Archiv der Kategorie: Recht

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen rechtswissenschaftlichen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Chaos

Als der Anwalt seinem Mandanten die Frage stellte, welche Beweise er denn für seine Behauptungen besitze, antwortete dieser: „Die sind alle hier in meinem Computer.“ Als der Anwalt dann darauf hinwies, dass er wohl kaum den Computer dem Gericht vorlegen könne, ob für die Beurteilung des Streitgegenstandes etwas Relevantes sich darin befände und darauf drängte, die Beweismittel schriftlich vorzulegen, erklärte der Mandant: „Dann maile ich Ihnen alles und Sie drucken dann aus, was sie glauben, dass es für diesen Rechtsstreit relevant sein könnte.“

Unterstellen wir einmal, der Anwalt hätte sich darauf eingelassen, was hätte vorgefunden? Mailschreiben mit etwa folgendem Inhalt: „Wir machen es so, wie wir es besprochen haben.“ „Es wird gemacht, wie immer.“ und „Das verstehe ich jetzt gar nicht, ich hatte sie doch cc gesetzt.“??? Menschlich ist das verständlich, denn per E-Mail wurde nur sprachlich fortgeschrieben, was Gegenstand diverser Besprechungen war. Beweisverwertbar ist dabei allerdings nichts.

In einem oder in ähnlicher Form veranlassten E-Mailverkehr, schieben die Beteiligten Informationen hin- und her, dies immer in dem Bewusstsein, möglichst umgehend wieder die Last des Antwortens loszuwerden und dabei die Verantwortung anderen überzubürden, und zwar nicht nur dem unmittelbaren Korrespondenzpartner, sondern auch all denjenigen, die sie bei dieser Gelegenheit cc gesetzt haben. Der Vorteil ist, dass man später ja möglicherweise damit punktet, dass ein Drittbeteiligter ebenfalls hätte Kenntnis nehmen können von einem Vorgang und hätte einschreiten müssen, falls Einwände gegen die in der E-Mail getroffenen Ausführungen bestünden.

Da es ohnehin besser ist, den Ball in der Luft zu halten, werden meist nur Bruchstücke von Informationen weitergegeben mit dem Zusatz, doch nachzufragen, falls weitere Informationen erforderlich sein sollten. Ein vernünftiges Arbeiten ohne exorbitanten Zeitaufwand ist damit nicht gewährleistet, aber wahrscheinlich kommt es darauf auch gar nicht an, denn in einer Haftungsgemeinschaft findet sich immer ein Schuldiger für das Misslingen des Vorhabens. Alles ist wieder korrigierbar. Zeit, insbesondere die Zeit desjenigen, der das Chaos zu entwirren versucht, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Im Zweifel wird er ja dafür bezahlt, der ratlose Rechtsanwalt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Aus „Befund“ des Hans vom Glück

Ich wollte einmal für die Menschen da sein, für ihre gerechte Sache streiten. Dieser Wille ist abhandengekommen. Auch wenn das kein Mensch mehr versteht, die Juristen webten nur am Netz der Gesetze und Rechtsvorschriften. Diese werden interpretiert, interpoliert und extrahiert. Die Juristen wollten nur eins: in Ruhe gelassen werden von den Menschen, ungestört bleiben in der Parallelwelt von Gesetzen, Verordnungen, Gerichten und juristischen Argumenten.

Dabei wollen die Menschen doch, dass ihnen zugehört wird, sie ihre Ansichten in die Waagschale werfen dürfen. Jeder Richter hält sich bewusst vom wirklichen Leben fern, damit er den Widerspruch zu seiner Berufswelt nicht erleben muss. An jedem Rechtsstreit, den ein Richter in eigener Sache führte, würde er verzweifeln, wenn er erführe, dass seine Ansichten für den eigenen Rechtsfall, so er in einen solchen verwickelt sein würde, ebenso passgerecht gemacht werden müsste, wie er dies täglich von seinen Prozessteilnehmern bei Gericht verlangt.

Deshalb hält der Richter das Leben auf Distanz. Der Anwalt dagegen versucht, sich mit Ablenkungen zu betäuben, denn selbst ein Erfolg ist stets ein Misserfolg. Irgendwie. Es bleibt ein Gefühl der Leere und Unsicherheit. Nicht die gerechte Sache siegt, sondern die Vorschrift. Ein beliebter Juristenspruch lautet: Bei Gericht und auf hoher See bist du allein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Grenzwege

Niersbach, Hoeneß, Beckenbauer … und viele andere mehr. Sie alle gehen bzw. gingen an die Grenzen ihrer rechtlichen und moralischen Belastbarkeit, oft nicht nur aus niedrigen, selbstsüchtigen Motiven heraus, sondern weil sie zu Grenzgängern gemacht wurden oder dies sein wollten. Bis an „seine“ Grenze zu gehen ist in unserer Gesellschaft eine Selbstverpflichtung jedes Erfolg suchenden Sportlers, Geschäftsmanns oder Künstlers. Das hat mit Anerkennung zu tun aber auch mit dem implizierten Scheitern, das jedem Grenzgänger Angst macht. Hoffentlich kommt nicht heraus, wie alles war.

Der Leistungsdruck ist enorm und wir, die Grenzgänger, sind zum eigenen Schutz zunächst temporär vergesslich. So setzen wir auf die Ahnungslosigkeit anderer. Es stimmt aber nicht. Alles kommt irgendwann an den Tag und Opfer ist der Verstrickte, zuweilen noch vor dem Täter. Der Täter, der Abgasmanipulation an Autos zum Beispiel zu verantworten hat, forderte seine Mitarbeiter nicht auf, dies zu tun, sondern er verlangte einfach eine Maßnahme, die zwangsweise wegen fehlender Alternativen zur Manipulation führte. So haben sich auch in allen Unrechtsstaaten die Täter freizuwaschen versucht. Dies kann und darf aber nicht gelingen.

Der Grenzgänger aus eigenem oder fremdem Antrieb ist eine Gefahr für sich und für uns, da das Entdecktwerden auch fremder Tat gesamtgesellschaftlich beschädigend wirken kann. Dabei ist zu denken an die hohen Verluste, auch Steuerverluste bei VW und die Skandalbelastungen rund um die FIFA und den Deutschen Fußballbund. Aber alle, die die Gunst der Stunde zu einer Abrechnung mit Grenzgängern nutzen wollen, mögen in den eigenen Spiegel schauen und auch bedenken, dass Grenzgänger meist auch an Wundern mitwirken, wie dem deutschen Fußballsommermärchen. Über dies wird hier noch lange gesprochen, wenn von den Drahtziehern, Hintermännern und Grenzgängern kaum einer mehr bekannt ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

RECHTSFORMEN PHILANTHROPISCHER UNTERNEHMEN

Philanthropische Unternehmen sind nicht vorgebildet in einem unangreifbaren Begriff der Selbstständigkeit, sondern formen sich im Dialog und in Kooperation mit den von den Menschen in dieser Gesellschaft geschaffenen Einrichtungen.

Verwirklichungsformen für philanthropische Einrichtungen sind heute in erster Linie als  Stiftungen   denkbar.   Stiftungen   verkörpern   die   Unantastbarkeit   des Vermögensstockes eines Unternehmens zu spekulativen Zwecken. So wenig wie der Stiftungsbegriff selbst geschützt ist, muss sich ein philanthropisches Unternehmen allerdings auf Dauer in der Gesellschaftsform einer Stiftung präsentieren. Andere gemeinnützige Unternehmen, wie gemeinnützige Gesellschaften mit  beschränkter Haftung,   Kommanditgesellschaften,   selbst Aktiengesellschaften sind denkbar, soweit die beteiligten Gesellschafter sich verabreden, die Unternehmensverfassung und die Ziele eines philanthropischen Unternehmens zur Richtschnur ihres Handelns zu machen. Es wird sich immer als klug erweisen, eine effiziente, an der Problemlösung orientierte gesellschaftliche Konstruktion zu wählen und dabei gerade nicht in den typischen Formen zu erstarren, sondern bedarfsorientiert flexibel zu handeln. Komplementär hierzu muss aber stets die Bestandskontrolle gelten, um dem Missbrauch der Unternehmenseinsatzform einen Riegel vorzuschieben.

Das Konzept der Philanthropic Industries beinhaltet einen Zukunftsentwurf gemeinnütziger Unternehmen, die ihre Stärke daraus erfahren, dass sie weder im Interesse Einzelner noch von Gruppen Leistungen abschöpfen, sondern sich einbringen, um die Leistungsfähigkeit von Unternehmen im Interesse der Menschen und ihrer Möglichkeiten zu erweitern, zukunftssicher zu machen und neue Anreize zu schaffen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wegen des Prinzips

Es ist mir gut in Erinnerung, dass ich „wegen des Prinzips“ einen Rechtsstreit führen sollte. Bei einem Streitwert von nur ca. 100,00 Euro ging es um ein in der chemischen Reinigung angeblich verdorbenes Kleidungsstück. Hätte ich die Eskalation dieses Falles vorausgeahnt, hätte ich das Mandat sofort beendet, meiner Mandantin 100,00 Euro in Hand gedrückt und sie gebeten, mich nicht weiter zu behelligen. Der Eigenaufwand meines Büros in dieser Sache lag nach mehreren Beweisaufnahmen bei bewerteten 2.000,00 Euro. Betrachtet man das eigene Zeitkontingent, die Beschäftigung des Gerichts und auch der beklagten Partei mit diesem Vorgang, kann man leicht von einem Gesamtaufwand von etwa 4.000,00 bis 5.000,00 Euro ausgehen. Dies alles „wegen des Prinzips“.

Meine Mandantin hatte wahrscheinlich Recht. Das Kleidungsstück hatte sich in der Reinigung verfärbt. Zur Nachbesserung war der Besitzer dieser Reinigung nicht mehr bereit, weil meine Mandantin ihm frech gekommen sei. Meine Mandantin wollte die Schmach aber nicht auf sich sitzen lassen, weil die Reinigung plötzlich leugnete, die Reinigungsarbeiten vorgenommen zu haben, ja sie überhaupt zu kennen. Schließlich behauptete die Reinigung sogar, meine Mandantin habe die Flecken auf dem Kleidungsstück selbst verursacht. Nicht aber der kostenträchtige, ausufernde Prozess ist Gegenstand dieser Betrachtung, sondern das Erschrecken vor dem menschlichen Schaden, der durch eine solche Prinzipientreue entsteht. Meine Mandantin ließ mich wissen, es ginge ihr um die Gerechtigkeit. Meinen Einwand, dass es jedenfalls bei Gericht nicht um Gerechtigkeit, sondern um ein Urteil ginge, ließ sie nicht gelten. Deutschland sei ja schließlich ein Rechtsstaat und ihre Eltern hätten ihr beigebracht, ehrlich zu sein. Die Anderen würden lügen, das sei doch offensichtlich und auch das Gericht müsste dies letztlich erkennen. Die Argumente hatten sich allmählich verselbstständigt und dienten nur noch dem Zwecke, sich durchzusetzen und den Rechtsstreit möglichst zufriedenstellend für sich zu beenden. Einer oder mehrere Zeugen mussten zwangsläufig dafür lügen. Auch wenn die Partei selbst, die sie durch ihre Falschaussagen begünstigen, in diesem Rechtsstreit obsiegen sollte, bleiben die Zeugen zeitlebens mit dem Makel behaftet, vor Gericht die Unwahrheit gesagt zu haben.

Werden sie diese Aussage als einen persönlichen Erfolg werten, scheuen sie sich auch künftig bei nächstbester Gelegenheit nicht, wiederum die Unwahrheit zu sagen und so fort. Die un- terlegene Partei erhält dagegen angesichts der Höhe des Streitwertes ein nicht reversibles Urteil. Sie hat nicht nur während der Dauer des Prozessgeschehens – der Prozess dauerte immerhin fast ein Jahr – sich ständig mit dem Vorgang befassen müssen, sondern zumindest vor den Terminen nicht mehr geschlafen und schließlich das verdorbene Kleidungsstück in ihrem Schrank aufbewahrt. Das Leben ist darüber unfroh geworden, weil es ihr nicht hilft, dass sie gelegentlich weint und ihre Freundinnen sie darin bestärken, dass sie eigentlich Recht habe, denn die erwartete Genugtuung bleibt aus. Nach einiger Zeit haben auch die Freundinnen die Nase voll von ihrem Jammer. Es folgt, dass sie sich überhaupt von ihr abwenden. Das Beweisstück der Schmach bleibt im Schrank bewahrt und erinnert sie ständig an ihr Unglück. Im Prinzip hat sie ja Recht. Auch ich habe keinen Zweifel daran gehabt, dass das Kleidungsstück in der Wäscherei verdorben wurde. Doch ihre prinzipiellen Anstrengungen haben nicht dazu geführt, dass sich etwas änderte, außer dass sie angefangen hatte, an ihrem Rechtsstaat und der Gerechtigkeit zu verzweifeln.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erregung

Als ich als junger Anwalt einmal vehement den Rechtsstandpunkt meiner Partei vortrug und mich dabei echauffierte, weil ich den Eindruck gewonnen hatte, das Gericht wolle unserer richtigen Ansicht nicht folgen, bemerkte der Anwalt, der die Gegenpartei vertrat: „Herr Kollege, bekommen Sie denn auch eine Erregungsgebühr?“ Ich schloss meinen Mund, konnte und wollte nichts mehr sagen, während der Kollege in aller gelassenen Breite seine Ansichten vortrug, die nach meiner Überzeugung zwar hanebüchen waren, aber mit meinem Enthusiasmus jetzt nicht mehr bekämpft werden konnten. Die Luft war durch seine Bemerkung raus. Diesen Prozess gewann ich erst in der Berufungsinstanz, nachdem ich nicht nur gelernt hatte, Anderen den Vortritt zu lassen, sondern mich überhaupt nicht mehr aufzuregen, meine Emotionen für mich zu behalten. Wenn wir uns erregen, verengen wir unser Blickfeld, das heißt wir nehmen nicht mehr wahr, wie Andere auf uns reagieren, verlassen das Spiel des sprachlichen und des mimischen Miteinanders und konzentrieren uns ausschließlich auf die Bedeutung des eigenen Vorbringens. Dies geschieht in der Weise, dass wir die Äußerungen anderer Menschen nicht mehr berücksichtigen, sondern ihre Zu- gangssperren – völlig egal, ob diese zu Recht aufgebaut sind oder nicht – zu überwinden trachten, um sie direkt verbal zu erreichen und zu überstimmen. Wir glauben in diesem Moment, dass es so etwas wie ein Gehorsamszentrum gibt, in das wir korrigierend eingreifen könnten, vorbeugend und erzieherisch gleichermaßen einwirkend, alle Widerstände gegen unsere Belehrung beseitigen dürften. Das, was bei der Kinder- und Ju- genderziehung manchmal klappt, in Abhängigkeitsverhältnissen zu Duldungssituationen führt, kann keinerlei Bestand haben im Verhältnis zwischen gleichberechtigten und ebenbürtigen Gesprächs- und Ver- handlungspartnern. Statt uns zu erregen, müssen wir versuchen, das zu entdecken, was uns Widerstand leistet. Dies können gewichtige Argumente sein, die wir so vielleicht nur noch nicht betrachtet haben. Es können aber auch Attitüden sein, die nur auf einem Selbstbehauptungswillen des anderen Menschen beruhen. Der Kollege, den ich eingangs erwähnte, ist selbstverständlich beruflich verpflichtet, den Rechtsstandpunkt seines Mandanten zu wahren und kann nur dann auf meine Seite gezogen werden, wenn ich ihm etwas anbiete für seine Bereitschaft, dies zu tun und meine Argumentationen abzuwägen. Eigentlich ist jeder Gesprächspartner im Prinzip einsichtsfähig, benötigt zur Förderung dieser Einsicht aber eine besondere Form der Ermunterung durch Wertschätzung, Anerkennung der Argumente und allmähliche, in der Regel feinsinnige Annäherung von Positionen.

Selbst, wenn auf den ersten Blick argumentativ alles gut vertraut erscheint, ist es dies in der Regel nicht, sondern jeder Mensch ist offen für alle Möglichkeiten, die geboten werden, um den Stolz der eigenen Position zu wahren. Der nicht durch Erregung und eigene Emotionen blockierte Geist ertastet diese Möglichkeiten und verhält sich teilweise angepasst, teilweise fordernd hinsichtlich aller Chancen, die der Verlauf eines Gesprächs bietet. Aber nicht nur der Gesprächsverlauf sollte durch die Erregungslosigkeit markiert werden, sondern kaum irgendeine Auseinandersetzung des täglichen Lebens ist es wert, dass sie mit Erregungen befrachtet wird. Erregung befreit nicht, weil sie abprallt an denjenigen Menschen, die die Erregung auslösen und schädigend wirken im eigenen Selbstverständnis. Die Selbstbefragung des Erregten beschäftigt sich damit, weshalb die Anderen seinen offensichtlich besseren Argumenten nicht gefolgt sind, und lässt bei ihm gegebenenfalls auch Selbstzweifel entstehen, ob er vielleicht nicht gut genug gewesen sei. Der Prozess kann schließlich in völliger Ablehnung der Situation und im Rückzug enden. Zur emotionalen und geistigen Erschöpfung kommt die körperliche, die oft nicht kompensiert werden kann, sondern sich entlädt in der Vergabe weiterer Erregungen zum Beispiel gegenüber Mitarbeitern, der Familie und sonstigen völlig ahnungslosen Menschen. Deshalb ist es oft ganz wichtig zu bedenken, dass man mit Erregungen nichts verdienen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kulturerbe und Kulturbesitz. Eine Verortung.

Verstirbt ein Mensch, so hat er nach unserem Rechtsverständnis einen Erben. Dieser erwirbt die Erbschaft zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers ohne weiteres Zutun zu Alleineigentum. Dies auch dann, wenn er von dem Anfall der Erbschaft überhaupt nichts wusste und den Verstorbenen unter Umständen noch nicht einmal kennt. Der Erbe kann das Erbe aber nach Kenntnisnahme ausschlagen. Dann erben automatisch andere, gesetzlich oder testamentarisch berufene Erben. Der ausschlagende Erbe hat sich seiner Erbschaft entledigt, hat rückwirkend seine Verantwortung für den Nachlass beseitigt.

Anders als bei der Erbfolge unter bürgerlich rechtlichen Gesichtspunkten ist das Kulturerbe oder kulturelle Erbe nicht ausschlagbar, können die Erben sich ihrer Verantwortung nicht entledigen. Das kulturelle Erbe wird keiner Einzelperson testamentarisch oder gesetzlich zugewandt, sondern stellt ein Vermächtnis an alle Menschen, die es angeht, dar, mit der Aufforderung, diese mögen das kulturelle Erbe bewahren, erhalten, mehren und weitergeben. Der Adressatenkreis dieser Erbschaft sind gleichermaßen die Erben als auch deren Dauertestamentsvollstrecker, wobei diese Art der Testamentsvollstreckung nicht nur fremde, sondern auch eigene Interessen bei der Verwaltung und Mehrung dieses Kulturnachlasses wahrnimmt.

Was ist aber unter kulturellem Erbe oder Kulturerbe zu verstehen?

Als kulturelles Erbe oder Kulturerbe (culture heritage) wird die Gesamtheit aller Kulturgüter bezeichnet. Der Begriff des héritage culturel (der französische Begriff für „kulturelles Erbe“) wurde durch den Bischoff von Blois Henri-Baptiste Gregoire Ende des 18. Jahrhunderts geprägt. Darunter ist das angesammelte und überlieferte Wissen als auch alle kulturellen Errungenschaften der Menschheit zu verstehen, die in vorangegangenen Generationen erworben wurden. Das kulturelle Erbe ist eine Bestätigung unserer Existenz und verdeutlicht gleichzeitig auch die Entwicklung dorthin. Es ist Erinnerung und Vermächtnis, handelt vom Schutz und der Pflege unserer kulturellen Wurzeln und vermittelt unsere kulturelle Identität auch für künftige Generationen („Wer nicht weiß, woher er kommt, kann auch nicht wissen, wohin er will.“).

Kulturerbe bzw. kulturelles Erbe bezeichnet die Gesamtheit aller Kulturgüter. Diese sind nach einer Definition der UNESCO-Konvention nicht an eine materielle Wesenheit gebunden, sondern umfasst auch immaterielle Werte wie mündliche Überlieferungen, Gesangskunst, Gebräuche und Musik nebst den dazugehörigen Instrumenten, Objekten, Artefakten und kulturellen Räumen. Immaterielles Kulturerbe wird daher auch als lebendiges Kulturerbe bezeichnet (living heritage). Juristisch gesehen sind immaterielle Kulturgüter keine Sachen, sondern Rechte die zum Beispiel im Urheberrechtsschutz verortet sind. Der Begriff des Kulturgutes hat keinen ursprünglich juristischen Hintergrund, findet sich aber inzwischen in der Rechtsprechung vielfältig wieder, unter anderem im Kulturgutschutzgesetz (Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung). Zum Schutz dieser Güter hat auch die UNESCO besonders erhaltenswerte immaterielle Kulturgüter aus allen Weltreligionen zu „Meisterwerken des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ bestimmt und 2003 das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes (convention for the safe garding of the intangible cultural heritage) verabschiedet. Diesem UNESCO-Übereinkommen trat die Bundesrepublik Deutschland mit Rechtswirkung zum 09.07.2013 bei.

Auch wenn Kulturgüter nicht unbedingt materielle Eigenschaften aufweisen müssen, können sie bzw. die Rechte daran Privatpersonen, Stiftungen und staatlichen Einrichtungen gehören.

Im Allgemeinen hat der Eigentümer eine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition (Artikel 14 GG), die es ihm erlaubt – natürlich in den verfassungsrechtlich gebotenen Rahmen – nach Belieben mit einen in seinem Eigentum stehenden Sache zu verfahren. Er kann insbesondere andere von der Einwirkung auf sein Eigentum ausschließen. Daher wäre es juristisch korrekt, nicht von Kulturbesitz, wie dies landläufig geschieht, sondern von Kultureigentum zu sprechen. Der volkstümliche Umgang mit diesen Begrifflichkeiten kennt den Unterschied zwischen Eigentum und Besitz nicht. Beides bringt zum Ausdruck, dass dem Rechteinhaber etwas gehört und er daher Vorrechte gegenüber demjenigen hat, dem es nicht gehört. Tatsächlich aber haben Besitz und Eigentum juristisch gesehen ganz unterschiedliche Eigenschaften, die beträchtliche Auswirkungen haben können. Der Besitzer übt Herrschaftsgewalt aus, ob dies rechtmäßig geschieht oder nicht, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Er darf über den Besitz verfügen, unabhängig davon, wer dessen Eigentümer ist. Der Eigentümer wiederum übt keine Sachherrschaft aus, bestimmt aber die Grenzen des Ausübungsrechts durch den Besitzer.

Dennoch oder gerade deshalb ist es richtig, nicht von Kultureigentum, sondern von Kulturbesitz zu sprechen, denn Besitz und Eigentum sind hier nicht im strengen juristischen Sinne zu verstehen, sondern bringen zum Ausdruck, dass an Kulturgütern, die sich juristisch im Eigentum von Privatpersonen oder anderen gesellschaftlichen oder rechtlichen Trägern befinden, letztlich nur besondere Besitz- und Nutzungsrechte begründet werden können. Kulturgüter lassen sich uneingeschränkt weder auf Einzelpersonen, juristische Personen, Staaten oder Gesellschaften im Rechtssinne vererben oder übertragen, sondern Kulturgüter werden den Erben bzw. Übernehmern nur auf Zeit zur Bewahrung und Entwicklung anvertraut. Deshalb ist eine freie Verfügbarkeit über Kulturgüter im Rechtssinne nicht vorgesehen, sondern Kulturträger legen sich selbst durch interne Satzungsregelungen Beschränkungen hinsichtlich der umfassenden und beliebigen Verfahrensweise über die angeschafften Kulturgüter auf bzw. Gesetze bestimmen hinsichtlich der Kulturgüter, wie und in welchem Umfange die Rechtsinhaber über diese verfügen dürfen. Dies vor dem Hintergrund, dass Kulturgüter nur so besessen und genutzt werden können, dass sie für die Nachwelt und zukünftige Generationen erhalten und weiterhin erlebbar bleiben.

Träger kulturellen Erbes zu sein, ist also Verpflichtung nicht nur eines jeden Bürgers und kulturellen Trägers, sondern jedes Menschen, da kulturelles Erbe nur begrenzt unsere persönlichen, juristischen, politischen, gesellschaftlichen und nationalen Belange berücksichtigt, vielmehr zu einer dauernden Besitzstandwahrung an den zugewandten Kulturgütern im Interesse der ganzen Menschheit verpflichtet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Henne oder Ei

In seinem steuerpolitischen Verhalten treibt der Staat seinen Souverän, den Bürger vor sich her. Der Bürger erbringt Arbeitsleistungen und versucht, sein Einkommen zu vermehren. Diese Rechnung geht nicht auf. Der Bürger wird in seinen Erwartungen getäuscht, denn er bekommt letztlich weniger als er verdient hat; einen Großteil seines Einkommens verliert er durch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Der Bürger versteuert sein Einkommen jedoch nicht nur einmal, sondern ständig mit jeder Aktivität, meist wird ihm dies nicht einmal bewusst. Die mit den Sozialversicherungsbeiträgen erworbenen Rentenanwartschaften z. B. sind zwar ihm gegenüber abgegebene Versprechungen, sind aber genauso wenig sicher, wie jeder andere ungesicherte Lebensstandard. Um sich diese vermeintliche Sicherheit und den vermeintlichen Lebensstandard zu erhalten und zudem die Anforderungen des Staates zu bedienen, erhöht der Bürger kontinuierlich die Schlagzahl seiner Tätigkeit auf Kosten seiner Lebenszeit, seiner Gesundheit, seiner Effizienz und Lebensfreude. Obwohl er der Souverän ist, ist der Bürger gleichwohl bisher nur selten den staatlichen Gelderwerbssystemen entgegengetreten, sondern hat sie sogar meist befürwortet. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Weil die meisten Bürger hoffen, dass der Staat für Abgabengerechtigkeit eintrete, haben Sie letztlich keine Einwände dagegen, dass der Staat Steuern einzieht und sogenannte „Steuersünder“ unerbittlich verfolgt.
  • Vielen Bürgern scheint es aufgrund der eigenen gewohnt bequemen Lebensführung angemessen, wenn andere Bürger – also die Politiker – den Takt vorgeben und das System vorhalten, welches ihnen Lebensstandard und Sicherheit verspricht.
  • Der Rückfluss von Steuermitteln in den sozialen Bereich oder auch sonstige Steuervergünstigungen und Subventionen erwecken bei den Begünstigten den Eindruck, das Steuersystem bevorzuge ihre Haltung, was allerdings einer Wahnvorstellung gleichkommt.
  • Ein Großteil der Bürger ist Nutznießer der staatlichen Geldverteilungspolitik und nimmt daher gerne, was ihm gegeben wird. Richtig ist, dass der Bürger als interessensgesteuerter Mensch kaum bereit ist, seine Komfortzone zu verlassen, solange der Lebensstandard nicht gänzlich in Frage steht und der Besitzstand gewahrt ist. Warum sollte er seine Einstellung ändern?

Alleine deshalb, weil diese Bürger-Staats-Beziehung nichts mit Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein zu tun hat? Das ist nicht zu erwarten, vielmehr muss der Staat selbst das Schrittmaß für den Bürger vorgeben, in dem er sich einschränkt und dadurch diesem Entfaltungsmöglichkeiten überlässt, sein Leben selbst zu bestimmen.

Vergegenwärtigt man sich für einen Moment unsere Gesellschaft als einen Körper, so wird jeder Betrachter dieses Bildes sofort begreifen, dass nicht jede Zelle dieses Körpers vom Gehirn aus gesteuert und kontrolliert werden kann. Vielmehr ist jede Zelle autonom und doch bilden alle Zellen das Ganze, indem sie mit anderen Zellen kommunizieren und ihre Erfahrungen an diese Zellen, aber auch an das Gehirn weitergeben.

Die allein durch die bewusste Wahrnehmung des Gehirns entstehenden Störungen werden bis zur möglichen, aber vom Menschen nicht gewünschten Kapitulation seiner zerebralen Fähigkeiten von den Zellen des Körpers korrigiert und einer Heilung zugeführt. Am Beispiel des Körpers und seiner Zellen kann der Bürger lernen, was Selbstvertrauen, Verantwortung, Zuversicht und Zuverlässigkeit vermag, und zwar jeder Bürger für sich und in der Gemeinschaft. Man muss nur den Willen haben, sich aufeinander zu verlassen und wissen, dass dieser Wille von der Aufnahme- und Umsetzungsfähigkeit eines anderen Bürgers seine Rechtfertigung erhält.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gerechtigkeit in Europa – eine Illusion? Teil 5

Unser Leben, d. h. unser gesamtes Leben unter Einschluss des Rechtslebens, muss Freude machen. Mit Genuss sollten wir daran teilhaben und begreifen können, wie Gesetze und Verordnungen uns nicht nur bei der Bewältigung, sondern auch bei der Entwicklung unseres Lebens helfen, anstatt uns zu behindern.

Das hat alles ganz entscheidend mit Europa zu tun. Wenn wir sehen, dass unsere nationalen Entwürfe nicht mehr überzeugend sind, wir aber am Beginn des Umbruchs stehen, sollten wir die Chancen für uns als Bürger Europas nutzen:

1.    Prophylaxe statt Therapie. Das Recht kann die Realität eines geeinten Europas nur reflektieren, aber nicht schaffen. Deshalb müssen wir gemeinsame, die Nation übergreifende Perspektiven und Ziele im kulturellen, sozialen und rechtlichen Leben entwickeln und uns begleitend dazu eine freiheitliche Rechtsordnung schaffen, die ordnungsrechtlich verschiedene Denkansätze bewältigt, letztlich aber das Ziel der Mobilität des Europäers im Auge behält.

2.    In einer lebendigen Rechtsordnung müssen sich Gesetz und Recht an ihrem Sinn messen lassen, d. h. die Bürger Europas müssen sie verstehen. Nur dadurch werden Gesetze als Regeln des Miteinanders gültig und lebendig bleiben, die die Menschen nicht nur annehmen, sondern auch nutzen können.

Hier gilt es umzusteuern, wo jahrelang in administrativer Kleinarbeit Unsinn und Kleinkrämerei produziert wurden.

3.    Unterschiedliche Entwürfe in unterschiedlichen Kultur- und Lebenswelten stellen Herausforderungen an den europäischen Menschen dar, die nicht in Kommissionen, Gremien oder Gerichten gelöst werden können, sondern ausschließlich im Dialog der Betroffenen und Willigen. Der Kampf gegen Diskriminierung darf nicht allein dem Staat, insbesondere der Justiz, überantwortet werden, sondern muss ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein.

Es muss Schluss sein mit der gegenseitigen Verlagerung von Verantwortlichkeiten. Konflikte müssen an der Stelle bewältigt werden, wo sie entstehen. Die Rolle der am „System Recht“ Beteiligten muss mit neuen Inhalten gefüllt werden.

Es muss Schluss sein mit der Vergewaltigung der Eigenverantwortlichkeit des Bürgers: Statt dem Bürger Freiräume zu öffnen, werden Privatinitiativen durch unnötige Verfahrensanforderungen erschwert oder sogar verhindert, d. h. dem Antrag folgt der Antrag folgt der Antrag etc.

Es muss Schluss sein mit nationalen Egoismen, wir müssen ein europäisches Bürgerleben installieren mit allen Möglichkeiten der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Betätigung. Dies schließt selbstverständlich auch die supranationale Betätigung mit ein. Wir brauchen ein harmonisiertes Prozessrecht und die Möglichkeit, das, was wir für richtig halten, auch umzusetzen.

Das können wir nur mit einer klaren und transparenten Kompetenzzuordnung und einer besseren Kooperation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, einer Stärkung der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit auch durch die europäischen Institutionen selbst und der zielgerichteten Schaffung von sinnvollen Normen bewältigen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gerechtigkeit in Europa – eine Illusion? Teil 4

Unter  Hinweis  auf  ihre  Konflikte  vereinbaren  Bürger  schon  immer  häufiger  die  Einsetzung  eines  Schiedsrichters  bzw.  eines Schiedsgerichts. Dies ist zu begrüßen. Der Schiedsrichter ist an die Verfahrensordnung gebunden, die sich die Beteiligten geben und die nicht justizmäßig vorbestimmt ist. Der zumeist sachkundige Schiedsrichter kann Aufklärungsarbeiten leisten und orientiert sich nicht allein an den sturen Regeln der Prozessordnung. Wir müssen lernen, Entscheidungen eines Schiedsrichters auch in „klassischen Streitfällen“, zumindest bei „Bagatellsachen“, als verbindlich zu akzeptieren.

Die Bürger vertrauen häufig auf das vermittelnde Gespräch unter Beiziehung eines sachkundigen Experten. Das ist immer dann geboten, wenn nicht in erster Linie Rechtsfragen zu erörtern sind, sondern in tatsächlicher Hinsicht aufgeklärt werden muss, wie ein komplexer Sachverhalt aus der Sicht eines Ingenieurs, eines Bausachverständigen oder eines Biologen gestaltet ist.

In diesem Zusammenhang wird künftig die Mediation eine große Bedeutung erlangen, bei der die Streitparteien unter sachkundiger Führung an die Konfliktlösung herangeführt werden.

Gerechtigkeit hin oder her: Schlimmer als alles andere ist das Gefühl der Ohnmacht, wenn überhaupt nichts geschieht. Der Bürger in Europa, ob im Bereich des Zivilrechts oder des Strafrechts, hat ein Recht darauf, dass man sich mit ihm befasst, dass er gehört wird und Dinge abgeschlossen werden.

Warum ist das so wichtig? Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag …

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski