Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen kulturellen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Lehrer-Lease – Personalagentur für Lehrer

Deutschland. Ein Land im Ausnahmezustand. Flüchtlinge und Migranten, Asylsuchende und hier bleibende Ausländer aus unterschiedlichen Ländern mit verschiedenen Kulturen und Sprachen. Darauf ist unser Schulsystem nicht vorbereitet, und zwar nicht nur wegen der Verständigungsmöglichkeiten. Viele Schulen sind überhaupt nicht in der Lage, diejenigen Lehrer einzustellen, die gebraucht werden, um fremde Menschen in der deutschen Sprache zu unterrichten und auch weitere Lernstoffe zu vermitteln. Wer beherrscht die Sprache? Wer verfügt über die dafür benötigte Zeit?

Die Heterogenität zwischen den bereits vorhandenen Schülern und den dazukommenden Schülern schafft weitere Probleme. Unser gegenwärtiges Schulsystem erlaubt es nicht, flexibel auf diese komplizierte Situation zu reagieren, vielmehr sind neue Reaktionsmöglichkeiten erforderlich. Die Einrichtung von Lehrer-Lease, also einer Personalagentur für Lehrer, würde es organisatorisch und inhaltlich schaffen, ad hoc und auf Zeit diejenigen Lehrer zu rekrutieren, die zielgenau erforderlich sind, um Unterrichtsstoffe dort zu vermitteln, wo entsprechende Nachfrage besteht.

Andererseits könnten auch neue Herausforderungen adäquat entsprochen werden. Das Lehrerpotenzial von Lehrer-Lease ist aus Lehrern zu gewinnen, die sich bereits in den Ruhestand verabschiedet haben, aber nochmals „ran wollen“, aus Junglehrern, die Lust haben, sich auszuprobieren und vielen Persönlichkeiten, die an neuen Erfahrungen und einem Jobwechsel interessiert sind. Es wird niemand ausgegrenzt, der lehrwillig ist, und zwar auch dann nicht, wenn er nicht über die übliche deutsche Lehrerausbildung verfügt. Sprachliche Qualifikation, pädagogisches Geschick und ein hohes Maß an Flexibilität zeichnet hier den erforderlichen Bewerber aus. Ist der Einsatz geglückt, kann daraus ohne weiteres auch eine Verbindung geschaffen werden, die dem Bewerber wie auch seinen Schülern eine neue Lebens- und Berufsperspektive gibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gehirntod

Beim Nachdenken über den Gehirntod kommt mir Erich-Marie Remarques Roman „Hunde, wollt ihr ewig leben“ in den Sinn. Der Körper ist unwesentlich, wird zeitlebens zerschlissen und schließlich auf dem Schlachtfeld zerfetzt. Was ist am Körper so wichtig, dass man ihn als Träger des Geistes bezeichnet? Was ist am Gehirn so einzigartig, dass man ihm die Entscheidungsmacht über unser Dasein zumisst. In jeder Körperzelle ist auch Gehirn. Überall können Köpfe wachsen, um zu denken.

Ich beschreibe dies in der Novelle „Befund!“ wie folgt: Dem armen Helden wächst bei seinem Irren über die Flure einer psychotherapeutischen Anstalt ein Kopf aus dem Bein, der selbständig zu denken beginnt und viel Verwirrung stiftet. Wer oder was muss hier tot werden, um unseren „Helden“ endgültig zu erledigen? Der matte alte Kopf, der keinen Ausweg mehr erkennt oder das denkende Beingehirn, das sich verselbstständigt hat? Was ich damit sagen will: Dem Gehirn wird als Substanz vielleicht zu viel Bedeutung beigemessen. Was juckt es das Gehirn als Denkorgan, wenn der Körper versagt und ihm Organe entnommen werden können. Als Körper aber durchaus, denn die Zufuhr an Traubenzucker und Sauerstoff wird unterbunden. Könnten wir beides stets gewährleisten, käme es also auf den Körper überhaupt nicht an. Das beschreibt aber nur das Körperliche des Vorgangs. Es erklärt nicht, was Geist ist und was Gehirn vermag. Was ist denn eigentlich Gehirn? Das Wesentliche? Und wenn es das Wesentliche ist, wird es dadurch beendet, dass Körper und Gehirn versagen?

Als ein naher Angehöriger starb, war sein Geist noch für ein paar Stunden im Raum. Auch ich habe es gefühlt und geahnt. Nähern wir uns dem Tod vom Leben her? Mich hat einmal ein Vortrag über die ägyptische Kultur überrascht, und dabei die Erkenntnis, dass man ihr nicht nur von Europa sondern auch von Afrika aus begegnen kann. Also: Wir haben einfach keinen Maßstab für eine abschließende Betrachtung unseres Gehirns entwickelt. Vom Tod her denkend könnte ich die Sinnhaftigkeit des Lebens besser einordnen und dem Gehirn eine ahnungsvolle Bedeutung zumessen. Das hat überhaupt nichts mit Spinnerei zu tun. Kann das menschliche Gehirn nicht ersetzt werden? Ist das Gehirn der spirituelle Nukleus unseres Seins? Metaphysisch tot, gibt es das überhaupt? Ist Wesen jemals tot? Ist Wesen jemals lebendig? Ist Wesen nicht überhaupt nur ein Zustand an sich und unserer armseligen Diskretion anvertraut?

Intensiv haben Geologen, Philosophen, Dichter und Mediziner sich mit allen Aspekten dieser und weitergehender Fragestellungen auseinandergesetzt. Dabei reißen sie Definieren, Geist, Seele und Leib auseinander, um sie dann wieder zusammenzuführen in dem Bestreben, nur nichts falsch zu machen, die Einheit der Anschauung zu bewahren. Das kann richtig sein, aber sind wir denn wirklich so wichtig? Ist es denn entscheidend für den Menschen, ob er gehirntot ist, wenn man ihm Organe entnimmt. Substantiell ja, aber vom Wesen her wohl eher nicht. Hat ein Körper Bedeutung, wenn das Gehirn physikalisch erledigt ist? Wohl eher doch, wenn man sich darauf verständigen könnte, dass jede Körperzelle ein Teil des Ganzen ist. Ich muss gestehen, dass ich Probleme mit meiner körperlichen Zerlegung von Todes wegen habe, dagegen nicht unter Lebenden. Wenn meine Angehörigen etwas benötigen sollten, zum Beispiel eine meiner Nieren, kein Problem für mich. Mit einer Niere kann ich weitermachen. Aber von Todes wegen bleibe ich, selbst, wenn das Gehirn nicht mehr in gewohnter Weise funktioniert, ein Ganzes.

Im metaphysischen Sinn gibt es wohl keine Gewissheiten, aber die Feststellung des Hirntodes durch einen Mediziner beruhigt die Familienangehörigen und Freunde. Jetzt kann man wirklich nichts mehr tun. Uns Menschen ist es besonders wichtig, nicht in der Schuld eines Toten zu stehen, wie natürlich auch der Tote möglichst keine ungeklärten Verhältnisse zurücklassen will. Die Menschen empfinden den Tod wohl als absurd, jedenfalls können sie ihm wenig abgewinnen. Ich dagegen meine, das Leben ist absurd, der Tod dagegen ein äußerst kreativer Akt der Purgation, lässt Neues zu und bietet vielen Menschen Gelegenheit, Geist und Seele ihrem „Schöpfer“ zur Musterung vorzulegen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wahre Zeit

Immer wieder erfahre ich, dass Journalisten im Internet für ihre Beiträge gedemütigt, beleidigt und sogar mit dem Tode bedroht werden. Dass Letzteres sogar öfters, und zwar nicht nur in Paris, auch umgesetzt wurde, offenbart, dass Sprache noch immer eine Macht bedeutet, der offenbar mit anderen Mitteln als der Vernichtung des Urhebers nicht mehr beizukommen ist. Dass die Urheber dieser Maßnahmen damit ihre eigene Machtlosigkeit unter Beweis stellen, scheint eher noch zu radikalisieren.

Es trifft allerdings nicht nur Journalisten, sondern auch Blogbetreiber, Gelegenheitsschreiber, Schriftsteller, Professoren und Politiker. Kurzum: Jeder ist einmal dran oder kann dran sein, wenn er den Mund auf macht, sich äußert zu einem Thema, privat, beruflich oder gesellschaftlich. Insbesondere die sprachlichen Pfeile aus dem Hinterhalt kennt auch jede Dorfgemeinschaft. Man nennt das „tratschen“. Die eigene Einsicht oder Haltung spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, maßgeblich ist es, den Prozess an sich in Gang zu bringen und sich durch Aggressivität zu profilieren.

Und dank Internet ist es leicht, Verbündete zu finden: Gemeinsam ist man stark, so jedenfalls der Glaube, bis der Frust einsetzt. Lohnt sich der Kampf, das Beleidigen und Beschimpfen derjenigen, die etwas schreiben oder sagen? Aus der Sicht derjenigen, die das tun, vielleicht. Folgende Geschichte: Eine Frau mittleren Alters sitzt jeden Tag am Fenster ihrer Parterrewohnung mit Blick auf eine viel befahrene Straße und mit Spiegeln links und rechts des Fensters. In diesen kann sie den Verkehr überblicken und alles aufzeichnen, was sich ereignet. Wer falsch oder zu lange parkt, beim Aus- und Einrangieren eines Fahrzeuges, ein anderes touchiert. Alles trägt sie mit Uhrzeit, Autokennzeichen und Vorkommnis in Stichworten in ein Buch ein, welches täglich anwächst und sie als Zeugin zum Beispiel wegen eines Verfahrens wegen Fahrerflucht in Betracht kommen lässt. Gleichermaßen werden in Zeitschriften, Zeitungen aber auch in Hörsälen Verstöße gegen angebliche Verletzungen von Objektivitäten, Gesetzen und sonstigen Wahrheiten gesucht und protokolliert. Das Protokoll setzt dann das Verfahren in Gang, in dem der Ermittler auch der Scharfrichter sein darf und das noch anonym. Welche Genugtuung. Um welche Wahrheit geht es allerdings, die da verletzt worden sein soll? Warum soll ich mir von anderen vorschreiben lassen, was ich lesen will oder zu lesen habe? Warum kann ich mir nicht fragwürdige Angebote textlich, visuell oder allein durch Hören unterbreiten lassen und auswählen, was mir zur Erfahrung genügt und was nicht? Die Wahrheit gibt es nicht. Es gibt auch nicht eine Wahrheit oder sogar eine halbe Wahrheit. Nichts ist wahr und es ist alles wahr. Alles, was mir zugetragen wird, sind Anregungen für meine eigenen Fähigkeiten, zu denken, zu fühlen und Entscheidungen zu treffen.

Daher bin ich jeder Zeitung, allen Medien und Professoren dankbar, dass sie sagen, was sie denken und fühlen. Mich bereichern viele Gedanken und Argumente. Die Autoren zu beleidigen und gar zu töten, ist auch ein schwerwiegender durch nichts zu rechtfertigender Eingriff in mein Leben als Adressat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mehlpfote

Jeder von uns kennt das Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Als der Wolf sicher war, dass die besorgte Mutter das Haus verlassen hatte, bestäubte er seine Pfote mit Mehl und behauptete gegenüber den im Haus verschanzten Geißenkin­der, er sei ihre Mutter und fraß sie auf, als sie öffneten.

„We love to entertain you“, so titelt ein großer Privatsender. Nicht nur im Me­dienbereich, sondern überall in der ganzen Warenwelt werden Menschen ähnliche Versprechungen gemacht. Irgendwie tut es uns gut, deren Stimme zu hören. Ein bisschen wollen wir es auch glauben. Jedenfalls erfahren wir durch Werbeankündi­gungen oft Trost, Wärme, Freundlichkeit, Geborgenheit, Schönheit, Abenteuer usw. usw. Das sind die Türöffner. Auch, wenn ein Rest Misstrauen bleibt, so sind wir doch derart besänftigt, dass wir die eigentliche Mechanik dieses Prozesse, d. h. die Botschaft, nicht verstehen bzw. auch nicht verstehen müssen, weil sie nicht so brutal verpackt ist. Die Botschaft lautet: Wir wollen euer Geld, wir wollen euch! Geld ist, so wissen wir, so erfahren wir es täglich, der wichtigste Teil des Menschseins. Wie Marx sagt: „Geld ist geronnene Arbeit.“ Etwas höchst persönli­ches, was ihm gehört, was er geschaffen hat, was er gespart hat, was ihm Möglich­keiten eröffnet. Derjenige, der vorgibt, uns zu unterhalten, will unser Geld. Er will uns verzehren, unsere Kraft, unsere Leistung, unser Vermögen nehmen, um sich zu stärken. Es ist ganz normal, weil es der Natur und dem Menschen entspricht: Er ist auf den Raubzug gegangen, hat seine mit Mehl bestäubte Pfote hingehalten, die Türe wurde geöffnet und der, der sich täuschen ließ, gefressen. Warum tut er das? Er tut es, um selbst stark und kräftig zu werden. Das liegt im System. Würde der Wolf seinen Hunger nicht stillen, müsste er hungern. Er würde sterben, ohne in die ewigen Jagdgründe einzugehen. So sterben Versager. Der Kapitalist will kein Versager sein und kämpft daher mit seinen Mitteln um die Beute. Sie wird ver­zehrt. Bemerkenswert ist, dass auch der Terrorismus auf einem kapitalistischen Prinzip beruht. Auch der Terro­rist gaukelt der Welt vor, es ginge um Befreiung, Gerechtigkeit, Spiritualität etc. So öffnet er Türen und verschlingt seine Opfer, um selbst stark zu werden und in die ewigen Jagdgründe der Seeligkeit einzugehen.

Gibt es Rettung? Der Wolf wird müde, er hat gefressen, er will ausruhen und wird überlistet. Mit Steinen gefüllt und in den Brunnen geworfen. Also: Der Kapitalis­mus überfrisst sich, wird träge und geht daran zugrunde. Der Terrorismus verendet an seiner Selbstbespiegelung. Um im Beispiel zu bleiben; der Wolf will sich im Wasser des Brunnen spiegeln. Aufgrund der Schwere verliert er das Gleichgewicht, stürzt ins Wasser und ertrinkt.

Kapitalismus und Terrorismus können mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden. Erfährt der Kapitalist, dass sein System der ständigen Ausbeute nicht funk­tioniert, weil er mehr verliert als er einnimmt, so wird er sich von diesem System schnell verabschieden. Z. B. könnte dem Kapitalisten abverlangt werden, dass er mehr Dividende auszahlt, als er einnimmt. Dann wäre der Kampf um „share holder value“ schnell erledigt. Hätte der Kapitalist keine Kunden mehr, wäre die Einsam­keit der Wölfe auch nicht mehr auszuhalten. Den Kapitalismus mit den eigenen Ködern fassen, hieße, ihn solange zu füttern, bis er platzt. Den Terrorismus mit den eigenen Waffen zu schlagen ist dann möglich, wenn das Opfer vor dem Täter nicht mehr zittert, sondern mit seinem eigenen Glauben erdrückt und dadurch dem Täter die Hoffnung auf das ewige Leben raubt.

Alle Beispiele und Mutmaßungen werden der Herausforderung mit ihrer ganzen Tragweite nicht gerecht. Ich will aber deutlich machen, dass die Fremdheit unterschiedlicher Lebensentwürfe nicht nur zwischen Religionen, sondern auch innerhalb unseres Wertesystems entscheidend dazu beitragen, dass ein Ausgleich zwischen unterschiedlichen Ansprüchen auf Selbstverwirklichung nicht mehr möglich erscheint.

In diesem Sinne bin ich mir in diesem Leben fremd. Ich will etwas bewahren, was ich nicht kenne, will etwas gestalten, was sich mir entzieht. Ich stehe mitten im Leben und bewege mich in der Gesellschaft. Es ist alles in Ordnung aber was ich vermisse ist der Erkenntniswille, der ernsthafte Versuch, selbst integer im Umgang miteinander zu sein und dadurch dem Kapitalisten und dem Terroristen eine Alternative zu bieten.

Wie steht es mit dem Terrorismus?

Auch gilt, dass darüber nachgedacht werden muss, den Terrorismus mit den eige­nen Waffen zu schlagen. Der, der Schrecken verbreitet, erfährt Schrecken, z. B. da­durch, dass er verhöhnt und lächerlich gemacht wird. Der Selbstmordattentäter als Witzfigur. Er wird exkommuniziert bzw. der geistliche Bannfluch gegen ihn ausge­spro­chen. Weiß er, dass er nicht mehr in den Himmel kommt, dann war das Op­fern umsonst. Wenn das Opfer vor dem Täter nicht mehr zittert, sondern ihn mit Glauben erdrückt und ihm dadurch die Hoffnung auf das ewige Leben raubt, dann verliert auch er die Lust zu sterben. Wenn er nicht sterben will, dann will er auch nicht mehr bomben. Welches Mittel letztendlich tauglich ist, kann niemand ohne Weite­res sagen. Wichtig ist allerdings, dass der Weg eingeschlagen wird, der aus dem In­neren des Prozesses führt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Täglich das Unmögliche tun

Nur, wer grenzenlos spinnt, ist in der Lage, das Resultat normativ zu ordnen. Diese Erkennt­nis drängte sich mir auf, als ich Anfang der 80er Jahre eine Ausstellung besuchte, die unter dem Motto stand „Täglich das Unmögliche tun“. Es wurden die Werke der Meister des Bauhauses u. a. Feininger, Schlemmer, Gropius präsentiert. „Spitze bleiben“ heißt, sich immer wieder neu finden und sogar zu er­finden, auf Entdeckungsreise gehen, neue Produkte zu entwickeln, von der Zukunft her den­ken und nicht rechthaberisch mit dem bereits erzielten unternehmerischen Erfolgen umgehen. Sind dies Binsenweisheiten?

Ja vielleicht. Es ist aber hilfreich, sich dies immer wieder vor Augen zu führen, sich zu spiegeln in den Möglichkeiten, die es auch noch gibt, die wir bisher aber nicht erprobt haben. Das war einer der Gründe, weshalb ich in Erinnerung an den Aus­stellungsbesuch Anfang der 80er Jahre und nach Aufnahme der bekannten Adlon-Rede un­sere Bundespräsidenten Roman Herzog – es soll ein Ruck durch Deutschland gehen – die Ruck – Stiftung des Aufbruchs gründete mit dem Ziel zu erfahren, welche Entwicklungen bei uns selbst durch Impulse ausgelöst werden können, auf die wir uns einlassen.

Es geht dabei nicht nur um die ganz großen Dinge, nein, sondern auch um die kleinen Möglichkeiten im Alltag, in der Familie und bei der Arbeit. Durch dieses Zulassen von Anregungen, Entwick­lungen durch Engagement entsteht Neues. Dabei spreche ich nicht von Projekten, sondern von Selbstverständlichkeiten und Produkten auch im philanthropischen Bereich.

Ehrbarer Kauf­mann, Social Responsibility, Good Governance, Complience. Alles dies sind Aufbruchsig­nale der Realwirtschaft mit dem Ziel, Verlässlichkeit zu schaffen, neue Erfahrungen zu schöp­fen und werteorientiert zu arbeiten, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein und dabei Gutes zu tun. Philanthropic Industries – ein Begriff, den ich geprägt habe – kommt bekanntlich von Industria und heißt so viel wie Fleiß und Betriebsamkeit.

Dies soll wegweisend sein für den gesamten philanthropischen Bereich, d. h. Produkte zu entwickeln, die wie in der Marktwirt­schaft ebenfalls Marktgeltung erlangen können, nachfrageorientiert und begehrenswert für andere Menschen sind. Es ist sinnvoll und zukunftszugewandt, dass wir auch unter diesem Gesichtspunkt die Energie-, Gesundheits- Pflege- und Betreuungsstrukturen analysieren, verändern und gekonnt ausbauen. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten, die auf unsere Zuwendung angewiesen sind.

Einige haben wir im Rahmen der Ruck – Stiftung des Aufbruchs selbst be­nannt, andere werden bereits angedeutet, aber soweit ich sehe, noch nicht umgesetzt. Ich bin überzeugt davon, dass unter den jungen Unternehmern schon etliche Meister von Morgen sind, ihren Vor­habenplan für enthusiastische Maßnahmen im Tornister haben und nur darauf warten, dass sie uns zeigen können, was auch noch möglich ist. Viele wissen, dass das Leben eine wunderbare lange Veranstaltung ist, aber auch einmalig. Nutzen wir daher unsere Fähigkeiten, unsere Leidenschaft und unsere Erfahrungen, ob wir jung oder alt sind, das spielt dabei keine Rolle und nehmen wir uns wechselseitig mit auf unsere Streifzüge durch die Galaxien der Fantasien, um gemeinsam Neuland zu betreten, Gebiete, auf denen es nach einer Generation schon wieder selbstverständlich sein wird, dass wir sie in Besitz genommen haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mein Feind ist mein Freund.

Hinter diesem scheinbaren Paradoxon verbirgt sich die Logik der Selbstbehauptung. Ohne den anderen, den Gegner bin ich nichts. Habe ich diese Gegner, dann muss ich mir um meine Selbstbehauptung keine Sorgen machen. Andernfalls konstruiere ich mir meine Gegner. Die Handlungsanweisung ist stets dieselbe, sei es der Streit zwischen Griechenland und der EU, der Konflikt der Ukraine mit Russland, die Brandherde im gesamten Nahen Osten oder z. B. Pegida.

Der konstruierte Feind befindet sich im Ausland oder auch im Inland und stellt in der Regel eine Minderheit dar, von der man zu Recht annimmt, dass sie sich leicht demütigen und beschuldigen lässt aber wenig Kraft aufbringt, sich zu wehren. Die Nazis waren da nicht wählerisch: Homosexuelle, Zigeuner (gemeint sind Sintis und Roma), Behinderte und schließlich auch Juden, zunächst mit etwas mehr Zurückhaltung im Inland, aber nach der Wannseekonferenz mit noch deutlicher Rigorosität im eroberten Ausland. Das diabolische an dieser Handlungsweise war, das eigene Volk zu domestizieren, einzuladen zum Mitmachen und dann die Handlungsanweisung zu übertragen auf die Völker anderer Staaten in zweierlei Absicht: diese einzuschüchtern, aber auch mitmachen zu lassen in einem siegergesteuerten Programm der Selbstbehauptung durch Denunziation anderer. Das ist menschlich, wenn auch nicht verzeihlich. Die Täterhaltung ist: Wenn ich andere dafür gewinne, ein bisschen mitzumachen gegen einen imaginierten Feind, werden diese auch Täter, sie kommen dann aus ihrer Verstrickung nicht mehr raus. Wer auch nur etwas, und sei es klammheimlich sich an diesen Ritualen der Feindesfindung und Selbstbehauptung beteiligt, muss wissen, dass seine Enttäuschung doppelt genährt wird: irgendwann geht der Feind verloren oder wird so mächtig, dass er den Spieß umdreht, jedenfalls wird über kurz oder lang aus der großen Flamme der Ich- oder Wir-Behauptung ein kleines Licht der Selbstentlarvung oder erlischt sogar völlig.

Wer Kriege führt und Menschen vernichtet, muss das Ende der Kriege und des Tötens bedenken, wer andere denunziert oder deren Teilhaberschaft an der Gesellschaft verhindern will, muss deren Macht fürchten, und zwar schon heute um seiner selbst willen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Und die Bibel hat doch recht?

Seit ein paar Wochen lese ich jeden Morgen einen Abschnitt in der Bibel. Mit dem Alten Testament habe ich begonnen. Ich weiß, dass es Gott gibt, auch wenn ich ihn nirgendwo verorten kann. Da es vermutlich nur einen Gott gibt, ist dieser zuständig für alle Menschen, ganz gleich welche Religion diese ausüben. Auch im Alten Testament ist von Gott ausgiebig die Rede, jedoch stelle ich zu meinem Erstaunen fest, dass die Menschen, zum Beispiel beginnend mit Adam und Eva, etwas unternehmen, um alsdann die Anerkennung oder Verdammnis Gottes zu ihren Tagen zu erfahren.

Dieses Verhalten ist zwar wenig erkenntnisorientiert aber trotz aller Trickserei erfolgreich. Die Bibel als Sitten- und Sozialgeschichte der Menschheit und als psychologisches Handbuch für den Tagesgebrauch. So hatte ich die Bibel bisher nicht gesehen, nehme es aber mit Verwunderung und Erstaunen wahr. Ich gestehe: ich muss oft herzlich lachen über den Erfindungsgeist in der Verschleierung von Begehrlichkeiten und Anmaßungen, in der Rechtfertigung von Fehltritten und Überhöhung von Banalitäten.

Wenn es unbequem wird, ist Gott dafür verantwortlich, wenn es gelingt aber auch. Der Vorteil: Der Mensch ist stets auf der sicheren Seite und kann je nach Opportunität Vorteile gewähren oder wieder nehmen. Dieses heitere, wenn auch zuweilen grausame Spiel mit sich selbst und anderen Menschen ist möglicherweise schicksalbestimmt. So sind wir halt.

Und keiner weiß, wofür es gut ist. Da helfe uns Gott. Wenn aber dieser Gott überhaupt nicht zur Verfügung steht? Wenn es jenseits unserer menschlichen Anmaßung ist, auf ihn Einfluss nehmen zu können? Ein Gott, der nicht darauf angewiesen ist, dass wir ihn anbeten, ihm Loblieder singen oder sein Handeln verstehen. Wird uns dann etwas genommen? Ich glaube nicht. Eine Kraft, die höher ist, als jegliche menschliche Vernunft ist das Sublimat umfassender Unabhängigkeit auch im Verständnis für alle unsere Schwächen und Unzulänglichkeiten. Deshalb lese ich die Bibel täglich mit großem Vergnügen, als Anregung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gravierender Kategorienfehler (Leserbrief an die „ZEIT“)

Leider begeht auch die ZEIT im zweiten Teil ihrer Serie zur Intelligenz den gravierenden Kategorienfehler, den erblichen Anteil an der Intelligenz bildhaft zu vergleichen mit erblichen Anteilen beispielsweise der Körpergröße.
Während die Körpergröße objektiv messbar zum Gegenstandsbereich der physikalischen Welt gehört, ist die Intelligenz ein Konstrukt auf der Wirklichkeitsebene der Phänomene, die überhaupt nicht vergleichbar wären mit denen der physikalischen Welt: Dieser Kategorienfehler ist noch gravierender als der, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, gehörten diese doch wenigstens noch derselben Wirklichkeitsebene an! Ein Konstrukt selbst kann man nicht objektiv wahrnehmen, ein Konstrukt ist ja letztlich die generalisierende Schlussfolgerung aus einzelnen beobachtbaren Datensätzen: So mag man objektiv beobachten, ob jemand ein Problem löst oder Aufgabenstellungen aus diversen Bereichen bewältigt; sodann kann man plausibel und stringent ableiten, dass diese einzelnen beobachtbaren Daten auf einem eventuell übergeordneten Faktor basieren, den man hier allgemeine Intelligenz nennen mag. Das wäre dann ein Konstrukt, das selber aber eben nicht empirisch nachweisbar wäre, lediglich ein allgemein über Kommunikation und Verabredung anerkannter Baustein eines theoretischen Modells darstellte. Nachweisbar wären bestenfalls die verbredeten Operationalisierungen eines Konstrukts, nicht aber das Konstrukt an und für sich.

Für Konstrukte kann es daher auch keinerlei Blaupausen aus dem Genom geben!

Mit „Intelligenz“ wird man also nicht geboren, auch nicht mit 50% davon- das wären unsinnige Aussagen. Man wird allerdings mit der Möglichkeit (!) geboren, problemlösendes Verhalten zu entwickeln, das man a posteriori als „intelligent“ bezeichnen mag – jedoch wissen wir ja: Das Zeichen ist nicht das Bezeichnete!

Außerdem möchte ich noch auf einen weit verbreiteten methodischen Irrtum hinweisen: Niemand, auch kein noch so renommierter Intelligenzforscher, hat je belegen können, wie stark der Einfluss der Gene an der Intelligenz eines Individuums sei. Auch die Behauptung, 50% der Intelligenz seien erblich determiniert – wie übrigens auch in der ansonsten lobenswerten ZEIT-Serie zum Thema Intelligenz geschehen (vgl. auch Abbildungssunterschriften) -, ist schlicht falsch. Richtig dagegen ist, dass es evidenzbasierte Wahrscheinlichkeitsaussagen, also Schätzungen gibt, die angeben, dass die Varianz (!) der Intelligenz zwischen untersuchten Gruppen (!) zu etwa 50% durch Gene erklärbar sei.
Das bedeutet auch, da man von keinem einzigen konkreten Menschen angeben kann, wie hoch der Anteil seiner Gene an der Höhe seines IQs sei, dass man auch durch die Ergebnisse der genetisch orientierten Intelligenzforschung nicht entlassen ist, Individuen möglichst effektiv zu fördern. Also können sich konservative Bildungspolitiker und -vermittler nur auf Pseudoargumenten ausruhen …

Dr. Reinhard Mario Fox

Ferien vom Ich (Teil 2)

In der Erziehung spielt die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen des Kindes eine entscheidende Rolle. Mit seinen Ansprüchen tastet es sich in das Leben vor. Aufgrund seiner Anlage tut es das aber nur mit dem einen Ziel, über Erfahrungen die Sicherheit zu erlangen, selbst zu gestalten. Hier ist die entscheidende Weichenstellung für künftiges Verhalten. Es ist zu beobachten, dass Eltern ihren Kindern diese Ansprüche rauben, indem sie ihnen jegliche Eigeninitiative abschneiden. Auch ist zu beobachten, dass Eltern ihren Kindern aus Bequemlichkeit oder aus Kalkül in jeder Weise nachgeben und somit dafür sorgen, dass der kindliche Anspruch die Dimension eines aufgeblasenen Luftballons erreicht. Ansprüche sind aber nicht nur dafür da, befriedigt zu werden, sondern schaffen auch Lebensmuster für spätere Daseinsgestaltung. Wenn ein Anspruch nicht befriedigt wird, führt das oft zu einer Klage darüber, die Eltern hätten dies in ihrer Kindheit auch nicht gehabt. Das setzt sich dann fort in einem Jammern darüber, wie schlecht es einem doch ginge und dass es daher eine Unverschämtheit wäre, wenn jetzt nicht die Dinge zu ihren Gunsten geändert würden. Das Kind, welches die Zusammenhänge nicht zu erkennen vermag, lernt daraus, dass es eine Alternative im Leben gibt: nicht an der Selbst- verwirklichung zu arbeiten, sondern klageweise all das zu erzwingen, was einem scheinbar vorenthalten wird. Klagen muss aber nur derjenige, der passiv ist. Der aktive Mensch kommt überhaupt nicht auf die Idee zu klagen, denn dies würde offenbaren, dass er nicht dazu fähig wäre, sich zu organisieren, mit Anderen zu gestalten und sich in seinem Leben zu verwirklichen. Wer nicht klagt, hat Mut. Er arbeitet an der Beherrschung seines Lebens, bleibt gesund und freut sich jeden Tag. Wer gestaltet und verändert, schwimmt gegen den Strom und hat mächtige Schwierigkeiten: Zum einen sind sämtliche Regularien, Gesetze und Verordnungen in der Regel nicht seine willkommenen Wegbereiter, jedenfalls soweit sie seine Selbstinitiative abschneiden. Aber auch Menschen, die klagen und Ansprüche stellen, können ihn nicht leiden, können nichts mit ihm anfangen und bezichtigen ihn des Verrats. Unter Klagenden und Leidenden ist man gerne einer Meinung und versucht, weitere Verbündete zu gewinnen. Jede Freude am Leben ist verdächtig, jeder Jauchzer ein Verrat an der gemeinsamen Misere.

Unsere Gesellschaft ist deshalb krank, weil sie auf Anspruchsdenken beruht. Diejenigen, die das System verteidigen, führen an, dass eine im Unglück solidarische Gesellschaft eher legitimiert sei, als eine Gesellschaft von Idealisten, die nach Selbstverwirklichung streben. Eine derartige Ansicht unterstellt, dass diejenigen, die sich im Leben verwirklichen wollen und auch daran arbeiten, grenzenlose Egoisten seien. Ich glaube, dass dies nicht der Fall ist. Ich bin davon überzeugt, dass diejenigen, die sich verwirklichen, vor allem geben und nicht nehmen. Sie warten nicht auf den nächsten Schritt anderer, sondern geben permanent, weil dies ihrem Lebensmuster entspricht. Sie sind überhaupt nicht daran interessiert, sich stets selbst zu betrachten, sondern schauen darauf, welche Möglichkeiten sich ihnen bieten, um ihren Tatendurst zu stillen. Es gibt nur ein großes Problem: In jeder Gesellschaft müssen sie kooperieren mit denjenigen, die kollektiv oder individuell Ansprüche stellen, die nur klagen und die Teilhaberschaft an ihrem Unglück einfordern. Dies stellt eine enorme Belastung dar, raubt Kräfte und führt oft zur Lähmung und zum Stillstand auch der interessantesten Projekte. Selbst dort, wo engagierte Menschen selbstlos tätig sind, begegnen ihnen Misstrauen und Unverständnis. Eine Gesellschaft, die in erster Linie klare Kompensationsrituale hat, vermag nicht zu verstehen, dass Einzelne gerne geben und nichts dafür wollen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ferien vom Ich (Teil 1)

Als ich fünfzehn Jahre alt war, fiel mir ein Gedicht von Friedrich Nietzsche in die Hände, das ich zu meinem Lebensmotto machte:

Ja! ich weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich
Licht wird alles, was ich fasse
Kohle alles, was ich lasse
Flamme bin ich sicherlich.

Die Orientierung an diesen Worten entsprang in meinem bisherigen Leben dem Bedürfnis prägend zu sein, fest überzeugt davon, dass wir auf die Welt gekommen sind, um etwas zu tun und nicht in erster Linie etwas zu verlangen. Das Bedürfnis an Orientierung wurde verstärkt durch die Lektüre von Hermann Hesses „Narziss und Goldmund“. Alsbald wollte ich Goldmund sein und war davon überzeugt, dass ich auf einer Sommerwiese geboren wurde.

Das Leben ist schön und in jedem Falle eine Herausforderung. Wir sind geboren worden in der Erwartung unserer Eltern, dass wir etwas schaffen, gegebenenfalls über sie hinauswachsen, Dinge verbessern. Wir sind in der Welt, um in diesen Jahren bewusster Gestaltungsmöglichkeiten alles zu geben.

Jedoch bereits recht früh kommen wir mit etwas anderem in Berührung, und zwar den beengten Verhältnissen, den Schwierigkeiten, vor allem aber den Ansprüchen und den Klagen. Die Schwierigkeiten, unter diesen Umständen Leben zu entwickeln, darf man nicht kleinreden. Das gewöhnliche und außergewöhnliche Anspruchsverhalten und das Klagen vieler Menschen sind differenziert zu sehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski