Stiftungen, überhaupt alle Einrichtungen im philanthropischen Bereich gehen oft fast wie selbstverständlich davon aus, dass der Mensch erwarte, dass man sich um ihn kümmere, ihn fördere und unterstütze. Ist das überhaupt richtig? Durch jede auch noch so wohlmeinende Förderung und Unterstützungshandlung mischen wir uns in den Lebensbereich eines anderen Menschen ein. Dies widerspricht eigentlich dem Idealbild der Selbstbestimmung des Menschen, d. h. seinem Anspruch, selbst dafür zu sorgen, wie er sein Leben gestalten und das Potenzial seiner Entfaltungsmöglichkeiten voll ausschöpfen kann. Insofern geht es bei der Philanthropie durch Einmischung in fremde Lebenssachverhalte stets auch um Macht, und zwar die Macht des Guten über andere Menschen. Dessen müssen wir uns bewusst sein, um das Unbehagen, auf das man zuweilen auch als philanthropische Einrichtung stößt, richtig auszudeuten.
Der Zuwendungsempfänger gemeinnütziger Leistungen steckt in einem großen Zwiespalt. Einerseits wehrt er sich gegen die Einmischung von außen und muss dies auch tun. Andererseits ist er sich seiner Hilfsbedürftigkeit bewusst, unterwirft sich der Einsicht, dass er allein nicht mehr weiterkommt, sondern Hilfe erwartet. Zur Verwirklichung seiner Ideen, Projekte und Vorhaben oder zur Erleichterung seiner Lebenssituation benötigt er gerade diese Form der Einmischung. Es bleibt ihm aber die Erwartung, dennoch Herr des gesamten Projekts oder seiner Situation zu bleiben. Das ist ein nachvollziehbarer Zwiespalt, der bei sämtlichen Förderleistungen und Unterstützungen jedweder Art sorgfältigster Betrachtung bedarf, d. h. der Zuwendungsempfänger gemeinnütziger Leistungen muss stets davon überzeugt werden, dass man nicht nur sein Bestes will, sondern dass er derjenige ist, der weiterhin die Leistungen und deren Umfang mitbestimmt, der selbst verantwortlich bleibt.
Nicht unähnlich verhält es sich bei denjenigen, die man dafür gewinnen möchte, zu stiften, zuzustiften oder Spenden zu geben. Meckern, wenn man seine Unzufriedenheit über Missstände in unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringen will, ist die eine Seite der Medaille – die andere, etwas selbst zu tun, um diesen Missständen abzuhelfen. In einer aktiven Bürgergesellschaft vermag der eine oder andere gestaltend einzugreifen, die Chancen, etwas zu ändern, sind indes sehr gering und abhängig davon, welche Möglichkeiten diese meist wenigen Bürger haben, zum Beispiel Politik mitzubestimmen, die Wirtschaft zu ordnen, überhaupt in Bereiche unserer Daseinsfürsorge einzugreifen. Bürger engagieren sich daher in der Regel mit anderen zusammen in Stiftungen und Vereinen, um ihrer Unzufriedenheit sowie ihrem Gestaltungswillen, eine konstruktive Richtung zu geben. Die entschlossenen Bürger brauchen Verbündete. Da nicht alle mitmachen können und/oder wollen, werben die engagiert handelnden Bürger für ihre unterschiedlichsten Projekte Geldmittel ein und erfahren dabei zuweilen, dass zahlreiche Mitmenschen zwar ihr Anliegen durchaus versteht und auch als richtig empfindet, für sich selbst aber weder persönlich noch wirtschaftlich eine Möglichkeit sieht, sich an diesen für ihn fremden Projekten zu beteiligen. Die Enttäuschung über die fehlende Hilfsbereitschaft dieser Menschen ist bei den Engagierten oft groß. Dabei ist deren Verhalten durchaus verständlich. Denn auch hier gilt, dass der Mensch in erster Linie selbstbestimmt ist. So wenig, wie er will, dass sich jemand um ihn kümmert, will er sich auch von anderen nicht vorschreiben lassen, ob er sich um jemanden kümmern sollte bzw. wer das sein könnte. Der Mensch ist in seinem Wesen eigennützig. Das darin steckende Potential Potenzial ist zu entdecken und zu nutzen, und zwar dadurch, dass man dem Menschen aufzeigt, dass sich sein Engagement für andere auch für ihn auszahlen könnte. Dies geschieht meist in der Form der Hilfe zur Selbsthilfe, die es dem so Angesprochenen erlaubt, das Maß seines Engagements selbst zu bestimmen, etwas frei zu tun oder zu lassen und vor allem eigenverantwortlich festzulegen, wie er sich bei der Förderung fremder Anliegen einbringen will. Natürlich benötigen philanthropische Einrichtungen die Unterstützung anderer Bürger. In keinem Gespräch, welches ich mit potenziellen Unterstützern heute führe, spreche ich zunächst die finanzielle Unterstützung an, sondern ich versuche vor allem, festzustellen, welche Bereiche des Handelns meinen Gesprächspartner interessieren könnten. Sobald ich dies festgestellt habe, diene ich ihm die Idee seines eigenen persönlichen Engagements an und gebe ihm Gelegenheit, selbst darüber nachzudenken und sich zu befragen, ob und wie er diese Unterstützung gegebenenfalls künftig gestalten wolle. Vielleicht sieht er persönlich keine Möglichkeit, sich finanziell oder auch ehrenamtlich einzubringen. Vielleicht hat er aber Kontakte, die ihm im Verlauf des Gesprächs oder zu einem späteren Zeitpunkt bewusst werden. Diese Entwicklung der Ideen gilt es abzuwarten, und zwar nicht im Sinne der Beendigung eines lästigen Dialogs oder einer finanziellen Herausforderung, sondern in der Strukturierung eines sich allmählich entwickelnden Anliegens des von mir Angesprochenen bei sich selbst.
Der entschlossene Mensch gibt. Sobald der Entschluss sich zu engagieren gefasst ist, zögert der Mensch meist nicht mehr. Agape gilt dem eigenen Engagement, seiner eigenen Gestaltungsfähigkeit und der Freude am Entstehenden. Diesen Prozess begleitet er in Zukunft mit großem Stolz, in der Erwartung des Erfolges und in der Erkenntnis, dass er es selbst gewesen ist, der wesentlich zum Gelingen des Ganzen beigetragen hat. Wir können uns daher sicher sein, dass dieser Mensch auch in Zukunft das von ihm geförderte Projekt mit großer Anteilnahme begleitet und alles dafür tun wird, um ein künftiges Einschlafen des Projektes zu vermeiden.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski