Unter Staatsabgaben verstehe ich die Verpflichtung des Bürgers, einen Beitrag dafür zu leisten, dass der Staat funktioniert. Neulich besuchte mich ein Mandant und bat um Hilfe. Sein Anliegen war nicht ungewöhnlich. Er ist selbstständig, hatte stets im obersten Bereich der Verpflichtungsskala Steuern gezahlt, musste aber aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise in unserem Lande mit der Arbeit kürzer treten. Aufträge, mit denen er fest gerechnet hatte, blieben aus. Die Zahlungsmoral seiner Kunden ließ ebenfalls zu wünschen übrig. Was blieb, war eine Steuerlast aus vergangener Zeit, die es zu tilgen galt. Über die Höhe der Verpflichtungen, aber auch den Grund der Inanspruchnahme kam es zu keinerlei Differenzen mit dem Finanzamt. Nach den geltenden Gesetzen war der Anspruch der Finanzbehörde gerechtfertigt, nur aus den vorhandenen Einnahmen nicht zu erbringen.
Mein Mandant verfügte über keinerlei Vermögen, nachweisbar hatte er jedes verfügbare Einkommen in die Regulierung von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner geschiedenen Frau, die einkommenslos war, und die Sicherung der Ausbildung der Kinder gesteckt. Sein Motto war immer, dass die Unterstützung der Familie das Wichtigste sei. Weit hergeholt war dies nicht, denn wie sonst sollen die Leistungsträger von morgen denn anders auch geschaffen werden? Nichts von dem ganzen Erziehungsaufwand war indes steuerlich abzugsfähig. Es blieb bei einem Teil der Steuerlast, der jetzt aus finanziellen Mitteln nicht mehr zu bewältigen war. Aus systemischen Gründen erhielt er übrigens auch keinen Kredit. Er hätte auch nicht gewusst, wie er diesen wieder hätte zurückzahlen können. Also blieb nur die Insolvenz. Anstelle der Fortführung des Geschäfts und der Unterhaltssicherung der Familie: Hartz IV. Auf meine Nachfrage, ob er denn wirklich kein Geld habe, denn in unserer Gesellschaft kein Geld zu haben, sei ja ein Unding an sich, versicherte mir mein Mandant, da sei wirklich nichts zu holen. Er habe auch schon einen Vollstreckungsschutzantrag gegenüber dem Finanzamt ab- und detailliert Auskunft gegeben über sämtliche pfändbaren Gegenstände einschließlich seines Bargeldbestandes, der sich auf derzeit 349,50 Euro belaufe.
Aber, so erklärte mir mein Mandant mit einer gewissen Genugtuung, er verfüge doch über erhebliche Fähigkeiten. Er habe sich in der Vergangenheit gemeinnützig engagiert, insbesondere auf dem Bildungssektor für die Ausbildung von Hauptschülern, Vermittlung von Studenten ins Ausland bis hin zur Renovierung von Kindergärten und Schulen zusammen mit seinen Mitarbeitern, Lehrern und Eltern. Er könne doch, so lautete der Vorschlag meines Mandanten, statt Geld dem Finanzamt seine persönliche Leistung anbieten. Er sei ein geschickter Verhandler, er könne sein gemeinnütziges Engagement von derzeit vielleicht 30 % auf 60 % steigern. Er könne in seiner Freizeit als Pfleger in einem Krankenhaus arbeiten und vielleicht sogar das Finanzamt renovieren. Im Übrigen falle es ihm sicher leicht, Formulare zu entwerfen und Briefe zu schreiben. Er habe inzwischen an so vielen Podiumsdiskussionen teilgenommen, Reden gehört und Reden verfasst, dass auch dort ein Kompetenzschwerpunkt liegen könne. Kurzum: Ob ich es nicht für möglich erachte, dass wir dem Finanzamt statt des Geldes einfach ihn und seine Leistungsfähigkeit anbieten, denn schließlich sei Geld auch nichts anderes als geronnene Arbeit. Aus dem Tauschhandel sei ohnehin alles abzuleiten und Geld würde diesen Tausch im Prinzip nur erleichtern. Wenn aber kein Geld da sei, bliebe doch noch immer die verrichtbare Leistung. Das klang verblüffend, aber auch sehr überzeugend. Doch was, so gab ich zu bedenken, wenn der Staat seine Leistung gar nicht wolle, sondern Geld vorziehe, um selbst zu entscheiden, was er zu tun gedenke? Ja ja, warf mein Mandant da ein, das verstehe er gut. Er selbst hätte ja auch gerne Geld von seinen Kunden und es wäre sicher auch alles einfacher, wenn alle alle bezahlen würden. Aber wenn nun kein Geld da sei, müsse man doch zumindest Alternativen erwägen. Im Übrigen gehe es doch sicher nicht nur ihm so, sondern seines sei eventuell sogar das Schicksal vieler Menschen. Wenn man beim Finanzamt eine Liste derjenigen Personen führen würde, die einfach nicht bezahlen können, und stattdessen anzeige, was als alternative Leistung in Betracht käme, bestünde sogar die Möglichkeit, untereinander Fähigkeiten zu handeln, um das ganze Programm noch effektiver zu gestalten. Im Übrigen wäre es doch interessant, einmal eine Bedarfsliste des Staates zu bekommen, um festzustellen, wo er Hilfe wirklich dringend benötigt.
Vielleicht könnten dann die Bürger gemeinsam überlegen, wie sie dem Staat zur Seite stehen, die Probleme mit ihm gemeinsam lösen könnten. Aber, so warf ich ein, dafür gibt es doch die gewählten Vertreter. Mein Mandant lächelte etwas matt. Was meinen Sie, Herr Rechtsanwalt, was war zuerst da, das Ei oder das Huhn? Die Frage verstand ich nicht. Können Sie meinen Eindruck widerlegen, meinte er, dass der Staat von seinen Bürgern zu allererst Geld einzieht und erst dann verrät, für was er das Geld verbraucht? Vielleicht habe ich nicht immer richtig aufgepasst. Es gibt ja auch Haushaltsentwürfe usw., aber niemals wurde mir gesagt, dass ich für das oder jenes Vorhaben etwas zu bezahlen hätte oder mir gar Geld zurückgewährt würde, wenn ich erführe, dass es an anderer Stelle hilfreicher gewesen wäre als dort, wo es zunächst hingeflossen sei. Würden die Steuern nicht benötigt, so versickere das Geld, also auch das von mir gezahlte Geld irgendwo. Während mein Mandant redete, dachte ich für einen Moment darüber nach, was passieren würde, wenn ich das Geld, welches mir ein Mandant für bestimmte Aufgaben anvertraut hat, woanders einsetzen würde, sobald ich feststellte, dass seine Schuld doch nicht so hoch sei oder es mir gelungen war, die Forderung, die ich einziehen sollte, runterzuhandeln. Er könne doch auch einen Jahresbeitrag für eventuell anfallende Gebühren bezahlen, den ich dann allmählich unter Opportunitätsgesichtspunkten verbrauchen würde. Geeignete Fälle könnte ich dank meiner Kreativität sicher finden. Aber es muss sich dabei um völlig unterschiedliche Sachverhalte handeln … Also sagte ich meinem Mandanten nur: Grundsätzlich kann ich Sie ja verstehen. Auf einen Versuch sollte es daher ankommen. Wir probieren es mit dem Angebot Ihrer Fähigkeiten bei der Finanzverwaltung aus und hoffen, dass man Sie nicht auf die schwarze Liste schreibt. Schwarze Liste? Welche schwarze Liste, wollte mein Mandant noch wissen. Ach wissen Sie, sagte ich ihm, das ist eine ganz andere Geschichte, eine systemische. Das System schätzt Abweichler und Querdenker nicht besonders. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Alles wird gut.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski