Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftsrelevanten Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Männer

Wir leben in bewegten Zeiten, in denen Zuweisungen zur Tagesordnung gehören. Wenn ich etwas über alte, weiße Männer höre, fühle ich mich angesprochen, weil ich eine eher helle, in den Augen bestimmter Betrachter weiße Hautfarbe habe und irgendwie alt bin. Wie würde es mir gehen, wenn ich eine etwas dunklere Hautfarbe hätte, in den Augen mancher Betrachter schwarz oder gar eine Frau, weiß oder schwarz wäre?

Plötzlich scheint dann all das, was ich als völlig irrelevant betrachtete, nämlich die äußere Erscheinung, keinen äußeren Zustand zu beschreiben, sondern eine inhaltliche Zuordnung zu begründen. Die Zurückhaltung, die ich bei meiner Bewertung einzuhalten habe, irritiert mich allerdings sehr. Zu dem Leben eines dunkelhäutigen Menschen darf ich noch nicht einmal etwas vermuten, soll mir aber über meine Belastung als weißer Mann nicht nur im Klaren sein, sondern vor allem hinnehmen, dass andere Menschen genau wissen, wer ich sei.

Ähnliche Expertisen für schwarze alte Männer oder weiße alte Frauen zu verlangen, ist aus Sicht der mutmaßlich richtig Urteilenden bereits eine Anmaßung, die typisch ist für alte weiße Männer, die im Leben ohnehin schon viel Zerstörung angerichtet hätten und statt kollektiv zu bereuen ihre eigene Würde als alte Männer – Menschen einfordern.

Ob in der Sprache oder im Verhalten, wenn Diskriminierung einmal ein legitimes Instrument in den Händen von Ethik-, Moral- und Verhaltensaposteln geworden ist, dürfte es schwer für die menschliche Gesellschaft werden, sich Fehler zu verzeihen, Verhalten zu überprüfen und Korrekturen im Zusammenleben dort vorzunehmen, wo sie wirklich erforderlich und hilfreich sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Stadtbürger – Bürgerstadt

Etliche Städte waren früher nach meinem historischen Verständnis von einer starken und einflussreichen Bürgerschaft geprägt, denken wir zum Beispiel an Hamburg. Diese Bürgerschaft war nicht nur einflussreich, sondern sie war auch in der Stadt sichtbar, bestimmte nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern sorgte für eine gewisse, wenn auch nicht abschließende Kohärenz der Stadtgesellschaft. Und, wie sieht dies heute aus?

Nehmen wir zum Beispiel die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland: Berlin. Wo ist in dieser Stadt die Bürgerschaft verortet und welchen Einfluss hat sie auf die Gestaltung der Stadt und den Zusammenhalt der Menschen, die in dieser Stadt leben? Für Berlin ist diese Frage möglicherweise schon deshalb etwas schwierig zu beantworten, weil Berlin stark durch seine Bezirke geprägt ist und jeder dieser Bezirke schon traditionell eine unterschiedliche bürgerschaftliche Prägung in Bezug auf seine Urbanität aufweist. Berlin scheint sich hier von anderen Städten in Deutschland zu unterscheiden.

Und doch, wenn auch die Bürgerschaften in Berlin in der Vergangenheit bezirksnah konkurrierten, war jedem Bewohner die stolze Aussage geläufig: „Ick bin een Berliner!“ Hat sich dies, was sich Bürgerstolz nennen darf, gehalten? Ich bin da skeptisch. Ein Pariser bleibt weiterhin Pariser, ein New Yorker New Yorker, um von Rom, London und Madrid gar nicht erst zu sprechen. Wie verhält es sich nun mit Berlin?

Trotz der Nazis und auch des 2. Weltkriegs mit anschließender Teilung und Verlust von wirtschaftlicher und urbaner Bedeutung, konnte bis zur Wende Berlin den Nimbus des Besonderen ausstrahlen und dies sogar nach der Wende, als Hauptstadt aufgewertet, zumindest vorübergehend, noch verstärken. Die Erwartungen waren bei den Bewohnern Berlins groß, dass es gelingen möge, eine selbstbewusste Bürgergesellschaft in dieser Stadt zu erhalten und gar zu stärken. Ist dies gelungen? Und wenn nein, was könnten Gründe für das Scheitern sein?

Ich glaube, dass es viele Lieferanten für meine Skepsis gibt, die miteinander nicht konkurrieren, sondern sich ergänzen. Zum einen ist es die Übernahme Berlins durch die Bonner Politik. Berlin wurde neu als Hauptstadt auserkoren und nicht selbstverständlich aufgrund seines historischen Verständnisses als Hauptstadt anerkannt. Mit Berlin gab es keine politischen Schlachten mehr zu gewinnen, es wurde damit als Stadt politisch bedeutungslos und als wirtschaftlicher Kostgänger lästig. Es galt künftig als Gnade, in und für Berlin etwas zu tun und die Stadt bettelte um Beachtung. Dies durchaus erfolgreich bei jüngeren und älteren Menschen. Berlin war wohlfeil zu haben und im Bereich Kultur und Unterhaltung üppig ausgestattet.

Naheliegenderweise vollzog sich damit auch eine Transformation der Gesellschaft in dieser Stadt, der sich weder die Politik, die Wirtschaft, noch die Bürger entgegenstellen wollten oder konnten. Teilweise stolz, teilweise hilflos empfingen sie diejenigen, die ihr Rentenalter hier in Berlin verbringen wollten, als auch diejenigen, die Berlin als Sprungbrett ihrer Wirtschaftskariere planten. Man sprach jetzt Englisch als Hauptstadtsprache, knüpfte wirtschaftlichen Erfolg an Start-Ups, ließ junge Menschen bei der Übernahme von Straßen, Plätze und Parks für ihre nächtlichen Partys gewähren. Ist die Transformation einer Stadt in etwas anderes einmal eingeleitet, ist eine Schubumkehr kaum mehr möglich. Da vieles in dieser Stadt schon geduldet wurde, obwohl Gesetze, Verordnungen und Regeln eines rücksichtsvollen Zusammenlebens ständig verletzt wurden, scheint sich heute das Gefühl in dieser Stadt ausgebreitet zu haben, dass es besser sei, alles hinzunehmen, weil eine Änderung aussichtslos zu sein scheint. Diese Aussichtslosigkeit drückt sich vielfältig aus, angefangen vom Straßenverkehr bis zur Verwaltung. Nicht, dass der Wille nicht bestünde, etwas ändern zu wollen, aber keiner weiß in dieser Stadt mehr, wie dies zu bewerkstelligen sein könnte und ob es überhaupt noch sinnvoll sei, etwas zu tun.

Die Stadt selbst, die Verwaltung, aber auch viele Bürger, die hier leben, sind einfach von dieser Stadt überfordert. Auch, wenn sie infolge einer verständlichen opportunistischen Haltung noch mitmachen, innerlich haben sie sich bereits abgewandt und sehnen sich weg aus dieser Stadt. Es war einmal ihre Stadt gewesen. Heute ist sie im Griff derjenigen, die die Stadt nur noch als Kulisse für ihre Selbstdarstellung nutzen und denen die Bürger dieser Stadt und ihre Bedürfnisse fremd sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Herdenimmunität

Bei Herdenimmunität handelt es sich um einen wunderbaren Begriff, der in Zeiten von Corona allgemein geläufig wurde, um zu verdeutlichen, dass, wenn 70 % der Bevölkerung geimpft seien, eine Pandemie abgewendet werden könne. Resilienz, also der gemeinsam organisierte Widerstand gegen Gefahren ist allerdings keine Spezialität der Pandemiezeiten.

Auf vielen Gebieten wächst angesichts des allgemein verbreiteten Gefühls der Verwundbarkeit und der Wahrnehmung prekärer Unsicherheiten der Anspruch auf Schutz und Sicherheit. Dieser wird, so lehrt die Corona-Pandemie, nicht durch Rückzug und Klagen verwirklicht, sondern nur durch die allgemeine Entschlossenheit, etwaigen Fehlentwicklungen entgegenzutreten, Risiken einzuhegen und Verantwortung für eigenes Verhalten zu übernehmen.

Wie unsere Gesundheit, ist auch unser Wohlergehen vielfach durch Menschen bedroht, die ihre Meinung als für verbindlich für das Leben anderer betrachten. Eine solche Haltung wird zum Beispiel deutlich erkennbar in dem Ausspruch: „Wir sind das Volk!“, der die Stimmen und den Protest anderer Menschen ignoriert. Die so reden, spüren einen missionarischen Eifer, ihre Meinung als alternativlose Erkenntnis aller Menschen durchzusetzen, dabei im Übrigen ganz ähnlich wie das Corona-Virus handeln, das zu seiner Wirksamkeit der passiven Mithilfe ahnungsloser und gleichgültiger Wirtsleute bedarf.

Wie in der Natur oder bei Krankheiten besteht unser ganzes menschliches Leben aus „Trial and Error“ aufgrund eigener Erkenntnisse. Aus der Chance und den Fehlern, die wir im Umgang mit anderen Menschen machen, aus unseren Beurteilungen und unserem Handeln können wir lernen, uns resilienter gegen undemokratische Entwicklungen in der menschlichen Herde zu wappnen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Bauchgefühl

In Corona-Zeiten erfahren wir, dass alle Umstände, die von Menschen bestimmt unser Leben beeinflussen, gegeneinander in Stellung gebracht werden. Politik versus Wissenschaft, Wissenschaft versus Bauchgefühl und Bauchgefühl versus Verstand.

Wenn alle Zustände gegeneinander antreten müssen, bleibt es nicht aus, dass alle als unzulänglich angesehen werden. In Corona-Zeiten werden allen öffentlichen Stellen, die unser Handeln bestimmen, allenfalls ausreichende Noten erteilt werden, jedoch meist mangelhaft oder ungenügend. Der Verstand will uns sagen, dass diese Einschätzungen auf einem Benotungssystem beruhen, welches wir anwenden, um unsere eigene Hilflosigkeit zu kaschieren.

Unser Bauchgefühl verrät uns, dass wir durchaus verstehen, dass infolge fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse und umfassender Informationen getroffene Entscheidungen nachvollziehbar sind, wobei das selbe Bauchgefühl dennoch gegen Unzulänglichkeiten protestiert, die bei der Erkenntnis im Zuge der Bewältigung von Problemen stets bestehen und auch nicht einfach verschwinden. Das Bauchgefühl sucht aber unablässig nach Schuldigen: „Es kann doch nicht wahr sein…!“

Dies ist Ausdruck solch einer Baucherfahrung, dabei fühlt der Bauch nichts, sondern wir geben unserer Unmöglichkeit, alles zu verstehen, eine emotional nachvollziehbare Heimat. Unser Verstand würde sich dem Bauchgefühl aber verweigern, denn er erkennt die Zusammenhänge, vermag Probleme einzuschätzen und vermag das Ganze zu erkennen, was dem Bauch regelmäßig nicht zugänglich ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Verlust

Häufig passiert es wohl jedem Menschen, dass ein guter Gedanke, der gerade noch da war, plötzlich verschwindet. Er bleibt dennoch da, aber wo er ist, das wissen wir nicht. Irgendwo in unserem neuralen Netz wartet er darauf, dass er wiedergefunden wird und erneut zum Glühen kommt. Deshalb haben Menschen in der Vergangenheit Notizbücher bei sich gehabt, bei einem auftauchenden Gedanken innegehalten, ihn notiert, um ihn später wieder aufrufen zu können.

Sich auf die Präsenz aller Gedanken zu verlassen, ist waghalsig. Deshalb heißt es auch: „Wer schreibt, der bleibt.“ Mit einer Verschriftlichung unserer Gedanken gestalten wir die Facetten unserer Existenz. Nun ist heute das Schreiben nicht gänzlich aus der Mode gekommen, allerdings ersetzt die Tastatur weitgehend das Schreiben mit der Hand. Damit ist es möglich, einen Gedanken festzuhalten und ggf. auch mit anderen zu teilen.

Dies erfolgt heute in großer Häufigkeit. Zumindest junge Menschen verschicken unermüdlich ihre Gedanken – teilweise mit sogenannten Emojis und Bildern versehen – an andere Menschen, die zur gemeinsamen Chatgruppe gehören. In gleicher Flut erhalten sie von diesen deren Gedanken und Eindrücke, wobei es naheliegend ist, anzunehmen, dass sich hieraus ein Geflecht von Gedanken, einem neuralen Netz vergleichbar, bildet.

Ist der einzelne Gedanke dort wieder auffindbar, einer Reflexion zugänglich und bearbeitungsfähig oder geht er in der Flut aller Informationen verloren? Diese Gefahr besteht jedenfalls, wenn technische Möglichkeiten für stete Neuerungen sorgen und das Besondere an einem Gedanken überstrahlt. Jeder Nutzer eines Smartphones macht diese Erfahrung, dass er nach einiger Zeit unzählige Bilder geladen hat, aber überhaupt nicht mehr weiß, was er dort verwahrt.

Es ist das Smartphone selbst bzw. das auf ihm installierte Programm, welches ungefragt Bilder auswählt und diese dem Nutzer präsentiert. Könnte dies in Bälde auch mit unseren Gedanken geschehen, soweit sie auf dem Smartphone abgelegt sind? Welcher Anteil gehört von dieser Präsentation dann noch uns und welchen Anteil müssen wir der Allgemeinheit opfern?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Du

Uns inzwischen wohl vertraut, werden wir von Ikea mit Du angesprochen. Wir wissen natürlich, dass diese Form der Anrede in Schweden allgemein üblich ist. Für uns hier hingegen nicht. Es ist noch nicht lange her, da konnten sich selbst 15jährige Jungen und Mädchen darauf verlassen, dass sie der vertrauten Anrede mit „Du“ entwachsen und mit „Sie“ angesprochen werden. Das war auch ein Signal für ihre Aufnahme in die Welt der Erwachsenen, wobei für die Umgangsform untereinander das „Du“ weiterhin üblich war.

Nur einige Internate und Vorzeigeschulen fielen aus dem Rahmen. Die älteren Jugendlichen wurden von den Jüngeren ebenfalls mit „Sie“ adressiert. Inzwischen haben sich die Umgangsformen geändert, ohne, dass das „Sie“ gänzlich aus unserem Wortschatz verschwunden wäre.

Im öffentlichen Umgang ist die Anredeform „Sie“ unter Erwachsenen nach wie vor verbreitet, aber nicht ausschließlich. Es bringt wohl die Amerikanisierung unserer Sprache mit sich, dass auch Erwachsene sich zunehmend mit dem Vornamen anreden, es dabei zunächst bei dem „Sie“ belassen, aber bei einer sich bald bietenden Gelegenheit einer Abänderung ins vertraute „Du“ bevorzugen. Bei erwachsenen Jugendlichen, die der selben Generation angehören, dürfte das „Du“ überwiegen. Es ist bei ihnen auch die Ansprache, mit der sie üblicherweise Geschäfte machen, wenn sie nicht überhaupt auf den Gebrauch der deutschen Sprache verzichten und auf Englisch ihre Anliegen regeln. Obwohl dies natürlich nicht passt, wird dabei aus dem „You“ schnell ein „Du“.

Die Sprache des Umgangs und des Geschäfts bestimmt zudem die Werbung und veranlasst die Werbetreibenden, ihre Kunden generell nur noch mit einem anonymen „Du“ anzusprechen. Der Sog dieser Vereinfachung ist so mächtig, dass er inzwischen sämtliche Kommunikationsbereiche erfasst hat.

Ob Formulare oder Internetauskünfte, stets muss ich mich darauf einstellen, dass jemand, den ich überhaupt nicht kenne, ein vertrautes „Du“ in seiner Ansprache wählt. Weder kann ich mich dagegen wehren, noch dieser Vereinnahmung ein respekterwartendes „Sie“ entgegensetzen. Das „Du“ hat die Welt erobert und gestaltet mein Leben ungefragt. Es verschafft mir aber das Gefühl einer grenzenlosen Dazugehörigkeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mehrheit

In diesem Jahr wird häufig gewählt, in Kürze auch wieder der Bundestag. Eine Mehrheit ist dann zu Wort gekommen, hat verschiedene Parteien gewählt, die ihrerseits eine Koalitionsmehrheit zum Zwecke des Regierens bilden werden. Mehrheiten üben einen großen Einfluss auf unser Leben aus, ob sie sich lautstark zu Wort melden oder schweigend abwarten. Was eine Mehrheit ist und bedeutet, hängt allerdings nicht von ihr ab, sondern von Umständen, die ihr Legitimation zumessen und Bedeutung verleihen. Selbstermächtigungen von Mehrheiten ohne entsprechende Anerkenntnisse sind vergeblich. In Zeiten wie diesen, wo ´sanfte´ autoritäre Regime oder gar Diktaturen sich ihre Mehrheiten beschaffen, definieren sie auch deren Vorhandensein.

Da es nicht erst seit dem letzten amerikanischen Präsidenten, Donald Trump, verschiedene Wirklichkeiten, d. h. Anschauungswirklichkeiten gibt, ist es auch möglich, Mehrheiten dadurch zu schaffen, dass man sie behauptet. Auch, wenn es zuweilen völlig unklar erscheint, welche Mehrheiten bestehen, scheinen Stabilitäten außerhalb von Mehrheiten nicht möglich zu sein.

Eine Mehrheit mag sich ggf. gegen die Zumutungen einer Auffassung, die ihr zugemessen wird, nicht wehren können, aber sie sorgt schweigend für ein bestimmendes Maß an Ordnung. Selbst unter Berücksichtigung der möglicherweise fatalen Folgen ihres historischen Handelns, sind Mehrheiten unverzichtbar für die Stabilität in allen Organisationen, Staaten und Gesellschaften.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Geistesblitz

Seit 2013 schreibe ich Beiträge für einen Blog, der von Frau Jette Klame mit ihrem Unternehmen administriert wird und in dem etwa 3 Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Themen monatlich erscheinen. Trotz einer Reichweite weltweit, eines offenbaren Interesses, welches an den Klickzahlen und an der Verweildauer festzumachen ist, habe ich schon oft darüber nachgedacht, die Veröffentlichungen wieder einzustellen, weil sie keinen Diskurs mit den Lesern erlauben.

Natürlich habe ich ziemlich früh angeregt, eine Kommentierung meiner Beiträge zuzulassen, aber auf Rat erfahrener Freunde davon abgesehen, weil die Befürchtung bestände, dass statt eines Dialogs und inhaltlicher Auseinandersetzung ich auch mit persönlichen Angriffen rechnen müsste. Eine solche Erwartung habe ich natürlich überhaupt nicht, aber leider weist die Erfahrung von Menschen, die Kommentierungen zulassen, in diese Richtung.

Schade, denn so bin ich bis auf den Austausch mit Freunden, die meine Blogbeiträge lesen, nur im Zwiegespräch mit mir. In diesem Gespräch muss ich klären, worüber ich schreiben möchte und was mögliche Leser interessieren könnte. Ich versuche, empfängerorientiert die Themen zu wählen, wobei natürlich persönliche Begegnungen oder auch die Auseinandersetzung mit Erfahrenem und Gelesenem meine Auswahl prägen. Ich mache mir Notizen, aber selten ´schreibe´ ich kurze Texte, denn alle meine Beiträge werden von mir diktiert und dann vom Diktat in den Text übertragen. Das hat Vorteile, denn das Diktat ist näher am Dialog.

Ich spreche also, wenn ich schreibe. Vieles entwickelt sich erst während des Diktats und bezieht dabei auch meine jeweilige Stimmung mit ein. Allerdings wird jeder Text anschließend kritisch bearbeitet und nach Möglichkeit auf Fehler hin überprüft. Dennoch ist es nicht zu vermeiden, dass ich nicht nur mit meinen Ansichten danebenliege, sondern mich auch sprachlich und grammatikalisch vertue. Jeder, der schreibt, geht ein Risiko ein, so unbekümmert die Texte zuweilen erscheinen mögen, Geistesblitze sind eher selten dabei.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Befreiung

Das Leben ist eine ungeplante Last für jeden Menschen. Stets ist er daher auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich von dieser zu befreien, ohne sich zu beschädigen oder gar zu eliminieren. Da ihm materielle und ideelle Vorteile dies zu versprechen scheinen, arbeitet er unentwegt an entsprechenden Konstruktionen.

Dabei erfährt er permanente Unterstützung derjenigen, die ihrerseits meinen, dass sich dies für sie vorteilhaft auswirken wird. Es sind die sich den Menschen bietenden Gewinnmöglichkeiten, gepaart mit Verlustängsten, die das erfolgversprechende Lebensmuster prägen.

So versucht der Mensch alle sich ihm bietenden Möglichkeiten auf eine Weise zu manipulieren, dass sie ihm stets günstig erscheinen. Für die Menschen ist es schwer zu entscheiden, was ihn einsichtig machen, von dem „Geworfensein“ ins Leben befreien könnte. Daher bleibt er in den angestammten Lebensmustern und wünscht sich seine Befreiung – zumindest virtuell, wenn dies gelingen sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Renaissance

Gerade lese ich ein äußerst spannendes Buch darüber, wie die Renaissance begann. Mit Verblüffung und Wehmut stelle ich bei der Lektüre fest, wie verschüttet für mich als Leser diese Zeit ist. Dies auch für den Protagonisten des Buches, einen Vatikanmitarbeiter, dem die griechisch-römische Vergangenheit der Menschheit und deren kulturelle Vielfältigkeiten und Erkenntnisse aufregend neu erschienen sind.

Auch, wenn Lukrezens Schrift vom „Wesen der Natur“, der Initialzündung der Renaissance, spätestens seit ihrer Wiederentdeckung nicht mehr unbekannt war, so erfahre auch ich immer wieder, dass zwar unsere Alltäglichkeit begrifflich von Gewesenem geprägt ist, aber die meisten Menschen den umfassenden Nutzen der Bildung nicht mehr vergegenwärtigen wollen oder können.

All das, was vor 500 Jahren entdeckt oder wieder entdeckt und vor 2.000 Jahren auf Pergamentrollen geschrieben wurde, was niedergelegt war in Briefen und aus Reden überliefert wurde, ganze Bibliotheken von Alexandria bis Athen füllte, Lesestoff in Schulen und Gesprächsstoff für hitzige Auseinandersetzungen sorgte, später in unendlicher Klein- und Feinarbeit von Mönchen kopiert wurde, damit uns Überlieferungen erhalten bleiben, ist heute profan abgelegt bei Wikipedia und allenfalls Kenntnisstoff im althumanistischen und altsprachlichen Unterricht.

Was wir im Internet nun abrufen können, scheint mir an Erkenntnis verloren zu haben. Ich stelle mir die Frage, was wir tun könnten, um die Vergangenheit, ihre Kulturen, ihre Lebensanregungen wieder umfassend für unsere Zeit erlebbar zu machen. Ich stelle mir vor, dass es möglich sein könnte, dass wir uns statt zu Podiumsdiskussionen in Gesprächskreisen treffen und uns austauschen über Dinge, die nicht offensichtlich sind, über Gedichte, Literatur und natürlich auch über Anregungen aus fernen griechisch/römischen Zeiten.

Ich weiß schon, dass dies vereinzelt geschieht, aber Schulen heute kaum noch Anregungen in dieser Richtung vermitteln. Wenn der Mensch aber nicht umfassend geübt ist, dann verliert er schnell die Fähigkeit, mit seinen Möglichkeiten intelligent umzugehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski