Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen kulturellen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Gender

Mit oder ohne Sternchen, sprachlich zumindest ist es außerordentlich schwierig geworden, das Geschlecht eines Menschen korrekt zu benennen. Die deutsche Sprache drückt in manchen Begriffen nicht gleichzeitig das Weibliche und Männliche aus und muss daher zu Umschreibungen finden, die zumindest sprachgerecht erscheinen. Das Anliegen verstehe ich zwar, kann den lauthals verkündeten „Wahnsinn“ darin nicht erkennen, begreife aber, wie vielleicht sogar viele Menschen nicht, um was es eigentlich geht.

Es geht anscheinend um die real wirkliche, aber auch sprachliche Gerechtigkeit für Lesben, Schwule, Transgender und Intersexuelle. Ich kann nicht verpflichtet sein, alles genau zu wissen und zu begreifen, aber ich verstehe sehr gut, dass sogar eine Vielgeschlechtlichkeit in einem Menschen angelegt sein kann, und zwar männlich und weiblich bestimmt.

Nicht begreifen kann ich aber, was das eigene sexuelle Verhalten als Metrosexueller, Schwuler oder Lesbe damit zu tun haben soll? Das eigene sexuelle Verhalten erscheint mir in erster Linie Privatsache zu sein und kann nicht eigentlich wirklich Gegenstand einer Debatte werden, die die eigene Zugehörigkeit zu einem Geschlecht mit Verhaltensweise vermengt und daraus Ansprüche ableitet. Menschen sollen Menschen lieben können, vielleicht Fetische oder auch Tiere, Menschen sollen Menschen partnerschaftlich verbunden sein und heiraten, wenn sie mögen, aber daraus, ob diesen oder jenem Geschlecht oder keinem angehören, ein sprachliches Monstrum zu schaffen, erscheint mir nicht angemessen.

Da wir wenig von uns wissen, wissen wir auch nicht, in welcher Geschlechtlichkeit wir auf die Welt kommen und wie sich diese später ausdrückt. Wir sollten daher auch darauf nie festgelegt sein, sondern uns jeweils opportun frei entscheiden können. Dies wiederum setzt voraus, dass wir optional alle Möglichkeiten lebenslang in uns verwahren und uns darauf besinnen, so der Körper, der Verstand oder die Gefühle uns dies sagen.

Ich bin daher dafür, sämtliche weiblichen und männlichen Endungen komplett zu streichen und in Pässen sowie allen sonstigen Ausweisdokumenten „intersexuell“ einzutragen. Diese Beschreibung der Sexualität wird dem Menschen am nächsten gerecht, belässt es auch bei allen öffentlichen Einrichtungen beim Status quo, gleichermaßen nutzbar für allerlei Geschlecht und auch einer digitalen Zukunft zugewandt. Ich denke, dass die Aufhebung der Geschlechtlichkeit zur Versöhnung beiträgt und auch dazu führen kann, dass keiner seines Geschlechts wegen mehr benachteiligt wird.

Wenn es nur noch ein Geschlecht gibt, versagen alle Argumente, Frauen und Männer unterschiedlich zu behandeln, sie zu diskriminieren oder schlechter zu bezahlen. Mit dieser letzten Anstrengung verwirklichen wir den amerikanischen Human-Right-Appell „All men are created equal“.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wille

Einen freien Willen gebe es nicht, behauptet der Wissenschaftler Yuval Noah Harari. Was er meint, so wird aus seinen Darstellungen deutlich, ist nicht der freie Wille an sich, verantwortlich diese oder jene Entscheidung zu treffen, sondern der Grund des Willens. Das hat mit der Freiheit zu tun, einen freien Willen überhaupt zu entwickeln.

Dieser Gedanke ist so einleuchtend, dass man ihm, sobald man ihn hört, verfällt. Uns Menschen ist daran gelegen, den eigenen Willen zum Ausdruck zu bringen, aber dann, wenn die Konsequenzen der Willensäußerung nicht so ausfallen, wie wir es erhofften, die Möglichkeit einer Entschuldung zu nutzen.

„Die Gedanken sind frei …“ so heißt es doch so schön in einem Lied. Freiheit ist ein Zauberwort, dass die Erlösung verspricht aus dem engen Korsett der täglichen Abhängigkeiten. Ist dies Illusion? Ich glaube das nicht und stimme dem Wissenschaftlich Harari daher nicht zu. Es mag sein, dass die Komponente der Freiheit, die einen freien Willen erzeugen können, sehr eingeschränkt sind, aber sie beruhen nicht wie zum Beispiel bei einem Computer auf einer Rechenleistung. Die Bestimmungsmerkmale des Menschen sind nicht algorithmisch erfasst.

Zwischen den zweifellos vorhandenen Faktoren, die genetisch, umweltbedingt und situativ sein mögen, ergeben sich Nuancen, die spielerisch und nicht prognostizierbar auf Situationen reagieren. Das entkleidet den freien Willen nicht seiner Verantwortung, verdeutlicht aber die Zufälligkeit, auf dem dieser beruht. Der freie Wille oszilliert wie in einer Röhre und verändert – um im Bild zu bleiben – stets seine Farbe, kann aber seinen Sinn und seine Ursachen selbst nicht ermessen. Nie vermögen wir Menschen die Freiheit unseres Willens, der uns zum Handeln bestimmt, jemals festzustellen. Deshalb sollten wir stets die Wirkung unseres Tuns mit einkalkulieren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Touristen

Ach´ wie schön ist Panama! Das Ziel moderner Touristen ist die Welt. Es gibt aber kein beständiges Ziel. Statt immer wieder Italien ist Teheran, Moskau, Peking und Vancouver angesagt. Nicht nur die Städte, aber gerade diese geben den Touristen Gelegenheit, sich Dank Selfie und Internet mit der ganzen Welt zu vernetzen und zu zeigen, was alles geht. Es ist üblich geworden als Tourist, ob in der Stadt oder auf dem Land gleichermaßen, mit Flip-Flops, kurzen Hosen und T-Shirts aufzutreten. So sind Touristen zwar leicht erkennbar, aber gerade dies weist auf ein Problem hin. Die Touristen sind in der Überzahl.

Dank Verkehrsmitteln, Airbnb und Billighotels ist für Touristen heute fast alles möglich. Sie nehmen eine Stadt in Besitz, und zwar zu jeder Jahreszeit. Manche Städte – wie Palma de Mallorca – klagen darüber schon und versuchen, Kontingentierungen einzuführen. Bewohner anderer Städte reagieren aggressiv gegenüber Touristen oder ziehen sich in wenige von den Touristen noch unerkannte Quartiere zurück.

Um das Problem zu benennen: Die meisten Gegenden in dieser Welt sind zunächst von den ortsansässigen Menschen zum Nutzen ihrer Bedürfnisse gestaltet worden. Sie legen noch immer Wert auf bestimmte Sitten und Gebräuche, die ihre Heimat ausweist, zum Beispiel Ästhetik und zivilisierten Umgangston. Ein bestimmtes ortstypisches Verhalten verkörpert also diesen Menschenschlag, dessen Errungenschaften und Verhaltensweisen, die der Tourist eigentlich kennen lernen sollte. Das Gegenteil ist heute aber oft der Fall.

Der Tourist schert sich überhaupt nicht um die einheimische Bevölkerung, ihre Esskultur, Gebräuche und Sprache. Mit Englisch geht alles und das Verhalten, zumindest in der Gruppe entspricht der angemaßten Freiheit. Let´s Party, ein paar Tage später sind sie ja ohnehin wieder weg, also weitergezogen. Diese durchaus herrschende Touristenmentalität wird heute oft beklagt und kann durch mehr Umsatz nicht kompensiert werden. Wenn man sich nur für wenige Augenblicke am Brandenburger Tor aufhält, Selfies schießt und anschließend Donuts oder Eis dort zu sich nimmt, erfährt man nichts über Berlin.  Die Touristenwelt passt nicht zu uns Bewohnern, ob in der Stadt oder auf dem Land.

Wir müssen anfangen, von Touristen Respekt vor uns zu erwarten und dies als Teil einer Kampagne werden lassen, die Fremde willkommen heißt, aber auch das Einhalten von Regeln einfordert. Tun wir dies nicht, werden Aggressionen wachsen und sich Abwehrverhalten entwickeln, die Selbstschutzcharakter aufweisen. Gesetzgeber, Staat und Gemeinden müssen schleunigst diese Regeln aufstellen. Wenn die Touristen sich daran halten, sind sie willkommen, wenn nein, sollten sie wegbleiben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Copy and paste

Die Deutschen sind ein Volk der Dichter und Denker. Diese Auffassung ist mannigfaltig wiedergegeben worden. Sie soll uns zu etwas Besonderem machen. Besonders war auch schon unser Gemüt und unsere Sprache. Unsere Sprache war einmal Weltsprache und angeblich auch knapp davor, eine bestimmende Sprache in den USA zu werden. Nun gibt es Cassandra-Rufe.

Die deutsche Sprache ist am Aussterben. Schon verblüffend, wenn man bedenkt, dass andererseits hart daran gearbeitet wird, u. a. durch Weiblichkeitsformen in allen Bereichen die deutsche Sprache auszuweiten und durch Zusatzworte kompatibel auch für andere Sprachen zu machen. Und dennoch: nicht Englisch, aber Amerikanisch soll wohl die Sprache der Zukunft sein. In weltoffenen, aufgeklärten Städten wie Berlin kommunizieren junge Menschen nur noch in Amerikanisch miteinander, obwohl sie in Schwaben, Bayern oder Sachsen geboren wurden.

Ganz toll, alle mit Vornamen anzusprechen und sich Deutsch und Distanz nur noch für die Familie aufzubewahren. Mit der amerikanischen Sprache verbindet sich auch die amerikanische Lebensart und dabei denke ich nicht an die vordergründigen Symbole, die uns einen, sondern an das, was uns trennt. Was uns trennt, sind geschichtliche Erfahrungen, das Denken in philosophischen Zusammenhängen, Musik, Literatur und Gemüt. Wir sind nicht oberflächlich verschieden, aber in unserem Wesen.

Es ist einfach, die Amerikaner zu imitieren und dann auch stark zu wirken und die Attitüden von Silicon Valley zu übernehmen. Aber, welche Perspektiven für unser eigenes Leben können wir davon ableiten, wenn wir eigentlich anders sind? Ich denke keine. Wir müssen, anstatt nachzuahmen, uns auf eigene Fähigkeiten, eigene Stärken und Möglichkeiten besinnen und diese der Welt anbieten. Die Chinesen tun dies und wir können das auch. Wir können uns innerhalb des Kulturraums dabei auch bei den Franzosen, den Italienern und Engländern sowie den Spaniern unterhaken. Wir haben gemeinsame Geschichte und Erfahrungen. Auch mit Polen und Ungarn ist das so, selbst mit Russland.

Aber, Amerika nicht nur als Freund, sondern auch als kulturelle Führungsmacht zu begreifen, das geht zu weit. Allein die amerikanische Sprache zu übernehmen, macht uns weder stark, noch zu Amerikanern, sondern allenfalls zu einer amerikanischen Kolonie. Ich mag die Amerikaner, spreche recht gut amerikanisch, aber will es weder in Deutschland tun, noch Amerikaner sein. Ich bin deutsch und verzichte gerne auf Anpassung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Identitär

Ich bin ich, denk´ ich mal. Ich kenne mich seit meiner Kindheit. Irgendwo zwischen Schwaben und Franken bin ich geboren und seit langem ein typischer Berliner, d. h. nicht von hier. Ich fühle mich auch in Jordanien und Russland zu Hause, familiär verbunden mit vielen Menschen anderer Nationen. Ich bin so herrlich deutsch, trotz allem. Ich bin sparsam. Ich bin ordentlich.

Ich liebe meine Heimat, ich arbeite gerne, habe Goethe und Stefan Zweig gelesen, Bach ist mir nahe und Händel. Aber, du liebe Güte, die anderen alle auch. Ich bin trotz Rolling Stones und ABBA deutsch. Keiner kann mir das Deutschsein nehmen, weil ich die Vielfältigkeit der Welt und Ihre Anregungen liebe. Wie gerne war ich auch in Aleppo, Damaskus oder Amman.

Andererseits finde ich Jerusalem und die Menschen dort großartig. Palästinenser und Juden sind meine Freunde, mit Russen bin ich verwandt. Ich muss kein Coca Cola trinken oder Cheeseburger essen, um die USA zu mögen. Ich behalte meine Identität als Deutscher mit Bratwurst und Sauerkraut.

Ich liebe das, auch den deutschen Wein und das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Bier. Ich freue mich über deutsche Erfolge beim Fußballspielen, und zwar auch dann, wenn nicht alle Mitspieler in Deutschland geboren wurden. Es ist mir egal. Ich setze auf Anregungen und Vielfältigkeit, auf Geschmäcker und Augenweide, auf das Deutschsein als grandiose Lebensform der Möglichkeiten. Für mich und meine Kinder. Viva l´Allmagne!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selfie

Nein, ich mache da nicht mit, weiß aber durchaus, dass via Instagram ständig Millionen, vielleicht sogar Milliarden an Bildern durch die Welt segeln, die einen Hintergrund aufweisen und davor jemanden, der sich selbst vor diesem Hintergrund fotografiert hat. Diese Selfies sind Normalität geworden. Vor allem junge Menschen tauchen vor irgendwelchen bekannten Bauwerken, wie dem Brandenburger Tor auf, halten sich das Smartphone vor die Nase, schneiden Grimmassen und drücken ab. Dann beobachte ich meist auch junge Menschen in der U-Bahn oder S-Bahn, die in Endlosschleifen Bilder auf ihrem Handy ablaufen lassen, diese Flut gelegentlich anhalten, und dann weiter laufen lassen.

Mir scheint das langweilig zu sein. Den meisten Menschen aber offensichtlich nicht, sonst würden sie es auch nicht machen. Sie „liken“ und werden „gelikt“. Das ist der ganze Spaß und die Wertschätzung, die sie erfahren. Davon kann man offenbar nicht genug haben, also hat Instagram eine goldene Zukunft.

Merkwürdig finde ich allerdings den Begriff Selfie, nicht wegen des Amerikanismus, sondern wegen seiner Aussage. Selfie heißt, es geht um mich selbst. Es geht um mich selbst vor irgendetwas oder irgendwem. Ich stehe im Vordergrund. Es geht um mich. Mich sollen die Leute sehen. Ich bin so wichtig. Vor wem oder was ich dieses Bild als Hintergrund gemacht habe, völlig belanglos, sondern bestätigt wird nur, dass ich in der Lage bin, das Bild von mir dort zu machen. Naheliegend, dass in kurzer Zeit der Hintergrund nicht mehr authentisch ist, sondern Fake und ich echt. Kann ich da so sicher sein?

„Erkenne dich selbst!“ So forderte Chilon von Sparta. Wie soll ich mich Grimassen schneidend auf einem Selfie für Instagram noch erkennen? Das Bild ist auch nicht für mich, sondern für andere bestimmt. Erkenne ich mich selbst und mache dabei eine eigene gute Erfahrung, wenn Tausende das von mir gepostete Bild liken?

Ich vermute, dass ein Gefühl der Unvollkommenheit, des Verlustes und des Unbehagens bestehen bleibt, weil keines der Bilder mich so zu zeigen vermag, wie ich selbst bin, wie ich mich empfinde und wie ich eigentlich als Mensch mit all meinen Sinnen von anderen aufgenommen werden möchte. Aber vielleicht irre ich mich da, oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

CVJM

„Auf und mach´ das Banner Licht, ob das Wetter niederbricht, frisch hinausgeschritten, denn wir bleiben immer da, Christi junge Kämpferschar, er in unserer Mitten!“ So singend zogen wir als junge Kerle durch unsere Welt, organisierten Zeltlager, überfielen Pfadfinder, raubten ihnen ihren Wimpel. Diese überfielen wieder uns und raubten uns den Wimpel. Wir machten Kanufahrten und beteten, spielten miteinander, zelteten, unternahmen Fahrradtouren.

Wir waren Kameraden und hatten uns verabredet, zudem noch gute Christen zu sein. Es war eine herrliche Zeit. Die Lieder, die wir damals sangen, kommen mir heute komisch vor. Wir hatten Uniformen und Parolen. Wir sangen auch: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord …“. Es gab durchaus Lieder, die bereits bei der Hitlerjugend gesungen wurden.

Dies waren auch Vorbehalte, die zumindest in Deutschland gegen Jugendgruppen vorgebracht wurden. Natürlich sind sie nicht von der Hand zu weisen. Die Begeisterungsfähigkeit von Kindern und jungen Menschen kann immer missbraucht werden, von Ideologien und Religionen. Aber das Andere ist auch wichtig zu betonen, dass Gemeinschaften gerade jungen Menschen Gelegenheit geben, sich gemeinsam zu vergewissern, an Lebensstabilität zu gewinnen und außerhalb des elterlichen Einflussbereiches sowie der Schule, Erfahrungen zu sammeln und zu sehen, was das Leben so bietet. Deshalb haben Kinder- und Jugendgangs eine große Anziehungskraft, die derjenigen von religiösen Kinder- und Jugendgemeinschaften sehr ähnlich ist. Sie vermitteln Halt und Anerkennung. Sie sind aber auch leicht manipulierbar durch Erwachsene, die Begeisterungsfähigkeiten in die für eigene Interessen nützliche Bereiche lenken. Dem kann man nur bedingt durch Verbote begegnen.

Sinnvoll ist es vielmehr, die Organisationskraft und Möglichkeit von Kindern und Jugendlichen zu stärken, ihnen nicht nur im Bereich Sport, sondern auch in allen sonstigen Bereichen noch mehr Möglichkeiten zu eröffnen, als dies heute geschieht. Wenn wir der Verführbarkeit von Kindern und Jugendlichen entgegenwirken wollen, müssen wir Begegnungsstätten stärken, in denen Kontroversen ausgetragen werden können. Die Zeit im CVJM war für mich sehr wichtig. Zum Gotteskrieger bin ich aufgrund meiner Erfahrungen nicht geworden, aber es war schön, für etwas einstehen zu dürfen und daraus eine pragmatisch integre Haltung für den Alltag abzuleiten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ereignisse

Ereignisse sind Bestandteil unserer Lebenskultur. Es sind vor allem traurige und schlimme Er­eignisse, von denen in den Medien berichtet wird. Da uns alle diese Ereignisse gegenwärtig sind, kann ich darauf verzichten, Beispiele zu nennen. Die Darstellung der Ereignisse be­schränkt sich in der Regel nicht auf die Schilderung eines Sachverhalts, sondern wird ange­reichert durch Bilder und Bewertungen. Und das scheint mir ein Problem. Kann ein Ereignis objektiv beschrieben werden? Und was verstehen wir unter objektiv? Eine Distanzaufnahme im wörtlichen und bildlichen Sinne?

Wenn dies möglich wäre, folgte dann nicht sofort der Vor­wurf mangelnder Empathie durch den Empfänger der Nachricht des geschilderten Ereignisses? Das gilt für die schlechte Nachricht. Für die gute Nachricht gilt, dass ein großes Maß an Anteilnahme auch verdächtigt wird, zum Beispiel im verächtlichen Sinne als Gutmenschentun, wenn ich hier nur das Beispiel der Willkommenskultur für Flüchtlinge benennen darf. Es ist sehr zweifelhaft, ob ein Ereignis überhaupt einer objektiven Beurteilung zugänglich ist, weil nicht nur das Ereignis selbst meist mehrere Facetten aufweist und die Wahrnehmung eines Ereignisses vor allem abhängt vom Wahrnehmungshorizont des Adressaten.

Und da setzt oft eine gedankliche und emotionale Piraterie durch Andere ein, ob das die Medien, Politiker, Theologen oder Verschwörungstheoretiker sind. Jedes öffentliche Vorkommnis erfährt so eine kollektive Bemächtigung durch Einzelne oder Gruppen, die das Ereignis sezieren, filtrieren und manipulieren, so dass die vermeintlichen Wahrnehmungsadressaten keine Einschätzung des Ereignisses durch Selbstermächtigung mehr haben können.

Der Verstand und das Gefühl, die beide um das Verstehen eines Ereignisses in seinem Kerngehalt ringen, sind nun angehalten, ihrerseits die angebotene Schilderung zu überprüfen, abzugleichen mit Einstellung, Erfahrung und programmatischer Sicht. Nach den ganzen intellektuellen Anstrengungen, die damit verbunden sind, erscheint schlussendlich das Ereignis selbst nur noch eine Metapher dessen zu sein, was wir nicht mehr verstehen wollen oder können. Die Hilflosigkeit gerinnt in einem Satz wie diesem: „Die einen sehen es so, die anderen so.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erstarrung

Erstarrung? Die Welt ist in Bewegung, die Netze überlastet, Flugverkehr und Hochgeschwindigkeitsverhandeln von Finanzprodukten via Internet rund um die Uhr. Immer geschieht etwas und sei es auch an entferntester Stelle dieser Welt. Wir wissen es sofort und doch wirkt das uns überlassene Bild oft merkwürdig erstarrt.

Kriege, Krankheiten, alles präsent wie auf unserem Smartphone in tausenden, nein in millionsten Variationen und doch immer wieder die gleiche Pose, weltweit. Wie unsere Verhaltensweise erstarrt in globaler Gleichmacherei, erstarrt auch unsere Kultur.

Museen hinterfragen nicht unsere Einstellung, sondern zeigen uns das Gewesene. Konzerte und Opernaufführungen sind auch keine kulturellen Verbrauchsprodukte, sondern feine Speisen, die uns gelegentlich zur Erbauung vorgesetzt werden. Kunst und Kultur sind nicht in Aufruhr, sondern erstarren in Opportunitäten, Kommerz und Selbstbespiegelung. Die ökonomische Sinnhaftigkeit alles menschlichen Tuns untersagt ein Verhalten, das sich außerhalb der Norm stellt, ob im religiösen oder säkularen Bereich. Die Religion nicht infrage zu stellen, um Konfrontationen zu vermeiden, verhindert vielleicht eine gesteigerte Einsichtsfähigkeit in das Göttliche.

Kulturelle Dogmen nicht zu überwinden, gestattet auch ein flexibleres Denken nicht, das heißt ein Denken, dass über die eigene Perspektive hinausgreift. Es wäre vielleicht hilfreich für unsere eigene kulturelle Entwicklung in Europa, uns von afrikanischen Kulturen herzudenken und dabei Durchmischungen in der Interpretation und Hörweise von Musikwerken zuzulassen. Vielfalt verstört nicht, ist sicher anstrengend, aber lohnend.

Erstarrungen führen zu Besitzstandswahrungen, die Verlustsängste wachrufen. Man kann auf dieser Art und Weise Kulturen zu Tode verteidigen, bis von ihnen nichts mehr bleibt als die in sich erstarrte Selbstbehauptung. Diese Kultur erklärt nichts mehr, fordert uns nicht mehr heraus, sondern vergrößert allenfalls noch unsere Macht, einen Tauschwert für Anderes zu erlangen, das uns mehr bringt als Kultur: Eigentum und Besitz.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Abstammung

Ja, ich weiß, woher ich stamme,
ungesättigt gleich der Flamme,
glühe und verzehre ich mich …

So beginnt ein Gedicht von Friedrich Nitzsche. Wir Menschen sind nicht vom Himmel gefallen, auch kein Storch hat uns gebracht oder uns eine Mutter als „Neuling“ geboren. Wir stammen ab. Wir stammen ab von unseren Eltern, Großeltern und vielen weiteren Menschen vor uns. Das wird natürlich von uns allen zustimmend bestätigt und dann gleich ein Deckel auf diese Betrachtung gelegt mit den Worten, dass wir Menschen doch alle irgendwie miteinander verwandt wären, abstammten von Adam und Eva. Biologisch oder religiös mag das so sein, je nach Betrachtungsweise.

Darum geht es mir aber nicht. Ich möchte den Blick darauf lenken, dass die Abstammung nicht nur ein biologischer Prozess ist, sondern einer des Lernens und der Verantwortung, wenn man bereit ist, dies anzunehmen. Mit älteren Geschwistern ist man nicht nur blutmäßig verwandt, sondern steht mit diesem in einer sozialen Verbindung seit der Geburt, in der Erziehung, der Zuneigung und der Kontroverse. Von den Eltern lernen, heißt auch Verantwortung zu übernehmen für sich selbst und andere in der Familie. Die Geschichte der Eltern, ggf. auch Momente der Flucht oder der Vertreibung, der Heimat, des Aufgenommenwerdens durch andere Menschen sind Teil der Geschichte jedes Kindes.

Wie die biologische DNA ist auch die DNA des Erinnerns wesentlich für unser Leben und die Möglichkeit, verantwortlich für uns selbst, unsere Kinder, überhaupt die Gesellschaft zu entscheiden. Wir sprechen von entwurzelnden Menschen. Auch die entwurzelten Menschen haben die gleiche DNA des Erinnerns, wie diejenigen, die über Generationen hinweg den gleichen Flecken Erde als Heimat bezeichnen konnten. Sie werden sich dessen aber nicht mehr bewusst, haben vergessen oder keiner hat ihnen beim Erinnern geholfen. Sich erinnern, teilhaben an der Geschichte der Vorfahren und der Gemeinschaft aller Menschen ist aber wichtig für die Positionsbestimmung jedes einzelnen Menschen.

Das Erinnern ist nur durch einen Prozess des Erzählens machbar, denn Fernsehen, Rundfunk und sonstige Medien vermögen nicht, das persönliche und familiäre Erleben zu ersetzen. Auch, wenn moderne Medien oft den Eindruck erwecken, als wollten sie das Erinnern verallgemeinern, ist doch erkennbar, dass sich gerade junge Menschen gern an das Besondere erinnern wollen. Sie entwickeln ihre eigene soziale DNA, und zwar in der Hoffnung, dass andere, ggf. dann ihre Kinder diese wieder aufrufen können, wenn es soweit ist, den familiären Staffelstab weiterzugeben. Wenn dies eine gute Möglichkeit ist, das Erzählen zu bebildern und aufrechtzuerhalten, soll es mir recht sein.

Allen Menschen rate ich, ihren Kindern und Enkelkindern das zu erzählen, was sie selbst und ihre Eltern und Großeltern erlebt haben. Dieser Reichtum der Erfahrung wird den Generationen den richtigen und verantwortlichen Weg auch in die Zukunft weisen und verhindern, dass wir Menschen entwurzelt auf der Strecke bleiben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski