Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftsrelevanten Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Konsumismus

Die Wirtschaft wieder ankurbeln. Das ist das zentrale Anliegen der Regierungen trotz Corona-Epidemie. Die ist nicht vorbei, hat aber einen anderen Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren. Menschenleben gegen Wohlstand. Die Abwägung geschieht klammheimlich, denn mit der Wirtschaft geht es bergab und wenn der Markt nicht mehr funktioniert, hat der Staat auch keine Einnahmen. Steuern sind indes wichtig, um die ungeheuren Schulden zu bezahlen, die sich in Europa und jeder anderen europäischen Nation auftürmen.

Da die Märkte global angelegt sind, beschränkt sich die Verschuldung nicht auf Europa, sondern hat globale Aspekte. Wer soll die Wirtschaft wieder in Schwung bringen? Unsere Regierung gibt die Antwort: der Konsument. Deshalb wird zumindest vorübergehend die Umsatzsteuer gesenkt und werden und wurden Geldgeschenke verteilt. Die Aufforderung ist unmissverständlich. Der Konsument soll alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einschließlich Reserven nutzen, um auf den Markt zu gehen und zu kaufen und die Käufe zu feiern. Dies natürlich vorzugsweise nicht im Ausland, sondern im Heimatland.

Das ist nicht der Ruck, sondern der „Wumms“, der durch Deutschland gehen soll. Der Konsument ist gefragt, die Shopping Malls sind rund um die Uhr wieder geöffnet. Der strategische Nutzen für die Wirtschaft, wie wir sie bisher kannten, ist nachvollziehbar. Die Frage ist allerdings, ob dies so weitergehen kann und soll.

Erlaubt uns Corona nicht vielleicht die Möglichkeit, wieder grundsätzlicher nachzudenken? Hat denn Menschen das Shoppen, der ständige Konsumismus attraktiver und glücklicher gemacht? Ich glaube nicht. Über die Vorsorge, die Bedürfnisse und die Notwendigkeiten hinaus zu konsumieren, schafft einen Warenreichtum, der nicht nur die Umwelt belastet, sondern auch keinerlei Befriedigung verschafft. Durch den Konsumismus werden die Menschen in ein Anspruchsverhalten gelockt, dass wie eine Droge ihnen abverlangt, dieses Anspruchsverhalten nie wieder aufzugeben.

Ansprüche machen indes nicht nur einsam, sondern verstärken die Ich-Sucht. Wenn Anspruch auf Anspruch folgt und dies auch staatlich befürwortet wird, dann ist es naheliegend, dass jeder, ob reich oder arm, und zwar jeder auf seinem Niveau den Eindruck hat, er sei zu kurz gekommen, seine Ansprüche seien nicht hinreichend bedacht und befriedigt. Die Folge von Konsumismus ist Egozentrik, die unnachgiebig auf das eigene Wohl bedacht ist, das allerdings aufgrund des permanenten Anspruchsverhaltens niemals befriedigt werden kann.

Wenn wir in Corona-Zeiten etwas lernen dürften, dann Aussagen, wie das Handeln des Staates, der Gesellschaft, der Wirtschaft und unser eigenes Verhalten zu hinterfragen sei. Wir sollten anfangen, uns auf unsere wirklichen Bedürfnisse zu beschränken und dadurch zu einer Entlastung der Gesellschaft von Überflüssigem beizutragen. Dann würde ein Ruck durch Deutschland gehen, der uns hellsichtiger und reicher machen würde.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Böse lehren lernen

Denkmäler werden geschliffen. Nicht nur diejenigen von bekannten Sklavenhändlern, sondern auch von geschichtlichen Wegweisern wie Christoph Columbus. Nach Auffassung einiger Menschen kann deren Verhalten nicht gerechtfertigt werden, weil sie für Sklaverei, Menschenhandel, Diskriminierung anderer Menschen und Kolonialismus verantwortlich seien.

Ziel der Kampagne ist es aufzuzeigen, dass unsere Menschheitsgeschichte auch immer eine schreckliche, andere diskriminierende und verachtende Geschichte gewesen ist. Unter Benennung aller Einzelheiten, persönlichen und kollektiven Fehlverhaltens verbiete es sich, dieses Verhalten geschichtlich zu relativieren, in dem man den Vorgang nur in seiner Zeit und aus seinen Umständen heraus betrachtet. Vielmehr sei alles, was geschehen ist und Menschen sich wechselseitig angetan haben, höchst gegenwärtig und werden durch Verhaltensweisen und ggf. auch Denkmäler bezeugt. Deshalb müssten diese weichen und diejenigen, die entwicklungsgeschichtlich eher den Tätern zuzurechnen seien, sich in Buße üben. Buße bedeute dabei, sich der Rolle zu vergegenwärtigen, die die heutigen Menschen damals gespielt haben könnten, wären sie am Leben gewesen.

Keineswegs könnten aber heutige Menschen, die sich im Wahrnehmungskreis der Täter befänden, eine Opferdeutungsrolle übernehmen, ganz gleich, ob dies im geschichtlichen Kontext oder im Zusammenhang mit denjenigen stehe, die heute noch das Stigma des Opfers tragen müssten. Zwischen Opfer und Täter, ob geschichtlich oder gegenwärtig, gibt es so nur einen angestrengten Weg der Verständigung, nur über Buße und Nachsicht. Dabei gäbe es einen Weg, gemeinsam zu lernen und das Böse, das Menschen anderen angetan haben und immer wieder antun, als Lehrmeister auszubilden für das eigene Verhalten und daraus die Kraft des Verstehens, der Überwindung und der Vergebung zu schöpfen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Dunkelziffer

Dunkelziffer? Ist eine solche Ziffer im mathematischen Darknet zu Hause? Warum ist diese Ziffer lichtscheu und zeigt sich uns nicht? Gibt es diese Ziffer überhaupt oder ist sie nur ein Phantom? Wie ist diese Ziffer beschaffen, etwa wie jede Hellziffer oder ganz anders? Wenn es diese Ziffer geben sollte, wofür steht sie? Benennt sie etwas Vorhandenes oder verweist sie nur in einen Raum, der tatsächlich nicht erfassbar ist? Was ist in diesem Raum vorhanden, dass es sich in Ziffern ausdrücken ließe? Wer ist auf die Idee gekommen, dass es Dunkelziffern gäbe? Ist es eine Erfindung, eine fixe Idee des Verwenders eines solchen Begriffs?

Natürlich weiß ich, dass mit Dunkelziffern landläufig etwas beschrieben wird, von dem man annimmt, dass es auf Ergebnisse Einfluss nimmt und diese daher korrigiert werden müssten, wenn man die Dunkelziffer benennen könnte. Dunkelziffer ist eine Ziffer im Konjunktiv. Sie gibt es oder sie gibt es nicht. Mit ihr wird etwas ausgedrückt oder unterlassen, sie ist Platzhalter für das Unbestimmte. Das Unbestimmte sind Selbstmorde, Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Sexualdelikte, Gewaltdelikte, Beleidigungen und sonstige Umstände, die nicht erfasst und so auch nicht gänzlich in Statistiken untergebracht werden konnten.

Die Ziffer ist eine Unbekannte und versucht, uns einen Raum zu dechiffrieren, den wir nicht kennen. Dunkelziffern haben keine eigene Existenz, sondern sind von unserer Zuweisung abhängig. Wir geben der Dunkelziffer einen Auftrag. Sie soll etwas benennen, von dem wir annehmen, dass es das gibt, es aber nicht wissen. Auch, wenn wir die Dunkelziffer benennen, sind wir stets bemüht, ihr den Platz, den wir ihr zumessen, streitig zu machen.

Man könnte auch sagen, dass wir der Ziffer in die Dunkelheit folgen, um zu sehen, was sich an ihr erhellen ließe. Auf die Dunkelziffer können wir nicht verzichten, denn das ganze Spektrum unseres Lebens wird nur dann sichtbar, wenn wir uns auch der Dunkelziffer vergewissert haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Perspektive

Es ist alles eine Frage der Perspektive. Dieses gängige Mantra vermag uns davon zu entlasten, über einen Umstand weiter nachzudenken oder in Konfrontation mit der Meinung eines anderen zu geraten. Dass es gängig ist, macht diesen Satz allerdings nicht falsch. Vom Menschen aus gesehen, gibt es keine Absolutheiten. Der Mensch denkt, empfindet und handelt perspektivisch, ausgehend davon, was seine Wahrnehmung ihm vermittelt. Unter diesem Aspekt ist Perspektive etwas höchst Persönliches, genährt von Erfahrung und Einschätzung, aber auch Wissen, Bildung und Erkenntnis.

Perspektiven ergeben sich aber auch für denjenigen, der überhaupt nichts weiß, ahnungslos und auf sich selbst beschränkt ist. Da Perspektive somit nur eine Projektion unserer Wahrnehmung ist, gilt es aufzudecken, welche Eigenschaften von Perspektiven nicht erfasst werden, durch unsere Betrachtung sich nicht offenbaren. Unsere Wahrnehmung unter perspektivischen Gesichtspunkten schafft Orientierung. Sie schafft sogar eine bestimmte Form der Verlässlichkeit, sobald diese Wahrnehmung sich entpersönlicht und so allgemeine Anschauung werden kann. Aber auch dann wird eine Perspektive nicht wahr.

Unsere Sinnesorgane sind in der Lage, uns das Wesen aller Dinge, die uns umgeben, zu vermitteln. Damit sind wir aber noch nicht zu deren Wesen an sich durchgedrungen. Alles Wesen, ob organisch oder nicht organisch entzieht sich unserer Gewissheit. Aus unserer Perspektive ist der Himmel blau. Inzwischen wissen wir, was uns zu dieser Wahrnehmung verleitet. Also beachten wir diesen Zustand als gesichert und wissenschaftlich auch bestätigt.

Aber, was macht den Himmel blau? Ausschließlich aufgrund unserer Wahrnehmung, aus unserer Perspektive heraus ist der Himmel blau. Diese Wahrnehmung reicht uns. Wir hinterfragen  nicht, wie Bäume, Berge oder Vögel diesen Himmel für sich beschreiben. Aber, auch wenn wir diesen relativen Moment in der perspektivischen Wahrnehmung durchaus erkennen und auch akzeptieren müssen, so scheuen wir uns doch, die Erkenntnis dahingehend zu erweitern, dass wir niemals etwas wissen, noch des Pudels Kern finden können.

Wir wissen nichts von den Dingen, sondern folgern lediglich aus ihren Eigenschaften ihre tatsächliche Beschaffenheit. Wir wissen nicht, was unseren Planeten, diesen Weltraum im Inneren zusammenhält. Alles ist irgendwie und täglich ringen wir darum, einen perspektivischen Ansatz dazu zu finden, damit wir eine Ordnung haben, die uns nicht selbst permanent in Frage stellt. Es ist gut, dass wir diese selbstberuhigende Fähigkeiten haben. Es ist aber großartig, dass wir trotz allem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, trotz Transzendenz und Dataismus letztlich weiterhin gespannt und neugierig auf alles und nichts sein dürfen. Aber sind wir den Anforderungen, die an uns gestellt werden, gewachsen?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

System

Wir leben in Zeiten des Postindividualismus. Wir begreifen die Komplexität dieser Welt und erfahren, dass wir zwar eine wichtige, aber letztlich nicht ausschlaggebende individuelle Rolle in dieser spielen. Genauso wie unser Körper und Geist und alle unsere Empfindungen einer komplexen endogenen Bestimmtheit unserer DNA und dem Einfluss der uns besiedelnden Mikroben und Viren folgen, ist die uns umgebende Tier- und Pflanzenwelt gleichermaßen von diesen bestimmt.

Um dabei im Bild zu bleiben, findet zwischen der Tier- und Pflanzenwelt und uns Menschen ebenfalls ein reger Austausch statt, der eine evolutionäre Singularität des Menschen ausschließt. Um Entwicklungen voranzubringen, ist die systemische Stimmigkeit allen Lebens erforderlich. Es geht dabei nicht um Gleichgewichte, sondern die dem System eigentümliche Prägung sorgt dafür, dass die Störung des Masterplans, so sie auftritt, beseitigt wird.

Was aber ist der Masterplan? Ihn sich etwa als Formular oder grundlegende Botschaft vorzustellen, wäre töricht, wenn man unterstellte, das System wäre von einem imaginären Kopf her bestimmt. Das Entscheidende ist, dass das die Welt lenkende System sich selbst opportun entwickelt und anpasst. Dieses System kennt keine Gewissheiten und hat womöglich auch dem Menschen keine bleibende Rolle zugedacht.

Aber, die Regelhaftigkeit dieses Systems kann man vielleicht mit derjenigen eines Magneten vergleichen, der zugleich abstoßend und anziehend wirken kann. Die absolute Ungewissheit macht uns zu schaffen. Sie sollte aber auch Ansporn dafür sein, nicht immer und weiter unser Ego zu feiern und gegen alles, was uns bei der angemaßten Selbstentwicklung zu hindern scheint, Widerstand zu leisten, sondern uns einzulassen auf ein ganzheitliches komplexes Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, den Tieren und der Pflanzenwelt. Wie flüchtig unsere scheinbare Einmaligkeit als Individuum ist, erfahren wir täglich bis zu unserem Tod. Alles Persönliche ist vergänglich, was aber bleibt, ist der Beitrag, den wir für das Ganze, also das System, geleistet haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rumpelstilzchen

Es ist, was es ist, das Ganze und dessen Teil, das Einzelne und die Menge. Es erklärt sich selbst, wenn wir bereit sind, seine Botschaft anzunehmen. Das Unbestimmte hat seine eigene Methode der Entdeckung, den besonderen Zugang zu seinem Verständnis. Diesen verschafft unsere Bereitschaft, uns auf einen integrativen Prozess einzulassen und nicht zu meinen, wir vermögen den Weg jeder Erkenntnis selbst zu bestimmen, gar zu glauben, dieses sei uns vorgegeben.

Auch eine etwa von uns eingesetzte Dechiffrierungsmaschine muss scheitern, denn sie versteht nicht, dass jede Gesetzmäßigkeit sich auch an Opportunitäten und Vorteilsnahmen orientiert. Wie bei Rumpelstilzchen ist alles nur durch eine angemessene Zuordnung, die sich aus dem Anliegen selbst heraus sichtbar macht, erklärbar. Jede Zahl, jedes Blatt und jedes Atom, die großen und kleinen Dinge vermögen sich ausschließlich durch ihre energischen Selbstbehauptungen zu vergegenwärtigen.

Wenn wir uns auf das Verborgene einlassen, dann wissen wir Bescheid, ohne dass wir genötigt wären, den Gegenstand der Betrachtung zu zerlegen oder zusammenzusetzen. Alles kann im gleichen Augenblick manifest und flüchtig dadurch werden, dass wir unser Verständnis zeigen. Wenn wir senderorientiert wahrnehmen und uns gänzlich öffnen, dies mit allen unseren Sinnen und kognitiven Möglichkeiten, bleibt uns das Wesen des Ganzen nicht verborgen. Wir erkennen dann die Muster, die sich selbst entwerfen, als seien sie in Sand oder Schnee gemalt. Jede Erkenntnis ist in uns selbst und dem Gegenstand unserer Betrachtung angelegt. Wir müssen nur lernen, alles zu begreifen. Rumpelstilzchen weist uns einen Weg.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Entgrenzung II

Diese Corona-Epidemie passt zu unserem Zeitgeist. Wäre sie nicht von selbst über uns hergefallen, so hätten wir sie wohl inszeniert. Corona ist die Zeit der allgemeinen Abrechnung mit anderen Menschen, mit der Wissenschaft, mit der Wirtschaft, mit der Menschheit und schließlich mit der Demokratie.

Corona schreddert all das, was bisher durch Erfahrung, strukturelle Ordnung, wissenschaftliche Erkenntnisse und Gemeinsinn noch gesichert erschien. Corona ist unsere Abrechnung mit der Realität durch organisierte Meinungsgewissheit. An die Stelle des Offensichtlichen tritt die Meinung, und zwar auch dann, wenn sie nicht mehr die eigene ist, sondern eine durch Verschwörung und mediale Verstetigung evozierte Gewissheit.

Zu unserem selbstvergewisserten Demokratieverständnis gehört die Meinungsfreiheit. Was ist aber damit gemeint? Eine Fülle unterschiedlicher Meinungen kulminieren zu einem Punkt der verabredeten Gewissheit. Wenn jeder Mensch nur eigene Erfahrungen macht und diese eigenen Erfahrungen als seine Meinung verbreitet, dann sind sie selbst dann relevant, wenn sie schließlich nicht zu dem von dem Meinenden gewünschten Erfolg führen. Es kommt also auf die Schnittmenge aller Meinungen an.

Anders verhält es sich allerdings dann, wenn Meinungen keinem individuellen Erkenntnisprozess mehr entsprechen, sondern einer kollektiven Verabredung. Diese Verabredungen können genährt werden durch die Klickzahlen im Internet, durch Verschwörungsaggregate oder auch Gleichgültigkeit. Erkennbar weichen selbst Wissenschaftler, aber vor allem Politiker, Abgeordnete und Regierungen vor der Meinungsmacht zurück und lassen es zu, dass organisierte Meinungen nicht nur verbreitet, sondern auch gesellschaftlich anerkannt werden. Dabei verkennen diejenigen, die so handeln, dass mangels immanenter Meinungsvielfalt, die sich etablierende Meinungsbestimmtheit erhebliche negative Auswirkungen auf unsere Demokratie haben wird.

Das Zurückweichen unserer politischen Institutionen, unseres Staates und unserer Politiker vor der organisierten Meinungsmacht trägt dazu bei, dass wir unregierbar werden. Die Zukunft wird nicht mehr durch Verabredungen bestimmt, die selbst dann Geltung beanspruchen sollten, wenn sie sich als falsch herausstellen. Die Zukunft wird auf Meinungsmacht gegründet. Meinungen benötigen aber keine Rückkopplung zur Wirklichkeit und sind auf Verantwortung nicht angewiesen. Meinungen weisen keinerlei Verbindlichkeit auf. Nicht nur individuell, sondern auch kollektiv kann jeder seine Meinung ändern und wenn dann die medial aufbereiteten Meinungen Grundlage unserer Ordnung sein werden, dann ist es mit dieser vorbei. Zu vermuten ist, dass nach Erosion all unserer bisherigen Gewissheiten eine neue Ordnung sich etablieren und effektiv in der Lage sein wird, mittels meinungsfreier Termitenintelligenz eine neue Welt zu erschließen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstvergewisserung

Seitdem der Mensch bei sich ein Bewusstsein festgestellt hat, versucht er herauszufinden, was nicht nur die Welt, sondern ihn auch selbst persönlich zusammenhält. Dabei orientiert sich der Mensch in der Regel am Offensichtlichen und verschweigt zum Selbstschutz seiner Persönlichkeit, dass er eigentlich nichts weiß. Wir denken, meinen, fühlen und handeln.

Das Bewusste und das Unbewusste unseres Stammes, geschichtliche Erfahrungen und sonstige Umstände von Zeit und Ort unserer Verwirklichung sind uns gegenwärtig und damit Maßstab unserer Erkenntnis. Von Selbst- und Fremdbestimmtheit ist die Rede, von DNA und Umweltfaktoren, aber zunehmend tun sich auch Einflüsse auf, die jeder kognitiven Wahrnehmung widersprechen.

Wie jedes Lebewesen ist auch der Mensch ein biologisches Gesamtkunstwerk, dass freundliche und feindliche Mikroben miteinschließt. Wir sind deren Wirt und sie unterstützen uns bei der Bewältigung des Lebens oder verhindern ein bestimmtes Handeln, wenn sie damit nicht einverstanden sind. Wir sind in einem steten symbiotischen Austausch mit unseren Mikroben, und zwar nicht nur im Darm, sondern in jedem Bereich unseres menschlichen Körpers. Ohne unsere Mikroben geht nichts, könnten wir uns weder ernähren, noch denken.

Es ist daher naheliegend, nicht nur vom Einfluss dieser Mikroben zu reden, sondern auch von deren Bestimmtheit, wenn es um die Verwirklichung unserer Aufgaben geht. Die DNA unserer Mikroben haben dabei einen starken, ggf. auch bestimmenden Einfluss und unterscheiden dabei nicht nur zwischen sympathisch und unsympathisch, sondern gestalten unser Leben nach ihren Anforderungen mit. Dies gilt auch bei der Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Menschen und ist eine Frage unserer Souveränität, die Entscheidungskompetenz dort zu übernehmen, wo Mikroben ihre Zuständigkeit behaupten. Erst dann, wenn wir Mikroben und Viren als Teil unseres Lebensprozesses anerkennen, sind wir in der Lage, Einfluss auf Bereiche zu nehmen, in denen pathogene Mikroben versuchen, nicht nur unseren Körper, sondern unsere Gesellschaft zu attackieren und ggf. zu zerstören.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Club der Egomanen

Willkommen im Club der Egomanen: Trump, Putin, Erdogan, Modi, Johnson, Orbán, Höcke, Assad, Bolsonaro und Xi Jinping. Sicher habe ich einige unterschlagen oder nicht berücksichtigt, weil sie mir nicht eingefallen sind oder ich sie als nicht so bedeutend erachtet habe. Es ist bemerkenswert, dass sich im Club der Egomanen nur Männer befinden.

Was eint nun dieses Männerbündnis, was schafft ihre Singularität? Dies in aller Schlichtheit: Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich und Tempo! ich ich ich ich ich ich ich ich !!!!. Es ist bemerkenswert, dass sowohl im Zähler als auch im Nenner dieser Charakter dasselbe steht.

Das macht sie so eindeutig, fast unverwundbar und mächtig. Kein Vorwurf kann sie treffen. Sie haben ihre Zeit. Dann ist sie zu Ende. Den Club der Egomanen verlassen sie allerdings auch post mortem nicht. Ihr Nachruf besteht nur in einem Wort: ICH.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zeit haben

Oft werde ich gefragt: „Wie schaffen Sie das denn auch noch? Diese Zeit hätte ich nie.“ Es gibt eine naturwissenschaftliche Zeit. Die ist jedem Menschen zugeteilt. Es gibt aber auch eine Zeit, die wir uns nehmen können, die uns kein anderer gibt. Wir teilen uns die Zeit ein. Wir entscheiden, welche Zeit wir einsetzen für das, was wir schaffen wollen. Schaffen wollen bedeutet, dass wir einen individuellen Ansatz wählen können für die Gestaltung unserer Tageszeit.

Das ist allerdings nicht selbstverständlich. Die meisten Menschen teilen den Tag nach ihren Pflichten und Neigungen auf, nach familiärer Fürsorge, Arbeit, Hobbys, Fernsehen sowie Nahrungsaufnahme und Schlafen. Dann stellen sie fest, dass ihnen keine Tageszeit mehr bleibt, um z. B. zu schreiben, zu lesen, Musik zu hören und dergleichen mehr. Alles, was sie gerne einmal getan hätten.

Wie ihr Tag sind auch die Wochen und die Jahre in ein Zeitkorsett gepresst. Das, was am Tag nicht übrig bleibt, bleibt auch im ganzen Leben nicht übrig. Es gibt für sie keine Zeit außerhalb ihres Pflichtenkreises. Dabei könnte es anders sein. Wenn ich erkläre, dass ich Zeit habe, dann handhabe ich meine Zeit. Ich nehme mir Zeit und schaffe dadurch Prioritäten selbst dann, wenn objektive Umstände am Tage mich dazu zwingen sollte, mich gegenüber anderen zu verteidigen, dass ich diese Priorität gewählt habe.

Zeit zu haben kann z. B. zu Lasten eines Fernsehabends gehen. Zeit zu haben schränkt womöglich die Aufnahme von Essen ein. Zeit zu haben hat Einfluss auf die tägliche Abfrage sämtlicher E-Mails, das Telefonieren mit dem Handy und dergleichen mehr. Aber eine eigene Zeit zu haben schafft einen großen Freiraum, nicht abhängig zu sein von den Mechaniken einer durchorganisierten Welt, von Beruf, Freizeit und Urlaub. Die persönliche Zeit eines Menschen ist nicht nur ideell, sondern auch wirtschaftlich sein höchstes Gut. Er disponiert und gewinnt, wenn er diese Zeit zur Verfügung hat und es nicht zulässt, dass Andere mit seiner Zeit machen, was sie wollen.

Die Ausbeutung des Menschen beginnt dort – und ist im Übrigen unabhängig von Einkommen, Schichten und sozialem Vermögen – wo der Mensch seine Zeitfreiheit verloren hat. Die Zeit ist ihm anvertraut, ein Geschenk, so sagt man, das er mit anderen Menschen teilt. Wenn er sich seiner Zeit bewusst ist, wird er es auch nicht zulassen, dass Andere ihm seine Zeit stehlen, über sie verfügen und damit auf seine Zeitkosten leben. Ein Weiser schenkt seine Zeit Anderen, weil er deren Souverän ist und bleiben will. Ein Narr behauptet: „Zeit sei Geld.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski