Archiv des Autors: Sabine Büttner

Gedankenwechsel

Meist mit Anglizismen wird in letzter Zeit ein Vorhaben beschrieben, das mit „Mind Change“ und dem Prozess des Changemanagements zu tun haben soll. Damit wird die Erwartung verbunden, dass dann, wenn überhaupt irgendein Wechsel vom bisherigen Denken weg vollzogen sein sollte, sich irgendwelche Probleme lösen ließen. Diese Probleme sind etwa: Klimaveränderungen, Verdichtung der Städte, Vertreibung und Flucht, Alterung der Gesellschaft und Überbevölkerung, um nur ein paar Felder zu nennen.

Dass es Probleme im Großen und Kleinen gibt, um die wir uns kümmern müssen, dürfte jedem klar sein. Das war schon immer so. Nicht ganz klar nachvollziehbar ist mir allerdings die Feststellung, dass die bisherigen Methoden des Denkens und Argumentierens keine Lösungen mehr bieten würden, vielmehr ein „Change of Mind“ erforderlich sei. Darunter mag man disruptive Prozesse verstehen, „Design Thinking“ und was immer da noch angeboten wird.

Ich will das überhaupt nicht herabwürdigen, denn alles, was geeignet sein sollte, Probleme zu lösen, ist hoch willkommen. Aber ist es nicht so, dass wir schon immer ein Problem betrachten, dieses von allen Seiten her einhegen und unter unsere Möglichkeiten subsummieren, um es so zu lösen? Eine Art Relationstechnik, der sich die Lösung jeglichen Problems zu stellen hat. Der Bestandsaufnahme des Problems eröffnet sich die Vielfältigkeit der Betrachtungen aus unterschiedlichsten Perspektiven, die zum Denken in Sinnzusammenhängen veranlassen und durch Anreicherungen mit vielerlei Wissen Lösungen andeuten, die im wahrsten Sinne des Wortes überschlafen werden müssten. Problemlösung ist ein Prozess.

Problemlösung ist auf Zeit angelegt, weil unser Problembewusstsein selbst dann an diesem arbeitet, wenn wir uns dessen zumindest momentan gar nicht bewusst sind. Dies gilt individuell, wie auch kollektiv. Nicht auf hektisches „Mind Change“, sondern nur auf unsere Fähigkeiten, Probleme zu meistern, ist Verlass. Ist es uns gelungen, ein Problem gemeinsam zu erkennen, es in seiner Vielfältigkeit zu beschreiben und eine Lösung aufzuzeigen, steht der Beseitigung dieses Problems schon deshalb nichts mehr im Wege, weil wir nicht von der Beseitigung des Problems, sondern von dessen Erkennen her unseren Weg zur Lösung genommen haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Strickliesel

Wir erinnern uns doch sicher alle noch an die Strickliesel, oder? Dieses wunderbare Holzspielzeug mit den am „Kopf“ eingeschlagenen Ösen und innen hohl, damit der Flechtzopf endlos durchquellen kann. Mit den Fingern umspannten wir verschiedene Wollfäden, die abwechselnd übereinandergelegt und mit einer Häkelnadel verbunden wurden. Nenne wir dies also das Stricklieselprinzip, welches mir optisch und gebrauchserfahren als Vorlagen anderer Möglichkeiten des Gebrauchs dienen soll.

Nun also: Wir haben eine Welt und ein gesamtmenschliches Anliegen, dass das Leben auf diesem Planeten nicht enden möge. Um unseren gemeinsamen Lebensstrang immer wieder zu verlängern, benötigen wir nicht einen, sondern mehrere Fäden, die es kunstvoll zu verschlingen gilt, mittels unserer Plattformen, Dienstleister und sonstigen Einrichtungen seien diese weltlicher, kultureller, soziologischer, spiritueller oder naturwissenschaftlicher Natur.

Jeder Faden hat eine Bedeutung. Fällt eine Masche, müssen wir diese wiederaufnehmen und zurückführen in den Verbund mit den anderen. Weder von der Struktur, noch der Farbe, noch der Konsistenz her ist jeder Faden gleich, aber wir sind dank unserer Fähigkeit, alle Unterschiede zu bündeln, in der Lage, selbst Gegensätze so zu verarbeiten, dass der werdende Zopf belastbar ist.

Die Strickliesel ist zweifellos ein Symbol der Gemeinsamkeit und nicht des Trennenden, der Versicherung, dass Vielfältigkeit und sogar Gegensätzlichkeit geeint und in einem Ziel zusammengeführt werden kann, dem gemeinsamen Ergebnis. Das klingt kindlich, das klingt vielleicht sogar bieder und lustig. Es ist aber ernst gemeint. Wir müssen uns zumindest von Zeit zu Zeit des gemeinsamen Ziels versichern und uns auf den Prozess der Gestaltung einlassen.

Dazu sind wir in der Lage. Unsere Gegensätzlichkeit könne dann dabei befruchtend wirken. Wenn wir nicht ständig den Gegner im Auge haben und uns nicht ständig in Nebensächlichkeiten verlieren, nicht blind sind gegenüber den uns bietenden Möglichkeiten, sondern uns beharrlich um Lösungen bemühen, dann schaffen wir das im Kleinen, wie im Großen, in der Familie, in unserem Staat und auf unserem Planeten. Alles fügt sich. Also, ich häkele frohgemut weiter. Wer macht mit?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vokabular

Zur vokabularen Grundausstattung der Politik gehören Begriffe wie abgehängt, gerecht und künftig. Politiker haben immer vor, künftig die Welt gerechter zu gestalten und vor allem die Stimmen der Abgehängten zumindest künftig wieder deutlicher zu vernehmen. Dass das alles ein verlogenes Geschwätz ist, wissen wir längst. Wir lassen uns davon auch nicht mehr beeindrucken, selbst dann nicht, wenn Politiker mantraartig immer wieder ihr gleiches Vokabular aufsagen.

Dabei ist es aber nicht so, dass die Wirkung der Worte nicht wahrgenommen wird, aber anders, als die Politiker wohl glauben oder meinen. Denn diese Worte schaffen kein Vertrauen in die Politik, sondern geben lediglich denen Steilvorlagen, die beruflich darauf angewiesen sind, dass Politiker derartigen Unsinn schwatzen. Das sind die Medienvertreter.

Je waghalsiger der Gebrauch des Vokabulars durch die Politiker erfolgt, desto freudiger greifen im öffentlichen Raum Professionelle und Hobbyvervielfältiger die Schlagworte auf, um sie per Twitter, Blog oder sonst wie flächendeckend zu verbreiten. Dabei genügt diese Verbreitung einem Selbstzweck, also dem, dass die Verbreiter sich selbst Gehör verschaffen, öffentlich Aufmerksamkeit erheischen und die diebische Freude beim möglichen verbalen Durcheinander empfinden. Das wird auch nicht aufhören, dessen bin ich mir ganz sicher.

Aber, welche Freude mögen Menschen dabei spüren, Fakten ignorierend zu urteilen, Aufruhr zu verursachen und Hass zu verbreiten? Ist es Kalkül, ist es Langeweile, ist es der Versuch, ein noch unbekanntes Echo wahrzunehmen? Vielleicht ist der Grund nicht monokausal und entspringt dem Lebensprinzip, die Latte zumindest für andere immer etwas höher zu legen, zu sehen, ob die Anderen es noch schaffen, die Latte zu queren oder lieber aufgeben.

Waren es früher einige Sklaven, die im „Circus Maximus“ in Rom um ihr Leben kämpften und im Falle des Erfolgs gefeiert wurden, sperren uns heute wechselnde Mehrheiten oder Minderheiten in einen virtuellen Zirkus und traktieren uns so lange mit ihren Tiraden, bis wir erschöpft aufgeben oder sie zumindest einen verbalen Etappenerfolg erringen. Dann können sie sich des temporären Jubelerfolgs erfreuen, aus welcher fragwürdigen Richtung er auch kommen mag.

Die noch Jubelnden wissen aber ganz genau, dass das vergiftete Vokabular des Politikers und seiner Anhänger kaum einem Faktencheck standhalten würde und schon morgen alles ganz anders sein kann. Die Fakten haben sich nicht verändert, aber der Wind hat sich gedreht. Was sollten wir daraus lernen? Vielleicht Gelassenheit, Selbstmäßigung und Misstrauen gegen übermächtige Vokabeln im öffentlichen Raum.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Projektegoismus

Täglich werden wir mit einer Fülle von Ideen konfrontiert. Start Ups, etablierte Unternehmen, Wissenschaftler, Politiker und gemeinnützige Einrichtungen buhlen um unsere Aufmerksamkeit für ihre Projekte. Die große Auswahl ist erfreulich. Je größer der Wettbewerb, umso größer ist die Möglichkeit, dass ein Projekt Zustimmung erfährt und sich durchzusetzen vermag. Ist es aber auch wirklich so?

Ich befürchte, dass ein großer Hang zum Projektegoismus besteht. Damit will ich das Interesse daran bezeichnen, das eigene Projekt durchzuboxen und dabei auf vielleicht bessere Projekte anderer nicht nur keine Rücksicht zu nehmen, sondern deren Bedeutung überhaupt zu negieren. Dafür will ich ein Beispiel geben: Vor über einem Jahrzehnt habe ich im Rahmen der von mir vertretenen Ruck – Stiftung des Aufbruchs das Projekt für „Lehrer-Lease“ eine Personalagentur für Lehrer entwickelt. Teilweise in der Presse, aber auch bei der damaligen Bundesbildungsministerin Frau Schavan fanden meine Ideen große Zustimmung.

Verwirklicht wurde dieses Projekt allerdings nie, weil jeder für die Schulbildung zuständige Minister der Länder eigene Vorstellungen dazu entwickelt, was er für richtig hält. So hatte das von mir entwickelte Modell überhaupt keine Chance, berücksichtigt zu werden, obwohl damit zielgenau geeignete Lehrer ohne großen bürokratischen Aufwand hätten in die Schulen vermittelt werden können und die Flexibilität eine bedarfsgerechte Unterrichtsgestaltung ermöglicht hätte.

Selbstverständlich wäre damit auch eine erhebliche Kostenreduzierung bei gleichzeitiger Entwicklung und Einstellung von Lehrern ermöglicht worden. Vielleicht hätten sich auch noch Gestaltungsvarianten ergeben und das Projekt sich einbauen lassen in ein erweitertes Modell. Aber, soweit konnten die Überlegungen gar nicht gedeihen, weil das Projekt eines Nichtpolitikers sich nicht als betrachtungswürdig erweist.

So verhält es sich mit einer Fülle guter Projekte und offenbart unsere Unfähigkeit, uns vorbehaltlos und neugierig mit den Projekten anderer zu beschäftigen, diese zu begleiten, zu fördern oder auch weiter zu entwickeln. Denn auch dies erscheint mir wichtig. Der Spiritus Rector eines entwickelten Projektes sollte willentlich das von ihm entwickelte Projekt anderen anbieten mit der Bitte und Aufforderung, doch das ihre hinzuzufügen und somit dem Projekt noch mehr Geltung zu verschaffen.

Stattdessen ist meist Projektegoismus, Abschottung und fehlende Einsichtsfähigkeit in verbesserungsfähige Errungenschaften zu verzeichnen. Ein kooperatives künftiges Verhalten kann eine Tür zu noch mehr sinnstiftenden Möglichkeiten öffnen. Gehen wir also durch diese Tür der Wahrnehmungsbereitschaft und Kooperation.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Theorie und Praxis

Noetik ist die Theorie der Denktätigkeit. Theletik ist die Lehre vom Willen zu Handeln. Pragma ist die Anschauung des tatsächlichen Tuns. Kopfloses Handeln bringt uns nicht weiter, deshalb ist das Denken unumgänglich für sinnvolles Tun. Aber auch Denken, das keine Handlungsoption hat, erschöpft sich im Konjunktiv, könnte, sollte und wäre gut.

Um der Gefahr von zusammenhangslosen Parallelitäten zwischen Denken und Handeln zu begegnen, muss eine verlässliche Verbindung geschaffen werden, und zwar der auf der Theletik beruhende Wille zum Handeln. Diese Lehre greift nicht ein, sondern zeigt die Strukturen des Handelns auf, ermöglicht Plattformen und vergewissert sich sämtlicher Argumente, die für oder gegen das Handeln in der konkreten Form sprechen.

Erstaunlich, wie unüberlegt viele doch handeln, also ohne die Konsequenzen zu bedenken. Erstaunlich auch, wie wenig vom Wahrnehmen und Denken umgesetzt wird. Ich vermute, dass die Defizite gerade dieses fehlende Scharnier zwischen Denken und Handeln in unserer Zeit ausmachen.

Tu doch was, mach doch was, irgendwas. Dieser Slogan unserer Studentenzeit kann uns nicht mehr freuen. Aber auch zu erkennen, dass vieles in unserer Gesellschaft schiefläuft und dennoch nichts zu tun, macht unsere Agonie gleichermaßen deutlich. Nein, sicher, es gibt kein Patentrezept, aber Menschen haben in Ausnahmesituationen stets gezeigt, zu welchen Heldentaten sie fähig sind. Ist es nun nicht wieder an der Zeit, dass Menschen sich auf diese Fähigkeiten besinnen und durch Vorbild, Integrität, Reflexion, Empathie und Können gerade diesen Weg beschreiten, um nicht nur Proteste loszuwerden, sondern tätig einzugreifen, gemeinsam mit anderen Missstände zu beseitigen, um den Lebenserfolg zu sehen, ggf. auch zu genießen.

Dass dies möglich ist, zeigte nicht nur Nelson Mandela, Pablo Neruda oder Mahatma Gandhi. In jedem Menschen stecken Fähigkeiten, die er in diesem einzigartigen Leben nicht nur für sich, sondern auch für andere, unsere Gesellschaft und die Welt nutzen kann. Er kann und sollte sie auch dafür nutzen, alle diejenigen zu beeindrucken, die versuchen durch Verunglimpfung, Einschüchterung, Verhöhnung und Falschinformation selbstverständliche Mitmenschlichkeit in Frage zu stellen. Wir haben sehr viel nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und die ganze Gesellschaft zu verlieren, wenn wir nicht überlegt und planvoll handeln.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Michael Göring – „Hotel Dellbrück“

Nach „Der Seiltänzer“, „Vor der Wand“ und „Spiegelberg“ hat uns nun der erzählende Schriftsteller Michael Göring „Hotel Dellbrück“ zur Lektüre vorgelegt. Bevor ich aus diesem Werk vertiefend berichte, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wie in den bisherigen Romanen des Autors scheinen auch hier Biografien auf, die sowohl mit ihm als auch mit uns zu tun haben können. Nicht von ungefähr gibt es von ihm diese Aussage: „Wer liest, verreist – und die spannendste Reise führt am Ende zu einem selbst.“

So ist Hotel Dellbrück ein Reiseroman, der bereits vor 1938 erzählerisch Fahrt aufnimmt und auch am 18.06.2018 nicht endet. Eine zentrale Station des Ankommens, des Wartens, der Begegnung, des Rückkehrens, des Verweilens, des Schutzes und des Erinnerns ist dabei das Hotel Dellbrück in Lippstadt.

Sigmund und sein Sohn Frido haben diesen Begegnungsort als Mitgift für ihre Leben erhalten. Die Kraftspender für diese Lebensgaben sind Tono, der Hotelbesitzer, und seine Familie, die für das fremde jüdische Kind Sigmund ihrer Kaltmamsell sorgen und angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung nach England in eine Gastfamilie vermitteln. Sigmund wird dort gut aufgenommen, glänzend ausgebildet und nimmt an einem fast normalen Jugendleben teil. Doch bei den ersten erotischen Tastversuchen, religiöser Selbstbefragung und Klärung der nationalen Identität muss Sigmund erleben und bedenken, dass er sowohl Jude als auch Deutscher in seinem Gastland ist. Nach Ende des Krieges trifft er die Entscheidung, nach Lippstadt ins Hotel Dellbrück zurückzukehren und sich mit Tono´s Tochter zu vermählen. Von deren gemeinsamen Kindern lernen wir Frido näher kennen, begleiten diesen auf seinen Lebensreisen nach Indien und Australien, kommen dann wieder mit ihm zurück nach Lippstadt ins Hotel Dellbrück, wo er schließlich auf einen durchreisenden Flüchtling trifft. So arbeitet der Autor an unserer Einsicht, dass wir immer Reisende, immer unterwegs in der Welt und in unserem Leben sind.

Die besondere Herausforderung dieses Werkes liegt für mich in der Möglichkeit des Lesers, sich mit den Nöten, Zweifeln und Schwierigkeiten von Menschen unterschiedlicher Wurzeln und Lebensbedingungen zu beschäftigen, teilzunehmen an deren Mühen um Existenzsicherung, dabei aber auch immer das eigene Leben zu entdecken, Erinnerungen aufzufrischen, Urteile zu revidieren und sich einzulassen auf bisher Ungewohntes, Fremdes. Von Seite zu Seite kann so die Neugierde auf Denk- und Empfindungsangebote wachsen, der Wille, sich mit Fragen der Judenverfolgung, der Religion, der Ästhetik, der Kunst, der Heimat, der Lebensanschauung, der Natur, des Verweilens und des Fremden auseinanderzusetzen. Wie bei einem Kaleidoskop genügt ein kurzer Dreh des Sehrohrs, um das Bekannte aus einem anderen Blinkwinkel wahrzunehmen.

Weil der Autor ein Erzähler ist, lesen sich die 417 Seiten seines Romans flüssig. Die Sprache des Autors ist gegenwärtig, eine Sprache der Präzision, die Bilder ohne Pomp entstehen lässt, Bilder vom Kommen und Gehen von gewaltiger Natur, von Zerstörung, Armut, Verwüstung, religiöser Erweckung, Einsamkeit und Hoffnung.

Dieses Werk ist gelungen. Ich kann es empfehlen, weil es mich überzeugt hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Herrschaftszeiten

Ich sollte es mir ersparen, alles aufzuzählen, was der Welt in unserer Zeit zugemutet wird. Es sind jedenfalls viele involviert, uns den Garaus zu machen. Dabei geht es nicht nur um Politiker, Medienschaffende und Wissenschaftler, Urlauber und Handynutzer, keiner bleibt verschont, ich auch nicht.

Wir leben in Deutschland wie die Maden im Speck und finden das auch richtig. So soll es bleiben, Speckleben ist in Deutschland Menschenrecht. Keiner ist hier zur Umverteilung verpflichtet, keiner ist bereit, dort zu helfen, wo wirkliche Not ist, es sei denn, er hat etwas ganz Einfaches begriffen: Unser Speckleben in Deutschland ist purer Zufall.

So wenig es einen Anspruch auf Leben gibt, gibt es auch keinen Anspruch auf Speck. Neben umfangreichen theologischen Vorbehalten, ist unser Leben letztlich eine den Menschen überraschende Naturgabe, die uns auffordert, sie zu würdigen und gemeinsam mit anderen Menschen zu erhalten. Es geht dabei nicht um Geld, sondern es geht darum, das angenommene Leben zu gestalten. Es geht nicht um Fettlebe, sondern um Tun. Es geht nicht um Rechthaberei, sondern um Lernfähigkeit. Es geht auch nicht um Schönfärberei, sondern um Realitätssinn. Es geht also nicht um Dekor, sondern um Inhalt.

Sicher, die Neider, Gierhälse, Verächter und Anspruchsteller haben immer recht, denn sie sind ja so viele. Aber, hätten sie recht, wenn sie nicht schon im Speck leben würden? Könnte es sein, dass sie sich einfach weigern, ihre eigenen Potentiale zu entwickeln? Der tätige Mensch erwartet nicht, dass andere für ihn tätig werden, sondern ist Selbstgestalter. Da das Leben eine wunderbare Veranstaltung für jeden Menschen ist, kann gemeinsam das Werk gelingen, wenn – anstatt zu jammern – jeder anpackt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zitate

Ohne Bezüglichkeit oder Rückbezüglichkeit auf andere Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten scheint es kaum möglich zu sein, eine eigene Meinung zu vertreten. Meist wird ein Beitrag, ob dieser fachspezifisch, politisch oder medial ist, mit einem mächtigen Zitat eingeleitet und oft sind eigene Beiträge des Autors kaum noch zu erkennen unter dem Gewimmel fremder Gedanken. Warum ist das so?

Es ist daran zu denken, dass fremde Gedanken Denker dazu ermutigen, selbst einen Gedanken zu fassen. Zitate verleihen Beiträgen gleich welcher Art, ob diese wissenschaftlich oder literarisch sind, ein Signum der Authentizität. Wenn Andere das schon gesagt haben, kann ich dies auch sagen.

Möglicherweise soll das Zitat aber auf die Gelehrsamkeit des Autors selbst hinweisen, auf seinen Fundus an Gedanken oder seine Virtuosität im Umgang mit Wikipedia. Jedenfalls schaffen Zitate und Verweise auf andere Urheber ein dichtes Gewebe von Glaubwürdigkeit, das Angriffe von Neidern oder Besserwisser zu erschweren vermag. Da Zitate meist herausgerissene Feststellungen Dritter sind, oft in ganz anderem Kontext standen, als der eigene Beitrag, mögen sie den Autor nur kurz beschäftigen, bevor er sich an deren Glättung und die Einordnung in seine eigene Gedankenwelt macht. Die Zitate müssen sich fügen.

Und doch wäre die ganze Anstrengung umsonst, wenn es für alles nicht auch Konsumenten gäbe. Wie wirken nun Zitate auf die Konsumenten? Sie verleihen dem Autor, der sie in seine Beiträge eingefügt hat, Glaubwürdigkeit. Es kann nicht falsch sein, jemandem zu glauben, der sich auf andere berufen, sich mit deren Gedanken messen oder deren vorauseilende Zustimmung erfahren kann. Zudem vermitteln Zitate Bildung, Gelehrsamkeit und eine Übersicht, die dem Empfänger meist nicht gegeben ist. Er soll nicht alles verstehen, er soll aber bewundern, oszillieren zwischen den Gedanken des Autors selbst und den Zitaten und dabei die ganze Wucht des Beitrags erfahren. Er kann dem durch Zitate abgesicherten Beitrag vertrauen und selbst etwas abgekommen vom Glanz eines mächtigen durch Zitate geadelten Beitrags.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Deutscher

Was für eine Spezies ist wohl ein Deutscher? Lese ich von Interpretationsversuchen, dann ist von historischer Verantwortung, Nazis in der Familie, Strebsamkeit, Neurosen, Angst, Heimat, Landflucht, Start-Ups, wirtschaftlichem Aufschwung, Hartz IV und verkorksten Weltmeisterschaften die Rede.

Wenn ich das höre und lese, fühle ich mich richtig zu Hause. Das Gefühl, wie Rothenburg ob der Tauber bei Regen stellt sich ein. Danach habe ich mich in einem mörderheißen Sommer in Griechenland gesehnt. Als ich vor Kurzem das zweite Mal in Rothenburg war, begegnete ich dort vielen Touristen, vor allem aus Japan und Korea. In Rothenburg ob der Tauber ist ausstellungsbedingt ständig Weihnachten. Das ist bei Fernosttouristen beliebt.

Überhaupt scheint man uns Deutsche zu mögen, wie der Massentourismus belegt. Mancherorts ist man in Deutschland ein Fremder, wenn man Deutsch spricht. Ganz genau weiß ich nicht, ob wir mehr Touristen in Deutschland haben als Flüchtlinge. Ich glaube, das Erste ist richtig, aber wir Deutschen sind auch noch da und die Geburtenrate steigt.

Wenn ich es richtig bedenke, ist dies nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Qualität. Wir Deutschen verfügen über eine belastbare Demokratie, sind anpassungsfähig und herrlich verschieden. Wir Deutschen kritisieren alles und jeden, aber zucken auch mit den Achseln, wenn wir nicht weiterkommen. Wir sind Schrebergärtner und sehnsüchtig, alle Plätze der Welt einmal in unsrem Leben zu besuchen. Manchmal behaupten wir, dass wir uns selbst nicht leiden können, sind verzweifelt über das Verhalten anderer, die aus unserer Sicht alles falsch machen, um uns Deutsche dann doch im Kreis unserer Freunde selbst zu feiern.

Deutschland ist wirtschaftlich erfolgreich, gut aufgenommen in der Weltgemeinschaft und sicher in seinen Grenzen vor den Nachbarn, mit denen wir heute nicht mehr im Streit sind. Trotz mancher Unruhestifter. Bei uns herrscht Frieden, und zwar nicht der Friede eines Friedhofs, sondern der lebendige Friede des Disputs, des Erinnerns und der Perspektiven. Wir sind leistungsbereit und fähig, mit Schwierigkeiten umzugehen, ohne uns Dank der historischen Erfahrungen wieder in den Abgrund zu stürzen.

Für Deutschland habe ich eine gute Prognose: Als Deutscher, der ich bin oder werden kann, nehme ich Platz im freiheitlichsten und schönsten Land der Welt. Nicht Deutschland zuerst ist die Parole, sondern Deutschland: „Auf geht´s“. Wir haben noch viel zu erledigen, bleiben wir dran mit guten Gefühlen und einer vernünftigen Einstellung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Global Solutions

Vom 28. bis 29. Mai 2018 fand in Berlin der Global Solutions Summit statt. Hierbei handelte es sich um ein Art Denkveranstaltung zum G20-Gipfel, wobei weniger die Politiker zur Sprache kommen, als Wissenschaftler, Wirtschaftsführer und Normalbürger. Parallel dazu wird eine Sommerschule für ausgewählte Jugendliche aus aller Welt bereitgestellt, in welche diese argumentativ ihre Standpunkte austauschen können.

Da der Global Solutions Summit nichts entscheidet, sondern nur die Plattform für einen Ideenaustausch bietet, liegt es nahe, dort nicht nur lösungsorientiert zu diskutieren, sondern Ansätze herauszuarbeiten, die es Politikern, wenn sie die vorgebrachten Überlegungen für weiterführend erachten würden, Gelegenheit böten, aus der politischen Selbstbespiegelung und machbarkeitsorientierten Verhaltensweisen herauszutreten und ggf. neue Wege zu gehen. Für die Teilnehmer war der Gipfel auf jeden Fall gewinnbringend, insbesondere dann, wenn sie nicht nach Bestätigung ihrer Meinung suchten, sondern die Veranstaltung als Reibungsfläche begriffen, auf denen sich neue Überlegungen entfachen ließen.

So bin ich zu der Veranstaltung lernbegierig gekommen und wurde nicht enttäuscht. Ich verzichte, die Namen der hochrangigen Teilnehmer zu benennen, will aber deren Äußerungen wiedergeben, soweit ich diese für erwägenswert hielt, zum Beispiel: „Wir sollen den Umgang mit Unsicherheiten neu und selbstbewusst lernen, weil Unsicherheit zum Leben gehört, insbesondere zur asiatischen Kultur.“

Diese Äußerung fand ich sehr spannend, denn, wenn wir aufgrund unserer europäischen Unsicherheiten Fehler machen, sind wir auf Dauer den Chinesen und Indern nicht gewachsen. Ganz in diesem Sinne müssen wir darauf achten, nicht nur persönlich flexibel zu sein, sondern unsere Systeme flexibel auszubauen, damit sie auch heftige Stöße im kulturellen und ökonomischen Bereich abfangen können. Die Flexibilität geht Hand in Hand mit der Bereitschaft, auch einen Wechsel der Systeme zuzulassen, wenn wir erkennen, dass wir mit unserem System nicht mehr weiterkommen.

Krisen, in die wir geraten, stellen keine Krankheiten dar, sondern sind normal. Krisen sind keine Erfindung der Gegenwart, sondern historisch verbürgt, auch wenn der Multilateralismus unserer Gesellschaften schnellere Reaktionen unumgänglich machen. Die Verkehrswege zu Informationen sind kürzer und wie ein gesellschaftlicher Seismograf nehmen wir in Europa Erschütterungen wahr, ob deren Ursache in Asien oder in Amerika gesetzt wurden. Damit geht einher, dass in einer multilateralen Gesellschaft die Sichtweisen völlig unterschiedlich sein können, zum einen persönlich, aber auch politisch.

Das, was wir durch die europäische Brille gesehen, als vernünftig, politisch und menschlich für richtig erachten, muss sich nicht zwangsläufig in der Anschauung und der Verhaltensweise anderer Gesellschaften wiederspiegeln. Wenn wir allerdings Einfluss nehmen wollen, müssen wir unsere eigene Einstellung ändern, Geschichten erzählen, die andere Menschen und Völker überzeugen, nicht nur auf Vernunft abgestimmt sind, sondern auch Gefühle erwecken, die den eigenen Echoraum verlassen, Mitgefühl erzeugen und Schwarmverhalten zulassen.

Die Narritive sind für Compession im politischen Raum unverzichtbar. In dieser auch digital geschrumpften Welt begegnen uns ständig neue Herausforderungen, die uns zwingen, auch Bewährtes in Frage zu stellen, um neue Antworten zu finden, ob dies die Wirtschaft, Wahlen, Regierungsformen, Steuern, Geldverkehr oder menschliches Leben insgesamt betrifft.

Wenn wir uns frei gemacht haben von den eigenen Gedankenzwängen und leidenschaftlich uns mit anderen Menschen und Völkern austauschen können, dann schaffen wir es, uns immer wieder neu zu erfinden, von Generation zu Generation.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski