Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Gesunder Menschenverstand

Gesunder Menschenverstand. Was für eine merkwürdige Kombination von Begriffen, die so selbstverständlich in dieser Aneinanderreihung wirken, als wisse man, was darunter zu verstehen sei. Wenn es einen gesunden Verstand gibt, was müssen wir dann unter einem kranken verstehen? Liegt die Betonung auf Mensch oder Verstand und was ist überhaupt gesund in diesem Zusammenhang?

Von einem kranken Menschenverstand ist wohl nie die Rede. Krank und Verstand scheinen sich zu widersprechen. Wenn sich aber Verstand und gesund aufeinander beziehen, kann es doch nur gesund sein, wenn allein der Verstand seine Stellung behauptet. Weshalb dann das Attribut gesund? Wodurch zeichnet sich denn Verstand beim Menschen aus? Durch die Fähigkeit, Dinge zu verstehen oder ist Verstand ein Abstraktum?

Wenn ich etwas verstehe, ob dies nun gesund oder krank sein sollte, habe ich die Möglichkeit, daraus eine Initiative abzuleiten. Wenn mein Verstand nicht gesund ist, verstehe ich vielleicht etwas falsch und ziehe daraus die falschen Schlussfolgerungen. Wenn mein Verstand aber gesund ist, dann denke ich richtig und treffe auch die richtigen Entscheidungen. Nur, was ist richtig? Kann mir mein Verstand sagen, was richtig ist? Weiß ich es oder bilde ich mir nur ein, er sei gesund? Gibt es einen objektiven Maßstab für einen gesunden Verstand? Ist dieser mehr physisch, kognitiv oder emotional bestimmt? Kennen sich Psychiater mit gesunden Menschenverständen aus oder eher Theologen, Philosophen?

Ist gesunder Menschenverstand möglicherweise nur eine Metapher für eine allgemein verbindliche Einschätzung, dass es etwas Absolutes im menschlichen Begreifen gibt und sich diese Absolutheit unter den gesunden Menschenverstand subsummieren lässt? Es kommt mir die Idee, dass gesunder Menschenverstand eine flexible Einschätzung ist, die mich entlasten kann, wenn ich das Richtige denke, es aber auch schlimme Konsequenzen nach sich zieht, wenn ich mir nur vorstelle, richtig zu denken, aber das Denken und vor allem aber auch das Fühlen der Einschätzung sich mit dem Denken anderer nicht verträgt.

Es scheint mir, als sei gesunder Menschenverstand keine individuelle Erfahrung, sondern Gruppenerlebnissen vorbehalten. Die Mehrheit entscheidet dann darüber, was gesund, was Verstand und schließlich darüber, was vom Menschen sonst noch Verwertbares übrig bleibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sozialblick

Nehmen wir zum Beispiel einmal an, eine ältere Person überquert mit dem Rollator langsam eine Straße, hat aber dann Schwierigkeiten, die Kante des Bürgersteigs mit dem Gerät zu überwinden. Nehmen wir einmal weiter an, eine schwangere Frau mit einem Kleinkind an der Hand besteigt die U-Bahn. Im letzteren Fall, keiner steht auf, im ersten Fall, keiner hilft. Es liegt nahe anzunehmen, dass unsere Gesellschaft immer mehr verroht und Gefühlskälte die Menschen davon abhält, dort einzugreifen, wo es erforderlich ist. Das kann, muss aber nicht zwangsläufig sein. Ausschlaggebend könnte auch sein, dass sich der soziale Blick verändert hat und Teilnehmer am öffentlichen Leben die Nöte und Probleme anderer Menschen nicht mehr oder nur eingeschränkt wahrnehmen.

Als ich im Winter eine junge Frau dabei beobachtete, wie sie ihre Stiefel auf die gegenüberliegende Sitzbank der S-Bahn stellte, sprach ich sie an und wies darauf hin, dass dort möglicherweise später jemand sitzen würde und es für diesen sicher nicht angenehm wäre, im mutmaßlich hinterbliebenen Schmutz der Stiefel zu sitzen. Die junge Frau reagierte erschrocken, nahm sofort ihre Stiefel vom Sitz und murmelte: „Entschuldigung, ich habe das nicht gemerkt.“

Viele Beispiele in dieser oder in anderer Form kenne ich und sicher jeder Leser auch. Die junge Frau in meinem Beispiel war in die Nachrichten ihres Smartphones vertieft, andere ebenfalls in irgendwelche Messages oder Musik. Die sozialen Medien verlangen Aufmerksamkeit und nehmen ihre Nutzer so gefangen, dass sie Vorkommnisse in der Realität außerhalb des eigenen Kommunikationsbereichs gar nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen können. Durch die Verengung des Blicks auf das Gerät verengt sich auch der Bereich des sozialen Schauens.

War es früher so, dass alle Menschen mehr oder minder neugierig in der U-Bahn waren oder die Straße entlanggingen, um etwas zu erfahren, zu beobachten oder auch zu kommunizieren, hat sich heute der Blick nach innen gewandt. Selbst dann, wenn die interaktive Kommunikation mit oder über den Apparat gerade nicht erfolgt, verändert sich der Blick nicht. Der Blick bleibt nach innen gewandt, Gedanken und Gefühle bei der letzten WhatsApp-Nachricht oder einer bevorstehenden Instagram-Aktionsrunde. Es ist also keine persönliche Gedankenlosigkeit oder Böswilligkeit des Verkehrsteilnehmers im öffentlichen Bereich, sondern der Verlust der Möglichkeit, den sozialen Blick zu schärfen, zu erkennen und zu reagieren.

Wenn die Realität allerdings nur eingeschränkt eine Rolle spielt, besteht die Gefahr, auch dann nicht reagieren zu können, wenn unvermutet Dinge geschehen, die eine Selbstgefährdung nicht ausschließen. Der Verlust oder die Einschränkung des sozialen Schauens ist ein Gefährdungstatbestand, der weitreichende Konsequenzen in allen menschlichen Bereichen, kognitiv, emotional und psychisch haben kann. Wir müssen den sozialen Kommunikationsverlusten entgegenwirken und Smartphones nicht als Lebens- sondern allenfalls als Ergänzungsinstrumente begreifen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Teile und herrsche Sharing Economy

Nicht die Welt ist aus den Fugen geraten, sondern unsere Wahrnehmung von Veränderungen im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, klimatischen und politischen Bereich eröffnet uns die Möglichkeit, nicht nur mit den bereits erprobten und daher bekannten Handlungsmodellen auf gegenwärtige und künftige Herausforderungen zu reagieren, sondern vielfältiger, sensibler, komplexen und auch fragiler.

Dabei sollten wir allerdings nicht verkennen, dass alle unsere Überlegungen und Handlungsangebote selbst Entwicklungsprozessen ausgesetzt sind, also alle die Endgültigkeit anstrebenden Modelle keine Verwirklichungschance haben. Es gibt rationale Gründe dafür, aber auch emotionale Überzeugungen, dass der bisherige demokratische Kapitalismus keine Zukunft hat.

Bewährtes wird möglicherweise zumindest auf Zeit erhalten bleiben, aber insgesamt werden keine Lösungen mehr möglich sein, die nicht auf permanenten Fragestellungen beruhen. Um der Zersplitterung und Beliebigkeit zu entgehen, ist es dabei erforderlich, gesellschaftliche Nenner aufzutun, die die gesellschaftliche Orientierung für viele komplexe Fragen erlauben, seien diese aus dem Bereich Klimaschutz, Müllvermeidung und Altenpflege, um nur drei wichtige Punkte zu benennen.

Ein System wieder durch ein anderes zu ersetzen, selbst, wenn es ausgedient haben sollte, wird künftig keine Handlungsempfehlung mehr sein. Erfahrungen sind wichtig, aber wir sind frei, umfassend neu zu empfinden, zu denken und Möglichkeiten zu erproben. Unsere Gesellschaft hat sich global und partikulär Dank Internet, den Plattformen der Begegnung und sonstiger technischer Möglichkeiten partizipativ entwickelt.

Was liegt daher näher, als dieses Partizipationsmodell als Role-Modell zu verwenden und dabei darauf zu achten, dass alle Kräfte freigesetzt und auch gebündelt werden, um gemeinsame Ziele, klimatisch, wirtschaftlich, politisch und sozial zu erreichen. Durch „recoupling“ wird wirtschaftlicher und sozialer Erfolg verbunden, die Wirtschaft der Zukunft ist gemeinwohlorientiert und findet ihren Ausdruck in Sharing Economy, Kreislaufwirtschaft, Co-Working und gemeinsamer Anstrengung, diesen Planeten als lebenswert zu erhalten. Alles von Menschen für Menschen. Wir sind vor neue umfassende Aufgaben gestellt. Das vermag in uns einen Pioniergeist zu entzünden, schafft Lebensbestätigung und Gestaltungsmut. Packen wir es an!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wohnstiften (Teil 2)

Schließlich ist es denkbar, auch Mieter steuerlich zu privilegieren, indem ein Teil der Miete als Spende qualifiziert wird. Dies gilt auch für Renovierungsarbeiten in der Wohnung oder sonstige Tätigkeit innerhalb der Wohngemeinschaft, für die dann jeweils Spendenbescheinigungen ausgestellt werden könnten. Dies schafft Mieterbindung und Verantwortung für das gemeinsame Projekt.

Die Entwicklung stiftungsorientierter Wohnformen ermöglicht auch die Differenzierung zwischen aufgefächerten spezifischen Anforderungen, wie zum Beispiel altersgerechtes Wohnen, gemeinschaftliches Wohnen und familienfreundliches Wohnen.

Dort, wo gemeinschaftliches Wohnen im Vordergrund steht, wäre zu bedenken, ob die von den einzelnen Mietern geleisteten finanziellen Beiträge nicht ebenfalls steuerlich privilegiert werden könnten mit der Maßgabe, dass bei Ausscheiden eines Mieters aus der Gemeinschaft oder Auflösung der Gemeinschaft ähnlich wie bei der gemeinnützigen GmbH der Anteil nicht zurückgezahlt, sondern einem satzungsgemäß definierten gemeinnützigen Zweck zugeführt wird. Dies könnte auch gegen die Gewährung eines Vorteils erfolgen, d. h. zum Beispiel die Erhaltung eines Anspruchs auf Pflegeeinsätze bei Gebrechlichkeit oder im Alter, Vergabe von Bildungsgutscheinen etc.

Schließlich erlaubt dieses Modell Investoren, sich steuerwirksam mit Spenden durch Zustiftungen zu beteiligen und auch als nicht unmittelbar Betroffene an der Umsetzung eines gesamtgesellschaftlichen Projekts mitzuwirken.

Kurz und knapp:

Stakeholder value first, share holder value second.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wohnstiften (Teil 1)

Wohnraum zu schaffen, zu unterhalten und anderen Menschen zu vermieten, stellt eine gemeinnützige Tätigkeit dar. Deshalb ist es naheliegend, dass Stifter entweder bereits bestehenden Wohnhäuser oder auch Grundstücke in eine Stiftung einbringen, um diese dann mit Mietshäusern zu bebauen. Stiftungen, wie auch andere gemeinnützige Einrichtungen können dafür eigene Wohnungsprojekte umsetzen, da sie nicht nur Renditeerwartungen verfolgen.

Abgesehen von bereits bestehenden steuerlichen Vorteilen für Stiftungen sollte auch der gesamte Erwerbs-, ggf. Bebauungs- und Unterhaltungsvorgang steuerliche privilegiert sein. Stiftungen ist es nicht verwehrt, einen Teil des in die Stiftung eingebrachten Vermögens zu verbrauchen und somit für die Erhaltung und den Ausbau eines Mietobjektes zu sorgen. Nicht nur bei einer Vermögenseinbringung von Mietgrundstücken in Stiftungen von Todes wegen, sondern auch generell bei der Leistung unter Lebenden, sollte eine umfassende Steuerbefreiung greifen. Bei der Einbringung kommunaler Wohngrundstücke in eine Stiftung stellen sich schon derzeit kaum steuerlichen Probleme. Stets aber sollte auch bei kommunalem Wohneigentum ein Stiftungsmodell gewählt werden, dass sich an einer Stiftung bürgerlichen Rechts orientiert und auf Dauer dafür sorgt, dass nicht das politische Interesse der Einflussnahme den Vorrang vor einer verantwortlichen Stiftungsführung hat.

Abgesehen von steuerlichen Privilegierungen auf Seiten des Stifters können dieser und auch etwaige Mitstifter Aufgaben in der Stiftung gegen eine entsprechende Vergütung übernehmen. Es ist sogar denkbar, den Stifter und seine Angehörigen aus den Stiftungserträgen zu begünstigen. Die Kontrolle des Stiftungsvorstands erfolgt durch einen satzungsgemäß eingerichteten Stiftungsrat, der gemeinsam mit dem Vorstand dafür sorgt, dass die für die Prüfung zuständige Stiftungsaufsicht und das zuständige Finanzamt für Körperschaften geeignete Prüfunterlagen erhalten. Stiftungen gewährleisten absolute Transparenz und können auch weitere Geldgeber veranlassen, als Zustifter, als Spender oder Darlehensgeber eigene steuerliche Vorteile zu verfolgen und Vermögen vernünftig anzulegen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ethical and Philantropic Solutions (Teil 2)

Der Mehrwert menschlichen Handelns kann sich dabei anders ausdrücken, als nur in vorgegebenen Maßeinheiten und Kosten. Den Menschen als Kostenfaktor zu betrachten, widerspricht ebenso dem Grundgesetz, wie auch kapitalistisches Gebaren, das den Gemeinsinn unserer Gesellschaft außer Acht lässt. Zum Beispiel verpflichtet die Sozialbindung des Eigentums, an der Schaffung von Wohnraum mitzuwirken, Landschaftspflege zu betreiben und Infrastrukturmaßnahmen für Städte zu unterstützen. Wir alle sind gefragt. Es geht um die Anwendung und Umsetzung ethischer Grundsätze sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich, in der Familie, am Arbeitsplatz, in Unternehmungen und in der Politik. Wir haben alle schon als Kinder von unseren Eltern vernommen, was man zu tun habe und was man besser ließe. Manche Menschen halten sich später nicht mehr an diese Regeln, dabei ist ein integres Verhalten sehr erfolgreich. Warum ist das so? Wenn sich die Menschen daran orientieren, was richtig oder falsch ist, dabei anderen Menschen nicht schaden, sondern nutzen, überträgt sich diese Gewissheit auf unser gesamtes Denken, Handeln und Empfinden, und zwar bei allen unseren Vorhaben. Dabei können wir nicht nur Einigen, sondern Allen Vorbilder sein und dafür sorgen, dass wir wertorientiert leben. Lösungen für unsere Lebensprobleme finden sich unter dieser Prämisse in konkretem Handeln auf allen Gebieten, auch in den Mixbereichen der Realwirtschaft und Philanthropie, in Umwelt- und Klimaschutz und in der Digitalisierung.

Es stehen uns viele Möglichkeiten für die Umsetzung neuer Vorhaben zur Verfügung, sei es durch klassische Unternehmen als auch Genossenschaften und Stiftungen, durch neues kooperatives Handeln, als auch durch Anstiften und Wegführung.

Eine Gesellschaft, die sich in der Gemeinschaft wiederentdeckt hat, ist unanfälliger gegen die Zerstörung durch Macht und Rechthaberei, Populismus, mediale Verführung und Fake News. Autokratische Verhältnisse bleiben undenkbar.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wahlen

Wenn es richtig sein sollte, dass Emotionen Wahlentscheidungen maßgeblich bestimmen, dann ist zu vermuten, dass Donald Trump alles richtig gemacht hat. Übertragen auf die deutsche Parteiensituation bedeutet dies allerdings, dass die Sozialdemokratie auf unbestimmte Zeit hin erfolglos bleiben wird.

Diese Erfolglosigkeit hat sie bereits bei der letzten Wahl unter Beweis gestellt durch wohlmeinende programmatische Ankündigungen, umfassend und detailliert für ein selbstdefiniertes Klientel der Abgeordneten sorgen zu wollen. Damit hat sie genauso wenig gepunktet, wie zum Beispiel auch die CSU mit einem Ausländerverhinderungsprogramm.

Keine der großen Parteien schafft es, auf die Bürger mit einem Versprechen zuzugehen, dass diese emotional fesselt und Perspektiven einer verheißungsvolleren Zeit eröffnet. Statt Gerechtigkeit, Mindestlohn, Grenzschutz und Armutsbekämpfung warten die Menschen auf ein Zeichen des Aufbruchs in dieser Gesellschaft hin zu mehr ethischem Grundverständnis anstatt Nützlichkeitsdenken, hin zu gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengungen in Fragen des Umweltschutzes, der Bildung und der Pflege anstatt Delegation drängender Themen in langwierige bürokratische Entscheidungsprozesse.

Dabei ist nicht gefragt, dass Politiker großmundig Versprechungen abgeben, sondern nüchtern und in klarem Fokus auf das Gelingen eines Vorhabens Geschichten erzählt werden. Politiker müssen entschieden, nicht ausdeutbar, prinzipienfest und unbequem, mit Realitätssinn ausgestattet sein. Sie müssen auch eine eindeutige ethische Gesinnung haben. Dann sind sie glaubwürdig und erfolgreich, und zwar selbst dann, wenn sie eine Wahl verlieren sollten. Es folgt ja die nächste. Der Wähler spürt, wer ihm Orientierung gibt, auf wen er sich verlassen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbsterkenntnis

„Erkenne dich selbst.“ Dieses Zitat wird Chilon von Sparta zugeschrieben. Selbsterkenntnis? Wer bin ich, wer sind wir? Ich weiß es nicht, vielleicht aber meine geneigten Leser. Möglicherweise dadurch, dass sie mir dabei behilflich sind, durch die dialogische Praxis des Schreibens zumindest Aspekte meines Selbst zu erfahren. Schaffen sie Erkenntnis?

Meine Leser sind dann der Lackmustest, Katalysator oder Spiegel. Auch, wenn ich meine Leser nicht kenne, bin ich doch in deren Augen nach ihrer Beurteilung und in ihrem Empfinden der- oder diejenige Person. Ich bin selbst für mich aber eher unbekannt, ein Mensch aus Körper, Genen, Geist und Seele, von der Natur vorgegeben, von den Umständen geprägt, programmatisch auf dieses Leben eingerichtet. Die Umstände schaffen dann eine Eigenbewertung, die in der Gemeinschaft eine stete Anpassung erfordert, mich prägt und meine Fähigkeit, mich selbst zu täuschen, verstärkt und mich stets zwingt, Opportunitäten folgende neue Identitäten zu schaffen.

Dies geschieht durch andauernde Selbstbetrachtung und Einübung von Rollenklischees, und zwar mit einer derartigen Intensität, dass ich letztlich geneigt bin zu glauben, das eigene entworfene Ich sei für mich stimmig. Glauben das andere auch? Zu meiner Beruhigung und Enttäuschung bin ich selbst davon überzeugt, weil sie ihrerseits Kostüme schneidern, in die sie mich einzwängen, darauf beharren, das Kleid sei für mich stimmig, obwohl es aus den Nähten platzt, in allen Generationen-, Alters- und Geschlechterklischees.

Das Selbst wird vom Klischee bestimmt, die Selbsterkenntnis verweigert. Um aus den Klischees herauszufinden, benötigen wir die Erarbeitung einer ganzheitlichen wissenschaftlichen Erfahrung des Menschen, die weder selbstbehauptend, noch reaktiv ist, weder vorspiegelt noch eingrenzt sondern offen ist. Das Selbst ist facettenreich, komplex und einzigartig. Dies zu erfahren und zu erfassen, könnte uns dabei helfen, uns in Zeiten eines sich bereits am Horizont schemenhaft abbildenden Maschinenwesens, in Stellung zu bringen als uns selbst erkennende Menschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Johnny Appleseed

Wenn wir nur einige wenige Apfelbäume pflanzen, können wir bald einen köstlichen Apfelkuchen essen. Das ist die Botschaft von Johnny Appleseed!

Es handelt sich hierbei um eine der anrührendsten Sagen der Vereinigten Staaten. Johnny Appleseed versteht sich mit Menschen und Tieren, aber vor allem pflanzt er Apfelbäume und erfährt, was man alles Leckeres aus Äpfeln zubereiten kann, von apple tart bis Saft. Diese Geschichte zeugt vom Entdeckungsdrang des Menschen, der westwärts zieht in unbekannte wilde Gebiete, der aber auch Verantwortung übernimmt für seine Umwelt, für Mensch und Tier und sich selbst. So beinhaltet „Johnny Appleseed“ nicht nur eine Botschaft, die typisch amerikanisch ist, sondern auch Anleitung für innovatives Handeln weltweit sein kann und auch sein muss.

Wir müssen aufbrechen in eine neue Welt, nicht nur unser Verhalten schulen, sondern auch unsere Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber Dingen, die uns bisher deshalb verschlossen geblieben sind, weil wir uns nicht öffnen wollten.

Die Anleitung zum Handeln erarbeiten wir uns durch Aufgeschlossenheit gegenüber der Welt, die Wahrnehmung von akzeptablem und nicht akzeptablem Verhalten in allen Regionen dieser Erde. Durch den Vergleich von Verhalten und Möglichkeiten festigen wir unsere Überzeugung, die uns befähigt, tatsächlich etwas zu ändern. Nur, wenn grenzenlos denken, ist auch unser Geben und Nehmen nicht begrenzt. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass jede Erschütterung im letzten Winkel dieser Erde Auswirkungen auf unser Verhalten hat.

So ist Johnny Appleseed eine Hinführung zu einer Weltordnung, die die Merkmale ihrer Verbesserungsfähigkeit, als prozessuales Verhalten, in sich birgt. Junge Menschen sollen durch die Welt ziehen, um sie mit neuen Augen kennen zu lernen, die sich nicht nur an Erfahrungen, sondern an der Lust des Ausprobierens orientiert. Wenn unsere Kinder und Jugendlichen zunächst auch nur wenige Apfelbäume pflanzen, so können sie uns doch bald dazu einladen, einen köstlichen Apfelkuchen zu essen. Das ist die hoffnungsfrohe Botschaft von Johnny Appleseed. Geben wir uns also – auch um unser selbst Willen – einen Ruck und packen wir es gemeinsam an. Ich bin hungrig auf den Kuchen nach dem ersten Rezept. Aber natürlich mit Sahne.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vertrauen

Vertrau mir! Auf allen Kanälen wird um Vertrauen geworben. Vertrauen in die Politik, in die Währung und sogar ins Internet. Vertrau mir! Das ist das mit Erwartungen verbundene Mantra unserer Gesellschaft. Ist das aber so einfach?

Derjenige, der vertraut, hat aufgrund konkreter Verabredungen die Überzeugung, dass das Vorgestellte sich auch erfüllt. Vertrauen basiert also nicht auf Mutmaßungen und vagen Erwartungshaltungen, sondern folgt konkreten, strukturierten, erfassbaren Gegebenheiten. Das auf dem Markt und in den Medien eingeworbene Vertrauen basiert in der Regel aber nicht auf Fakten, ist nicht strukturiert und auch nicht spezifiziert, obwohl jeder Adressat dieses Werbens sich angesprochen fühlen soll.

Es gibt ohnehin kein allgemeines „Vertrauen“, sondern nur spezifisches Vertrauen. Es gibt ein Vertrauen des Gebers und ein Vertrauen des Nehmers. Das Vertrauen des Gebers basiert auf der eigenen Einschätzung der Umstände einschließlich des Risikos, im eigenen Vertrauen getäuscht zu werden. Der Vertrauensbruch hat dann auch keine unüberwindbaren Konsequenzen, sondern führt allenfalls zur Veränderung des eigenen Verhaltens und Anpassung an neu zu beurteilende Umstände. Die Erwartungshaltung des Adressaten eingeworbenen Vertrauens ist dagegen ganz anders strukturiert.

Die Erwartungshaltung ist weit verletzlicher, gefühlsbetont und ohne Berücksichtigung des Scheiterns. Die Vertrauensbekundung des Empfängers korrespondiert allerdings mit Misstrauen und lässt es so zu, dass all das, was noch kurz zuvor für richtig empfunden wurde, bei Gefährdung des Vertrauens nun als abwegig behandelt wird. Das Misstrauen mag nicht gerechtfertigt sein, bemächtigt sich aber, obwohl es nicht faktengestützt ist, des Empfängers einer Botschaft. Daher wäre es sinnvoll, vom inflatinonären Gebrauch des Begriffes „Vertrauen“ abzusehen und vielmehr die konkrete Basis des Vertrauens so zu strukturieren, dass auch der Empfänger entsprechender Verlautbarungen sich darauf verlassen kann. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Das ist gut gesagt, aber in der Wirklichkeit nicht zu meistern. Die Kontrolle versagt an den Möglichkeiten des eigenen Beurteilens und Eingreifens, zumindest in der Regel. Daher sollte von Vertrauen nur dann die Rede sein, wenn man sich darauf verlassen kann und der Missbrauch des Vertrauens nicht nur mit Konsequenzen bedroht wird, sondern diese im Falle des Missbrauchs auch umgesetzt werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski