung an die Hand geben und unsere Beurteilung sich nicht auf das Offensichtliche beschränkt, sondern den Gewinn daran misst, dass uns Gelegenheit geboten wird, unsere Erfahrungen selbst anzureichern und daraus zu lernen. In diesem Sinne profitiere ich von jedem künstlerischen Angebot. Es ist einfach eine Frage der Perspektive, welchen persönlichen Nutzen ich daraus ziehe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kontrollverlust

Kann ich die Kontrolle, die ich verloren habe, auch wiederfinden? Wo soll ich suchen? Wer findet meine Kontrolle und bringt sie zurück? Zahle ich dann den Finderlohn? Wie hoch ist die übliche Vergütung? Was passiert, wenn weder ich, noch ein anderer meine Kontrolle findet und der Verlust endgültig eintritt? Wenn die Kontrolle abhandengekommen ist, was mag sie ersetzen? Sind das alles nur Wortspiele, Befürchtungen, die sich in unseren Medien wiederfinden oder schon eingetreten sind?

Das ist im unübersichtlichen Terrain der Meinungen kaum auszumachen. Bezogen auf die Politik ist von Kontrollverlust von Staaten die Rede, zum Beispiel an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland oder bei der Bekämpfung des Corona-Virus in Italien. Was ist das richtige Mittel, um dem Kontrollverlust entgegenzuwirken? An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei Menschen zurückzutreiben und auch die Grenzen aller Staaten zu schließen, damit das Corona-Virus nicht übergreift?

Vielleicht ist hier der Vergleich gar nicht so abwegig, wenn er zur Erkenntnis führt, dass einem Kontrollverlust nicht dadurch entgegengewirkt werden kann, dass man Grenzen schließt. Etwas, das viel stärker ist, als unsere Möglichkeit, es durch Grenzziehungen zu verhindern, muss Akzeptanz erfahren, eine Akzeptanz, die nicht lähmt und nur reaktiv wirkt, sondern mutig die Herausforderungen annimmt und flexibel die Kontrolle behält. Eine solche Manifestation des Willens schafft Vertrauen, sichert Handlungsmacht und sorgt dafür, dass ein Kontrollverlust behoben wird und künftig nicht mehr eintreten kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sensibilisierung

Wer früher als sensibel bezeichnet wurde, erfuhr eine unterschiedliche Bewertung. Ein sensib­les Kind war dafür vorgesehen, Musikinstrumente zu erlernen. Die Ermahnung „Sei doch nicht so sensibel“ signalisierte dagegen, dass die festgestellte Empfindsamkeit nicht angemessen sei.

Sensible Kinder haben es schwer. Wie verwegen mutet daher die Aufforderung vor allem aus dem politischen Raum an, wenn von uns verlangt wird, wir sollten sensibler reagieren. Da diese Voraussetzungen nicht bei allen Menschen vorhanden sind, sollen wir uns sensibilisieren. Faszinierend! Aber, wie soll das geschehen? Wie funktioniert Sensibilisieren? Wie kann jemand, der keine sensiblen Eigenschaften aufweist, sensibilisiert werden, ohne dass er durch die Decke geht? Wie ist der Widerspruch zu überbrücken, dass Sensibilität oft als Lebenseinschränkung gesehen und andererseits aber gefordert wird?

Fangen wir nun alle an, Musikinstrumente zu lernen oder Hausarbeitskreise zu gründen, wenn wir sensibilisiert werden? Welche Kraft soll in uns wirken, die uns in die Lage versetzt, uns entgegen aller Prognosen der Politik sensibel zu machen? Vielleicht schaffen wir dies mit Achtsamkeitstraining und wer dann, bitte schön, ist dafür zuständig? Welche Vorteile bringen uns Sensibilisierung und Achtsamkeit? Taugt die öffentliche Hand, taugen die Vertreter des Staates und die Politiker als Vorbilder? Wie sensibel sind Vertreter von Parteien und Verbänden?

Ich fürchte, solche Forderungen nach angestrengter Sensibilität bewirken genau das Gegenteil. Sie verharmlosen das Problem einer auf Machtverhältnissen basierenden Gesellschaft, der nur mit Regeln, Gesetzen und verlässlichen Vorbildern an Integrität beizukommen ist. Unerfüllbare Forderungen bewirken das Gegenteil, verharmlosen das Problem und setzen diejenigen, die sich selbstverständlich an Gesetz und Regeln halten, der Lächerlichkeit aus. So wird ein sensibler, achtsamer und integrer Mensch zur Witzfigur. Das dürfen wir nicht wollen und müssen daher aufhören, sinnlose Phrasen zu dreschen, die nur den Ignoranten Vorteile verschaffen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Hoffnung

Was baut uns auf, was schafft uns Hoffnung auf ein schönes und erfülltes Leben für uns selbst, unsere Kinder und Enkelkinder? Fernsehen? Die Verkehrsteilnehmer? Das Internet? All das sicher nicht. Neben dümmlichen Rateshows werden im Fernsehen fast nur Krimis, wie den Tatort ausgestrahlt, die uns stark daran zweifeln lassen, ob Täter und Polizisten nicht vor allem ein psychisches Problem haben.

Derartige Sendungen bauen uns nicht auf, sondern verstärken Depressionen, die wir bereits in öffentlichen Verkehrsmitteln, als Teilnehmer am Straßenverkehr oder in Kaufhäusern einfangen können. Auch kurzzeitige Entlastungen verschaffen kein Glücksgefühl, denn das fehlende Maß verbaut die Möglichkeit einer glückschaffenden Befriedigung.

Die Hoffnungslosigkeit zieht sich wie ein Band durch unser Leben, angefangen von persönlichen Unzulänglichkeiten, eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten, gesundheitlicher Instabilität, politischer Unvernunft und das Fehlen der supranationalen Einsicht, dass alles getan werden müsste, um unseren Planeten zu retten. Wenn alles so hoffnungslos ist und wir uns aber danach sehnen, dass alles gut ist, warum haben wir dennoch Schwierigkeiten, eine erwartungsfrohe Hoffnung zu gestalten?

Vielleicht deshalb, weil dies anstrengend ist, vielleicht deshalb, weil andere dies tun sollten, vielleicht deshalb, weil es keinen offensichtlichen Gewinn bringt, vielleicht deshalb, weil wir von Hoffnung nichts halten? All dies mag eine Rolle spielen, sollte uns aber mahnen, dafür einzutreten, dass wir im Fernsehen, wie auf unseren Straßen lieber erfreulichere Erlebnisse erfahren, geprägt von Zuversicht, Hilfsbereitschaft und Fröhlichkeit. Ich bin davon überzeugt, dass dies in kürzester Zeit anstiftend wirken und unser Leben hoffnungsfroher machen würde.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski