Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen kulturellen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Weltanschauung

Ob Husserl, Heidegger oder Sartre, immer, wenn ich von diesen oder anderen Philosophen lese, erfahre ich durchaus mit Erkenntnisschauer, dass sie sich auf eine für sie wesentliche Erkenntnismöglichkeit konzentrieren und alle ihre Wahrnehmungen darunter subsummieren. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar, denn ohne diese Beharrlichkeit würde es kaum gelingen, ein Phänomen wirklich zu erfassen und es durch Wahrnehmung zu erproben. Was ich hier sage, scheint für alle Philosophen und ihre Werke zu gelten. Es scheint aber nicht nur für die Philosophie, sondern auch für die Religion, ja für jede Alternative der Weltanschauungen zu stimmen. Aus Teilaspekten formt sich das Ganze, so könnte man meinen.

Ich glaube aber nicht, dass es so ist. Gegenstand jeder philosophischen, religiösen oder weltanschaulichen Wahrnehmung ist unser Leben in der Wirklichkeit und in der transzendentalen Welt. Zur Wirklichkeit zählt auch das Unwirkliche der digitalen Welt und die transzendentale Welt erfasst Parallelwelten, pure Sinnlichkeiten und das, was wir nicht wissen.

Alle Betrachtungen folgen einer Logik der Wahrnehmung, ordnend, kategorisierend und formatierend. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ein solche Betrachtung dem zu betrachtenden Gegenstand gerecht wird bzw. die Bilder, Ideen und Beurteilungen, die damit erzeugt werden, bestandskräftig sind. Alles, was wir sagen, denken und beurteilen, ist ausschließlich momentan, mutmaßlich ohne Geltungswirkung über diesen Augenblick hinaus. Kein Moment erscheint mir eindeutig und dies sowohl im wirklichen, als auch im transzendenten Sinne.

Wie in einem Kaleidoskop zerfällt bei jeder Drehung des Sehrohrs das soeben noch Wahrgenommene in etwas Anderes, was genauso substanziell ist wie der abgelaufene Moment. Es hat sich nichts verändert und doch ist alles gerade ganz anders geworden, nichts verändert bedeutet auch, die weiter gewanderten bunten Steine sind dieselben geblieben, nur hat sich das Muster verändert. Bei einem Sehrohr, das keine Steine enthält, bricht sich der Hintergrund auf eine besondere Weise, ohne dass er sich selbst verändert hätte. Auch der Späher hat sich nicht verändert, weder das Auge, noch seine Rezeptoren.

Und doch ist alles ganz anders, und zwar in jedem Augenblick. Im Augenblick der Betrachtung lauert bereits der nächste Augenblick, der alles in Frage stellt und damit jede Eindeutigkeit einer Aussage verhindert. Eine sichere Weltanschauung, eine eindeutige Religion oder philosophische Erkenntnis gibt es nicht. Jeder in ihr befangene Augenblick ist wahr und schon fragwürdig in seiner Absolutheit, wenn er wahrgenommen wird.

Der atomare Kern eines Phänomens, das gleichzeitig gar keines ist, enthält eine so enorme Lebenskraft, dass sie sich der Erkenntnis verweigert. So müssen wir uns damit begnügen, was wir zu sehen glauben, beurteilen und meinen. Das Schöne ist, dass wir vom Kern aller Wahrnehmungen eine Ahnung haben dürfen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ruhe

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;

so verrät uns der Dichter Johann Wolfgang von Goethe das Geheimnis der Stille. Dass das Ruhen der Beginn des Rasens sei, vermittelte uns in bleibender Bedeutung der Zeitungswissenschaftler Professor Emil Dovifat in einem Colloquium über die Bedeutung der Wörter die mit „r“ beginnen, wie rennen und rasen. Natürlich hat er recht. Ohne Ruhen bewegt sich nichts.

Bekannt ist auch die Ruhe vor dem Sturm, wobei unter Sturm nicht nur das meteorologische Phänomen gemeint ist, sondern auch die stille Ankündigung einer Aufregung oder eines Unheils. Ruhe und Ereignis stehen damit in einem Bedingungszusammenhang. Ruhe vermag zu verkünden, verfügt aber nicht unbedingt über Ausdehnung. Es gibt Phasen der Ruhe und auch der Entkopplung aus einem Moment und Einkopplung in den nächsten.

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, so verlangte es Graf von Schulenburg. Gemeint ist damit aber nicht die Ruhe als inneres Erlebnis, sondern das angeordnete Verhalten der Bürger. Auch, wenn die Begrifflichkeit stark changiert, je nachdem, wie sie genutzt wird, gibt es eine gewichtige für Menschen relevanten Kernaussage. Nur in der Ruhe liegt die Kraft.

So banal das klingen mag, ist doch gültig, dass nur die Ruhe die schöpferische, emotionale und geistige Kraft gewährt, um sowohl im persönlichen, als auch im gesellschaftlichen Bereich segensreich wirken zu können. Später werden wir einmal zur ewigen Ruhe gebettet, das allerdings ist dann keine selbstbestimmte Ruhe mehr, sondern ein Abschluss, in dem allerdings viele Theologen erst den Beginn des geistigen und manche sogar des körperlichen Lebens sehen. Wenn es sich so verhält, kommt der Mensch letztlich doch nie zur Ruhe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Präsenz

Über den medialen Overkill wurde schon viel geschrieben. Es wird geklagt, dass der Mensch nicht mehr verarbeiten kann, was ihm ständig in den Medien, per E-Mail, Zeitschriften und natürlich auch Büchern angeboten werde. Das soziale Netzwerk, das eine ständige Präsenz des Menschen anfordere, sei dabei noch eine weitere Unumgänglichkeit, die der Mensch kaum mehr verkrafte. Die Klagen sind sicher berechtigt, aber an dem Zustand selbst wird sich nichts ändern.

Problematisch wirkt sich allerdings aus, dass unsere menschlichen Kapazitäten kaum ausreichen, um die Datenflut zu verarbeiten und Entscheidungen zu treffen, die der Komplexität der medialen Angebote Rechnung trägt. Selbst der ordnende Sinn eines Menschen vermag nicht jeden erwogenen Gedanken festzuhalten, um ihn einer steten Prüfung unter verschiedenen Gesichtspunkten zu unterziehen. Gedanken sind flüchtig. Selbst das, was der Mensch notiert, abspeichert in seinen Internetordnern, muss immer wieder hervorgeholt und mit entwickelten Gedanken abgeglichen werden. Kann das gelingen?

Ein großer Wissensvorrat ist durch das Internet gesichert und entwickelt sich stetig weiter. Es ist verführerisch, dem sich vermehrenden Wissen zu trauen und zu behaupten, durch die Verfügungsmöglichkeit teilzuhaben an der Präsenz dieses Wissens. Den Umstand der Verfügbarkeit des Wissens ohne selbst steter Träger dieses Wissens sein zu müssen, empfinden wir als Entlastung. Doch die Freiheit, darauf zuzugreifen und die Methoden des Zugriffs zu kennen, führt allerdings auch zur Abhängigkeit vom Provider unserer Möglichkeiten.

Versagt der Provider, scheitert der Zugriff auf unser eigenes Wissen, welches wir in irgendeine Cloud ausgelagert haben. Deshalb sollten wir bedenken, dass unser Verstand, unser Unterbewusstsein und jeder weitere Resonanzraum in uns gelernt hat, zu arbeiten und uns Einschätzungen zu gewähren, die bezogen auf Wissen, komplexe Entscheidungen ermöglichen. Es steckt meist viel mehr in uns selbst, als ein Provider bieten kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Narrative

Ich erzähle für Dein Leben gern! Das ist eine der Kernaussagen des Projektes „Viva Familia“ der Ruck – Stiftung des Aufbruchs. Es geht hierbei nicht nur um das Erzählen von Fantasiegeschichten und Märchen, sondern um das Erzählen aus dem Leben, die Einkleidung unserer lebendigen Erfahrungen in Geschichten.

Oft werde ich gefragt, interessiert sich mein Kind für das, was ich aus dem Alltag zu erzählen habe. Ich antworte: „Ja, Ihre Lebensgeschichten sind wichtig für Ihr Kind, schafft den Bezugsraum für eigene Erfahrungen und vermittelt natürlich auch Sprachkompetenz.“ Alles ist erzählfähig und es ist wichtig, dies auch zu tun. Wir dürfen nicht allein Begrifflichkeiten abstrakt für uns sprechen lassen, sondern müssen diese einweben in Geschichten, die logisch sein können, aber auch große emotionale Kraft aufweisen. Oft nutzen wir nur Begriffe und vergessen dabei deren Bedeutung.

Auch von unserer Demokratie kann zum Beispiel leidenschaftlich erzählt werden. Die persönliche Begeisterung nicht von einem Despoten regiert zu werden, sondern sich auseinanderzusetzen mit anderen über einen einzuschlagenden Weg und dabei auch Minderheiten nicht zu vernachlässigen. Werden Begrifflichkeiten wie Demokratie, Rechtsstaat und Verfassung nur Behauptung, ohne ihnen erzählend einen emotionalen Sinn zu verleihen, ist es kein Wunder, dass den Menschen die Fähigkeit des Begreifens abhandenkommt.Wenn wir nichts erzählen, wie sollen dann die Kinder an unseren Erfahrungen, den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern teilnehmen und daraus eigene Handlungsoptionen ableiten?

Das Leben eines Menschen ist nicht begrenzt auf heute und jetzt oder die Zukunft, sondern schließt die ganze erzählbare Erfahrung der Menschheit mit ein. Nur so können wir selbstbewusst, tolerant und zukunftsfähig bleiben und eine gelassene Haltung bewahren angesichts der digitalen Blitzlichtgewitter in allen Medien. „Ich erzähle für mein Leben gern, um deines zu stärken, mein Kind.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Opfer

Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Ein terroristischer Attentäter rast mit einem Sattelschlepper dort hinein und tötet viele Menschen. Opfer. Und keiner spricht über sie. Medial und politisch ist vom Täter die Rede, seinem Unterstützerkreis, dem Terrorismus im Allgemeinen und was man tun muss, um unsere Gesellschaft davor zu schützen. Auch das Versagen der Sicherungsorgane, Polizei und Kriminalämter werden angeprangert und schließlich weitere Gesetze und Verordnungen gefordert, um terroristische Aktionen zu unterbinden.

Wir, die Deutschen, müssen geschützt werden, koste es, was es wolle. Der öffentliche Raum ist erfüllt von Vorwürfen und Forderungen Ausländer betreffend, die zu uns gekommen sind. Alle Verlautbarungen zu diesem Thema sind aufgeladen durch die schrecklichen Vorkommnisse auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Aber, kaum ein Wort von den Opfern. Wir wissen von den Opfern wenig. Dürre Hinweise auf ihre Nationalität, Polen, Israeli und Brandenburger?

Eine Gedenkveranstaltung und Blumen sowie Kerzen, aber alles im bescheidenen Maße. Wer ist denn Opfer des Anschlags, die Toten oder die Gesellschaft? Die Opferhilfe nach dem Opferschutzgesetz greift für die Toten nicht, sondern nur die Nothilfe aus dem gemeinsamen Topf der Haftpflichtversicherer. Ein Lkw ist kein Messer oder Knüppel. Wir sind als Menschen nicht darauf vorbereitet, Verletzte zu sein. Unser Leben, unsere Habe, alles zu verlieren. Und dabei war es noch gar nicht lange her, dass wir hätten lernen können Opfer wahrzunehmen: die Toten des Holocaust.

Aber, unter Vermeidung des Opferbegriffes versuchten wir unsere Schuld zu mindern und uns selbst als die Leidtragenden der Nazizeit zu bemitleiden. Unser Gedächtnis, d. h. das Gedächtnis unserer Gesellschaft ist da sehr lang. Opfer sein, ist unangenehm, störend und negativ besetzt. Auch in Strafprozessen spielen Opfer einer Straftat stets eine nebensächliche Rolle. Es geht um die Täter, die es abzuurteilen gilt. Junge Menschen bezeichnen oft diejenigen, die sie demütigen wollen, als Opfer. Keiner will Opfer sein. Die Eigenschaft, Opfer zu sein, stigmatisiert, zieht Unglück an. Opfer religiösen Fanatismusses werden bei Aufdeckung der an ihnen begangenen Schandtaten zudem noch Opfer weiterer Gewalt.

Die Opferspirale dreht sich weiter und verstärkt den Prozess der Aggression je deutlicher das Unrecht, welches man dem Opfer angetan hat, zutage tritt. Dem Opfer raubt man seine Würde. Diese ihm im Rahmen kollektiver Verantwortung wieder zurückzugeben, wäre der erste Schritt auf dem Weg zur Versöhnung und Anerkennung der stets drohenden eigenen Gefährdung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Alles Krimi oder was?

Meine Generation kann sich daran erinnern, dass Durbridge-Krimis früher die Straßen leerfegten. Sogar Studentendemonstrationen in Berlin wurden in den 60er Jahren von manchen verlassen, um rechtzeitig bei Spaghetti mit Tomatensauce und algerischem Rotwein am Samstagabend dem Kommissar zuzuschauen. Natürlich unvergesslich „Derrick“, „Liebling Kreuzberg“ oder Tatort-Krimis mit Götz George.

Und heute: alles Krimi oder was? Ich zumindest habe den Eindruck, dass es nur noch zwei Fernsehformate, abgesehen von Kochshows und Schnulzen gibt: Krimis oder Rateshows. Da ich grundsätzlich keine Lust habe, Privatsender anzuschauen, kann ich nur vermuten, dass auch dort nur Krimis, Rateshows und Superstarsendungen angeboten werden. Bei Rateshows schwitzt ein Großteil der Zuschauer mit, ob der Kandidat in der Lage ist, auch die absurdesten Fragen zu beantworten. Identifikation ist hier erwünscht und möglich.

Wie verhält es sich aber bei den Krimis? Die meisten Krimis, die ich in letzter Zeit gesehen habe, lassen die Seelenqualen der Kriminalisten und ihr gestörtes Sozialleben nicht nur erahnen, sie zeigen es sogar ausführlich. Es ist bald kein Unterschied mehr auszumachen zwischen Tätern und Verfolgern. Alles gestörte Menschen. Gehen die Macher dieser Produktionen davon aus, dass auch die Zuschauer gestört sind? Das muss man wohl unterstellen. Natürlich sind wir – die Zuschauer – schon einiges gewohnt an Reizüberflutung optischer und akustischer Art. Die Messlatte hängt daher recht hoch. Aber dürfen wir überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommen?

Gibt es außer den Verbrechen in unserer Gesellschaft noch irgendeinen geschützten Zuschauerraum, in dem wir uns vergnügen können? Gibt es so etwas wie eine Normalität? Welcher Zuschauer kann, nachdem er gerade einen Film gesehen hat, bei dem ein Kleinkind zu Tode gekommen ist und/oder eine Frau vergewaltigt oder jemand verstümmelt wurde, noch selig einschlafen?

Wir leben doch nicht fürs Fernsehen und müssen uns dennoch konditionieren, damit wir in der Lage sind, diese verqueren Krimiprodukte in den Abendstunden zu ertragen. Irgendetwas läuft da völlig schief und wir bezahlen zwangsweise noch diese Peinigung. Dass der Markt das will, ist eine billige Ausrede. Es geht um das Produktionsinteresse der mit den Sendern verbundenen Firmen. Diese Produktionen sind einfacher und preiswerter zu erlangen, als solche, die von unabhängigen Produktionsfirmen geschaffen werden.

Gäbe es Alternativen? Natürlich. Es gäbe genug Geschichten zu erzählen, die nicht beweihraucht und/oder verkitscht mit Europa und seinen Regionen und unseren sozialen Erlebnissen zu tun hätten. Kiez-Geschichten, aber auch solche, die sich mit Humor unseren Schwächen widmen. Das alles gibt es zwar auch, aber nach meiner Einschätzung in verschwindenden Maße. Wenn das mit den Krimis und Rateshows anhält, werde auch ich fordern, dass man mir meine zwangsweise eingezogenen Beiträge für das öffentliche Fernsehen wieder zurückgibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sammlung

Als Kind legte ich mir eine Postkartensammlung an. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war für mich die Postkartensammlung mein Guckloch in die weite Welt, die Motive vielfältig, natürlich vor allem Landschaften, aber auch Ereignisse, wie Radrennen und Vergnügungshöhepunkte. Anders als durch diese Postkarten hätte ich damals die Welt kaum kennenlernen können, vielleicht etwas träumen, aber nicht erwarten dürfen, dass dies jemals wirklich passiert. Viele Karten zeigten zudem eine Zeit und ihre Gewohnheiten, die es im Nachkriegsdeutschland nicht mehr gab, aber aufregend gewesen zu sein schien: schnelle Züge wie den „Rasenden Roland“ und Tanzveranstaltungen im „Wintergarten“.

Das Zeitfenster in die Vergangenheit versprach aber auch eine Zukunft und entstand stets vor meinen Augen neu, wenn ich meine Postkartensammlung wieder durchmischte und von Neuem betrachtete. Ich bin vielen Menschen begegnet, die sammeln: Postmarkensammlungen anlegten, natürlich aber auch Autos, Plastiktüten und Schnupftabakdosen horteten. Es gibt kaum etwas, was nicht sammlungsfähig ist. Die Motive können allerdings unterschiedlicher nicht sein. Manchen Sammlern – auch von großartigen Kunstwerken – geht es überhaupt nicht um die Kunst an sich, sondern um deren Wert. Andere wiederum sammeln Kunst, weil sie sich einer bestimmten Stilepoche verpflichtet sehen und nicht ruhen können, bis sie eine möglichst geschlossene Darstellung einer Zeit gesammelt haben.

Das Sammeln kann vom Ergebnis her geprägt sein, aber auch vom Prozess des Tuns. Wer sammelt, schafft an. Gleich einer Honigbiene vermehrt er den Nährstoff für sich und ggf. auch für andere. Das Sammeln von Geld gehört natürlich auch dazu. Selbst, wenn es Münzsammler gibt, denen es mehr auf die Münze als auf deren Wert ankommt, gilt Geldscheffeln auch als Teil eines Sammelprozesses. Sammeln ist nicht nur auf Gegenstände beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Erfahrungen, immaterielle Eindrücke oder ungegenständliche Körperlichkeiten im engeren Sinne, wie Männer, Frauen, Hunde oder Pferde. Nichts lässt die Sammelleidenschaft außer Acht und offenbart dadurch eine Haltung, die vielfältige weitere Aspekte aufweisen kann.

Es hat mit der Potenzierung der Machterringung über einen Gegenstand, aber auch über einen Körper zu tun. Sammeln signalisiert die im Prozess befangene Angst vorm Verlust eines Status, der durch das Sammeln erhalten bleiben soll. Sammeln kann idealistisch geprägt sein, aber auch anmaßend, zum Beispiel dadurch, dass zum Wohle der eigenen Sammlung die Sammlungen anderer geschmälert werden. Durch das eigene Sammeln kann der Verlust bei anderen mit einkalkuliert sein. Idealistisch gesehen bedeutet sammeln auch bewahren und erhalten, was sonst unter die Räder gelangen könnte.

Eine vollendete Sammlung wird zuweilen für den Sammler selbst zur Belastung, weil sie zu erstarren scheint und sich entweder keiner findet, der sie übernimmt oder der Sammler selbst sich von ihr nicht lösen kann. Der Sammler ahnt, dass im Regelfall auch seine Sammlung zum Beispiel von Kronkorken eine Endlichkeit hat, die spätestens mit seinem Tod eintritt. Die meisten vererbten Kunstsammlungen sind eine Belastung für die Erben und eine Sammlung von Hunden, Katzen oder Papageien kaum zoofähig. Kein Wort gegen Sammlungen: Deren Endlichkeit und Auflösung sollte allerdings mit bedacht werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Jazz

Siegfried Schmidt-Joos hat mit seinem jüngst erschienenen Buch „Die Stasi swingt nicht, ein Jazzfan im kalten Krieg“ mein Leben bereichert. Er tat dies, indem er nicht nur faktenreich die Geschichte des Jazz der Vor- und Nachkriegszeit beschrieb, sondern vor allem dadurch, dass er dafür sorgte, dass der Funken der Begeisterung von ihm auf mich als seinen Leser übersprang.

Schon etwas mit Wehmut bedauerte ich beim Lesen seines Buches, dass ich zwar seit meiner Jugend gelegentlich Jazz auch in den Berliner Jazzkellern und Einrichtungen wie Quasimodo und Quartier Latin angehört, aber niemals verinnerlicht oder begriffen habe. Jazz war immer schon durch AFM und Rias Berlin gegenwärtig, beeinflusste die Bedeutsamkeit von Gesprächen und war ein idealer Begleiter bei Alkoholgenüssen.

Natürlich kannten wir alle Louis Armstrong, wichtiger waren uns aber in den 50er Jahren Elvis Presley und in den 60er Jahren die Beatles. Als ich in den 60er Jahren als Austauschschüler in den USA lebte, hörten wir die Beachboys und Country-Songs, aber kein Jazz. Das mir vorliegende Jazz-Buch zeigt mir auf, was ich versäumt habe. Jazz nicht als Droge, sondern als künstlerische Konfession und politische Manifestation. Detailgenau zeichnet Siegried Schmidt-Joos den gesellschaftlichen Prozess auf, der durchlaufen werden muss, damit ein musikalisches Produkt entsteht, dass akzeptanzfähig und nachfrageorientiert ist. Siegfried Schmidt-Joos verdeutlicht, wie wichtig die Fans und Organisatoren für die Entwicklung des Jazz und seine Manifestation in der Gesellschaft sind. Es ist sein Verdienst, eine mögliche Eindimensionalität der Jazz-Erfahrung, die nur vom künstlerischen Schaffen her bestimmt ist, zu korrigieren und die vielfältigen Brechungen und philosophischen, musikalischen, politischen und gesellschaftlichen Spektren aufzuzeigen.

Irrungen und Wirrungen, nichts kommt bei ihm zu kurz, aber vor allem durchzieht sein Werk, welches sprachlich hervorragend lesenswert geschrieben wurde, eine emotionale Wärme, die Seite für Seite verdeutlicht, dass hier ein Jazz-Fan ans Werk gegangen ist. Er hat mich nicht nur überzeugt, sondern mitgenommen in seine Welt. Ich werde Jazz-Musik künftig ganz anders wahrnehmen dürfen. Ich freue mich darauf und danke dem Autor.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Heidegger

Die Gedanken dieses Titans der Philosophie übersteigen selbstverständlich mein bescheidenes Beurteilungsvermögen. Ich will mich daher auch nicht, um meine Unfähigkeiten zu kaschieren, an seinem Antisemitismus und seiner potentiell völkischen Gesinnung abarbeiten. Er war unbestreitbar ein großer Denker und hat der Philosophie Wunder der Wahrnehmung beschert.

Sein phänomenologischer Ansatz das Sein vom Seienden her sozusagen als triviales Grunderlebnis zu beschreiben und dabei einen Wahrnehmungskosmos zu eröffnen, ist wahrlich „herzbebend“. Ich weiß aber nicht, ob die Aufgabe des Idealen aus der Sicht seines Lehrmeisters Husserl ihn Seinswahrnehmungen erfahren lässt, die man insgesamt als komplett bezeichnen sollte.

Wenn das „Zuhandene“ zerbricht und damit das bloße „Vorhandensein“ verdeutlich, beginnt doch der „Seiende“ sofort wieder damit, das „Zuhandensein“ zu komplettieren und es nicht beim Zustand des „Vorhandenseins“ zu belassen. Unser Bewusstsein gibt sich als Gegenstand des Gebrauchs erst dann geschlagenen, wenn nichts mehr zu machen ist. Anderenfalls komplettiert unser Bewusstsein stets Vorhandenes und schafft dadurch wieder Gebräuchliches.

Diese perpetuelle Sinnschaffung ist nicht in Dingen an sich begründet, sondern in uns. Selbst wenn wir scheitern sollten, sehen wir bei Dingen des Gebrauchs mehr als das Vorhandene. Die Vorstellung dominiert letztlich doch das Sein, zumindest aus unserer Sicht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gott

Zumindest die drei großen Weltreligionen beanspruchen Gott für sich als Maßstab aller Dinge. Es geschehe auf der Welt nichts ohne den Willen Gottes. Die Wahrnehmung des einzigen Gottes hindert sie allerdings nicht daran, miteinander tief verstritten zu sein und sogar in Feindschaft zu leben. Das ist typisch menschlich, aber sicher nicht göttlich. Bringt man es auf den Punkt: Die Behauptung zu wissen, was Gott will und von uns erwartet, ist im höchsten Maße atheistisch.

Was für eine Anmaßung, Gott Eigenschaften zu unterstellen, die menschliche Qualitäten aufweisen. Was für eine Anmaßung, Gottes Willen zu verkünden und in die Sprache der Menschen zu übersetzen. Was für eine Anmaßung zu glauben, durch Zweifel Gott selbst in Frage stellen zu können. Alles, was den Zweifel, die Anmaßung und den menschlichen Nutzungsgedanken anbetrifft, ist in einem Programm zusammengefasst, was man gemeinhin Religion nennt.

Religion ist dabei allerdings nicht nur Opium für das Volk, sondern auch ein Ordnungsrahmen, der Sinn erklärt und Hoffnungen erlaubt. Religion ist menschliche Sachverwaltung. Mit Gott selbst hat das aber nichts zu tun, denn dessen Kraft und Herrlichkeit benötigt keine Interpreten, sondern erklärt sich selbst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski