Krankheit

Krankheiten sind sehr populär. Sie erfahren eine große politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und private Beachtung, aber erstaunlicherweise ist damit nicht verbunden, dass Menschen Krankheiten als eine sehr persönliche Herausforderung begreifen und die Chance nutzen, sich mit diesen und der Wirkung auf ihren eigenen Körper auseinandersetzen.

Damit meine ich nicht nur die manifeste Erkrankung des Körpers an sich, sondern schon der Prozess, der zu einer Erkrankung führt, also die Lebensweise und unterlassene Prophylaxe durch bestimmte Maßnahmen. Für viele Menschen bedeutet Krankheit nur ein unvermeidbarer Zustand, dem sie ausgeliefert sind und dadurch zu entgehen hoffen, dass sie sich wieder anderen ausliefern, also Ärzten, Krankenhäusern und Wunderheilern. Dies alles in der Erwartung, dass der frühere scheinbar unbeschwerte Zustand wieder herbeigeführt werden kann. Um diesen Eindruck zu fördern, sorgt eine gigantische Gesundheitsindustrie dafür, dass diese Illusion beständig erhalten bleibt, denn Krankheit ist ein unverzichtbarer Wertschöpfungstreiber und je verfügbarer ein Mensch ist, umso vielfältiger ist es um die Möglichkeiten bestellt, seine Krankheit dauerhaft zu vermarkten.

Zwar werden eine gesunde Lebensweise, Sport und verschiedene weitere Maßnahmen prophylaktischer Krankheitsvermeidung immer wieder empfohlen, dies aber sicher wohlwissend, dass Appelle kaum Gehör finden, angesichts einer vollständig auf die Ich-Wohlbeförderung ausgerichteten allgemeinen Lebensanschauung, die dank aller Versprechen dafür sorgt, dass die Erwartungen so nicht versiegen und der Mensch lebenslang als Konsument zur Verfügung steht.

Daran wird sich auch nichts ändern, es sei denn, die wirtschaftliche Gesamtlage erfährt in der Folge klimatischer, politischer, pandemischer und auch kriegerischer Verschlimmerungen unserer objektiven Verhältnisse eine derartige Belastung, dass die Menschen sich den Verzicht auf eine auch persönliche Zuständigkeit in Fragen ihrer Gesundheit und Lebenserhaltung nicht mehr leisten könnten. Taucht der Versuch, den Menschen selbst in Verantwortung zu nehmen, gelegentlich schon in der öffentlichen Diskussion auf, so ist es erstaunlich, dass im Gegensatz zum abstrakten Allgemeindiskurs dann doch sehr persönliche Verbindungen zur eigenen körperlichen Wahrnehmung aufgebaut werden können.

Der Mensch ist lernfähig. Doch leider zeigt es sich, dass es bereits an der Ausbildung junger Menschen mangelt, die Notwendigkeit der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit des eigenen Körpers zu erfassen. Die Übernahme der persönlichen Verantwortung beim Konsumverhalten, wie Tabak, Alkohol und Fast Food würde zur Reduzierung von Krankheiten und zur Einsparung von Kosten führen. Krankheit ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell und sollte dies angesichts der veränderten Erwartungshaltung an die Politik, die Wirtschaft und auch den einzelnen Menschen künftig nicht mehr sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Bilder

Es ist sicher nicht nur Instagram zu verdanken, dass wir diese Welt vorwiegend bildhaft begreifen. Durch Selfies versichern wir uns und anderen, dass wir vorhanden sind, teilhaben am großen Weltspektakel. Nicht Texte, sondern Bilder fluten die Smartphones insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Die Pose ist Bildinhalt und muss den „Wischtest“ bestehen. Die Interaktion zwischen Bild und Betrachter ist entscheidend für die Beständigkeit im Konsum des bildhaft Dargestellten.

Auf der Konsumentenebene beanspruchen Bilder aber keine Ewigkeit. Sie vermitteln vielmehr zeitlich und örtlich Zustände, die mit jeder neuen Aufnahme wieder zur Disposition gestellt werden können. Die durch das Bild vermittelten Eindrücke sind niemals wahr, denn sie berücksichtigen keine Umstände, die außerhalb des Bildausschnittes liegen.

Woher wissen wir aber, dass selbst das, was wir vordergründig als Abbildung der Wirklichkeit begreifen, in Wahrheit nicht nur ein durch Manipulationen erzeugter Bildeindruck ist?

Das Bild ist eine Fiktion der Wirklichkeit, hat aber die Kraft, uns täglich nicht nur bei der optischen Wahrnehmung, sondern auch in unserem Handeln zu beeinflussen, selbst gar zu bestimmen. Zu dem Abbild einer konkret behaupteten Wirklichkeit, gesellt sich aber auch das Bild, dass zwar niemals behauptet, die Wirklichkeit zu kopieren, aber in seiner Ausdrucksstärke geeignet sein kann, uns einen Aspekt der Wirklichkeit aufzuzeigen, der unsererseits zwar mit Augen aufgenommen, aber nicht visuell verarbeitet werden kann.

Diese Bilder erzeugen Geschichten, die uns dabei unterstützen können, die Wirklichkeit zu begreifen und uns Möglichkeiten eröffnen, mehr zu erkennen, als ein Abbild dies jemals vermag.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Leistung

Dass Leistung sich wieder lohnen müsse, ist einer in Tarifstreitigkeiten oft vernommener Appell an den Arbeitgeberpartner. Gemeint damit ist eine gerechte persönliche Kompensation für geleistete Arbeit.

Wie aber ist es um Leistung und deren Kompensation außerhalb des durch Arbeit und Wirtschaft geprägten Lebensraums bestellt? Schlecht, so ist jedenfalls mein Eindruck, denn es geht dabei oft nicht um eine vorhandene Leistung, die durch Entgelt kompensiert werden soll, sondern um die Förderung von Leistung an sich. Der Begriff Leistung wird in unserer Gesellschaft leider misstrauisch beäugt. Leistung scheint ein Privileg zu sein, Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit und zudem belastend für diejenigen, die sie erbringen sollen. Leistungsdruck und jede Form des Wettbewerbs an Kitas, Schulen und Universitäten werden als schädlich für Kinder und Heranwachsende gebrandmarkt. Statt Leistung wird schon das Bemühen um Ausbildung und zuweilen sogar die schiere Anwesenheit als ausreichend und anerkennungswert erachtet.

Wird man aber mit dieser oft pädagogisch begründeten Genügsamkeit den Erwartungen junger Menschen gerecht? Ich glaube das nicht. Menschen sind von Geburt an bereit, Erwachsene zu werden und haben daher einen Anspruch auf ein Ausbildungsleben, dass das Ziel zur Gewissheit werden lässt. Weil zielführende Förderung von den Eltern, Erziehern und Lehrern erwartet wird, müssten sie von den Kindern und Heranwachsenden Leistungen fordern und diesen dabei einen Vergleichsmaßstab vermitteln.

Leistung und Konkurrenz sind Partner der Förderung, die diese erfahren müssen, um sich im Leben auszubilden und sich dem Druck, den Schule, Familie, soziale Medien und weitere Herausforderungen ausüben, gewachsen zu sehen. Sie sollten sich persönlich und gemeinschaftlich profilieren und dabei Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewinnen. Das Erkennen eigener Fähigkeiten verleiht zudem die Möglichkeit, auch ein Scheitern als eine Form der Leistung anzusehen und dieses ehrgeizig und kraftvoll wieder zu überwinden. „Ich lerne für mein Leben gern!“ Die Leistungen junger Menschen sind anzuerkennen und nicht als nebensächlich zu relativieren. Wenn kein Maßstab für Leistungen geboten wird, ist es naheliegend, dass Heranwachsende selbst bestimmen, ob und mit welcher Intuition und welchen Zielen sie ihre Leistung erbringen.

Die Kraft und Möglichkeit, alles zu schaffen, werden sie haben. Ob sie diese Kraft aber tatsächlich in ihrem Interesse, im Interesse ihrer Eltern, ihrer Familie und der Gesellschaft insgesamt einsetzen, ist stets eine offene Frage, die von den Chancen und Möglichkeiten dieser Menschen, sich zu beweisen, abhängt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Weltbild

Das Leben der meisten Menschen, zumindest in Deutschland, ist von einem hohen Sicherheitsbedürfnis bestimmt. Da jedem Menschen bewusst ist, dass ein Sicherheitsbedürfnis nur dann wirksam bedient werden kann, wenn die Allgemeinverbindlichkeit eines bestimmten Weltbildes erreicht wird, schaffen die Menschen Strukturen, innerhalb derer sich eine gemeinsame Sichtweise entwickeln und verfestigen soll. Ob das durch diese Sichtweise geschaffene Weltbild mit der Wirklichkeit kongruent ist, ist dabei offenbar weniger bedeutend als die Verbindlichkeit, die durch die gemeinsame Anschauung dieser Menschen begründet wird.

Das so gewonnene Weltbild grundsätzlich in Frage zu stellen, ist ausgeschlossen, abweichende Sichtweisen werden nur dann akzeptiert, wenn sie im Kern keiner Aufgabe des bisherigen Standpunktes, sondern nur dessen Bekräftigung dienen. Allerdings führt dies für den Fall, dass sich Weltbild und eine sich stets verändernde Wirklichkeit auch nicht mehr ansatzweise decken, dazu, dass sich Menschen nicht mehr in dieser Welt zurechtfinden.

Verschiebt sich der Fokus der Betrachtungsmöglichkeiten, mag der Einzelne noch Korrekturen für möglich erachten, innerhalb einer Gruppe fördern dagegen Anzeichen von tatsächlichen Veränderungen die Angst, wieder in den unsicheren Zustand vor der Festigung eines Weltbildes zurückzufallen. Wenn Weltbild und Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen, weil sich die Wirklichkeit verändert, dann fördert dies zudem die Bereitschaft von Menschen, die Wirklichkeit entsprechend ihren Vorstellungen anders zu gestalten, ggf. unter Einsatz von politischer und physischer Gewalt.

Sollte dies eintreten, dann ist es naheliegend, dass die so neu geschaffene Wirklichkeit nunmehr wieder Projektionsfläche für ein Weltbild wird, das ebenfalls Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit bis zur nächsten durch Gruppeninteressen rückversicherten Sichtweise auf die Welt erhebt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wünsche

Einmal las ich, dass Wünsche das Rechnen gelernt hätten. Dieser zunächst völlig fremde Eindruck erschloss sich mir beim näheren Betrachten allerdings als zutreffend. Wünschende und diejenigen, die Wünsche erfüllen, begeben sich in einen Dialog, der Erwartungshaltung gegen Nutzen ausspielt. Wünschende vergnügen sich nicht damit, eine Erfüllung ihrer Wünsche als möglich erscheinen zu lassen, sondern versehen ihre Wünsche bereits mit berechenbaren Attributen.

Dadurch erleichtern sie einerseits deren Erfüllung, schaffen andererseits auch die potentielle Gefahr des Misstrauens, dem Wünschenden durch Versagungsrituale zu begegnen zu versuchen. Bei jeder Erfüllung eines Wunsches soll es möglichst darum gehen, diesem Prozess den Anschein der Freiwilligkeit zu geben, die in erkennbarem Widerspruch zum Wunsch selbst steht. Jeder Wunsch erwartet seine Befriedigung.

Nun wird natürlich nicht jeder Wunsch befriedigt, aber auch dieses Defizit ist kalkulierbar. Selbst nicht erfüllte Wünsche sind in der Lage, berechenbare Vorteile dem Wünschenden zu verschaffen, denn nur der Wünschende selbst weiß, wie auch der Adressat des Wunsches, auf welcher Ebene gerechnet wird. So kann auch der versagte Wunsch sich als besonders wertvoll erweisen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Schnäppchen

Wenn jemand einen Fisch verführerisch blinken sieht, wird er davon überzeugt sein, dass sich ihm ein Schnäppchen bietet. Er beißt zu und ist damit meist am Haken. Die Analogie zum menschlichen Verhalten ist gewollt. Ein Schnäppchen lohnt für uns den Einsatz. Risiken werden ausgeblendet. Risiken?

Schnäppchen werden landläufig eher mit Vorteilen gespiegelt. Schnäppchen bieten sich uns an, weil sie vermitteln, dass wir anbeißend besonders clever sind und der Ignorant besonders dusselig. Bei Schnäppchen geht es stets um uns zugemessene Vorteile. Es geht nicht darum, ob diese objektiv vorhanden sind, sondern um unsere Überzeugung. Um einem Schnäppchen öffentlich Wirkung zu verleihen, benötigt es die Anerkennung anderer Menschen. Sollten wir allerdings unsere Schnäppchenerfahrung mit anderen Menschen teilen, laufen wir Gefahr, dass Neid aufkommt oder wir dahingehend belehrt werden, dass wir leider einem Eigenschaftsirrtum aufgesessen seien, unser Schnäppchen nur ein vermeintliches sei.

Wird uns die Anerkennung des Schnäppchens schließlich gänzlich versagt, weil wir die erwartete Würdigung unserer Cleverness nicht erfahren, macht sich bei uns Unsicherheit und Misstrauen breit. Was wissen, was denken die Anderen? Wegen fehlender Anerkennung oder Gleichgültigkeit vergeht uns jeder Spaß. Unser Triumph wird durch Ernüchterung, Enttäuschung und Infragestellung erledigt. Der gerade noch vorhandene Schnäppchenjägerstolz erlischt.

Wem ist noch zu trauen? Es folgen Rückzug und Einsamkeit, Entwurzelung oder Schlimmeres. Genug, genug, gehen wir lieber weiter auf Schnäppchenjagd! Ja, wir optimieren unseren Einsatz, kaschieren, panaschieren, nutzen alle denkbaren legalen und halblegalen, vielleicht auch noch illegalen Möglichkeiten, unser Schnäppchen zu machen! Ist das nicht die sublimste Form der Nachhaltigkeit? Was schert denn den Pawlow´schen Hund bei so viel Selbstgewissheit noch die Anerkenntnis anderer, wenn er in der Lage ist, sich selbst zu belohnen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Verwandtschaft

Wenn von Fürstenhäusern die Rede ist, vernimmt man häufig Ausführungen zur Tradition und zum Stammbaum. Es wird ausführlich davon berichtet, wer sich mit wem eingelassen hat und welche Erwartungen die Öffentlichkeit an diese Verbindung knüpfen darf. Eine entsprechende mediale Aufmerksamkeit wird auch Genies geschenkt. Politiker und Sportler verweisen ebenfalls gern auf ihr Elternhaus mit dem Zusatz, dass sie es gerade deshalb oder auch trotzdem geschafft haben, ihre berufliche Stellung zu erringen.

Ansonsten nehmen die meisten Menschen ihre Verwandtschaft oft nur bei Familienfeiern wahr, entweder als lästig oder unumgänglich bzw. hilfreich. Eine tiefere Auseinandersetzung mit Verwandtschaft und Abstammung erfolgt in der Regel nicht und systematische Bearbeitung, wie es zur Tier- und Pflanzenwelt praktiziert wird, nur dann, wenn es darum geht, Menschen in einen gesellschaftlichen oder anthroposophischen Zusammenhang zu stellen. Detailfragen zur persönlichen Verwandtschaft werden oft nur im Zusammenhang mit Erbschaften geklärt und Geburts-, Heiratsurkunden, alte Briefe, Fotos, Taufbescheinigungen und Kirchenbuchauszüge selten genutzt, um sich eine Übersicht über die vielfältigen menschlichen, kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Verbindungen innerhalb der Familie zu verschaffen.

Warum ist die oft vernachlässigte Vergewisserung über Familie, Verwandtschaft und Abstammung eigentlich so wichtig? Ich meine, durch das Entdecken der vielfältigen Beziehungen, die uns verbinden, durch das Eintauchen in die Vergangenheit und das Aufdecken von Zusammenhängen kommen wir unserer eigenen Existenz näher und werden uns bewusst, was alles erforderlich war, um uns zu dem Menschen werden zu lassen, der wir heute sind.

Meines Erachtens schafft das Sicherheit und verlangt gleichzeitig Demut, denn bei der Erforschung sind uns unter Umständen nicht nur wunderbare Überraschungen gewiss.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Lebensleistung

Wenn ich einmal alt geworden bin, so stelle ich mir vor, dann werde ich auf einem Stuhl sitzen und über mein verflossenes Leben nachdenken. Dann möchte ich, so stelle ich mir weiter vor, die Gewissheit haben, dass ich entsprechend meiner Möglichkeiten einen Lebensbeitrag für andere geleistet haben würde. Das schließt natürlich Frau, Familie, Kinder, Enkel und Freunde nicht aus, sollte allerdings entsprechend meiner Erwartungen mehr sein.

Die Frage stellt sich, war ich beruflich nur eigennützig erfolgreich gewesen oder hat mein Beitrag anderen Menschen geholfen, sie dabei unterstützt, ihr Anliegen umzusetzen, ihre Interessen zu fördern und ihre Situation zu verbessern. Eindeutig ist das sicher alles nicht, ich möchte allerdings dann auf meinem Stuhl herausfinden oder zumindest empfinden, dass ich meine Ich-Welt zeitweilig verlassen und Anteil genommen habe an ihren Problemen, Freuden und Erwartungen.

Natürlich bin ich mir auch dann meines stets privilegierten Lebens bewusst, aber ich stelle dann hoffentlich auch fest, dass es mir gelungen ist, mehrere Leben gleichzeitig zu leben, das eigene und das fremde. Meine Erziehung, meine Ausbildung, meine körperliche und physische Verfassung lassen es nicht zu, so aufopfernd zu handeln, wie es viele von mir bewunderte Menschen tun, aber – so hoffe ich jedenfalls – sind es nicht nur günstige Umstände, die es mir Zeit meines Lebens erlaubten, entsprechend meiner Fähigkeiten und Möglichkeiten für andere Menschen da zu sein und zu helfen.

Sicher werde ich dann auf meinem Stuhl sitzend auch erkennen, wie oft ich bequem, feige, selbstherrlich und anmaßend war. Aber auch meine vielen Fälle des Versagens werden verdeutlichen, dass ich mich darum bemüht habe, nicht nur ein mit mir selbst erfülltes Leben, sondern auch ein erfüllendes Leben mit anderen Menschen zu führen. Immer habe ich verstanden, dass ich einen Beitrag für dieses Leben zu leisten habe, so unerwartet die Geburt ist und wie abschließend der kommende Tod.

Wenn ich auf meinem Stuhl sitze, wäre es mir unerträglich, wenn ich bekennen müsste, dass sich in meinem ganzen Leben nichts Anderes ereignet hat, als meine Selbstbestätigung. Manch einen habe ich, so muss ich selbst bekennen, mutwillig oder unbewusst verletzt, durch Übermut verwirrt oder durch Anmaßung betrogen. Das Leben indes bildet aus und deshalb hoffe ich, dass dann, wenn ich auf meinem Stuhl sitze, der Blick zurück auf mein Leben mich gelassen bleiben lässt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Armut – Reichtum

„Arm zu sein, bedarf es wenig, doch wer reich ist, der ist König!“ So wäre das bekannte Kinderlied „Froh zu sein …“ leicht abzuwandeln. Stimmt aber diese Feststellung oder sind Korrekturen angebracht? Arm versus Reich sind gängige Themen, politisch und gesellschaftlich aufgeladen durch unbefriedigte Ansprüche einerseits und gelegentlich protzende Selbstverständlichkeit andererseits.

Genau weiß zwar niemand, wo die Grenze zwischen Arm und Reich zu ziehen ist, ein deutliches Gefühl des Missbehagens begegnet aber denjenigen, die über ein großes Vermögen verfügen angesichts der Einschränkungen und Sorgen, den sich weniger begüterte Menschen ausgesetzt sehen. Das nicht nur gefühlte, sondern auch bestehende Ungleichgewicht wird politisch und gesellschaftlich als ungerecht empfunden. Der Maßstab für gerecht und ungerecht ist allerdings nicht verlässlich konstant, sondern variiert unter Berücksichtigung der eigenen Betroffenheit und Ansprüche.

Die sehr armen Menschen scheinen den Reichtum anderer Menschen eher nur zur Kenntnis zu nehmen, ohne hierauf mit Forderungen nach einer Teilhaberschaft daran zu reagieren. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie überwiegend mit ihren eigenen Problemen und der profanen Lebenssicherung beschäftigt sind. Dies ändert sich, wenn der Mensch aufgrund seines Bildungsstatus oder eines eigenen schon bescheidenen Vermögens den Unterschied zur wirtschaftlichen Verfügungsmacht anderer Menschen erkennt und daraus für sich selbst Defizite ableitet.

Dabei wird die Konsequenz des eigentlich als überwunden erachteten Feudalismus in Frage gestellt. Die öfters gestellte Frage lautet dann, wenn alle Menschen gleich sind und keiner für sich besondere Privilegien beanspruchen kann, wie ist es dann zu erklären, dass einige Menschen über ein sehr großes Vermögen verfügen und andere sich sehr einschränken müssen?

Einer der Hauptgründe ist in der von den Menschen selbst geschaffenen Rechtsordnung zu finden, aber auch darin, dass Freiheit und Verantwortung einer Interpretation bedürfen, die es Menschen erlaubt, Unterschiede wahrzunehmen, ohne verstört oder wütend darauf zu reagieren. Diejenigen, die über großes Vermögen verfügen, sollten nicht abwarten, bis andere Menschen es ihnen wegnehmen. Sie könnten auch darüber nachdenken, das Geben gerecht ist und sich entsprechend verhalten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Manieren

Noch habe ich das im Ohr: „Was bist du nur für ein ungezogener Bengel, hast du denn überhaupt keine Manieren!“ Oder auch: „Haben deine Eltern dir denn überhaupt keine Manieren beigebracht!“ Manieren? Welch seltsames Wort, aber als Kinder wussten wir genau, was damit gemeint war. Manieren bezeichnete das allgemeine Verständnis zu wissen, was sich gehört oder nicht gehört und entsprechend auch zu handeln. Der Begriff stammt aus dem Französischen. Er umfasst den gesamten Bereich einer Ordnung, die als allgemeinverbindlich angesehen wird, und zwar obwohl dies nirgends schriftlich verzeichnet ist.

Manieren wurden früher dem Kind beigebracht, d. h. es lernte die Regeln, die als selbstverständlich dafür angesehen wurden, dass sich der Mensch durch sein Leben navigieren sollte, ohne ständig mit dem Verhalten und den Ansprüchen anderer Menschen in Konflikt zu geraten. Ein Kind wusste, ob und wann es sich nicht manierlich verhält und versuchte dies möglichst zu vermeiden, es sei denn, dass es sich gerade bewusst und absichtlich unmanierlich verhielt, um Reaktionen der Erwachsenen zu provozieren.

Heute sind diese fast altertümlich anmutenden Begriffe kaum mehr gebräuchlich, aber der Sinn, der dahintersteht, ist weiterhin aktuell. Jeder Mensch muss wissen, was er darf und was er vermeiden muss, um ein einvernehmliches Zusammenleben mit anderen Menschen zu gewährleisten. Besteht dieses allgemeine Verständnis nicht und wird dies bei der Entwicklung von Kindern vernachlässigt, besteht die Gefahr, dass bei fehlender Kenntnis der Regeln der junge Mensch mit Verhaltensweisen anderer Menschen konfrontiert wird, die er nicht einordnen kann und sich dann entweder irritiert zurückzieht oder mit Aggressivität reagiert.

Diese Radikalisierung von Verhaltensweisen nehme ich wahr. Unhöflichkeit und Wut sind aber taktisch völlig ungeeignete Verhaltensweisen, um die Förderung des eigenen Anliegens und inhaltsbezogene Gespräche zu erreichen. Sie offenbaren vielmehr die Unfähigkeit, Ziele zwar beharrlich, aber auch unter Wahrnehmung eigener Grenzen zu verfolgen und einvernehmlich zum Erfolg zu gelangen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski