Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen kulturellen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Romantik

Romantik ist einer der starken Nenner in unserer Gesellschaft – zum Glück nicht ganz fassbar – jedoch lebendig. Hier treffen sich Künstler aus Ost und West mit ihren Fragen nach der Zeit, Fragen nach Werten in unserer Zeit.

Mit der Romantik gehen wir erstaunlich vorsichtig um. Diese Zurückhaltung scheint in der Sehnsucht und in der Erinnerung an eine verborgene Substanz im Menschen begründet. Holen wir die Seele hervor, erfahren wir Neugier und Fantasie, lassen wir Hemmungen und Vorbehalte fallen!

Sind solche Wünsche merkwürdig? Was verraten sie über unseren Seelenzustand?

Diese Grußworte stellte ich einem Buch voran zu „Berliner Romantik, Orte, Spuren und Begegnungen“, welches ich im Oktober 1992 über ein Fest, das ich im Palais am Festungsgraben, dem Künstlerclub „Die Möwe“ und im Schauspielhaus mit Lesungen, Theaterstücken, Konzerten und künstlerischen Projekten veranstaltete, veröffentlichte.

Romantik als Nenner einer Stadt, die noch völlig ungeübt darin war, zusammenzufinden, aber sich auf der Suche nach Gemeinsamkeiten befand.

In meiner Ansprache vom 30.10.1992 zur Eröffnung dieses Festes führe ich dazu unter anderem aus:

„Warum Romantik? Ich gestehe, es ist keine Zufälligkeit. Ich könnte einen weiten Bogen spannen. Es hat damit zu tun, dass ich mich noch erinnern kann an Märchen der Kindheit, dass ich versucht habe, mir Empfindsamkeit zu bewahren, trotz aller Hektik und Geschäftigkeit, die Freude an Stimmungen und Gedichten zu erhalten. In der Zeit großer Leselust fiel mir auch in die Hände das Büchlein von Christa Wolf und Gerhard Wolf „Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht Gesprächsraum Romantik, Prosa und Essays.“ Ich bin mir sicher, das hat dann den Ausschlag gegeben, zu erfahren, wie die Romantiker, also diejenigen, die sich mit ihr früher beschäftigten und heute befassen, Zeitgefühle zusammenführen und dabei Grenzen überspringen.

Romantik in Schwaben, Romantik in Jena, Romantik in Berlin. Stadtromantik Berlin bedeutet eine kraftvolle Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Musik, der Literatur und der Kunst am Anfang des letzten Jahrhunderts in Salons, auf der Straße und in Briefen. Ich erinnere an Bettina von Arnims „Frühlingskrank – Briefe an den Bruder“, „Briefe des Kindes an Goethe“ und „Briefe an den König“. Ich erinnere an Achim von Arnims „Mir ist zu licht zum Schlafen“. Ich erinnere an Rahel Varnhagens Briefwechsel usw. Gerade diese Briefe zeigen, dass die Romantiker nicht selbstversunken waren, sondern aktuell auf Tagesgeschehen reagierten, mutig und entschieden, wie Bettina von Arnim, die Obrigkeit herausforderten, sich aber auch offenbarten in ihren persönlichsten Empfindungen. Sie schämten sich ihrer Gefühle nicht.“ … „Romantik als ein starker Nenner in unserer Zeit, Romantik als ein starker Nenner in dieser Stadt, ein Nenner, in dem sich Künstler aus Ost und West zu den Fragen mit uns treffen können, die uns heute in ungeheurem Maße beschäftigen und auf die eine Antwort oft so verschlossen scheint: Wie nah ist uns das Fremde? Wie fremd ist uns die Obrigkeit? Wie neugierig macht uns das Leben? Fragen nach der Zeit, Fragen nach den Werten unserer Zeit.“

Das Stadtfest erfreute sich großer medialer Aufmerksamkeit und lockte mit rund 60 Veranstaltungen über 2.500 Besucher an.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Urknall

Goethe wollte sich selbst befragend wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Substantiell können Forscher dies heute sicher nachweisen. Weitgehend sind die Forscher inzwischen auch mit ihren Analysen in den Weltraum vorgedrungen und können das interstellare Gefüge so beschreiben, dass auch hier jedem eine Ordnung vermittelbar ist.

