Unser Leben, d. h. unser gesamtes Leben unter Einschluss des Rechtslebens, muss Freude machen. Mit Genuss sollten wir daran teilhaben und begreifen können, wie Gesetze und Verordnungen uns nicht nur bei der Bewältigung, sondern auch bei der Entwicklung unseres Lebens helfen, anstatt uns zu behindern.
Das hat alles ganz entscheidend mit Europa zu tun. Wenn wir sehen, dass unsere nationalen Entwürfe nicht mehr überzeugend sind, wir aber am Beginn des Umbruchs stehen, sollten wir die Chancen für uns als Bürger Europas nutzen:
1. Prophylaxe statt Therapie. Das Recht kann die Realität eines geeinten Europas nur reflektieren, aber nicht schaffen. Deshalb müssen wir gemeinsame, die Nation übergreifende Perspektiven und Ziele im kulturellen, sozialen und rechtlichen Leben entwickeln und uns begleitend dazu eine freiheitliche Rechtsordnung schaffen, die ordnungsrechtlich verschiedene Denkansätze bewältigt, letztlich aber das Ziel der Mobilität des Europäers im Auge behält.
2. In einer lebendigen Rechtsordnung müssen sich Gesetz und Recht an ihrem Sinn messen lassen, d. h. die Bürger Europas müssen sie verstehen. Nur dadurch werden Gesetze als Regeln des Miteinanders gültig und lebendig bleiben, die die Menschen nicht nur annehmen, sondern auch nutzen können.
Hier gilt es umzusteuern, wo jahrelang in administrativer Kleinarbeit Unsinn und Kleinkrämerei produziert wurden.
3. Unterschiedliche Entwürfe in unterschiedlichen Kultur- und Lebenswelten stellen Herausforderungen an den europäischen Menschen dar, die nicht in Kommissionen, Gremien oder Gerichten gelöst werden können, sondern ausschließlich im Dialog der Betroffenen und Willigen. Der Kampf gegen Diskriminierung darf nicht allein dem Staat, insbesondere der Justiz, überantwortet werden, sondern muss ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein.
Es muss Schluss sein mit der gegenseitigen Verlagerung von Verantwortlichkeiten. Konflikte müssen an der Stelle bewältigt werden, wo sie entstehen. Die Rolle der am „System Recht“ Beteiligten muss mit neuen Inhalten gefüllt werden.
Es muss Schluss sein mit der Vergewaltigung der Eigenverantwortlichkeit des Bürgers: Statt dem Bürger Freiräume zu öffnen, werden Privatinitiativen durch unnötige Verfahrensanforderungen erschwert oder sogar verhindert, d. h. dem Antrag folgt der Antrag folgt der Antrag etc.
Es muss Schluss sein mit nationalen Egoismen, wir müssen ein europäisches Bürgerleben installieren mit allen Möglichkeiten der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Betätigung. Dies schließt selbstverständlich auch die supranationale Betätigung mit ein. Wir brauchen ein harmonisiertes Prozessrecht und die Möglichkeit, das, was wir für richtig halten, auch umzusetzen.
Das können wir nur mit einer klaren und transparenten Kompetenzzuordnung und einer besseren Kooperation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, einer Stärkung der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit auch durch die europäischen Institutionen selbst und der zielgerichteten Schaffung von sinnvollen Normen bewältigen.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski