Märchen

Mit der Ruck – Stiftung des Aufbruchs will ich Eltern auf die Bildungsinteressen ihrer Kinder aufmerksam machen. Dies geschieht dadurch, dass Kindern von Geburt an auch die Welt der Phantasie durch die Eltern erzählend nahegebracht wird. Kinder dürsten nach sinnlichen Erfahrungen. Sie sind in der Lage, das, was sie hören, sehen und begreifen, in ihrer Phantasie abzulegen, mit weiteren Eindrücken aus ihrem Alltag zu vergleichen und lebenslang Lehren daraus zu ziehen.

Wir müssen bedenken, dass Architekten und Maler, die Kristallpaläste entwarfen und Wasserstädte visionierten, später Begründer des Bauhauses wurden. Erzählen von Geschichten von Anfang an bedeutet also für zuhörende Kinder nicht nur die Erweiterung ihres Sprachschatzes, sondern es werden ihnen auch Maßstäbe zur Auswahl besserer Entscheidungen geboten.

Gut erzählte Märchen müssen nicht unbedingt das Phantasieprodukt erwachsener Menschen sein, sondern sie können sich auch aus der erzählenden Kommunikation mit dem Kind entwickeln. Wenn ich meinen Kindern wunschgemäß immer wieder das gleiche Märchen erzählte, haben sie mich an jedes vergessene Detail der Geschichten erinnert, so dass ich mich schließlich dazu entschloss, diese aufzuschreiben.

Wenn ich heute Lesungen aus Kinderbüchern bestreite, so gewinne ich aus der Erwartungshaltung des Publikums die gleiche gespannte Aufmerksamkeit, die mir meine Kinder seinerzeit haben zuteil werden lassen. Dies zeigt mir die Bedeutung, die jedem Märchen innewohnt. Als ich vor längerer Zeit vom polnisch-tschechischen Freundschaftsweg kommend die Schlucht zur Spindlermühle hinabkletterte, hatte ich das Empfinden, wenn jetzt Rübezahl aus dem Wald hervortrete, jedes Märchen auf einen Schlag wahr werden würde. Das war ein beglückender Moment und so nahe an der Wirklichkeit ,oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Globalisierung

Der Begriff Globalisierung wird mit dem Wirtschaftsverkehr, dem Austausch von Daten, Tourismus, Seuchen und Pandemien sowie Umweltzerstörung in Verbindung gebracht. Gibt es etwas Anderes? Für mich: ja. Vor einiger Zeit war ich im Iran. Einmal abgesehen von den Abgaswolken in Teheran begegnete ich den gepflegtesten, kultiviertesten und gastfreundschaftlichsten Menschen. Wie kann das sein trotz eines Systems, das Menschen unterdrückt, ihrer freien Meinungsäußerung beraubt und teilweise auf das Schrecklichste quält.

Vor einiger Zeit war ich in der Türkei, einem wunderbaren Land mit großzügigen und aufgeschlossenen Menschen, sehr verständnisvoll und witzig. Und auch in diesem Land muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die Bürgerrechte weitgehend eingeschränkt sind und Willkür den Alltag kennzeichnet. Israel, ein von lebendigen Metropolen gekennzeichnetes Land mit aufgeschlossenen Menschen unterschiedlichster Verhaltensweisen, Einstellungen und Meinungen. Aber auch hier Intoleranz, Rechthaberei und Abgrenzung. Russland, dem ich familiär verbunden und schon aus diesem Grund dessen Kultur, Geschichte und Menschen sehr nahe bin, ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Auch in diesem Land gibt es „schwarze Männer“, die Unterdrückung und Bevormundung sowie Reglementierung als Staatsziel begreifen.

Ein Abdruck meines Herzens befindet sich in den USA, denn erfuhr ich doch als Austauschschüler dort das wohl prägendste Jahr meines Lebens. Gerade weil mich dieses Jahr auch zum Amerikaner gemacht hatte und ich viele großartige Menschen damals und auch bei meinen heutigen Besuchen in New York begegne, macht mich das Maß an Intoleranz, Dummheit und Menschenverachtung in Teilen dieser Gesellschaft fassungslos.

Die Menschen in Südafrika zeichnet Wärme, Gastfreundschaft und Lebensfreude aus. Dies trotz Apartheid, die nicht völlig überwunden zu sein scheint, Korruption und Feindseligkeiten den Alltag von Menschen erschweren und verhindern, dass HIV und Tuberkulose nachhaltig bekämpft werden können. Von arabischen Ländern, wie Jordanien, Syrien, dem Libanon und Ägypten möchte ich sprechen. Länder, die nicht nur eine großartige kulturelle Geschichte, sondern auch Freundlichkeit, Gastlichkeit, Kultur und Schönheit auszeichnet. Und doch weisen auch diese wunderbaren Länder auf der anderen Seite ihres Verständnisses schreckliche Momente der Verachtung des Menschen, seiner Interessen, seiner Entwicklungschancen und seiner Lebensinteressen aus. Und von Chile, einem Staat, in dem ich mich aufgrund einer Reise auch familiär verbunden fühle, kann ich ähnliches berichten und rufe zuletzt Frankreich und Deutschland auf. Zwei Länder, die ich in einem Atemzug nennen darf, weil ihre Verbindungen so mannigfaltig sind und trotz aller Unterschiedlichkeit ein Stück Heimat für mich darstellen. Auch in diesen beiden Ländern gibt es Bedrohungen, die allerdings nicht staatlich gelenkt, sondern sich aus dem Populismus heraus entwickeln mit dem Ziel, Deutungsmacht über das Leben anderer Landsleute zu gewinnen.

Bei meinen Aufzählungen habe ich kurz und knapp das Missfallen an Entwicklungen in den als Auswahl genannten Ländern nicht verschwiegen. Ich habe aber auch deutlich gemacht, dass ich überall in dieser Welt auch auf wunderbare Menschen, Hilfsbereitschaft, Wohlwollen, Gastfreundschaft und Zuneigung gestoßen bin. Für mich ist es ein Ausdruck der Globalisierung, diese Erfahrungen machen und mit anderen teilen zu dürfen. Es ist viel schöner auf dieser Welt und die Menschen sind trotz aller Belastungen und Einschränkungen so viel mutiger und optimistischer als wir uns dies wechselseitig oft glauben machen wollen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Catuskoti

Neulich las ich bei Wikipedia über Catuskoti, wobei es um die logischen Argumente auf vier Fragen geht, die Buddha gestellt werden und Buddha dabei auf alle Fragen, ob etwas existiere oder nicht existiere antwortet, dass er das nicht behaupte.

Mir ist dabei aufgefallen, dass es bei der Beurteilung, die hier exemplarisch mit Buddha verbunden, aber auch sonst bei logischen Fragestellungen praktiziert wird, meist nicht um den Gegenstand der Betrachtung geht, sondern um das Urteil des Betrachters. Müsste es nicht aber so sein, dass Logik sich nicht an dem begrifflich bereits Festgelegten orientiert, sondern an der Rückbezüglichkeit vom Gegenstand der Betrachtung zum Betrachter selbst?

Wer ist der Betrachter, welche Maßstäbe legt er bei seinen Betrachtungen an? Welche Begriffe wählt er und warum? Eine nicht statuarische, sondern prozessuale Vorgehensweise bei der Gestaltung eines logischen Prozesses lässt möglicherweise die Sprache verstummen, wenn sie aufgrund ihrer Vorbefasstheit keine Antwort darauf hat, was logischerweise richtig oder falsch ist. Logik ist nicht die Dopplung von Objekt und Betrachtung, sondern eine Stimmigkeit, die wir versuchen zu dechiffrieren, dabei zerlegen und mühevoll versuchen, wieder auf einen Nenner zu bringen, was wir dann als logisch bezeichnen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Konsumismus

Die Wirtschaft wieder ankurbeln. Das ist das zentrale Anliegen der Regierungen trotz Corona-Epidemie. Die ist nicht vorbei, hat aber einen anderen Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren. Menschenleben gegen Wohlstand. Die Abwägung geschieht klammheimlich, denn mit der Wirtschaft geht es bergab und wenn der Markt nicht mehr funktioniert, hat der Staat auch keine Einnahmen. Steuern sind indes wichtig, um die ungeheuren Schulden zu bezahlen, die sich in Europa und jeder anderen europäischen Nation auftürmen.

Da die Märkte global angelegt sind, beschränkt sich die Verschuldung nicht auf Europa, sondern hat globale Aspekte. Wer soll die Wirtschaft wieder in Schwung bringen? Unsere Regierung gibt die Antwort: der Konsument. Deshalb wird zumindest vorübergehend die Umsatzsteuer gesenkt und werden und wurden Geldgeschenke verteilt. Die Aufforderung ist unmissverständlich. Der Konsument soll alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einschließlich Reserven nutzen, um auf den Markt zu gehen und zu kaufen und die Käufe zu feiern. Dies natürlich vorzugsweise nicht im Ausland, sondern im Heimatland.

Das ist nicht der Ruck, sondern der „Wumms“, der durch Deutschland gehen soll. Der Konsument ist gefragt, die Shopping Malls sind rund um die Uhr wieder geöffnet. Der strategische Nutzen für die Wirtschaft, wie wir sie bisher kannten, ist nachvollziehbar. Die Frage ist allerdings, ob dies so weitergehen kann und soll.

Erlaubt uns Corona nicht vielleicht die Möglichkeit, wieder grundsätzlicher nachzudenken? Hat denn Menschen das Shoppen, der ständige Konsumismus attraktiver und glücklicher gemacht? Ich glaube nicht. Über die Vorsorge, die Bedürfnisse und die Notwendigkeiten hinaus zu konsumieren, schafft einen Warenreichtum, der nicht nur die Umwelt belastet, sondern auch keinerlei Befriedigung verschafft. Durch den Konsumismus werden die Menschen in ein Anspruchsverhalten gelockt, dass wie eine Droge ihnen abverlangt, dieses Anspruchsverhalten nie wieder aufzugeben.

Ansprüche machen indes nicht nur einsam, sondern verstärken die Ich-Sucht. Wenn Anspruch auf Anspruch folgt und dies auch staatlich befürwortet wird, dann ist es naheliegend, dass jeder, ob reich oder arm, und zwar jeder auf seinem Niveau den Eindruck hat, er sei zu kurz gekommen, seine Ansprüche seien nicht hinreichend bedacht und befriedigt. Die Folge von Konsumismus ist Egozentrik, die unnachgiebig auf das eigene Wohl bedacht ist, das allerdings aufgrund des permanenten Anspruchsverhaltens niemals befriedigt werden kann.

Wenn wir in Corona-Zeiten etwas lernen dürften, dann Aussagen, wie das Handeln des Staates, der Gesellschaft, der Wirtschaft und unser eigenes Verhalten zu hinterfragen sei. Wir sollten anfangen, uns auf unsere wirklichen Bedürfnisse zu beschränken und dadurch zu einer Entlastung der Gesellschaft von Überflüssigem beizutragen. Dann würde ein Ruck durch Deutschland gehen, der uns hellsichtiger und reicher machen würde.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Böse lehren lernen

Denkmäler werden geschliffen. Nicht nur diejenigen von bekannten Sklavenhändlern, sondern auch von geschichtlichen Wegweisern wie Christoph Columbus. Nach Auffassung einiger Menschen kann deren Verhalten nicht gerechtfertigt werden, weil sie für Sklaverei, Menschenhandel, Diskriminierung anderer Menschen und Kolonialismus verantwortlich seien.

Ziel der Kampagne ist es aufzuzeigen, dass unsere Menschheitsgeschichte auch immer eine schreckliche, andere diskriminierende und verachtende Geschichte gewesen ist. Unter Benennung aller Einzelheiten, persönlichen und kollektiven Fehlverhaltens verbiete es sich, dieses Verhalten geschichtlich zu relativieren, in dem man den Vorgang nur in seiner Zeit und aus seinen Umständen heraus betrachtet. Vielmehr sei alles, was geschehen ist und Menschen sich wechselseitig angetan haben, höchst gegenwärtig und werden durch Verhaltensweisen und ggf. auch Denkmäler bezeugt. Deshalb müssten diese weichen und diejenigen, die entwicklungsgeschichtlich eher den Tätern zuzurechnen seien, sich in Buße üben. Buße bedeute dabei, sich der Rolle zu vergegenwärtigen, die die heutigen Menschen damals gespielt haben könnten, wären sie am Leben gewesen.

Keineswegs könnten aber heutige Menschen, die sich im Wahrnehmungskreis der Täter befänden, eine Opferdeutungsrolle übernehmen, ganz gleich, ob dies im geschichtlichen Kontext oder im Zusammenhang mit denjenigen stehe, die heute noch das Stigma des Opfers tragen müssten. Zwischen Opfer und Täter, ob geschichtlich oder gegenwärtig, gibt es so nur einen angestrengten Weg der Verständigung, nur über Buße und Nachsicht. Dabei gäbe es einen Weg, gemeinsam zu lernen und das Böse, das Menschen anderen angetan haben und immer wieder antun, als Lehrmeister auszubilden für das eigene Verhalten und daraus die Kraft des Verstehens, der Überwindung und der Vergebung zu schöpfen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Dunkelziffer

Dunkelziffer? Ist eine solche Ziffer im mathematischen Darknet zu Hause? Warum ist diese Ziffer lichtscheu und zeigt sich uns nicht? Gibt es diese Ziffer überhaupt oder ist sie nur ein Phantom? Wie ist diese Ziffer beschaffen, etwa wie jede Hellziffer oder ganz anders? Wenn es diese Ziffer geben sollte, wofür steht sie? Benennt sie etwas Vorhandenes oder verweist sie nur in einen Raum, der tatsächlich nicht erfassbar ist? Was ist in diesem Raum vorhanden, dass es sich in Ziffern ausdrücken ließe? Wer ist auf die Idee gekommen, dass es Dunkelziffern gäbe? Ist es eine Erfindung, eine fixe Idee des Verwenders eines solchen Begriffs?

Natürlich weiß ich, dass mit Dunkelziffern landläufig etwas beschrieben wird, von dem man annimmt, dass es auf Ergebnisse Einfluss nimmt und diese daher korrigiert werden müssten, wenn man die Dunkelziffer benennen könnte. Dunkelziffer ist eine Ziffer im Konjunktiv. Sie gibt es oder sie gibt es nicht. Mit ihr wird etwas ausgedrückt oder unterlassen, sie ist Platzhalter für das Unbestimmte. Das Unbestimmte sind Selbstmorde, Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Sexualdelikte, Gewaltdelikte, Beleidigungen und sonstige Umstände, die nicht erfasst und so auch nicht gänzlich in Statistiken untergebracht werden konnten.

Die Ziffer ist eine Unbekannte und versucht, uns einen Raum zu dechiffrieren, den wir nicht kennen. Dunkelziffern haben keine eigene Existenz, sondern sind von unserer Zuweisung abhängig. Wir geben der Dunkelziffer einen Auftrag. Sie soll etwas benennen, von dem wir annehmen, dass es das gibt, es aber nicht wissen. Auch, wenn wir die Dunkelziffer benennen, sind wir stets bemüht, ihr den Platz, den wir ihr zumessen, streitig zu machen.

Man könnte auch sagen, dass wir der Ziffer in die Dunkelheit folgen, um zu sehen, was sich an ihr erhellen ließe. Auf die Dunkelziffer können wir nicht verzichten, denn das ganze Spektrum unseres Lebens wird nur dann sichtbar, wenn wir uns auch der Dunkelziffer vergewissert haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sprichworte

Ich bin ein wahrer Hans im Glück, dachte Hans, als Goldmarie sich mit ihm einließ. Für ihn führten zwar bisher viele Wege in den Himmel und seine Lieblingsrezeptur bei Frauen war, „ein Mal ist kein Mal“, aber diesmal wusste er, wenn er „A“ sagen würde, müsse er auch „B“ sagen. Aus dieser Ge­schichte käme er nicht mehr ohne weiteres her­aus, denn die Liebe, die er in seinem Magen verspürte war stärker, als ein Neuner beim Kegeln.

Er war schon 40 Jahre alt und wurde von seinen Kegelbrüdern gedrängt, bei Goldmarie dran zu bleiben, denn „Eisen solle man schmieden, solange es heiß ist“. Hans war dagegen eher einer von denen, die sagten: „abwarten und Tee trinken“. Das brachte natürlich Goldmarie auf die Palme, aber er fühlte sich wie im 7. Himmel, wenn sie ihn nach langen Leibesübungen in den Morgen­stunden in den Arme nahm und seine verschütteten La­teinkenntnisse ihm zu­raunten: „per aspera ad astra“. Marie, die im Gegensatz zu dem Sprü­che­schmied Hans sogar das große Latinum hatte, tastete bei dieser Gelegen­heit nach seinem Bauch und seufzte „mens sana in corpore sano“. Gott sei Dank hatte Hans dies, weil noch leicht schnarchend, nicht verstanden, denn anderenfalls wäre er auf die Palme gegangen. Nichts hasste er mehr, als die Aufgabe seiner Bequemlich­keit und das Abweichen von ausge­tretenen Pfaden. Das war so bei der Arbeit wie auch zu Hause bei seinen Eltern. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Hans´ Sturheit brachte Marie erkennbar fast um den Verstand. Er musste sie auf die Probe stellen. Denn es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Er entschloss sich, sie zu heiraten. Er wusste zwar, dass dort, wo Licht ist, auch der Schatten lebt, aber, „Eisen sollte man eben schmieden, solange es heiß ist“.

Hans wusste ohnehin, dass er aus dieser Sache nicht mehr herauskommen würde. Er konnte sich drehen und wenden. Insgeheim dachte er zwar , „es ist noch nicht aller Tage Abend“. Als aber seine Stammtischfreunde stichel­ten: „Dumme Kälber wäh­len ihre Metzger selber“, resig­nierte Hans und meinte, wer „A“ sagt, muss auch „B“ sa­gen und schloss den Bund der Ehe. Er nahm es auch in Kauf, dass sein Konto schmolz wie Butter in der Sonne, Marie ihn drängte zu investieren, ein Häuschen im Grünen für sie zu bauen. Finanziell war er zwar bald am Ende, die Wünsche von Marie aber noch längst nicht erledigt. Ein früherer Liebhaber von Marie tauchte auf, ein Banker von erstaunlichem Renommee, Porschefahrer und Lebemann: „Sonne am Mor­gen vertreibt Kummer und Sorgen“. So sagte er, legte einen Batzen Geld auf den Tisch und verschwand mit Marie. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, rief er Hans dabei noch zu. „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, mur­melte Hans vor sich hin, nahm das Geld und kaufte weitere Baumaterialien, um für Marie die „Feste Burg“ zu vollenden. Sicher kommt sie zurück ?

Sieben Jahre sind vergangen, das Schloss fast errichtet. Weder links oder rechts hat Hans während der Bauphase geschaut. Andere Frauen waren aus den Augen und damit aus dem Sinn. Er baut unablässig und hat sich so eingerichtet in sei­nem unerledigten Eheleben. Die Sonne ist am Unterge­hen, „Abendrot schlägt den Morgen tot“, denkt Hans mit Verdruss, wenn er spürt, dass Marie so stark von seiner Erwartung Besitz ergreift, dass sich das Reißen in seinem rechten Arm wieder bemerkbar macht. „Es ist wahrlich nicht alles Gold, was glänzt“, lässt ihn dies seufzen. Doch „wer den Taler nicht ehrt, ist des Goldes nicht wert“. Ein langer gemeinsamer Weg müsste von ih­nen noch zu Ende gegangen werden und das sei erst der Anfang … meint Hans und wartet auf seine Frau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Perspektive

Es ist alles eine Frage der Perspektive. Dieses gängige Mantra vermag uns davon zu entlasten, über einen Umstand weiter nachzudenken oder in Konfrontation mit der Meinung eines anderen zu geraten. Dass es gängig ist, macht diesen Satz allerdings nicht falsch. Vom Menschen aus gesehen, gibt es keine Absolutheiten. Der Mensch denkt, empfindet und handelt perspektivisch, ausgehend davon, was seine Wahrnehmung ihm vermittelt. Unter diesem Aspekt ist Perspektive etwas höchst Persönliches, genährt von Erfahrung und Einschätzung, aber auch Wissen, Bildung und Erkenntnis.

Perspektiven ergeben sich aber auch für denjenigen, der überhaupt nichts weiß, ahnungslos und auf sich selbst beschränkt ist. Da Perspektive somit nur eine Projektion unserer Wahrnehmung ist, gilt es aufzudecken, welche Eigenschaften von Perspektiven nicht erfasst werden, durch unsere Betrachtung sich nicht offenbaren. Unsere Wahrnehmung unter perspektivischen Gesichtspunkten schafft Orientierung. Sie schafft sogar eine bestimmte Form der Verlässlichkeit, sobald diese Wahrnehmung sich entpersönlicht und so allgemeine Anschauung werden kann. Aber auch dann wird eine Perspektive nicht wahr.

Unsere Sinnesorgane sind in der Lage, uns das Wesen aller Dinge, die uns umgeben, zu vermitteln. Damit sind wir aber noch nicht zu deren Wesen an sich durchgedrungen. Alles Wesen, ob organisch oder nicht organisch entzieht sich unserer Gewissheit. Aus unserer Perspektive ist der Himmel blau. Inzwischen wissen wir, was uns zu dieser Wahrnehmung verleitet. Also beachten wir diesen Zustand als gesichert und wissenschaftlich auch bestätigt.

Aber, was macht den Himmel blau? Ausschließlich aufgrund unserer Wahrnehmung, aus unserer Perspektive heraus ist der Himmel blau. Diese Wahrnehmung reicht uns. Wir hinterfragen  nicht, wie Bäume, Berge oder Vögel diesen Himmel für sich beschreiben. Aber, auch wenn wir diesen relativen Moment in der perspektivischen Wahrnehmung durchaus erkennen und auch akzeptieren müssen, so scheuen wir uns doch, die Erkenntnis dahingehend zu erweitern, dass wir niemals etwas wissen, noch des Pudels Kern finden können.

Wir wissen nichts von den Dingen, sondern folgern lediglich aus ihren Eigenschaften ihre tatsächliche Beschaffenheit. Wir wissen nicht, was unseren Planeten, diesen Weltraum im Inneren zusammenhält. Alles ist irgendwie und täglich ringen wir darum, einen perspektivischen Ansatz dazu zu finden, damit wir eine Ordnung haben, die uns nicht selbst permanent in Frage stellt. Es ist gut, dass wir diese selbstberuhigende Fähigkeiten haben. Es ist aber großartig, dass wir trotz allem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, trotz Transzendenz und Dataismus letztlich weiterhin gespannt und neugierig auf alles und nichts sein dürfen. Aber sind wir den Anforderungen, die an uns gestellt werden, gewachsen?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

System

Wir leben in Zeiten des Postindividualismus. Wir begreifen die Komplexität dieser Welt und erfahren, dass wir zwar eine wichtige, aber letztlich nicht ausschlaggebende individuelle Rolle in dieser spielen. Genauso wie unser Körper und Geist und alle unsere Empfindungen einer komplexen endogenen Bestimmtheit unserer DNA und dem Einfluss der uns besiedelnden Mikroben und Viren folgen, ist die uns umgebende Tier- und Pflanzenwelt gleichermaßen von diesen bestimmt.

Um dabei im Bild zu bleiben, findet zwischen der Tier- und Pflanzenwelt und uns Menschen ebenfalls ein reger Austausch statt, der eine evolutionäre Singularität des Menschen ausschließt. Um Entwicklungen voranzubringen, ist die systemische Stimmigkeit allen Lebens erforderlich. Es geht dabei nicht um Gleichgewichte, sondern die dem System eigentümliche Prägung sorgt dafür, dass die Störung des Masterplans, so sie auftritt, beseitigt wird.

Was aber ist der Masterplan? Ihn sich etwa als Formular oder grundlegende Botschaft vorzustellen, wäre töricht, wenn man unterstellte, das System wäre von einem imaginären Kopf her bestimmt. Das Entscheidende ist, dass das die Welt lenkende System sich selbst opportun entwickelt und anpasst. Dieses System kennt keine Gewissheiten und hat womöglich auch dem Menschen keine bleibende Rolle zugedacht.

Aber, die Regelhaftigkeit dieses Systems kann man vielleicht mit derjenigen eines Magneten vergleichen, der zugleich abstoßend und anziehend wirken kann. Die absolute Ungewissheit macht uns zu schaffen. Sie sollte aber auch Ansporn dafür sein, nicht immer und weiter unser Ego zu feiern und gegen alles, was uns bei der angemaßten Selbstentwicklung zu hindern scheint, Widerstand zu leisten, sondern uns einzulassen auf ein ganzheitliches komplexes Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, den Tieren und der Pflanzenwelt. Wie flüchtig unsere scheinbare Einmaligkeit als Individuum ist, erfahren wir täglich bis zu unserem Tod. Alles Persönliche ist vergänglich, was aber bleibt, ist der Beitrag, den wir für das Ganze, also das System, geleistet haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rumpelstilzchen

Es ist, was es ist, das Ganze und dessen Teil, das Einzelne und die Menge. Es erklärt sich selbst, wenn wir bereit sind, seine Botschaft anzunehmen. Das Unbestimmte hat seine eigene Methode der Entdeckung, den besonderen Zugang zu seinem Verständnis. Diesen verschafft unsere Bereitschaft, uns auf einen integrativen Prozess einzulassen und nicht zu meinen, wir vermögen den Weg jeder Erkenntnis selbst zu bestimmen, gar zu glauben, dieses sei uns vorgegeben.

Auch eine etwa von uns eingesetzte Dechiffrierungsmaschine muss scheitern, denn sie versteht nicht, dass jede Gesetzmäßigkeit sich auch an Opportunitäten und Vorteilsnahmen orientiert. Wie bei Rumpelstilzchen ist alles nur durch eine angemessene Zuordnung, die sich aus dem Anliegen selbst heraus sichtbar macht, erklärbar. Jede Zahl, jedes Blatt und jedes Atom, die großen und kleinen Dinge vermögen sich ausschließlich durch ihre energischen Selbstbehauptungen zu vergegenwärtigen.

Wenn wir uns auf das Verborgene einlassen, dann wissen wir Bescheid, ohne dass wir genötigt wären, den Gegenstand der Betrachtung zu zerlegen oder zusammenzusetzen. Alles kann im gleichen Augenblick manifest und flüchtig dadurch werden, dass wir unser Verständnis zeigen. Wenn wir senderorientiert wahrnehmen und uns gänzlich öffnen, dies mit allen unseren Sinnen und kognitiven Möglichkeiten, bleibt uns das Wesen des Ganzen nicht verborgen. Wir erkennen dann die Muster, die sich selbst entwerfen, als seien sie in Sand oder Schnee gemalt. Jede Erkenntnis ist in uns selbst und dem Gegenstand unserer Betrachtung angelegt. Wir müssen nur lernen, alles zu begreifen. Rumpelstilzchen weist uns einen Weg.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski