Mit dem Serviertuch fährt er sich über die Stirn. Er schwitzt. Hinter der Tür putzt er sich die Nase mit dem Tuch. Er ist empfindlich. Böse Blicke töten. Und er ist nervös. Deshalb wischt er sich noch öfter über die Stirn und geht noch öfter hinter die Türe. Oberflächlich betrachtet ist keine Ursache erkennbar. Es hat alles seine Ordnung. Aber etwas stört. Dieser Mensch, der da in der Ecke sitzt, an dem äußersten Tisch, an den man ihn platzierte hat, und nicht isst und nichts zu trinken hat. Das hat seinen Grund. Er will nicht trinken, obwohl er den Eindruck macht, als wolle er trinken. Er weigert sich eigentlich nicht, etwas zu trinken, sondern etwas anderes zu trinken, weil das, was er trinken will, nicht aus Amerika kommt und doch mit Dollars bezahlt werden soll und das, was er trinken soll, aus Russland kommt und nicht mit Rubel bezahlt werden darf. Das scheint zwar bei flüchtiger Betrachtung nur eine scheinbare Belastungsprobe zu sein, aber ist tatsächlich so kompliziert, dass sich der Kellner die Stirn mit dem Serviertuch wischen muss und öfter vor die Türe geht. Er begreift die Gefahr, wenn einer nicht isst und nicht trinken will, was und wie es das Haus bietet – dann ist das der Anfang. Er geht zur Direktion und bespricht sich mit dieser ausführlich. Der Kellner selbst ahnt zwar die Gefahr, aber die Direktion sitzt einen Stock höher und gibt die Anweisung, den Menschen doch zur Vernunft zu bringen. Direktoren machen es sich stets zu einfach, denkt der Kellner, die müssen nicht ständig an einem Menschen vorbeigehen, der nicht isst und nicht trinkt aber doch fragt, ob das nicht ein Restaurant sei, und darauf beharrt, etwas zu sich nehmen zu wollen, aber die Regeln nicht akzeptiert. Solche Widersprüche beunruhigen den Kellner sehr. Er hebt den Blick, senkt ihn, versucht, den Menschen anzusprechen, einfach anzufangen mit der Konversation. Das andere würde sich finden. Er versucht es mit Lächeln und Gesten. Der Gast antwortet weder unfreundlich noch gleichgültig sondern sagt nur ruhig und bestimmt, dass er, da es sich um ein Restaurant handele, etwas trinken wolle. „10 Dollar die Flasche“, flüstert der Kellner, dann zischt er, dann faucht er – der Mensch sagt nein und kriegt weiter nichts zu trinken und stört. Zu Essen hat er natürlich auch nichts. Der Kellner fühlt, wie ihm der Schweiß aus allen Poren rinnt und auch das Serviertuch nicht mehr hilft. Die anderen Gäste werden zunächst routinemäßig abgefertigt, schließlich aber überhaupt wegen dieses Vorfalls vergessen. Die Gefahr ist, dass die Wände des Hauses zerfallen. Die Gefahr ist, dass die Gläser zerspringen und die Gabeln sich biegen. Um sich selbst zu retten, kündigt der Kellner und geht, ohne weitere Ansprüche an die Direktion zu stellen. Und während er geht, wirft er noch einen Blick auf diesen Menschen in der Ecke, der nicht isst und nicht trinkt und erstaunlicherweise noch nicht einmal unsympathisch ist. Naja, denkt er, naja.
Es ändern sich Zeiten wie Gezeiten.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski
Fortsetzung im nächsten Blogbeitrag …