Es soll einen Urknall gegeben haben und dann stoben Partikel in einen unendlichen Raum, gestalteten Galaxien und verantworteten nicht sichtbare Materie, weil deren Gravitation so schwer war, dass sie selbst das Licht verschlungen hat. Das Universum vermessen wir nach Lichtjahren und machen es nach unserer Einschätzung einigermaßen gefügig. Selbst Hawkings hat schon über Parallelwelten spekuliert, die allerdings ähnlichen Gedankenmustern gehorchen müssen, wie die Welten, die wir als erfassbar begreifen.

Sehen wir jedoch einmal davon ab, was uns der Mystizismus anbieten könnte und unterstellen wir die Wirksamkeit des Urknalls, müssen wir uns doch eingestehen, dass wir überhaupt nicht einschätzen können, was diesen Urknall zwingend ausgelöst hat und wie der Raum tatsächlich beschaffen ist, in dem sich seither das gesamte Spektakel vollzieht. Alles, was wir wahrnehmen können, beruht auf unseren Annahmen, unserem Verständnis von Zeit und Raum und unserer Sucht nach Erkenntnis, die die eine Erkenntniswahrscheinlichkeit zwingend zur Folge hat.

Wenn sich im Nichts sämtliche Phänotypen des Etwas verbergen, stellt sich uns unwissenden Menschen die Frage, warum sich das „Nichts“ uns mit „Etwas“ offenbart. Aus menschlicher Sicht wäre auch denkbar, dass wir gleichzeitig das Nichts und das Etwas wahrnehmen und nach Opportunitätsgesichtspunkten verteilen. Solange wir selbst die Maßstäbe für unsere Weltenerfahrungen setzen, werden wir stets mit etwas bedacht werden, das dem undefinierbaren Nichts völlig unbedeutend, aber uns existenziell wichtig sein könnte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Religion

Seit einigen Jahren lesen meine Frau und ich jeden Morgen in der Bibel. Wir wollen ein Verständnis für Religionen entwickeln, Anregungen oder Bestätigungen erfahren. Wir sind offen für alle Aussagen und halten uns mit Wertungen zurück. Überraschend, aber für Kenner nicht neu ist dabei, dass Geschichten und Geschichte erzählt werden, die zeitlich verschoben, zeitlich ungenau, aber im Wesen beispielgebend das Ringen der Menschen um ein Verständnis Gottes aufzeigt.

Wir sind bei unserer Lektüre nach einem langen Weg bei Hiobs Klagen über sein Schicksal angelangt, dass er, der stets gerecht sei, von Gott mit körperlichen Gebrechen geschlagen werde. Elihu, einer seiner Freunde, antwortet ihm und gibt zu bedenken, dass kein Mensch Gottes Gunst erringen, vor ihm gut oder schlecht sein könne, weil es an sich anmaßend sei, Gott irgendwelche Eigenschaften zuzuschreiben und ihm gegenüber Erwartungen zu hegen, die auf menschlichen Einschätzungen beruhen.

Ich komme ins Grübeln. Wenn Gott das Unbegreifliche, das Unbenennbare, das Unmessbare, das Unwägbare und menschlich Unerreichbare ist, wieso glauben wir dennoch, wir könnten ihm durch unser Verhalten gerecht werden? Mir kommt dabei die Proklamation eines Gottesstaates in den Sinn oder die zehn Gebote, die Gott Moses aufgetragen und irgendwelche Schlachten, die er angeblich siegreich begleitet und auserwählte Menschen ertüchtigt haben soll.

Wenn wir einerseits Gott zutrauen, alles zu sein, wie können wir dann seine Herrschaft mit einer Religion begründen? Religionen scheinen mir Verabredungen zu sein, die Menschen in bestimmten Regionen oder Situationen miteinander eingehen und damit Ziele verfolgen, die entweder unserem Leben auf Erden einen Sinn geben oder die Sinnlosigkeit des irdischen Lebens erklären sollen, die Regeln und Moral Autorität verleihen, die Menschen beschwichtigen und trösten.

Eine wichtige Aufgabe von Religionen ist es, den Menschen zu erzählen, dass sie mehr sind als Haut und Knochen und mit ihrem Tode nicht alles vorbei sei. Interessanterweise sind unter Disposition dieser spirituellen Jenseitsverheißung die Menschen dabei, mittels Genveränderungen, Zellerneuerungseingriffen und sonstigen lebensverlängernden Maßnahmen Versuche zu unternehmen, eine durchaus reale menschliche Ewigkeit entweder auf diesem Planeten oder auf einem anderen zu schaffen. Dies könnte sich als Bedrohung aller Religionen erweisen, die das Jenseits aufgrund Gottes Macht bereits auf Erden als entscheidend für unsere ewige Existenz begreifen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Subjekt – Objekt

Ob wir Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Platon, Schopenhauer oder die Religionsstifter befragen, stets bekommen wir ein abschließendes Urteil, das zwar Zweifel zulässt, aber einbindet in gewonnene Erkenntnisse.

„Aber was ist der Mensch im Kreise des Ions, ein Alles oder Nichts, ein fast verstummter Ton? Wer verbirgt sich hinter Leuchtreklamen? Wo ist der Gott, der sich dir selbst verlieh? Gott und Teufel haben gleiche Namen, die Wahrheit Mensch erfährst du nie.“

So erfinde ich mich in jeder Reflexion über mich selbst, die Natur, andere Menschen und alle Dinge an sich immer wieder neu zu meinem passenden Zweck. Unerschöpflich ist so das Begreifen, der Zweifel und der Irrtum.

Wir wissen nichts, sondern nur das Bemühen um Wissen verschafft uns Energie, Freiheit und Erfahrung auch da, wo eine Vollendung der Erkenntnis versagen muss. Wir sind zwar, was wir sind, aber dabei auch etwas, das wir nicht begreifen können. Finden wir uns damit ab.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vertraut sein

Wem kann ich vertrauen? Von dieser Frage hängt im Leben aller Menschen viel ab. Die gesamte Werbung ist auf Vertrauen aufgebaut und auch unser persönliches Werben um andere Menschen, die uns nahe sind oder uns näher kommen sollen. Oft bleibt uns Menschen nichts anderes übrig, als zu vertrauen, denn Vertrauen schafft zumindest Hoffnung.

Es gibt Momente, die das Vertrauen rechtfertigen, aber rechtsverbindlich wird es dadurch nicht. Vertrauen beruht nicht auf Anspruch, sondern auf Gewährung und setzt darauf, dass derjenige, der Vertrauen begehrt, souverän im Interesse des Vertrauenden handelt. Er muss großzügig, aufklärend und verantwortungsbewusst damit umgehen können.

Trotz des sorgsamen Umgangs mit gewährtem Vertrauen, muss der Vertrauensnehmer einkalkulieren, dass das in ihn gesetzte Vertrauen objektiv nicht gerechtfertigt war. Dann muss er nach Lösungen suchen, um dem Vertrauenden Genugtuung ggf. Kompensation und Ersatz zu verschaffen.

Was in wirtschaftlichen Funktionszusammenhängen Erfolg haben mag, scheitert meist in persönlichen Beziehungen. Eine gestörte Vertrautheit, die auf Verabredungen beruht, ist nicht kompensierbar. Eine letztgültige Vertraulichkeit zwischen Menschen scheitert schon an ihrer Behauptung. Nähe beruht auf Souveränität und Achtsamkeit. Durch Nähe wird das Maß an Fremdheit bestimmt. Je detaillierter diese erarbeitet wird, desto geringer wird die Fremdheit und rechtfertigt Vertrauen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gehirn

Was ist am Gehirn so einzigartig, dass man ihm die Entscheidungsmacht über unser Dasein zumisst? Was vermag denn das Gehirn, wenn der Körper versagt? Wenn die Zufuhr an Traubenzucker und Sauerstoff unterbunden ist, hat das Gehirn ein großes Problem. Das ist die substantielle Seite dieser Abhängigkeit, erklärt aber nicht, was Geist ist und was das Gehirn vermag. Wenn es mehr ist, als nur Substanz, dann können wir dem Gehirn eine ahnungsvolle Bedeutung zumessen, die nicht allein von der Funktion bestimmt wird. Wenn das Gehirn nicht nur körperlicher Funktionsträger ist, dann vielleicht der spirituelle Nukleus unseres Seins?

Den körperlichen Tod gibt es, aber wie steht es mit dem metaphysischen? Kann Wesen jemals tot sein? Ist Wesen nicht vielleicht ein geistiger Zustand an sich und unserer Diskretion anvertraut? Wir kommen uns, d. h. unserem Gehirn nicht gänzlich auf die Schliche. Wir reißen, definieren Geist, Seele und Leib auseinander, um sie möglichst schnell wieder zusammenzuführen, in dem Bestreben, nichts falsch zu machen, unsere Identität zu schützen.

Ob das richtig oder falsch ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Auf viele Körperteile vermögen wir zu verzichten, auf unser Gehirn nicht. Versagt es, wird der Gehirntod festgestellt und dann ist es aus mit dem Menschsein. Ist das so richtig? Ich wage das zu bezweifeln. Unser Sein endet nicht, wenn unser Körper aufgegeben hat und selbst dann nicht, wenn Ärzte den Hirntod feststellten, sondern erst dann, wenn der Mensch nicht nur seine Körperlichkeit, sondern auch sein Wesen verlassen hat. So ist es erklärbar, dass „fast Tote“, die zum Leben zurückfinden, sich als Sterbende selbst von außen betrachtet haben und die Anwesenheit eines gerade Verstorbenen, oft noch längere Zeit im Raum wahrgenommen wird.

Viele Menschen empfinden den Tod als absurd. Ist das so? Das Leben mag absurd sein, der Tod könnte dagegen ein äußerst kreativer Akt der Purgation darstellen, denn Neues entsteht und bietet Menschen Gelegenheit, sich in ein allumfassendes Gewesensein zu verabschieden. Religionen schaffen es nicht mehr, Menschen einen religionsspezifischen allumfassenden Himmel zu bieten. Vielleicht gelingt es aber, sich darüber zu verständigen, dass der Mensch immer bleibend die Matrix seines Lebens geprägt und zum Nutzen aller vergeistigt hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Partizipation

Im Zuge der Inhaltsfindung für den künftigen Sinn des Humboldt Forums im Berliner Schloss schlug ich vor, dieses zu einer Begegnungsstätte der Bürger auszugestalten, mit dem Ziel, einer in größerer Runde aktuelle Themen zu behandeln, dabei auch Vorschläge für unser Zusammenleben zu erarbeiten und diese dann in einer Art Contrat Social zu verabschieden. Ich stieß auf Zustimmung, unter anderem durch den früheren Umweltminister und Afrika-Beauftragten Klaus Töpfer, aber auch auf Skepsis und Ablehnung aus der Kultur- und Stadtpolitik. Die Ablehnung war leicht durchschaubar.

Man wollte das Humboldt-Forum künftig zu Museumszwecken nutzen und wollte darin auch ein partizipatives, weil aufklärerisches Moment sehen. Der Museumsbesucher würde sich mit den Kulturen der Welt auf eindringlichste Art und Weise durch den Besuch von Ausstellungen, Gesprächen und sonstigen Veranstaltungen auseinandersetzen.

Dass dies sehr begrüßenswert ist, will ich überhaupt nicht in Frage stellen. Diese Argumentation verkennt allerdings völlig die Notwendigkeit, dass zur Sicherung unserer Kultur und unserer Demokratie eine Bürgerbeteiligung außerhalb der Wahlen unabdingbar ist. Wir sehen leidvoll, dass Themen, wie Migration, Heimat, städtische Prioritäten, kulturelle Anliegen, Klimaschutz, Gesundheit und digitale Vernetzung fast ausschließlich in Fachkreisen und in politischen Gremien diskutiert werden, aber nicht in Bürgerformaten, wie zum Beispiel Bürgerparlamenten oder Bürgerversammlungen, in denen durch Selbstermächtigung auch diejenigen Bürger zu Wort kommen, deren Rechte meist nur hypothetisch bestehen oder sich in Fragerechten erschöpfen. Meinungsumfragen können zudem die Möglichkeiten wirklicher Bürgerbeteiligungen nicht ersetzen.

Man muss diesen Partizipationsmodellen noch nicht einmal normative Kraft beiordnen, um die Legitimität der daraus gewonnenen Ergebnisse anzuerkennen. Ich nehme wahr, dass mangels geeigneter Alternative sich solche Bürgerforen leider auf die Straße verlagern und als abschreckende Beispiele für bürgerliche Partizipation herhalten müssen. Aber gerade darin, dass dies geschieht, liegt das vorstehend von mir beschriebene Versäumnis unserer Gesellschaft.

Die Menschen wollen ihren Gedanken einen Ausdruck geben und finden dafür keinen anderen Ort mehr, als die Straße. Die Straße ist indes völlig ungeeignet ein Bürgerforum zu bieten. Ein kontinuierlicher Prozess der Gestaltung findet dort nicht statt, sondern das eigentlich Beredenswerte erschöpft sich in Demonstrationen und emotional vorgetragener Meinungen, die medial aufgeheizt die Politiker zum Handeln zwingen sollen. Diese reagieren mit Betroffenheit, gelegentlich Verständnis für diese Meinungen und schließlich bei einem Übermaß an Wahrnehmung vermeintlicher Rechte mit Gewalt.

So kann aber Partizipation nicht gelingen, weder in einer Meinungsdiktatur, noch in politischer Besserwisserei. Zudem besteht die Gefahr, die wir durchaus erkennen, dass Aufwiegler, Spinner und Opportunisten sämtlicher Couleur dieses Defizit ausnutzen, um Klientel für Zwecke zu mobilisieren, die überhaupt nichts mit konstruktiver und verantwortungsbewusster Partizipation zu tun haben.

Das Schloss und dabei das Humboldt-Forum auf dem Gelände des abgerissenen Palastes der Republik wäre ein idealer Ort gewesen und könnte es vielleicht in der Zukunft doch noch sein, Bürgerbeteiligungen zu ermöglichen, die weitläufig in unserer Welt schon in Städten und Landkommunen funktioniert haben. Die menschliche Gemeinschaft und dies nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich ist unverzichtbar dafür, dass wir die Welt friedfertig, fortschrittlich und lebenswert erhalten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Tradition

Unserem Zeitverständnis entsprechen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Deshalb ist es schwer, in bestimmten wesentlichen Fragen des Zusammenlebens auf unserem Planeten eine Übereinstimmung zu finden. Wenn die Zukunft eine geringe oder überhaupt keine Rolle spielt, können Klimakrisen, Naturkatastrophen, überhaupt Szenarien, mit der sich unsere Kinder und Enkelkinder auseinanderzusetzen haben, in keiner Weise aufschrecken.

Das mangelnde Verständnis für die Zukunft führt konsequent zur eingeschränkten Tätigkeit in der Gegenwart. Alle Kulturen fühlen sich zwar aufgerufen, die Gegenwart zu gestalten, aber mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Während zukunftsgewandte Kulturen die kommenden Generationen mit bedenken, bedienen sich Kulturen, bei denen nur Vergangenheit und Gegenwart zählen, der überlieferten Erfahrungen als Instrument der Gegenwartsbewältigung.

Die Vergangenheit ist sicher ein guter Lehrmeister, wenn es darum geht, aus Irrtümern und Fehlern Schlüsse zu ziehen und zu lernen, wie alles besser gemacht werden könnte. Wenn allerdings die Vergangenheit nur die Blaupause für die Gegenwart darstellt im Sinne einer Selbstvergewisserung, dass unsere Väter und Mütter schon die richtigen Entscheidungen getroffen hätten und auch alles gut gegangen sei, so verkennt diese Betrachtungsweise, dass sich Gegenwart und Zukunft ohne Rücksicht auf vergangene Gewissheiten entwickeln wird.

Klimakrisen, wie die derzeitige, gab es in der Weltgeschichte zwar auch schon, waren aber von Menschen nicht erlebbar, weil sie noch nicht vorhanden waren. Schon eine agrarisch geprägte Menschengesellschaft entsprach nicht mehr einer Gesellschaft zu Zeiten der industriellen Revolution und diese ist auch nicht mit unserer heutigen vorwiegend digital geprägten Gesellschaft vergleichbar. Wer aus der Tradition nicht das Bemühen um Zukunft abzuleiten vermag, wird vermutlich scheitern.

Darin besteht zudem das heute erkennbare Problem fundamentalistischer Religionen, denn sie verschließen sich der Zukunft. Das Christentum hat offensichtlich ein anderes Zeitverständnis und bedient sich der Tradition als Versicherung der Zukunft der Menschen auf dem Weg zu ihrer Erlösung. Insofern sind christliche Religionen in der Regel zukunftsgewandt und könnten versucht sein, Phänomene, wie die Digitalisierung in den religiösen Vorstellungskodex zu integrieren.

Das Problem dabei ist allerdings, dass Religionen, die generell keine weiteren Götter zulassen, eine große Konkurrenz in gottähnlichen Avataren haben, die sich im Internet entwickeln könnten. Die christliche Religion überzeugt den Menschen davon, dass der Mensch Gottes Werk sei und ihm alle Eigenschaften verliehen sind, die ihn zum Menschen machen einschließlich Sprache, Emotionen und Handlungsweisen.

KI, AI, Chatbots und jedes roboterähnliche Wesen verweisen auf eine Schöpfungsgeschichte, die den Menschen selbst ermächtigt und eine religiöse Vergewisserung unnötig macht. Während christliche Religionen noch hilflos mit dieser ungenauen Zukunft umgehen, haben traditionalistische Religionen sich zur Unterdrückung und Abwehr entschieden. Traditionell haben alle Religionen und Kulturen etwa das gleiche Verständnis vom Menschen, unterscheiden sich aber fundamental in der Gegenwarts- und Zukunftsbetrachtung.

Die Zukunft zu begreifen ist aber unerlässlich, um in der Gegenwart so zu handeln, dass unsere Kinder und Enkelkinder eine Zukunft haben. Trotz allem kulturellen Verständnis ist die Zukunft kein religiöses oder philosophisches Phänomen, sondern sehr real.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wozu?

Die öffentlichen Medien und vor allem das Internet sorgen für eine Unübersichtlichkeit von Wissen und Meinungen, die kaum ein Mensch mehr zu entwirren in der Lage sein dürfte. Um Übersicht zu gewinnen und zu erhalten, benötigt der Mensch Fakten, eine Möglichkeit, diese einzuordnen und sich so ein persönliches System der Verlässlichkeit zu schaffen.

Um zu einer sicheren Einschätzung zu gelangen, ist Selbstvertrauen nötig, welches ausschließlich strukturiert zu nutzen ist. Wie soll dies aber angesichts von TikTok, Instagram, WhatsApp und anderen digitalen Flipperspielen vom Menschen erwartet werden können?

Diese Formate befeuern in Minuten-, oft sogar nur in Sekundentakten Menschen, die sogenannten „User“, mit irgendwelchen verbalen oder bildlichen Informationen, die zwar Emotionen zu beeinflussen in der Lage sind, aber ihrer Frequenz und Beliebigkeit geschuldet, keinen Erkenntnisprozesse in Gang setzen, die dem Menschen erlauben, Ereignisse systemisch bei sich selbst rückzuversichern. Wenn dies kritisch zu betrachten ist, wie ich dies hier mache, warum geschieht es dann doch und wozu soll es führen? Stellt es möglicherweise eine gewünschte Entlastung des Menschen vor eigenen Erkenntnissen dar?

Wird stattdessen ein beruhigendes Format für Einschätzungen jenseits der individuellen und menschlichen Verarbeitung geschaffen, die eine gesellschaftliche Allgemeinverbindlichkeit hervorbringt, das soziale Miteinander stärkt und es jedem Nutzer der digitalen Angebote erlaubt, seine eigene Meinung durch diese Rückvergewisserung mit anderen Menschen emotional aufzuladen und sich dabei wohl zu fühlen? Was bedeutet es, wenn wir Menschen konsequent dank der medialen Befeuerung vom eigenen Denken und Empfinden entlastet werden?

Sicher wird dies zunächst als Fortschritt wahrgenommen, da jede Errungenschaft die Singularität des menschlichen Seins bestätigt. Was geschieht aber dann, wenn die menschlichen Fähigkeiten des Abwägens, des Einschätzens und des Widerspruchs dabei verkümmern und wir uns den Formaten ergeben haben?

Das Menschheitsrätsel haben Philosophen, Vertreter von Religion und Wissenschaftler sich stets gestellt und zu lüften versucht. Das Rätsel wird unlösbar sein, was wiederum die Chance bietet, darauf zu vertrauen, dass weitere Kräfte darauf wirken, die Kapitulation vor der medialen Kakophonie zu verhindern. Es wird wieder die Frage nach der Zufriedenheit des Menschen mit seiner Existenz, seinem Staunen und seinen Fähigkeiten und natürlich auch seiner Genügsamkeit gestellt werden. Denn wozu soll der Mensch denn zu etwas Anderem werden, als das, was er ist?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Hölderlin

250 Jahre Hölderlin, wir feiern mit Enthusiasmus seinen Geburtstag! Es gibt Lesungen und Interpretationsforen. Einfühlende Lebensbegleiter weisen uns den Weg unseres Idols von Susette Gontard bis zur geistigen Umnachtung im Turm von Tübingen. Nichts entgeht den Interpreten.

Oder doch? Kann es sein, dass manche übersehen, dass Hölderlin auch und wahrscheinlich sogar vor allem ein schwäbischer Mensch war? In Laufen am Neckar geboren, kannte er bereits mit vier Jahren die herzzerreißende Geschichte von der Herzogstochter Regiswindis, die in ihrer Kapelle nahe der Kirche eingesargt liegt. Als Kinder haben ich mit anderen dort oft gespielt und wir haben uns die schaurig schönsten Märchen ausgedacht.

Von der Kirche auf dem Gang runter ins Tal zum Neckar befanden sich Weinkeller, die nach unserer Auffassung nur in die Unterwelt führen konnten. Als Kinder saßen wir oft waghalsig auf der Kirchenmauer und schauten über den Neckar zur Burg, die weiteren Erzählungen nach von einem Meteoriten getroffen worden sein soll. Es ist also eine mystische Gegend und nicht nur  Laufen, sondern viele weitere Orte, ob Schwäbisch Hall, Stuttgart, Nürtingen, Heilbronn oder Weinsberg. Dieser Menschenschlag von Hohenloheren, Unterländern und Schwaben, formte einen Menschen wie Hölderlin. Der Herkunft kann man sich nicht entziehen. Strenge erzeugt Formstrenge.

Als Kind kann ich mich an Plakate zur Faschingszeit erinnern. Auf diesen stand: Gott schaut hinter deine Maske. Pietismus, Zweifel und Rechthaberei sind knorrige und trotzige Attribute der Sprache, die Hölderlin verwendete. Er sprach kein aseptisches Hochdeutsch, sondern schwäbisch. Wer jemals versucht hat, die Parzen oder auch andere Gedichte von ihm auf Schwäbisch zu lesen, begreift sofort, worum es ihm eigentlich ging: das trotzige Bekennen trotz aller Zweifel, die er nicht abschütteln konnte. Das beengte und gleichzeitig mystische Seelenweite lässt das erstehen, was das Auge nicht ohne weiteres zu erkennen vermag. Wer auf der Weibertreu der Windharfe zuhört oder den Welzheimer Wald durchwandert, der weiß Bescheid.

Es ist kein Zufall, dass der Arzt Justinus Kerner nicht nur Hölderlin, sondern auch die Seherin von Prevorst behandelte und dabei selbst Dichter war. Wenn die spirituellen Grenzen durchlässiger werden, dann verfließen Wirklichkeiten, bis sie sich dem Offensichtlichen abschließend verweigern. So ist Hölderlin eben auch einer von uns. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski