Archiv des Autors: Sabine Büttner

Der Präsident

Viele mögen ihn. Viele mögen ihn nicht. Viele haben ihn gewählt. Viele haben ihn nicht gewählt. Er ist der Präsident. Wir denken an Donald Trump, aber auch Wladimir Putin, Recep Erdogan oder Viktor Orbán.

Manche sind länger an der Macht, manche kürzer, manche werden abgewählt oder abgesetzt, manche sterben im Amt. Und was kommt dann? In der Regel wird dann aufgeräumt, Schäden beseitigt und versucht, das Geschehene ungeschehen zu machen, privat und gesellschaftlich. Die historischen Beispiele sind hinlänglich bekannt. Ich möchte sie nicht vertiefen. Ich frage mich nur, wie es soweit kommen konnte und wie es um unsere Schuld bestellt ist. Die abgegriffenste Erklärung war schon immer, dass man nichts hätte tun können, insbesondere dann, wenn der Präsident verfassungsgemäß an die Macht gekommen ist. Das kollektiv bemühte Entschuldungsprogramm, hält es denn tatsächlich einer Überprüfung Stand?

Nehmen wir zum Beispiel die vom amerikanischen Präsidenten verfügte Steuersenkung, die auch wohlhabende Bürger in den USA beunruhigt, weil sie das Zunehmen von Verteilungskämpfen befürchten. Was hindert die wohlhabenderen Bürger daran, selbst Initiative und Verantwortung zu zeigen und trotz der Steuersenkung weiterhin die bisher von ihnen gezahlten Steuern weiter zu zahlen?

Was hindert Menschen überhaupt daran, zivilen Ungehorsam positiv so auszudrücken, dass sie das vernünftige Soll als Bürger erfüllen, sei es bei der Gesundheitsvorsorge, den Steuern und die Erhaltung des öffentlichen Raums? Die Willkommenskultur in Deutschland angesichts des Zustroms von Flüchtlingen war ein Schock für diejenigen Politiker, die die Rolle des Bürgers auf die des passiven Anspruchsstellers beschränken wollen. Das Willkommenheißen von Flüchtlingen seitens einer Vielzahl von Bürgern stellte eine unerwartete Machtdemonstration eines Großteils der Bevölkerung und also auch der Wähler dar. Das war ein erstes Zeichen, das jeder Machthaber, jeder Präsident unter dem Aspekt seiner eigenen eingeschränkten Legitimität deuten sollte.

Auch sollten wir nicht zuwarten, bis Schadensbilanz gezogen werden muss, sondern den Eintritt des Schadens beizeiten verhindern. Dies schulden wir der Gemeinschaft und uns selbst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zeit und Zeitbewusstsein

Was hat es mit unseren Zeitvorstellungen auf sich? Gibt es überhaupt eine allgemein verbindliche Zeit? Was bedeutet denn für uns die Zeit, der Stundenschlag, die verrinnenden Stunden und Minuten, das schwindende Leben? Birgt die Zeit einen Inhalt und ist gleichzeitig eine Methode der Erfassung unserer Befindlichkeit angesichts des von uns vermuteten Urknalls?

Ist die Zeit für uns also ein Bedienungsladen, sowohl für Wissenschaftler, als auch für Privatpersonen? Die Zeit verschafft eine zumindest vorübergehende Sicherheit, einen Rahmen der Orientierung, wenn alles auseinanderzudriften scheint. Objektiv ist nichts da. Subjektiv nutzen wir das eigene Verständnis für die Zeit, um mit denjenigen, die unsere Verabredung zur Zeit teilen, eine Chance zu haben, stabil Augenblicke des Innehaltens und des Aufbruchs zu nutzen.

Unsere Zeit ist die des Pendels. Mit den Schwingungen des Pendels beherrschen wir die Zeit und das Pendel beherrscht uns, zeigt uns, wann uns die Stunde schlägt. Unsere Vorstellung von der Zeit ist eine phänomenologische des steten nicht Erreichbaren, um dessen Beherrschung wir uns aber bemühen. Die Zeit haben wir vorgefunden, mit unseren Sehnsüchten bestückt, wir versuchen sie zu unseren Zwecken zu nutzen und verlassen sie mit unserem Tod zeitlos für immer.

Die Zeit, die die Welt und der Weltraum haben, entspricht nicht nur von den Dimensionen her in keiner Weise unseren Vorstellungen, sondern sie ist auch etwas Anderes, gleichgültig gegenüber unserer Begrifflichkeit. Wir benötigen die Begrenzung, um zu leben, die Welt muss sich zeitlich entgrenzen, um zu bleiben. Die Zeit an sich bemüht sich in keinerlei Weise um Dimensionen, nur wir.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Deep Learning

Wir haben Lernstunden für Computer und Roboter eingerichtet. Mittels Intensivschulen werden digitalen Maschinen Denkinhalte nahegebracht, die sie dazu bringen sollen, selbst zu denken, Synapsen zu entwickeln und auch Emotionen zu berücksichtigen.

Um diesem Ziel näherzukommen, werden Maschinen mit riesigen Datenmengen gefüttert, die sie verdauen, um dann bei höchstmöglicher Plausibilität Gedanken zu entwickeln, die auch ein nachdenklicher Mensch zu denken fähig wäre. Dank der umfassenden Datensätze soll die Maschine aber auch irgendwann die menschliche Denkbegrenztheit überwinden und befähigt sein, aus dem je Gedachten höchst vollkommene Lerninhalte zu sublimieren und anzuwenden. Das kann letztlich aber nur dadurch geschehen, dass das Gehirn des Menschen selbst angezapft wird, denn der vom Menschen mittels Wort geäußerte Gedanke ist äußerst unvollkommen.

Wir sind vorsichtige Wesen, zumal faul und träge, was die Ausdrucksformen anbetrifft. Allerdings funktionieren unsere Synapsen. Das sich ständig abspielende Gewitter an Gedanken und Gefühlen, zumal es so erfahrungsgedrängt, angst- und glückbesessen ist, kann in seiner ganzen Irrationalität eine auch noch so intelligente Maschine gar nicht abbilden. Es kann schon sein, dass die Begrenztheit der Maschine unsere eigene Begrenztheit auch im Denken über kurz oder lang einfordern wird und verlangt, dass wir unsere Gedanken und Gefühle limitieren, um einer maschinell vorgegebenen Norm zu genügen.

Gott sei Dank wird es aber immer auch solche Menschen geben, die sich den Eigensinn bewahrt haben und gegen den Versuch, uns zu uniformieren und einzuschränken, ins Feld ziehen. Wir kennen das ja schon aus vielen Filmen. Irgendwann wird das Erahnte uns bekannt vorkommen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erotik

Sex sells. Na klar, das sind doch Ladenhüter. Sex als Austauschleistung. Sex sollte künftig möglichst detailliert vertraglich fixiert und durch Unterschriften besiegelt werden, damit es nachher keine medialen Vorwürfe, Strafanzeigen und Schadensersatzklagen gibt. So regeln wir künftig auch in Deutschland die Triebabfuhr.

Ach Diótima, welch Schlamassel richten wir an. Wo bleibt denn das Zehren, das unbeschreibliche Gefühl der Sehnsucht nach einem bebenden Busen, das unberührende Verlangen zu berühren. Das ewig Weibliche … . Stopp, stopp, stopp! Berühr mich nicht, denk aber auch bloß nicht daran, mich zu berühren, weg mit aller Schmuddelliteratur und Bildern von jungen Mädchen. Säubere Bibliotheken, Museen und Galerien von Brüsten, nackter Weiblichkeit, Lustknaben und geilen Zentauren. Leda mit dem Schwan, weg damit. Schließt Badeanstalten, verbietet Bikinis und Beachvolleyball. Verbannt überhaupt alles, was erotische Fantasien ermöglichen könnte. Rein vorsorglich sollten überall Warnhinweise flächendeckend verklebt werden, etwa wie folgt: „Brüste, Hinterteile, Beine, Münder und Augen könnten verstörend wirken. Es wird daher geraten, sich mit fremden und auch eigenen Körperteilen nur dann zu befassen, wenn es um verabredete sexuelle Handlungen geht. Im Falle der Entwicklung von Sehnsucht nach einem anderen Wesen, ob männlich, weiblich oder sächlich und Feststellung erotischer Gefühle, solltest du, männlich, weiblich oder sächlich sofort einen Psychiater aufsuchen. Vor Psychiatern wird allerdings auch gewarnt, denn sie könnten selbst verstörend wirken, wenn sie in der Tiefe unseres Seins noch Rudimente schädlichen Verhaltens entdeckten.“

Hoffen wir, dass wir im Darkroom unserer Seele noch erotische Gefühle horten können und sei es nur als Erinnerung an eine unvollkommene, verrückte und anregende Welt des Vergnügens und der Verantwortung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Influenzer

Führe uns nicht in Versuchung … So murmeln die Christen aller Welt diese Stelle aus dem „Vater Unser“. Noch tun sie dies, allerdings ist ein großer Streit darüber entbrannt, ob diese Stelle aus dem Gebet noch akzeptabel ist. Es gibt die starke Meinung, dass nicht Gott uns in Versuchung führt, sondern Satan. Aber, was wissen wir denn schon von Gott, um zu glauben, dass der Vater im Himmel davon absehen sollte, uns herauszufordern, Prüfungen der Versuchung zu bestehen? Satan will uns vielleicht verderben, aber Gott will, dass wir der Versuchung, Böses zu tun, widerstehen.

Das Alte Testament enthält eine Ansammlung von Prüfungen, die Gott dem Menschen auferlegt, ihn also in Versuchung führt, gegen die göttlichen Gebote zu verstoßen. Gott und Teufel sind Influenzer, aber mit ganz unterschiedlichen Zielrichtungen. Beide aber wollen wissen, wie wir uns entscheiden, wenn wir ihre Angebote erhalten, sie um uns werben. Geschieht es nach Opportunität, nach Lust oder Bequemlichkeit? Wollen wir uns weiter bereichern, vermeintliche Ansprüche realisieren oder uns wehren und auf Vorteile verzichten?

Die von Gott und Teufel gestellten Fragen mögen ähnlich sein und uns in der Werbung, im menschlichen Zusammenleben und auch in Zwiegesprächen mit uns selbst immer wieder begegnen. In welchem Zusammenhang auch immer, wir werden dabei auf die Probe gestellt und müssen wählen. Entscheidungen zu treffen, das fällt uns Menschen schwer, vielmehr lassen wir lieber die Dinge auf uns zukommen, erlauben uns zu verführen durch Passivität. Später heißt es dann, dass man ja nichts dafür könne und man sei halt verführt worden.

Alles Ausreden, die keinen Bestand haben, weder vor Gott, noch den Menschen und auch nicht vor uns selbst. Wir müssen der Versuchung widerstehen, ob diese göttlich oder teuflisch daherkommen mag. Auch als verführbare Menschen haben wir eigene Verantwortung für das sich einstellende Ergebnis, ganz gleich, ob dieses gut oder schlecht ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Netze

Im Brandenburg Gate Museum der Triad veranschaulichte Herr Dr. Parag Khanna, wie anders die Welt ist, wenn man sie nicht in ihren nationalen Grenzen, sondern kommunikativ begreift. Kommunikativ heißt hier, über die Welt Netze zu legen, Netze der Straßen, Schienen, Flüge und Versorgungen. Nicht das Trennende, sondern das Verbindende, das Gemeinsame wird dadurch deutlich. Zu sehen ist aber auch, wo Verbindungen entweder niemals geschaffen oder gekappt wurden. Es gibt Gebiete mit äußerst schwachen Netzen und solche, die aus einem Netzklumpen zu bestehen scheinen. Das sind industriell, durch Kaufkraft und Konsum erschlossene Gegenden mit hoher Dichte an Menschen und ihren Bedürfnissen.

Hotspots sind dabei die großen Städte, die ihre privilegierte Situation leuchtend behaupten. Jenseits der großen Städte aber und ihre anfälligen Vernetzungen zeigt der ungenutzte Raum, dass wir viel erreichen könnten, wenn wir ihn nutzten und nicht national einhegten. Die kommunikative Entwicklung über Grenzen hinweg entspricht der Evolution, die sich unserer Synapsen bemächtigte, also zur Nutzbarmachung unseres Gehirns führte und heute sich auszudehnen vermag, aus dem Mikro- in den Makrokosmos.

Think global, act local. Künftige Generationen werden dies nicht nur als Ansporn begreifen, sondern als eine reale Selbstverständlichkeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wortsalat

Was soll ich noch glauben? Jedes Bild, jeder Film, jedes gesprochene Wort, alles, was geschrieben steht, kann manipuliert sein, unwahr und verantwortungslos. Es kann sein, dass in dem Raum, in dem ich mich befinde, jede mich erreichende Information auf meine Bedürfnisse, Erwartungen, Sorgen und Ängste abgestimmt ist. Ich bin aber nicht nur der Empfänger der Information, sondern auch gleichzeitig das Instrument, das die mich erreichende Information benötigt, um Verbreitung zu erfahren.

Es entstehen so korrespondierende Räume, die ihrerseits Scheininformationen produzieren und so fort. Ich erinnere mich an ein Kinderspiel, bei dem ein Mitspieler sich etwas ausdenkt. Er flüstert das Wort dem nächst sitzenden Kind ins Ohr, das es selbst so weitergibt, wie er es versteht. Am Schluss kommen regelmäßig andere Worte dabei raus, als ursprünglich auf die Sprachreise geschickt wurden.

Wie geht es uns in Räumen, in denen wir dem Wort nicht mehr vertrauen dürfen? Ich glaube, hier gibt es keine für alle Menschen verbindliche Antwort. Viele Menschen werden sich in diesen Räumen wohlfühlen, weil Unverbindlichkeit der erhaltenen Informationen auch die Unverbindlichkeit eigener Äußerungen zulässt. Es entsteht ein Informationskokon der Beliebigkeit mit situativen Reaktionen und tiefgreifender Selbstentschuldung eigenen Verhaltens.

In der kollektiven Lüge lebt es sich leicht. Fakes sind wie herumfliegende Löwenzahnsamen, leicht unbeschwert im Anflug und pflanzenstark nach der Landung. Die Unwahrheit wird so zur Wahrheit, weil sie grell leuchtet wie der Löwenzahn selbst. Diesem will ich nicht Unrecht tun, aber das Sinnbild erschien mir passend. Was tun? Wie aus den Blättern des Löwenzahns Salat, kann auch aus allen Fakes wieder etwas Neues geschaffen werden, das die analoge Welt irreal erscheinen lässt. Das Irreale wird dann transzendent und wenn wir eines Tages alle gar nichts mehr glauben, besinnen wir uns vielleicht darauf, dass es einmal etwas Verbindliches gab.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Margot Friedlander

Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, an einer privat veranstalteten Lesung von Margot Friedlander aus ihrem Buch, „Versuche, dein Leben zu machen – als Jüdin versteckt in Berlin“ teilzunehmen. Dies hat mich tief berührt, und zwar nicht nur deshalb, weil Margot Friedlander so präzise und nachvollziehbar das ihr als Kind und Jüdin durch deutsche Mitbürger aufgezwungene Leben verdeutlichte, sondern auch deshalb, weil in jedem ihrer Worte auch eine Botschaft für uns alle, also auch die junge Generation steckt.

Die Botschaft lautet: Es geht nicht, dass Menschen andere Menschen, aus welchem behaupteten Grund auch immer, umbringen, denn alle Menschen haben das gleiche Rechte auf Würde, Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Geist von Margot Friedlander ist stärker als jedes politische Argument und daher so unerbittlich wahr. Wir dürfen weder in Gedanken, noch in der Tat das Leben anderer Menschen beschädigen, sondern sind verpflichtet zu Mut und Hilfestellung, so schwer das auch im Einzelfall sein mag. Wir haben das Recht, Konflikte zu erleben und müssen nicht immer das Richtige tun, aber das, was wir tun, vor uns selbst und anderen vertreten.

Margot Friedlander beschreibt so anrührend nachvollziehbar ihre Skrupel und ständige Selbstbefragungen, warum sie ihrer Mutter und ihrem Bruder nicht in den sicheren Tod gefolgt und diese auf diesem Weg begleitet hat, sondern das Leben wählte. So viel Größe zeigt eine ästhetische Seele jenseits jeglicher religiöser Vereinnahmung. Margot Friedlander hat nicht aufgehört, sich verantwortlich zu fühlen und gibt daher ihre Erfahrungen auch heute noch an andere Menschen weiter. Ich hoffe sehr, dass sie es noch lange tun kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ich bin tot

Ich bin tot. Man hat mich erwürgt, erschossen, gehängt, erstochen und vergiftet. Man hat mein Leben auf vielfältige Art und Weise beendet, aber auch ich habe dies getan, indem ich nämlich einen Flugzeugabsturz herbeiführte, mich in die Luft sprengte und Gift nahm. Doch ich lebe. Nicht im Jenseits, sondern ganz gegenwärtig und dauerhaft. Im bleibenden Bewusstsein der Gesellschaft, in den Medien, in den Verwandten, den Freunden, meinen Opfern und allen sonstigen Spuren meines Gewesenseins in der Welt.

Ich muss leben, ob ich will oder nicht. Ich kann die Erinnerung an das, was mit mir geschehen ist, also meine Tötung, oder an das, was ich getan habe, nicht tilgen. Es ist nicht nur der Moment der Tat, der ewig bleibt, sondern alles, was vor und nach der Tat geschah, mit dieser zu tun hat, verbleibt in einem dichten Beziehungsgewebe mit mir und anderen Menschen verbunden. Als Täter werde ich mit den Opfern in Verbindung gebracht. Als Opfer mit dem Täter. So auf ewig lebend, kann mir niemand die Freiheit und die Erlösung von meiner Schuld oder der Schuld anderer gewähren. Auch Reue, Eingeständnis des Fehlverhaltens und mögliche Einsichten vermögen den Tod nicht zu bezwingen, den Makel meines Todes nicht zu löschen. Als ewig lebender Toter wandere ich durch die Empfindungen und Logik des Weltgedächtnisses, begegne Millionen und bald Milliarden meinesgleichen und warte auf den Tag, an dem die Toten die noch Lebenden für ihre Taten richten werden.

Keiner kann die Verabredungen einhalten, die ich vor meinem Tot mit mir selbst und anderen eingegangen bin. Keiner kann mein Leben zu Ende leben. Ich kann nicht mehr zurückbekommen, was ich verloren habe, mein Leben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Veränderungen

Was ist denn so schlecht an den Hipstern? Eigentlich gar nichts. Was ist schlecht an der Zukunft? Gar nichts. Was ist schlecht an Neuem? Gar nichts. Was ist schlecht an Unkonventionellem? Gar nichts. Was ist schlecht an Einseitigkeiten?

Alles! Diejenigen, die Andere dazu ermuntern, alte Zöpfe abzuschneiden, sehen sich dazu legitimiert, da das Leben Veränderungen benötige. Ja, Veränderungen sind nötig, aber ist es dazu erforderlich, radikale Maßnahmen einzusetzen, wie Zöpfe abzuschneiden? Ich bin mir da nicht sicher. Es ist natürlich möglich, sehr schnell das eigene Aussehen, wie auch das Aussehen Anderer zu verändern, aber dient man dadurch der Veränderung des Wesens selbst?

Sich verändern, beinhaltet begrifflich, dass etwas vorhanden ist, von dem man sich entfernen will. Will der Mensch sich verändern? Er wird älter, Jahr für Jahr, aber selbst, wenn er 100 Jahre alt geworden ist, bleiben ihm Geburt, Kindheit und Jugend und natürlich auch sein Alter als ständiger Wegbegleiter. Wird er sich verändern, dies nicht mehr wahrhaben wollen, wird er sich selbst fremd. Verändern bedeutet daher, Entwicklungen zuzulassen, mehr zu erfahren und zu lernen und diese Bereicherungsmöglichkeit zu akzeptieren.

Wie im persönlichen Bereich, verhält es sich auch im gesellschaftlichen. Es gibt auch dort keine Veränderungen, keine Brüche, die eine kulturelle Vergangenheit vergessen machen könnten oder sollten. Sprache, Sitte und Anschauung sind keine alten Zöpfe, die man abschneiden kann, ohne sich auch gesellschaftlich fremd zu werden. Wir können allerdings zusätzlich gewinnen, wenn wir die Haare offen tragen, uns verschönern, wenn wir alle gestalterischen Möglichkeiten des Lernens und Erfahrens nutzen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski