Archiv für den Monat: Juli 2023

Verwandtschaft

Wenn von Fürstenhäusern die Rede ist, vernimmt man häufig Ausführungen zur Tradition und zum Stammbaum. Es wird ausführlich davon berichtet, wer sich mit wem eingelassen hat und welche Erwartungen die Öffentlichkeit an diese Verbindung knüpfen darf. Eine entsprechende mediale Aufmerksamkeit wird auch Genies geschenkt. Politiker und Sportler verweisen ebenfalls gern auf ihr Elternhaus mit dem Zusatz, dass sie es gerade deshalb oder auch trotzdem geschafft haben, ihre berufliche Stellung zu erringen.

Ansonsten nehmen die meisten Menschen ihre Verwandtschaft oft nur bei Familienfeiern wahr, entweder als lästig oder unumgänglich bzw. hilfreich. Eine tiefere Auseinandersetzung mit Verwandtschaft und Abstammung erfolgt in der Regel nicht und systematische Bearbeitung, wie es zur Tier- und Pflanzenwelt praktiziert wird, nur dann, wenn es darum geht, Menschen in einen gesellschaftlichen oder anthroposophischen Zusammenhang zu stellen. Detailfragen zur persönlichen Verwandtschaft werden oft nur im Zusammenhang mit Erbschaften geklärt und Geburts-, Heiratsurkunden, alte Briefe, Fotos, Taufbescheinigungen und Kirchenbuchauszüge selten genutzt, um sich eine Übersicht über die vielfältigen menschlichen, kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Verbindungen innerhalb der Familie zu verschaffen.

Warum ist die oft vernachlässigte Vergewisserung über Familie, Verwandtschaft und Abstammung eigentlich so wichtig? Ich meine, durch das Entdecken der vielfältigen Beziehungen, die uns verbinden, durch das Eintauchen in die Vergangenheit und das Aufdecken von Zusammenhängen kommen wir unserer eigenen Existenz näher und werden uns bewusst, was alles erforderlich war, um uns zu dem Menschen werden zu lassen, der wir heute sind.

Meines Erachtens schafft das Sicherheit und verlangt gleichzeitig Demut, denn bei der Erforschung sind uns unter Umständen nicht nur wunderbare Überraschungen gewiss.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Lebensleistung

Wenn ich einmal alt geworden bin, so stelle ich mir vor, dann werde ich auf einem Stuhl sitzen und über mein verflossenes Leben nachdenken. Dann möchte ich, so stelle ich mir weiter vor, die Gewissheit haben, dass ich entsprechend meiner Möglichkeiten einen Lebensbeitrag für andere geleistet haben würde. Das schließt natürlich Frau, Familie, Kinder, Enkel und Freunde nicht aus, sollte allerdings entsprechend meiner Erwartungen mehr sein.

Die Frage stellt sich, war ich beruflich nur eigennützig erfolgreich gewesen oder hat mein Beitrag anderen Menschen geholfen, sie dabei unterstützt, ihr Anliegen umzusetzen, ihre Interessen zu fördern und ihre Situation zu verbessern. Eindeutig ist das sicher alles nicht, ich möchte allerdings dann auf meinem Stuhl herausfinden oder zumindest empfinden, dass ich meine Ich-Welt zeitweilig verlassen und Anteil genommen habe an ihren Problemen, Freuden und Erwartungen.

Natürlich bin ich mir auch dann meines stets privilegierten Lebens bewusst, aber ich stelle dann hoffentlich auch fest, dass es mir gelungen ist, mehrere Leben gleichzeitig zu leben, das eigene und das fremde. Meine Erziehung, meine Ausbildung, meine körperliche und physische Verfassung lassen es nicht zu, so aufopfernd zu handeln, wie es viele von mir bewunderte Menschen tun, aber – so hoffe ich jedenfalls – sind es nicht nur günstige Umstände, die es mir Zeit meines Lebens erlaubten, entsprechend meiner Fähigkeiten und Möglichkeiten für andere Menschen da zu sein und zu helfen.

Sicher werde ich dann auf meinem Stuhl sitzend auch erkennen, wie oft ich bequem, feige, selbstherrlich und anmaßend war. Aber auch meine vielen Fälle des Versagens werden verdeutlichen, dass ich mich darum bemüht habe, nicht nur ein mit mir selbst erfülltes Leben, sondern auch ein erfüllendes Leben mit anderen Menschen zu führen. Immer habe ich verstanden, dass ich einen Beitrag für dieses Leben zu leisten habe, so unerwartet die Geburt ist und wie abschließend der kommende Tod.

Wenn ich auf meinem Stuhl sitze, wäre es mir unerträglich, wenn ich bekennen müsste, dass sich in meinem ganzen Leben nichts Anderes ereignet hat, als meine Selbstbestätigung. Manch einen habe ich, so muss ich selbst bekennen, mutwillig oder unbewusst verletzt, durch Übermut verwirrt oder durch Anmaßung betrogen. Das Leben indes bildet aus und deshalb hoffe ich, dass dann, wenn ich auf meinem Stuhl sitze, der Blick zurück auf mein Leben mich gelassen bleiben lässt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Armut – Reichtum

„Arm zu sein, bedarf es wenig, doch wer reich ist, der ist König!“ So wäre das bekannte Kinderlied „Froh zu sein …“ leicht abzuwandeln. Stimmt aber diese Feststellung oder sind Korrekturen angebracht? Arm versus Reich sind gängige Themen, politisch und gesellschaftlich aufgeladen durch unbefriedigte Ansprüche einerseits und gelegentlich protzende Selbstverständlichkeit andererseits.

Genau weiß zwar niemand, wo die Grenze zwischen Arm und Reich zu ziehen ist, ein deutliches Gefühl des Missbehagens begegnet aber denjenigen, die über ein großes Vermögen verfügen angesichts der Einschränkungen und Sorgen, den sich weniger begüterte Menschen ausgesetzt sehen. Das nicht nur gefühlte, sondern auch bestehende Ungleichgewicht wird politisch und gesellschaftlich als ungerecht empfunden. Der Maßstab für gerecht und ungerecht ist allerdings nicht verlässlich konstant, sondern variiert unter Berücksichtigung der eigenen Betroffenheit und Ansprüche.

Die sehr armen Menschen scheinen den Reichtum anderer Menschen eher nur zur Kenntnis zu nehmen, ohne hierauf mit Forderungen nach einer Teilhaberschaft daran zu reagieren. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie überwiegend mit ihren eigenen Problemen und der profanen Lebenssicherung beschäftigt sind. Dies ändert sich, wenn der Mensch aufgrund seines Bildungsstatus oder eines eigenen schon bescheidenen Vermögens den Unterschied zur wirtschaftlichen Verfügungsmacht anderer Menschen erkennt und daraus für sich selbst Defizite ableitet.

Dabei wird die Konsequenz des eigentlich als überwunden erachteten Feudalismus in Frage gestellt. Die öfters gestellte Frage lautet dann, wenn alle Menschen gleich sind und keiner für sich besondere Privilegien beanspruchen kann, wie ist es dann zu erklären, dass einige Menschen über ein sehr großes Vermögen verfügen und andere sich sehr einschränken müssen?

Einer der Hauptgründe ist in der von den Menschen selbst geschaffenen Rechtsordnung zu finden, aber auch darin, dass Freiheit und Verantwortung einer Interpretation bedürfen, die es Menschen erlaubt, Unterschiede wahrzunehmen, ohne verstört oder wütend darauf zu reagieren. Diejenigen, die über großes Vermögen verfügen, sollten nicht abwarten, bis andere Menschen es ihnen wegnehmen. Sie könnten auch darüber nachdenken, das Geben gerecht ist und sich entsprechend verhalten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski