Archiv für den Monat: Juni 2020

Sprichworte

Ich bin ein wahrer Hans im Glück, dachte Hans, als Goldmarie sich mit ihm einließ. Für ihn führten zwar bisher viele Wege in den Himmel und seine Lieblingsrezeptur bei Frauen war, „ein Mal ist kein Mal“, aber diesmal wusste er, wenn er „A“ sagen würde, müsse er auch „B“ sagen. Aus dieser Ge­schichte käme er nicht mehr ohne weiteres her­aus, denn die Liebe, die er in seinem Magen verspürte war stärker, als ein Neuner beim Kegeln.

Er war schon 40 Jahre alt und wurde von seinen Kegelbrüdern gedrängt, bei Goldmarie dran zu bleiben, denn „Eisen solle man schmieden, solange es heiß ist“. Hans war dagegen eher einer von denen, die sagten: „abwarten und Tee trinken“. Das brachte natürlich Goldmarie auf die Palme, aber er fühlte sich wie im 7. Himmel, wenn sie ihn nach langen Leibesübungen in den Morgen­stunden in den Arme nahm und seine verschütteten La­teinkenntnisse ihm zu­raunten: „per aspera ad astra“. Marie, die im Gegensatz zu dem Sprü­che­schmied Hans sogar das große Latinum hatte, tastete bei dieser Gelegen­heit nach seinem Bauch und seufzte „mens sana in corpore sano“. Gott sei Dank hatte Hans dies, weil noch leicht schnarchend, nicht verstanden, denn anderenfalls wäre er auf die Palme gegangen. Nichts hasste er mehr, als die Aufgabe seiner Bequemlich­keit und das Abweichen von ausge­tretenen Pfaden. Das war so bei der Arbeit wie auch zu Hause bei seinen Eltern. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Hans´ Sturheit brachte Marie erkennbar fast um den Verstand. Er musste sie auf die Probe stellen. Denn es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Er entschloss sich, sie zu heiraten. Er wusste zwar, dass dort, wo Licht ist, auch der Schatten lebt, aber, „Eisen sollte man eben schmieden, solange es heiß ist“.

Hans wusste ohnehin, dass er aus dieser Sache nicht mehr herauskommen würde. Er konnte sich drehen und wenden. Insgeheim dachte er zwar , „es ist noch nicht aller Tage Abend“. Als aber seine Stammtischfreunde stichel­ten: „Dumme Kälber wäh­len ihre Metzger selber“, resig­nierte Hans und meinte, wer „A“ sagt, muss auch „B“ sa­gen und schloss den Bund der Ehe. Er nahm es auch in Kauf, dass sein Konto schmolz wie Butter in der Sonne, Marie ihn drängte zu investieren, ein Häuschen im Grünen für sie zu bauen. Finanziell war er zwar bald am Ende, die Wünsche von Marie aber noch längst nicht erledigt. Ein früherer Liebhaber von Marie tauchte auf, ein Banker von erstaunlichem Renommee, Porschefahrer und Lebemann: „Sonne am Mor­gen vertreibt Kummer und Sorgen“. So sagte er, legte einen Batzen Geld auf den Tisch und verschwand mit Marie. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, rief er Hans dabei noch zu. „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, mur­melte Hans vor sich hin, nahm das Geld und kaufte weitere Baumaterialien, um für Marie die „Feste Burg“ zu vollenden. Sicher kommt sie zurück ?

Sieben Jahre sind vergangen, das Schloss fast errichtet. Weder links oder rechts hat Hans während der Bauphase geschaut. Andere Frauen waren aus den Augen und damit aus dem Sinn. Er baut unablässig und hat sich so eingerichtet in sei­nem unerledigten Eheleben. Die Sonne ist am Unterge­hen, „Abendrot schlägt den Morgen tot“, denkt Hans mit Verdruss, wenn er spürt, dass Marie so stark von seiner Erwartung Besitz ergreift, dass sich das Reißen in seinem rechten Arm wieder bemerkbar macht. „Es ist wahrlich nicht alles Gold, was glänzt“, lässt ihn dies seufzen. Doch „wer den Taler nicht ehrt, ist des Goldes nicht wert“. Ein langer gemeinsamer Weg müsste von ih­nen noch zu Ende gegangen werden und das sei erst der Anfang … meint Hans und wartet auf seine Frau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Perspektive

Es ist alles eine Frage der Perspektive. Dieses gängige Mantra vermag uns davon zu entlasten, über einen Umstand weiter nachzudenken oder in Konfrontation mit der Meinung eines anderen zu geraten. Dass es gängig ist, macht diesen Satz allerdings nicht falsch. Vom Menschen aus gesehen, gibt es keine Absolutheiten. Der Mensch denkt, empfindet und handelt perspektivisch, ausgehend davon, was seine Wahrnehmung ihm vermittelt. Unter diesem Aspekt ist Perspektive etwas höchst Persönliches, genährt von Erfahrung und Einschätzung, aber auch Wissen, Bildung und Erkenntnis.

Perspektiven ergeben sich aber auch für denjenigen, der überhaupt nichts weiß, ahnungslos und auf sich selbst beschränkt ist. Da Perspektive somit nur eine Projektion unserer Wahrnehmung ist, gilt es aufzudecken, welche Eigenschaften von Perspektiven nicht erfasst werden, durch unsere Betrachtung sich nicht offenbaren. Unsere Wahrnehmung unter perspektivischen Gesichtspunkten schafft Orientierung. Sie schafft sogar eine bestimmte Form der Verlässlichkeit, sobald diese Wahrnehmung sich entpersönlicht und so allgemeine Anschauung werden kann. Aber auch dann wird eine Perspektive nicht wahr.

Unsere Sinnesorgane sind in der Lage, uns das Wesen aller Dinge, die uns umgeben, zu vermitteln. Damit sind wir aber noch nicht zu deren Wesen an sich durchgedrungen. Alles Wesen, ob organisch oder nicht organisch entzieht sich unserer Gewissheit. Aus unserer Perspektive ist der Himmel blau. Inzwischen wissen wir, was uns zu dieser Wahrnehmung verleitet. Also beachten wir diesen Zustand als gesichert und wissenschaftlich auch bestätigt.

Aber, was macht den Himmel blau? Ausschließlich aufgrund unserer Wahrnehmung, aus unserer Perspektive heraus ist der Himmel blau. Diese Wahrnehmung reicht uns. Wir hinterfragen  nicht, wie Bäume, Berge oder Vögel diesen Himmel für sich beschreiben. Aber, auch wenn wir diesen relativen Moment in der perspektivischen Wahrnehmung durchaus erkennen und auch akzeptieren müssen, so scheuen wir uns doch, die Erkenntnis dahingehend zu erweitern, dass wir niemals etwas wissen, noch des Pudels Kern finden können.

Wir wissen nichts von den Dingen, sondern folgern lediglich aus ihren Eigenschaften ihre tatsächliche Beschaffenheit. Wir wissen nicht, was unseren Planeten, diesen Weltraum im Inneren zusammenhält. Alles ist irgendwie und täglich ringen wir darum, einen perspektivischen Ansatz dazu zu finden, damit wir eine Ordnung haben, die uns nicht selbst permanent in Frage stellt. Es ist gut, dass wir diese selbstberuhigende Fähigkeiten haben. Es ist aber großartig, dass wir trotz allem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, trotz Transzendenz und Dataismus letztlich weiterhin gespannt und neugierig auf alles und nichts sein dürfen. Aber sind wir den Anforderungen, die an uns gestellt werden, gewachsen?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

System

Wir leben in Zeiten des Postindividualismus. Wir begreifen die Komplexität dieser Welt und erfahren, dass wir zwar eine wichtige, aber letztlich nicht ausschlaggebende individuelle Rolle in dieser spielen. Genauso wie unser Körper und Geist und alle unsere Empfindungen einer komplexen endogenen Bestimmtheit unserer DNA und dem Einfluss der uns besiedelnden Mikroben und Viren folgen, ist die uns umgebende Tier- und Pflanzenwelt gleichermaßen von diesen bestimmt.

Um dabei im Bild zu bleiben, findet zwischen der Tier- und Pflanzenwelt und uns Menschen ebenfalls ein reger Austausch statt, der eine evolutionäre Singularität des Menschen ausschließt. Um Entwicklungen voranzubringen, ist die systemische Stimmigkeit allen Lebens erforderlich. Es geht dabei nicht um Gleichgewichte, sondern die dem System eigentümliche Prägung sorgt dafür, dass die Störung des Masterplans, so sie auftritt, beseitigt wird.

Was aber ist der Masterplan? Ihn sich etwa als Formular oder grundlegende Botschaft vorzustellen, wäre töricht, wenn man unterstellte, das System wäre von einem imaginären Kopf her bestimmt. Das Entscheidende ist, dass das die Welt lenkende System sich selbst opportun entwickelt und anpasst. Dieses System kennt keine Gewissheiten und hat womöglich auch dem Menschen keine bleibende Rolle zugedacht.

Aber, die Regelhaftigkeit dieses Systems kann man vielleicht mit derjenigen eines Magneten vergleichen, der zugleich abstoßend und anziehend wirken kann. Die absolute Ungewissheit macht uns zu schaffen. Sie sollte aber auch Ansporn dafür sein, nicht immer und weiter unser Ego zu feiern und gegen alles, was uns bei der angemaßten Selbstentwicklung zu hindern scheint, Widerstand zu leisten, sondern uns einzulassen auf ein ganzheitliches komplexes Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, den Tieren und der Pflanzenwelt. Wie flüchtig unsere scheinbare Einmaligkeit als Individuum ist, erfahren wir täglich bis zu unserem Tod. Alles Persönliche ist vergänglich, was aber bleibt, ist der Beitrag, den wir für das Ganze, also das System, geleistet haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rumpelstilzchen

Es ist, was es ist, das Ganze und dessen Teil, das Einzelne und die Menge. Es erklärt sich selbst, wenn wir bereit sind, seine Botschaft anzunehmen. Das Unbestimmte hat seine eigene Methode der Entdeckung, den besonderen Zugang zu seinem Verständnis. Diesen verschafft unsere Bereitschaft, uns auf einen integrativen Prozess einzulassen und nicht zu meinen, wir vermögen den Weg jeder Erkenntnis selbst zu bestimmen, gar zu glauben, dieses sei uns vorgegeben.

Auch eine etwa von uns eingesetzte Dechiffrierungsmaschine muss scheitern, denn sie versteht nicht, dass jede Gesetzmäßigkeit sich auch an Opportunitäten und Vorteilsnahmen orientiert. Wie bei Rumpelstilzchen ist alles nur durch eine angemessene Zuordnung, die sich aus dem Anliegen selbst heraus sichtbar macht, erklärbar. Jede Zahl, jedes Blatt und jedes Atom, die großen und kleinen Dinge vermögen sich ausschließlich durch ihre energischen Selbstbehauptungen zu vergegenwärtigen.

Wenn wir uns auf das Verborgene einlassen, dann wissen wir Bescheid, ohne dass wir genötigt wären, den Gegenstand der Betrachtung zu zerlegen oder zusammenzusetzen. Alles kann im gleichen Augenblick manifest und flüchtig dadurch werden, dass wir unser Verständnis zeigen. Wenn wir senderorientiert wahrnehmen und uns gänzlich öffnen, dies mit allen unseren Sinnen und kognitiven Möglichkeiten, bleibt uns das Wesen des Ganzen nicht verborgen. Wir erkennen dann die Muster, die sich selbst entwerfen, als seien sie in Sand oder Schnee gemalt. Jede Erkenntnis ist in uns selbst und dem Gegenstand unserer Betrachtung angelegt. Wir müssen nur lernen, alles zu begreifen. Rumpelstilzchen weist uns einen Weg.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski