Archiv des Autors: Sabine Büttner

Rechts-TÜV – rechtliche Unwucht, Rechtszertifizierung, Teil 2

Rechtsbegriffe lassen sich als Argumente begreifen, die einen Raum gestalten, der eine eigene Sphäre hat, aber einen Schlüssel bereithält, das ist das Judiz, das Rechtsgefühl. Dieses scheint aus dem Bauch zu kommen, durchdringt aber unser gesamtes Wesen.

Vermutlich, weil uns das Recht so nahe ist oder zumindest nahe erscheint, würden wir bei einer überfallartigen Befragung, was einem zum Recht so einfiele, vielleicht antworten: Also erst einmal Gesetze, Gericht, Gerechtigkeit, selbstverständlich auch Rechtsanwälte und Richter.

Ein Spaßvogel würde bemerken, dass man ja vor Gott, vor dem Gericht und auf hoher See alleine sei. Das Recht, das uns unmittelbar umgibt, uns einhüllt wie ein Kokon, scheint uns auf eine bestimmte Art fremd, ja sogar lästig zu sein. Um dieses Unwohlgefühl abzuschütteln, bemühen wir uns ungern darum, weiter vorzudringen in diesen uns eigentlich so geläufigen Bereich. Sozusagen der Schlüssel zu diesem Bereich ist das Judiz, das Rechtsgefühlt. Es scheint aus dem Bauch zu kommen, durchdringt aber unser gesamtes Wesen und ist uns seit der Menschwerdung geläufig.

Wir haben gelernt, was richtig und falsch ist. Wir kennen die Interessen anderer und achten darauf, dass auch unsere Interessen bedient werden. Das Judiz, das Wissen um das Richtige, wird aber nicht nur genährt durch ein diffuses Gefühl, sondern ist das Sublimat unserer vernünftigen Einstellung zum Recht, dem Rechtsbewusstsein, der geschichtlichen Erfahrung und der Erwartung, dass andere dies ähnlich sehen.

Die gesellschaftliche Kohärenz lässt uns sicher sein, dass die Abweichungen vom Standard in der Regel nicht so schwerwiegend sind, dass unser Rechtsgefühl versagen muss. Zwingend ist das allerdings nicht, denn in geschichtlichen Epochen wurde das Judiz auf die Probe gestellt bzw. ausgehebelt, in dem durch Umstürze, Diktaturen oder andere willkürliche Eingriffe das bestehende Rechtsgefüge so durchgeschüttelt wurde, dass nicht nur der Einzelne, sondern auch die ganze Gesellschaft nicht mehr wusste, was richtig und falsch ist.

Allerdings ist es nach einiger Zeit wieder gelungen, das Rechtsgefühl mit den Umständen so zu versöhnen, dass das Judiz wieder an Standfestigkeit gewann. Man könnte auch sagen, dass sich das Judiz wieder durchgesetzt hat, weil es eine durchaus konservative Komponente hat. Das Judiz ist erschütterbar, aber kann nicht endgültig eliminiert werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rechts-TÜV – rechtliche Unwucht, Rechtszertifizierung, Teil 1

In der juristischen Welt, aber auch in der realen Parallelwelt hantieren wir ständig mit Begriffen, die einen Rechtsbezug haben, ohne dass wir deren Bedeutungsschwere umfassend einschätzen können. Eine gewollte Zurückhaltung gegenüber dieser Erkenntnis soll uns die Chance erhalten, Rechtsbegriffe situationsabhängig zu interpretieren und gefahrloser durch das Minenfeld rechtli­cher Argumentation zu navigieren. Aber was ist schon rechtliche Argumentation, was ist ein Judiz, was verbirgt sich hinter einem Rechtsbegriff, welchem Irrtum sind wir beim Rechtsirrtum erlegen?

All diese Fragen werde ich versuchen, in der folgenden Abhandlungen zu klären, wobei klären ein wunderschöner Euphemismus für die absolute Unfähigkeit darstellt, irgendeiner Be­grifflichkeit den Bedeutungsraum zuzuweisen, den sie tatsächlich hat. Stets kann ich nur von meiner Wahrnehmung ausgehen und versuchen, diese Wahrnehmung mit einer öffentlichen Wahrnehmung abzugleichen und ggf. auf Mehrheitsverhältnisse bei der Beurteilung zu achten. Deren eigene subjektive Wahrnehmung kann und muss ich dabei selbstverständlich respektieren, denn sie beruht auf ihrer Erfahrung, ihren Ansprüchen und ihrer Handhabung, also einem individuali­sierten Gebrauch allgemein bekannter Begriffe.

Aber gerade dadurch ergeben sich die spannenden neuen Möglichkeiten des Dialogs und eine Auffüllung der Begrifflichkeiten jenseits jeder Verordnung. Wenn ich zuweilen die Wertigkeit eines Begriffes zwischen der juristischen Welt und der realen Welt abgleiche, ergeben sich daraus möglicherweise Erleichterungen bei der Erfassung von juristischen Begriffen und eine bestimmte Entlastung von ihrer Bedeutungsschwere.

Was wiegt zum Beispiel ein juristisches Argument im Vergleich zu jedem sonstigen rationalen oder emotionalen Argument? Welcher dieser Argumente hat ein größeres Gewicht? Welchem dieser Argumente müssen wir eine abschließende Bedeu­tungshoheit zuweisen? Stehen alle Argumente nebeneinander, gibt es Ober- und Unterordnun­gen? Wie beeinflussen diese Argumente uns selbst bei unserer Entscheidungsfindung?

All dies werde ich versuchen anzureißen, ohne dabei allerdings eine abschließende Aussage treffen zu können. Das können nur Sie, der Leser, und zwar dadurch, dass Sie sich der Bedeutung der Rechtsbegriffe bewusst werden und ihren Einsatz selbstverantwortlich vornehmen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Befreiung

Das Leben ist eine ungeplante Last für jeden Menschen. Stets ist er daher auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich von dieser zu befreien, ohne sich zu beschädigen oder gar zu eliminieren. Da ihm materielle und ideelle Vorteile dies zu versprechen scheinen, arbeitet er unentwegt an entsprechenden Konstruktionen.

Dabei erfährt er permanente Unterstützung derjenigen, die ihrerseits meinen, dass sich dies für sie vorteilhaft auswirken wird. Es sind die sich den Menschen bietenden Gewinnmöglichkeiten, gepaart mit Verlustängsten, die das erfolgversprechende Lebensmuster prägen.

So versucht der Mensch alle sich ihm bietenden Möglichkeiten auf eine Weise zu manipulieren, dass sie ihm stets günstig erscheinen. Für die Menschen ist es schwer zu entscheiden, was ihn einsichtig machen, von dem „Geworfensein“ ins Leben befreien könnte. Daher bleibt er in den angestammten Lebensmustern und wünscht sich seine Befreiung – zumindest virtuell, wenn dies gelingen sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Renaissance

Gerade lese ich ein äußerst spannendes Buch darüber, wie die Renaissance begann. Mit Verblüffung und Wehmut stelle ich bei der Lektüre fest, wie verschüttet für mich als Leser diese Zeit ist. Dies auch für den Protagonisten des Buches, einen Vatikanmitarbeiter, dem die griechisch-römische Vergangenheit der Menschheit und deren kulturelle Vielfältigkeiten und Erkenntnisse aufregend neu erschienen sind.

Auch, wenn Lukrezens Schrift vom „Wesen der Natur“, der Initialzündung der Renaissance, spätestens seit ihrer Wiederentdeckung nicht mehr unbekannt war, so erfahre auch ich immer wieder, dass zwar unsere Alltäglichkeit begrifflich von Gewesenem geprägt ist, aber die meisten Menschen den umfassenden Nutzen der Bildung nicht mehr vergegenwärtigen wollen oder können.

All das, was vor 500 Jahren entdeckt oder wieder entdeckt und vor 2.000 Jahren auf Pergamentrollen geschrieben wurde, was niedergelegt war in Briefen und aus Reden überliefert wurde, ganze Bibliotheken von Alexandria bis Athen füllte, Lesestoff in Schulen und Gesprächsstoff für hitzige Auseinandersetzungen sorgte, später in unendlicher Klein- und Feinarbeit von Mönchen kopiert wurde, damit uns Überlieferungen erhalten bleiben, ist heute profan abgelegt bei Wikipedia und allenfalls Kenntnisstoff im althumanistischen und altsprachlichen Unterricht.

Was wir im Internet nun abrufen können, scheint mir an Erkenntnis verloren zu haben. Ich stelle mir die Frage, was wir tun könnten, um die Vergangenheit, ihre Kulturen, ihre Lebensanregungen wieder umfassend für unsere Zeit erlebbar zu machen. Ich stelle mir vor, dass es möglich sein könnte, dass wir uns statt zu Podiumsdiskussionen in Gesprächskreisen treffen und uns austauschen über Dinge, die nicht offensichtlich sind, über Gedichte, Literatur und natürlich auch über Anregungen aus fernen griechisch/römischen Zeiten.

Ich weiß schon, dass dies vereinzelt geschieht, aber Schulen heute kaum noch Anregungen in dieser Richtung vermitteln. Wenn der Mensch aber nicht umfassend geübt ist, dann verliert er schnell die Fähigkeit, mit seinen Möglichkeiten intelligent umzugehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Was vermögende Menschen wirklich bewegt

Ein Mensch, der zu Lebzeiten ein Vermögen erworben hat, will es in der Regel sichern. Derjenige, der von Todes wegen vermögend geworden ist, sieht sich in der Regel in der Pflicht, dieses ebenfalls zu erhalten und an seine Erben weiterzugeben. Aber auch das Gegenteil kann richtig sein, wenn die Regeln zum Umgang mit Vermögen nicht erlernt wurden. Vermögen, welches durch Spekulationen erworben wird, kann in gleicher Weise zwischen den Fingern verrinnen. Vermögen ist das Ergebnis geronnener Arbeit oder Wagniskapital.

Von der Regel ausgehend, bewegt den vermögenden Menschen, sein Vermögen zu erhalten, Erträge zu erzielen und dieses so zu bewirtschaften, dass er selbst und seine Familie bis zu seinem Lebensende und ggf. darüber hinaus gesichert sind.

Neben der Lebenssicherung durch Vermögen bewegt ihn aber auch die Möglichkeit, das Vermögen zumindest teilweise einzusetzen, um Lebensziele im wirtschaftlichen und philanthropischen Bereich zu verwirklichen. Nebst der Erprobung eigener Fähigkeiten und Umsetzung von Interessen bewegen ihn dabei auch gesamtgesellschaftliche Anliegen, für die er eine Verantwortung übernommen hat. Bleibendes zu schaffen, ist für den vermögenden Menschen schon deshalb wichtig, weil er weiß, dass Vermögen an sich keine Anerkennung bringt und nach dem Tode bedeutungslos geworden ist.

Was zählt, ist, was der vermögende Mensch mit seinem Vermögen bewirkt, sei es durch gemeinnützige Stiftungen, Familienstiftungen oder jede andere Form nachhaltigen Engagements. Sicherung der Familie und der nächsten Generation nebst dem Bewirken von bleibenden Zuwendungen zum Beispiel im Rahmen von Stiftungen verleihen dem Vermögen Sinn.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gewährleistungspflichten

Welche Verpflichtungen haben wir gegenüber jedem anderen Bürger dieses Landes? Wer ist dabei ´wir` und weshalb bestehen diese Pflichten? Bei der Klärung dieser Frage dürfte zunächst die Unterscheidung zwischen Menschen- und Bürgerrechte wichtig sein. Mit Unwillen nehme ich wahr, dass beides in der öffentlichen Diskussion oft vermengt wird. Menschenrechte benötigen zu ihrer Anerkennung keinen durch Abstimmung herbeigeführten expliziten Konsens in der Gesellschaft. Sie sind selbst dann verbindlich und gültig, wenn eine Mehrheit von Bürgern sich dafür aussprechen würde, diese nicht oder nur zu ihren Gunsten anzuwenden.

Anders verhält es sich allerdings mit allen sonstigen Rechte der Teilhabe. Diese beruhen auf einem Konsens, der Willensbildung, der Abstimmung und Verabredung, nicht nur zum gemeinsamen Handeln, sondern zur allgemeinen Akzeptanz des Ergebnisses.

Demokratische Verhältnisse bedingen dabei nicht die angestrebten Rechte, sondern den Prozess, in dem die Meinungsbildung stattfindet und der zur Umsetzung der Absprachen führen soll. Letztlich entscheidet dabei die Mehrheit, gewährt und garantiert die Verbindlichkeit der Entscheidung und schützt zudem die unterlegene Minderheit, die sich mit dem Ergebnis abfinden muss, wegen dieser Bereitschaft dies zu tun.

Aufklärung, Chancengewährung, Diskurs, Abstimmung und Kontrolle sind die wichtigsten Bestandteile einer organsierten und verbindlichen Teilhaberschaft. Nicht nur der Staat, die Politiker und alle Bürger haben im eigenen Interesse eine prozessuale Gewährleistungspflicht, um durch demokratische Prozesse Selbstermächtigungen Einzelner und Gruppen zu verhindern, wenn deren Anspruchsverhalten die Demokratie zu gefährden droht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Farbenspiele

In letzter Zeit lese ich viel über Persons, People, sogar über Jugendliche, Studierende, Touristen und überhaupt Menschen „of Colour“. Einmal abgesehen davon, dass ich ohnehin jede Amerikanisierung unserer Sprache als unnütz und irreführend empfinde, weil Sprache generell Botschaften aus unterschiedlichen Kulturbereichen vermittelt, erlebe ich zudem ein großes Störgefühl dadurch, dass ich die verballhornten Aussagen über andere Menschen ein Wegstehlen aus der Verantwortung und letztlich als eine Form der nur konsensmodulierten Form der Diskriminierung begreife.

Heute würden wir doch nur noch schwerlich wagen, statt Colour die Adjektive „farbig“ oder „bunt“ für andere Menschen zu nutzen. Solche Zuschreibungen würden die Verwender diskreditieren, so dass sie es vorziehen, die Flucht in die englische Sprache zu wagen, um sich abzusichern. Wäre es aber nicht sinnvoll, überhaupt auf pigmentbestimmte Unterscheidungskriterien zu verzichten, zumal derartige Abstufungen zum Beispiel bei Weißhäutigen in der öffentlichen Diskussion wohl kaum erfolgt, es sei denn, man käme auf die Kategorisierungen „Blondine“ oder „weißer alter Mann“ zu sprechen, um diese Gruppierungen zu disqualifizieren oder lächerlich zu machen.

Um Stigmatisierungen durch Äußerungen zu vermeiden, so wohlmeinend sie auch in fremder Sprache klingen mögen, ist eine Aneignung des Anderen in seinem Aussehen, seiner Kultur, seiner Sprache und seines Verhaltens erforderlich, denn nur so kann ich erfahren, teilen und mich selbst so ebenbürtig begreifen, wie ich jeden anderen Menschen auch wahrnehmen sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Completion Process

Als junger Mensch hielt ich mich für kurze Zeit in den USA auf, um an einer Schulung teilzunehmen, die sich „Completion Process“ nannte. Es ging einfach ausgedrückt darum, nicht nur die Souveränität über seine eigenen Gedanken und Gefühle zu erlangen, sondern auch eine Methode zu erlernen, das eigene Verhalten stets als Erfolg zu begreifen und dazu nicht passende Argumente anderer Menschen damit zu erledigen, dass man sie aufforderte, über das von ihnen selbst Gedachte und Gesagte selbst intensiv nachzudenken, um so zur richtigen Erkenntnis und Aussage zu gelangen.

Diese Methode wirkt und ich schwebte damals nach meiner Rückkehr aus den USA auf einer Wolke der Selbstzufriedenheit, bis ich feststellte, dass die verblüfften Mitmenschen, Familienmitglieder und Freunde nicht mehr mitmachen wollten. Was habe ich daraus gelernt: dass es notwendig ist, Methode und Inhalte voneinander zu trennen, um zu vermeiden, dass die Äußerung selbst, ob diese mündlich, schriftlich oder durch Handeln erfolgt, durch deren Inhalt so infiziert wird, als ob sie untrennbar und selbstverständlich miteinander verbunden seien.

Genau das, was ich vor 40 Jahren erlebt habe, verkörpert für mich heute die identitäre Bewegung. Es werden vielerlei Themen benannt, aber gleichzeitig vorgeschrieben, wie damit umzugehen sei und wer sich nicht daran hält, wird aufgefordert, sich über die Art und Weise des Umgangs mit dem jeweiligen Thema selbstkritisch auseinanderzusetzen. Diese Art des ´Ver-rücktseins` hat Methode, weil es selbst ´ver-rückt` ist.

Die Evolution, die Entwicklung unseres Menschseins fordert uns im Gegenteil geradezu auf, uns mit allen Aspekten unseres Daseins nicht nur kritisch auseinanderzusetzen, sondern auch perspektivisch, argumentativ, emotional, kulturell und in jeder Richtung beispielhaft. Wenn wir uns nur für einen Augenblick bewusst werden, dass wir trotz aller feststellbaren Unterschiede Vertreter einer Menschheit sind und in der gemeinsamen Weiterentwicklung eine große Chance liegt, implodiert sofort die ganze Aberwitzigkeit der Vereinzelung. Natürlich muss ich für jeden Menschen, jedes Tier und jede Pflanze reden können, weil es mir Freude macht, alles wahrzunehmen, zu lernen, Schlüsse zu ziehen und zur Entwicklung beizutragen.

Schlimm wird es aber, wenn ich mich mangels angeblicher Inkompetenz absondere und mich darauf zurückziehe, ein alter weiser Mann zu sein. Meine Weisheit lässt dies nicht zu.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Beobachtung

Zuweilen habe ich die Selbstwahrnehmung, dass ich das Geschehen auf dieser Welt so beobachte, als ginge mich dieses nichts an. Diese Selbstwahrnehmung ist nicht eingeschränkt, sondern bezieht sich auf alle Umstände, die Corona, Kriege, Hungersnöte, Krankheiten, Armut, Fluchtursachen und Klimawandel betreffen. Alles ist zu benennen, was mich eigentlich nichts angehen müsste, da ich nicht unmittelbar Betroffener bin.

Allerdings lege ich Wert darauf, überhaupt nicht falsch verstanden zu werden, denn alles, was ich aufzähle oder auch noch nicht benannt habe, geht mich etwas an, aber meine Perspektive ist oft eine andere als diejenige vieler anderer Menschen. Vieles, was ich beobachte, scheint mir schon deshalb sonderbar, weil ich den Sinn und den Nutzen des Handelns Anderer nicht begreife, die enorme Entfernung zu meiner Wahrnehmung spüre, und mich kurzum oft fremd in einer seit Langem eigentlich vertrauten Welt fühle.

Alles, was ich beobachte, ist festgehalten in einem Moment, dessen Bedeutung ich nicht verstehe. Ich begreife nicht das Leid, das Menschen anderen zufügen, ich begreife weder Diskriminierung, noch Hartherzigkeit, Gewalt und Unterdrückung. Vieles bündelt sich in Übervorteilung, Selbstsucht und Verantwortungslosigkeit. Der rücksichtslosen Selbstermächtigung eines Menschen kann erstaunlicherweise oft sogar eine gesellschaftliche Ächtung nichts anhaben. Ich beobachte sogar die Zustimmung des Opfers zu seiner eigenen medialen Hinrichtung.

Das mag pathetisch klingen, zeigt aber deutlich das Dilemma: Was hat der Mensch davon, wenn er die ganze Welt erobert, Ressourcen plündert und Wälder abfackelt? Was hat der Mensch davon, dass er zulässt, dass andere dies tun? Bin ich blind für die Ursache? Ist es lebensnäher, dagegen zu sein, als dafür, Neid stärker als die Bereitschaft zu geben? Zuweilen zweifle ich aber daran, dass meine Beobachtungen zwingend sind und ich mit meinen Einschätzungen richtig liege.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Romantik

Romantik ist einer der starken Nenner in unserer Gesellschaft – zum Glück nicht ganz fassbar – jedoch lebendig. Hier treffen sich Künstler aus Ost und West mit ihren Fragen nach der Zeit, Fragen nach Werten in unserer Zeit.

Mit der Romantik gehen wir erstaunlich vorsichtig um. Diese Zurückhaltung scheint in der Sehnsucht und in der Erinnerung an eine verborgene Substanz im Menschen begründet. Holen wir die Seele hervor, erfahren wir Neugier und Fantasie, lassen wir Hemmungen und Vorbehalte fallen!

Sind solche Wünsche merkwürdig? Was verraten sie über unseren Seelenzustand?

Diese Grußworte stellte ich einem Buch voran zu „Berliner Romantik, Orte, Spuren und Begegnungen“, welches ich im Oktober 1992 über ein Fest, das ich im Palais am Festungsgraben, dem Künstlerclub „Die Möwe“ und im Schauspielhaus mit Lesungen, Theaterstücken, Konzerten und künstlerischen Projekten veranstaltete, veröffentlichte.

Romantik als Nenner einer Stadt, die noch völlig ungeübt darin war, zusammenzufinden, aber sich auf der Suche nach Gemeinsamkeiten befand.

In meiner Ansprache vom 30.10.1992 zur Eröffnung dieses Festes führe ich dazu unter anderem aus:

„Warum Romantik? Ich gestehe, es ist keine Zufälligkeit. Ich könnte einen weiten Bogen spannen. Es hat damit zu tun, dass ich mich noch erinnern kann an Märchen der Kindheit, dass ich versucht habe, mir Empfindsamkeit zu bewahren, trotz aller Hektik und Geschäftigkeit, die Freude an Stimmungen und Gedichten zu erhalten. In der Zeit großer Leselust fiel mir auch in die Hände das Büchlein von Christa Wolf und Gerhard Wolf „Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht Gesprächsraum Romantik, Prosa und Essays.“ Ich bin mir sicher, das hat dann den Ausschlag gegeben, zu erfahren, wie die Romantiker, also diejenigen, die sich mit ihr früher beschäftigten und heute befassen, Zeitgefühle zusammenführen und dabei Grenzen überspringen.

Romantik in Schwaben, Romantik in Jena, Romantik in Berlin. Stadtromantik Berlin bedeutet eine kraftvolle Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Musik, der Literatur und der Kunst am Anfang des letzten Jahrhunderts in Salons, auf der Straße und in Briefen. Ich erinnere an Bettina von Arnims „Frühlingskrank – Briefe an den Bruder“, „Briefe des Kindes an Goethe“ und „Briefe an den König“. Ich erinnere an Achim von Arnims „Mir ist zu licht zum Schlafen“. Ich erinnere an Rahel Varnhagens Briefwechsel usw. Gerade diese Briefe zeigen, dass die Romantiker nicht selbstversunken waren, sondern aktuell auf Tagesgeschehen reagierten, mutig und entschieden, wie Bettina von Arnim, die Obrigkeit herausforderten, sich aber auch offenbarten in ihren persönlichsten Empfindungen. Sie schämten sich ihrer Gefühle nicht.“ … „Romantik als ein starker Nenner in unserer Zeit, Romantik als ein starker Nenner in dieser Stadt, ein Nenner, in dem sich Künstler aus Ost und West zu den Fragen mit uns treffen können, die uns heute in ungeheurem Maße beschäftigen und auf die eine Antwort oft so verschlossen scheint: Wie nah ist uns das Fremde? Wie fremd ist uns die Obrigkeit? Wie neugierig macht uns das Leben? Fragen nach der Zeit, Fragen nach den Werten unserer Zeit.“

Das Stadtfest erfreute sich großer medialer Aufmerksamkeit und lockte mit rund 60 Veranstaltungen über 2.500 Besucher an.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski