Diese Corona-Epidemie passt zu unserem Zeitgeist. Wäre sie nicht von selbst über uns hergefallen, so hätten wir sie wohl inszeniert. Corona ist die Zeit der allgemeinen Abrechnung mit anderen Menschen, mit der Wissenschaft, mit der Wirtschaft, mit der Menschheit und schließlich mit der Demokratie.
Corona schreddert all das, was bisher durch Erfahrung, strukturelle Ordnung, wissenschaftliche Erkenntnisse und Gemeinsinn noch gesichert erschien. Corona ist unsere Abrechnung mit der Realität durch organisierte Meinungsgewissheit. An die Stelle des Offensichtlichen tritt die Meinung, und zwar auch dann, wenn sie nicht mehr die eigene ist, sondern eine durch Verschwörung und mediale Verstetigung evozierte Gewissheit.
Zu unserem selbstvergewisserten Demokratieverständnis gehört die Meinungsfreiheit. Was ist aber damit gemeint? Eine Fülle unterschiedlicher Meinungen kulminieren zu einem Punkt der verabredeten Gewissheit. Wenn jeder Mensch nur eigene Erfahrungen macht und diese eigenen Erfahrungen als seine Meinung verbreitet, dann sind sie selbst dann relevant, wenn sie schließlich nicht zu dem von dem Meinenden gewünschten Erfolg führen. Es kommt also auf die Schnittmenge aller Meinungen an.
Anders verhält es sich allerdings dann, wenn Meinungen keinem individuellen Erkenntnisprozess mehr entsprechen, sondern einer kollektiven Verabredung. Diese Verabredungen können genährt werden durch die Klickzahlen im Internet, durch Verschwörungsaggregate oder auch Gleichgültigkeit. Erkennbar weichen selbst Wissenschaftler, aber vor allem Politiker, Abgeordnete und Regierungen vor der Meinungsmacht zurück und lassen es zu, dass organisierte Meinungen nicht nur verbreitet, sondern auch gesellschaftlich anerkannt werden. Dabei verkennen diejenigen, die so handeln, dass mangels immanenter Meinungsvielfalt, die sich etablierende Meinungsbestimmtheit erhebliche negative Auswirkungen auf unsere Demokratie haben wird.
Das Zurückweichen unserer politischen Institutionen, unseres Staates und unserer Politiker vor der organisierten Meinungsmacht trägt dazu bei, dass wir unregierbar werden. Die Zukunft wird nicht mehr durch Verabredungen bestimmt, die selbst dann Geltung beanspruchen sollten, wenn sie sich als falsch herausstellen. Die Zukunft wird auf Meinungsmacht gegründet. Meinungen benötigen aber keine Rückkopplung zur Wirklichkeit und sind auf Verantwortung nicht angewiesen. Meinungen weisen keinerlei Verbindlichkeit auf. Nicht nur individuell, sondern auch kollektiv kann jeder seine Meinung ändern und wenn dann die medial aufbereiteten Meinungen Grundlage unserer Ordnung sein werden, dann ist es mit dieser vorbei. Zu vermuten ist, dass nach Erosion all unserer bisherigen Gewissheiten eine neue Ordnung sich etablieren und effektiv in der Lage sein wird, mittels meinungsfreier Termitenintelligenz eine neue Welt zu erschließen.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski