Archiv für den Monat: Mai 2014

Essen und Trinken, 1991

Mit dem Serviertuch fährt er sich über die Stirn. Er schwitzt. Hinter der Tür putzt er sich die Nase mit dem Tuch. Er ist empfindlich. Böse Blicke töten. Und er ist nervös. Deshalb wischt er sich noch öfter über die Stirn und geht noch öfter hinter die Türe. Oberflächlich betrachtet ist keine Ursache erkennbar. Es hat alles seine Ordnung. Aber etwas stört. Dieser Mensch, der da in der Ecke sitzt, an dem äußersten Tisch, an den man ihn platzierte hat, und nicht isst und nichts zu trinken hat. Das hat seinen Grund. Er will nicht trinken, obwohl er den Eindruck macht, als wolle er trinken. Er weigert sich eigentlich nicht, etwas zu trinken, sondern etwas anderes zu trinken, weil das, was er trinken will, nicht aus Amerika kommt und doch mit Dollars bezahlt werden soll und das, was er trinken soll, aus Russland kommt und nicht mit Rubel bezahlt werden darf. Das scheint zwar bei flüchtiger Betrachtung nur eine scheinbare Belastungsprobe zu sein, aber ist tatsächlich so kompliziert, dass sich der Kellner die Stirn mit dem Serviertuch wischen muss und öfter vor die Türe geht. Er begreift die Gefahr, wenn einer nicht isst und nicht trinken will, was und wie es das Haus bietet – dann ist das der Anfang. Er geht zur Direktion und bespricht sich mit dieser ausführlich. Der Kellner selbst ahnt zwar die Gefahr, aber die Direktion sitzt einen Stock höher und gibt die Anweisung, den Menschen doch zur Vernunft zu bringen. Direktoren machen es sich stets zu einfach, denkt der Kellner, die müssen nicht ständig an einem Menschen vorbeigehen, der nicht isst und nicht trinkt aber doch fragt, ob das nicht ein Restaurant sei, und darauf beharrt, etwas zu sich nehmen zu wollen, aber die Regeln nicht akzeptiert. Solche Widersprüche beunruhigen den Kellner sehr. Er hebt den Blick, senkt ihn, versucht, den Menschen anzusprechen, einfach anzufangen mit der Konversation. Das andere würde sich finden. Er versucht es mit Lächeln und Gesten. Der Gast antwortet weder unfreundlich noch gleichgültig sondern sagt nur ruhig und bestimmt, dass er, da es sich um ein Restaurant handele, etwas trinken wolle. „10 Dollar die Flasche“, flüstert der Kellner, dann zischt er, dann faucht er – der Mensch sagt nein und kriegt weiter nichts zu trinken und stört. Zu Essen hat er natürlich auch nichts. Der Kellner fühlt, wie ihm der Schweiß aus allen Poren rinnt und auch das Serviertuch nicht mehr hilft. Die anderen Gäste werden zunächst routinemäßig abgefertigt, schließlich aber überhaupt wegen dieses Vorfalls vergessen. Die Gefahr ist, dass die Wände des Hauses zerfallen. Die Gefahr ist, dass die Gläser zerspringen und die Gabeln sich biegen. Um sich selbst zu retten, kündigt der Kellner und geht, ohne weitere Ansprüche an die Direktion zu stellen. Und während er geht, wirft er noch einen Blick auf diesen Menschen in der Ecke, der nicht isst und nicht trinkt und erstaunlicherweise noch nicht einmal unsympathisch ist. Naja, denkt er, naja.

Es ändern sich Zeiten wie Gezeiten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fortsetzung im nächsten Blogbeitrag …

Daniil Charms

Anatoli aus Puschkin ist zu Besuch. Ein temperamentvoller Mensch und kompetent in Sachen Charms. Seine Schwester war mit ihm und seinem Kumpel Michaelow befreundet gewesen. Sie wohnten im gleichen Haus auf der Vassilij-Insel und ab und zu nahm die Schwester den Bruder Anatoli mit. Das war ganz normal. Es gab keinen Anlass, Charms für etwas Besonderes zu halten. Dieser war wohl sehr ernst, konservativ und, wer es glauben will, monarchistisch sogar und, so sagte er, schizophren. Es gibt viele widersprüchliche Aussagen, Gerüchte. Der Vater soll Direktor des Hotels Europa gewesen, später, wahrscheinlich degradiert, verfolgt und nach Sachalin verbannt worden sein, stets auf der Suche nach Liebe, aber ohne Familie. Mutter und Schwester hatten Charms nicht verstanden, aber zumindest besaß er einen engen Freundeskreis bis zuletzt, das heißt bis zu dem Zeitpunkt, als er im Gefängnis auf der Vassilij-Insel verhungerte. Metaphysisch sei Charms dabei in seine Wohnung zurückgekehrt, direkt neben dem Ort seiner Kindheit, dort wo er früher einmal Kindergeschichten geschrieben hatte. Anatoli erzählt viel, will wissen, was mir Charms bedeute. Ich überrede ihn, mit mir in die Majakowskistraße zu gehen.

Mehr ist jetzt schon da.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

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Eugenie

Er zeigt lieber Fotos von früher, anstatt es zuzulassen, dass ich ihn anschaue. Ein ständiges Sichverbergen. Er sitzt im schwerem Mantel mit fischgrätschalherausforderndem Gesicht, glatten Haaren und schwarzer Zigarette.

Der andere bist du auch. Aufgeribbelter blauer Pullover auf schmaler Brust, Trainingshosen bis über die Taille, weite Turnschuhe, niemals gewaschene Haare, aufgequollenes Gesicht, im Kopftuch weniger Mann denn Babuschka. Das Gesicht klagt nicht mehr an, es will nichts mehr überwinden, sondern Würde herausleiern aus täglicher Schande. Eugenie schämt sich und das macht ihn geschwätzig. Er drückt sich gewählt in der Sprache aus, um den Abstand zwischen sich und den Umständen seines kläglichen Lebens zu kennzeichnen. Kommt er auf Belmondo oder Alain Delon zu sprechen, leuchten seine Augen. Das sind starke Typen. Gibt es noch Licht in ihm? Äußerlich ist er innerlich abgebrannt. Er versucht, seine Situation zu erklären. Diese ist: Er sitzt auf der Straße und versucht, Bücher zu verkaufen. Dafür bekommt er etwas Geld. Das reicht nicht, er verkauft seine Gitarre und sein Mikrofon. Jetzt hat er ein Anliegen. Er braucht Geld für eine neue Gitarre und ein neues Mikrofon, um neu zu leben. Er bekommt das Geld und steht doch anderentags wieder vor meiner Tür, stinkend nach Rauch und Schweiß. Er bekennt, alles Geld im Casino verspielt zu haben. Er würde künftig dort nicht mehr aufkreuzen, überhaupt sei alles zu Ende. Wieder einmal. Die Träume von gestern, von der Produktion von Schallplatten und Gedichten. Ausgeträumt. Die schönen Gedanken nicht mehr zu denken. Früher sei alles anders gewesen. Dann habe er den Tomaschewski getroffen, sei weggerannt von den Drogen, konnte es aber nicht ertragen, wie sie seine besten Lieder heute ohne ihn singen, und dann, und dann sei alles wieder wie immer.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fortsetzung im nächsten Blogbeitrag …

Liebe Leser,

ich den nächsten Wochen veröffentliche ich auf meinem Blog Auszüge aus meinem 2011 erschienenen Buch „Beinahe russische Geschichten“, das ich unter dem Pseudonym Hans vom Glück schrieb. Ich wählte diesen Namen, da ich mein Leben als immerwährendes Glück begreife und niemals aufhöre, dieses einzigartige Leben trotz aller schmerzlichen Erfahrungen zu genießen und in der Ausbildung meines Wesens nicht nachlassen werde.

Die Geschichten sollen unterhalten, zum Nachdenken anregen und ein Bild der menschlichen Vielfalt zeichnen. Ein schlagendes Beispiel:

Juri Natschejew ist bekümmert, verbirgt aber sorgfältig seinen Kummer. Er hält das für besser, so kommt er nicht ins Gerede. Wie sollte er jemanden seine Sorge darüber verständlich machen, dass Sascha Lubow, der Sohn der Nachbarin, immer größer wird und ihn dies bedroht? David stellt sich schließlich Goliath im Hausflur und erhält ein paar Ohrfeigen, die seinem Kummer recht geben. Juri kauert mit glühendem Gesicht im düsteren Hausflur.

Die „Beinahe russischen Geschichten“ erhalten Sie in jedem gutsortierten Buchladen und auf Amazon. Viel Spaß damit!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Innehalten

Heute las ich einen auf eine Parkbank geklebten Zettel. Dort stand: Es war doch nicht alles schlecht heute, oder? So sinngemäß, denn der Text war in Englisch abgefasst. Ich blieb stehen, ließ den Text auf mich wirken und stellte mit Befriedigung fest, dass es mir nach und nach besser ging. Der Verfasser oder die Verfasserin hat Recht. Ja, vieles war blöd gelaufen auch an diesem Tage, aber eigentlich war alles gut. Keine Störungen in der Familie und nicht bei der Arbeit. Nur die üblichen Aufgeregtheiten, Missverständnisse, Schlampereien, Sticheleien usw. Die Liste ist allgemein bekannt und individuell ergänzungsfähig. Es war also ein ganz normaler Tag und jetzt wurde er plötzlich schön. Ich erinnerte mich an ein schönes Gespräch mit einer Bekannten am Morgen, als sie mit dem Fahrrad unterwegs mir begegnete und davon erzählte, dass sie ihre Krebserkrankung nun im Griff habe. Ich erinnerte mich an das Telefonat mit meiner Tochter, die mir davon erzählte, dass meine Enkelin sich schon den ganzen Tag auf den Besuch ihres Großpapas freut. Ich erinnerte mich aber auch daran, dass meine Mutter gerade ihren 92sten Geburtstag gefeiert hatte und wir Kinder alle bei ihr sein durften. Ich erinnerte mich an so viele schöne Begebenheiten nicht nur an diesem Tage, sondern auch in meinem ganzen Leben. Nachdem ich kurz innegehalten hatte, ging ich vergnügt weiter.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fazit

Wir schulden unseren Kindern eine philanthropische Verhaltensweise. Zur Kontaktaufnahme, zu weitergehenden Informationen und Gesprächen stehen Ihnen die Mitarbeiter  und  Freunde  der  Ruck  –  Stiftung  des  Aufbruchs  jederzeit  gerne  zur Verfügung. Sie erreichen uns:

Ruck – Stiftung des Aufbruchs
Leibnizstraße 80
10625 Berlin

E-Mail: info@ruck-stiftung.de
Telefon: 030-80 20 86 80
Telefax: 030-80 20 86 856
www.ruck-stiftung.de

Philanthropic Overkill

Buridans  Esel  ist  sehr  hungrig.  Er  kann   sich  aber  zwischen  den  prall  gefüllten Hafersäcken,  die  links  und  rechts  vor  ihm  stehen,  nicht  entscheiden  und  verhungert. Dieses literarische Gleichnis soll uns verstehen lassen, dass ein Überangebot an gemeinnützigen Events den Gedanken der Philanthropie auszehren könnte. Bei aller Begeisterung für den Boom des Stiftungswesens und die Entwicklung einer Kultur sozialer Unternehmen dürfen wir deren Stabilität nicht aus den Augen verlieren. Diese Stabilität erfahren philanthropische Unternehmen nicht nur durch Zuführung finanzieller Mittel und ihre Organisationsform, sondern auch durch ihre Wehrhaftigkeit gegen Auszehrung. Kaum haben echte Mäzene, Wohltäter, Steuersparer, Neo-Stifter aber auch Banken die wunderbare Welt der Philanthropie entdeckt, treten schon die klugen Verwerter dieser Entwicklung auf den Plan. Das sind solche, die unter meist wohl klingendem Namen auf der Angebots- und Nachfrageseite selbst gemeinnützige kaum überlebensfähige Einrichtungen schaffen, um von der erfreulichen Entwicklung des 3. Sektors zu profitieren. Deren Angebot und Nachfrage umfasst die Entwicklung der Bauernscheune als ländliches Denkmal bis zur Einrichtung eines Kieztheaters. Gegen ein solches Engagement ist grundsätzlich nichts einzuwenden, problematisch   kann   es   aber   sein,   wenn   die Bemühungen der Handelnden vorwiegend darauf gerichtet sind, fremdes Geld für eigene Zwecke einzuwerben. Fast jede Stiftung oder  gemeinnützige  Einrichtung  erhält täglich eine Flut von Anfragen, meist per E-Mail, die darauf abzielen, einen oft nicht näher bestimmten finanziellen Förderbeitrag für ein bestimmtes Projekt zu erhalten. Viele dieser Anfragen müssen wir zurückweisen, weil sie mit dem Satzungszweck unserer Stiftung nicht in Überstimmung zu bringen sind, andererseits uns aber auch das Vorhaben selbst nicht zu überzeugen vermag. Die standardisierten Absagen enthalten meist die bittere Lüge, dass man an sich das Projekt befürworte und gutes Gelingen wünsche. Dies ist aber nicht richtig. Tatsächlich stellt sich bei vielen Projekten die Frage, warum sich die Beteiligten gerade damit  beschäftigen  und  nicht  mit  einem  anderen  Thema  oder überhaupt die Finger davon lassen. Es ist festzustellen, dass es inzwischen eine Inflation an beliebigen Projekten gibt. Das Fehlen eines detaillierten, mit Zahlen unterfütterten Wirtschaftsplans weist zudem darauf hin, dass der Vorhabenträger selbst gar nicht genau weiß, ob er das Projekt auch tatsächlich verwirklichen wird. Es schadet daher dem Gedanken der Philanthropie, dass diesen Unternehmen finanzielle Beiträge zugewandt werden, ohne dass die Strukturen für die Durchführung des Projekts genauestens geklärt sind. Dazu gehören nicht nur ein präziser, mit Zahlen unterlegter Vorhabenplan, sondern auch  die  Benennung  der handelnden  Personen  und  deren  eigenen  wirtschaftlichen Interessen. Gegen eine Entlohnung der Arbeit ist nichts einzuwenden, denn diejenigen, die etwas im Bereich der Philanthropie bewirken, sind und bleiben Partner in einer Gesellschaft, die wesentlich durch finanzielle Kompensation für Leistung bestimmt ist. Um die zarte Pflanze der Philanthropie zu stärken, wird es in der Zukunft aber besonders wichtig sein, sehr genau hinzuhören und hinzuschauen, um diejenigen Vorhaben, die tatsächlich förderwürdig sind, von denjenigen  zu  trennen,  die  man   als  „Masche“ bezeichnen muss, also denjenigen, die in erster Linie Eigennutz der Anspruchsteller im Sinn  haben.  Entwaffnend  wurde  mir  dies  einmal  in einem  Förderantrag  einer  Frau dargelegt,  die  mir  mitteilte,  dass  sie  Hartz-IV-Empfängerin  sei,  die  staatlichen Zuwendungen  nicht  ausreichen  würden  und  sie  daher  um  einen  finanziellen  Beitrag unserer Stiftung bitte. Ablehnungen von Subventionen bzw. Förderbeiträgen werden oft erfahrungsgemäß nicht klaglos entgegengenommen. Wir haben es zuweilen mit hartnäckigen Nachfragen zu tun, die auf den Zahn fühlen sollen, ob nicht doch noch eine nennenswerte  Zuwendung  möglich  sei.  Die  Erwartungshaltung  der  Anspruchsteller  ist meist sehr bestimmt, d. h. zuweilen wird sogar offenes Unverständnis darüber geäußert, dass gerade unsere Stiftung dem bedeutenden Projekt, das uns in den schillerndsten Farben geschildert wird, nicht die notwendige finanzielle Unterstützung zukommen lassen will. Wenn wir statt finanzieller Förderung strukturelle Hilfen anbieten, erleben wir oft, dass  unsere  Gesprächspartner  zurückhaltend  erklären,  dass  man  auf  dieses  Angebot noch zurückkommen wolle. In keinem der mir bekannten Fälle ist dies dann auch geschehen. Wahrscheinlich will man sich doch nicht zu tief in die Karten gucken lassen. Diese Entwicklung auf dem philanthropischen Markt beirrt uns aber nicht. Wir kooperieren mit niemandem und fördern und zertifizieren keine Einrichtung, von deren philanthropischem Nutzen wir nicht selbst überzeugt sind. Wir haben Hilfe zur Selbsthilfe in der Form unserer Theater Task Force entwickelt. Mit diesem zielgerichteten Angebot an Theater konnten wir bisher gute Erfolge erzielen. Wichtig ist auch die Hilfestellung, die wir   denjenigen   bei   der   Projektverfolgung   ermöglichen,  denen  wir  bereits  einen Förderbeitrag haben zukommen lassen. Sie sind meist nicht nur auf unsere Hilfe angewiesen, sondern wir selbst müssen unsere Hilfeberechtigung zur „Conditio sine qua non“ unserer Förderung machen.

Ein Zuviel im philanthropischen Engagement ist aber nicht nur im Nachfragebereich, sondern auch im Angebotsbereich zu verzeichnen. Es führt zur Aushöhlung des philanthropischen Gedankens, wenn während eines Tages, und zwar dies oft mehrfach, umfassende Selbstdarstellungen von Vereinen, Stiftungen und Einzelpersönlichkeiten abgeliefert  werden,  die  ihrerseits  wieder  auf  eine  Fülle  weiterer  philanthropischer Veranstaltungen verweisen. Diese philanthropische Event-Collection verfolgt möglicherweise das Ziel der Fundraising-Optimierung und verspricht dabei großes gesellschaftliches Engagement, wogegen eine Untersuchung der Einzelaktivitäten zeigen würde, dass sie auch ohne Unterstützungsleistungen durchgeführt werden könnten oder sogar nutzlos sind. Das Internet ermöglicht diesen kollektiven philanthropischen Wahn. Aber nicht nur die Darstellung von Einzelinteressen in den Medien belastet die philanthropische  Bewegung,  sondern  auch  die  Verschleierung  der  Aktivitäten  durch Begriffe wie Mikrofinanzierung, Nachhaltigkeit oder soziales Unternehmertum. Die inflationäre Nutzung von Schlagworten entkräftigt deren Bedeutung und führt zur Abschottung derjenigen Bürger, deren Aktivitäten durch unternehmerisches Denken bestimmt ist, die in der Philanthropie keine Spielwiese für Glücksritter sehen, sondern eine Alternative und ein Angebot an unsere wirtschaftlich bestimmte reale Welt, künftige notwendige Vorhaben in unserer Gesellschaft menschlicher, effektiver und nicht allein finanziell renditeorientiert zu organisieren.

Der Gedanke der Philanthropie folgt keinem sozialstaatlichen Gebot. Es gibt keinen Anspruch von Einzelnen oder Gruppen darauf, dass ihre Grundsicherung durch Stiftungen und andere philanthropische Einrichtungen gewährleistet ist. Das Selbstbewusstsein der Philanthropie beruht auf ihrer bürgerlichen Eigenständigkeit. Um die wunderbare Welt der Philanthropie zu erhalten, müssen wir darauf verzichten, sie mit üppigen Angeboten zu überladen, sondern Buridans Esel eher per Hand füttern und ihn dabei auch noch ein wenig kraulen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Philanthropie und Finanzkrise

Im Rahmen der weit aufgefächerten Diskussion zur Finanzkrise fallen mit unterschiedlicher Gewichtung folgende Stichworte:

  • Verantwortung
  • Vertrauen
  • Transparenz
  • Regulierung und
  • Sozialbindung.

Von  den  Instrumenten  der  Philanthropie,  also  des  sozialen  Unternehmertums,  ist  in diesem Zusammenhang wenig zu vernehmen. Offenbar besteht die Erwartung, dass die Wirtschaft  auf  der  einen  Seite  und  der  Staat  auf  der  anderen  Seite  alles  wie  bisher werden richten können. Die soziale Marktwirtschaft hat sich bewährt und der Staat hat für entsprechende Regulierungen zu sorgen, die künftige Auswüchse des Finanzgebarens eindämmen  sollen.  Ethik,  Werte  und  Integrität  sind  dabei  die  Nebenbegriffe,  die  es erlauben, das Klima des Gutseins zu erhalten, ohne definieren zu müssen, worin denn genau die beschriebenen Herausforderungen bestehen sollen. Als Schlagworte sind die vorgenannten  Begriffe  alle  tauglich  und  lassen  sich  womöglich  auch  umsetzen  in Richtlinien,  Einschreiben  in  einen  Forderungskatalog  und  gestatten  es  auch,  den Menschen als im Prinzip verantwortlich zu bezeichnen. Ist das aber so? Lenkt diese Diskussion nicht von dem Wesentlichen ab, wie ich an anderer Stelle schon beschrieben habe, und zwar davon, dass der Mensch eigennützig ist und in seiner Eigennützigkeit erkannt werden muss?

Gleichzeitig ist uns vor Augen zu halten, dass eine Eigennützigkeit den Fremdnutzen auch zulassen muss, um das Ganze und dabei auch die eigenen Interessen zu fördern. Appelle alleine werden dabei nicht helfen, sondern zunächst muss die Erkenntnis dazu verbreitet werden, dass wir, die wissenden Menschen, uns selbst beschädigt haben, als wir den Nutzen des Ganzen nicht im Auge behielten. Wenn Geld geronnene Arbeit ist, wie Marx schon richtig sagte, kann es einfach nicht sein, dass ohne Arbeit statt 2 % Rendite, 8 % Rendite versprochen werden. Wer soll, ohne anderen das Geld wegzunehmen, 6 %   Rendite    erwirtschaften    können?    Gerade    an    dieser entscheidenden Stelle hat niemand gearbeitet, der für sich reklamieren kann, einen Mehrwert produziert zu haben. Also müssen wir uns zunächst selbst eingestehen, dass wir uns, statt dafür zu sorgen, dass Mehrwert erarbeitet wird, vor lauter Eigennutz selbst beschädigt haben. Die Opfer der Finanzhaie müssen sich vor allem an die eigene Nase fassen. So auch die Finanzjongleure, die entlassen worden sind, und die Banken selbst, die wider besseres Wissen den Wertpapierhandel aus der Bank heraus in Gesellschaften ausgelagert haben, die keiner Kontrolle unterliegen. Wir müssen unser Verhalten ändern. Wir müssen hinschauen, erkennen, was wir falsch gemacht haben, und daraus Schlüsse ziehen. Das hat mit Vertrauen nichts zu tun und auch nicht mit fein abgestimmten Regulierungen, sondern mit der Erkenntnis, dass alles schief geht, wenn wir glauben, andere übervorteilen zu dürfen, um auf deren Kosten zu leben. Wenn wir die Blamage, die wir durch die Finanzkrise als Menschen insgesamt erlitten haben, als Chance und Herausforderung  begreifen,  werden  wir  künftig  eine  eigene  Kosten-Nutzen-Analyse unserer Investitionen vornehmen, anderen nur dort vertrauen, wo deren Verhalten unser Vertrauen  rechtfertigt,  und  uns  so  verhalten,  dass  wir  für  andere  beispielhaft,  d. h. Vorbilder sein können. Wir werden die Gesetze des ehrbaren Kaufmannes umsetzen, begreifen, dass Eigentum nur die Grundlage sozialer Verantwortung ist, und unsere bürgerliche Gestaltungsmacht wahrnehmen. Die Zivilgesellschaft ist hier in der Pflicht und hat mit den Grundsätzen zur Philanthropie schon heute alle Voraussetzungen dafür geschaffen,   diese   wie   auch   künftige   Krisen   nicht  nur  zu  meistern,  sondern  die notwendigen Impulse zu ihrer Überwindung setzen können. Krisen sind unsere Chancen, unsere eigenen Möglichkeiten, daran zu arbeiten, unsere Verhaltensweise zu überprüfen, uns neu auszurichten, damit wir noch einschneidenderen Krisen unserer Zukunft, etwa in den Bereichen Umwelt, Überbevölkerung, Migration etc., gewachsen sind. Eine Gesellschaft, die schon an einer Finanzkrise verzagt, wäre schlecht gerüstet als Lehrer für künftige Generationen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Philanthropische Richtungszeichen in der Gesundheitsfürsorge

Am Beispiel der weit aufgefächerten Gesundheitsdiskussion lässt sich sehr anschaulich machen, zu welchen Verwerfungen eine nicht adäquat geführte Regelungsdebatte führen kann. Es ist von der Solidargemeinschaft die Rede, von Selbstverantwortlichkeit, von Behandlungsrichtlinien und dergleichen mehr. Kleinste Abstimmungsthematiken werden als  Visionen  benannt  und  dienen  doch  nur  als  Stellschrauben  für Versicherungsregelwerke und Behördenkompetenzen. Eine Gesundheitsfürsorge, die den verantwortlichen Menschen im Auge hat, müsste sich zunächst einmal die Frage stellen, ob  und  warum  der  Einzelne  überhaupt  die  Wohltaten  der  Gesellschaft  im gesundheitlichen Bereich entgegennehmen will und darf. Alles, was mir als Patient angeboten wird, hat auch damit zu tun, dass man mir etwas nimmt. Man nimmt mir nicht nur Geld, sondern auch Entscheidungskompetenz und schränkt meine Möglichkeiten, selbstverantwortlich mein Leben zu gestalten, ein. Andererseits ist es sehr gewagt, darauf abzustellen, dass es eine Solidargemeinschaft gebe und diese sozusagen verpflichtet sei, für andere einzustehen. Dies zumal dann, wenn der potenzielle Zuwendungsempfänger durch seine  Lebensweise  nichts  oder  nur  wenig  zu  seiner  Gesunderhaltung  beiträgt. Zudem soll es noch gerecht zugehen. Aus der Sicht eines Zuwendungsempfängers mag das gegebenenfalls noch angehen, weil er eigensüchtig, wie alle Menschen nun einmal sind,  bedenkt,  dass  es  doch  ganz  prima  sei,  wenn  ihn  die  Zuwendung  nichts  koste. Andere Mitglieder unserer Gemeinschaft sehen dies durchaus kritisch und sagen sich, wenn wir schon dafür einstehen müssen, dann wollen wir unsere Leistungen doch zumindest beschränken und kontrollieren. Eigennützig, wie diejenigen, die zur Kasse gebeten werden, nun einmal auch sind, begeben sie sich in einen Wettbewerb zu den Zuwendungsempfängern.  Erkennt  aber  der  Eigennützige  den  Fremdnutzen  des Bemühens, wird er, und zwar jeder aus seiner Perspektive, alles dafür tun, dass das Gesundheitsmodell erfolgreich ist. Krankheit ist keine Katastrophe. Es ist etwas völlig Normales und gibt sogar unserer Gesellschaft eine Chance zur Neubewertung unserer Lebenseinstellung.

Im Ndlovu Medical Center des Arztes Dr. Hugo Tempelman in Elandsdoorn (Südafrika) habe ich mit Verwunderung erfahren, dass unser gängiger Aids-Slogan „Gib Aids keine Chance“ dahingehend abgewandelt worden ist, dass „Aids Deine Chance“! Was bedeutet das? Es ist immer eine Frage unserer Bewertung, ob etwas funktioniert, erfolgreich ist oder  nicht.  Der Aidskranke  in  Südafrika  erlebt  nicht  nur  seine  Wiedergesundung auf einem bestimmten Niveau als persönliches Glück, sondern weiß auch, dass seine Arbeitskraft der Wirtschaft nicht verloren geht und dass er darüber hinaus oft in sozialen Projekten nach seiner Wiedergesundung weitaus erfolgreicher tätig ist, als er dies zuvor in seinem Leben eingeplant hatte. Erfolgreich ist, was wir bewerten. Wir müssen lernen, aus der Gesundheitsvorsorge Nutzen zu ziehen, und zwar in der Form eines offenen Marktes. Richtlinien helfen uns überhaupt nicht weiter, wenn es richtig ist, was ich erst kürzlich erfuhr, dass künftig genotypische Behandlungsformen unsere Krankheitsversorgung bestimmen     werden,     d. h.     nur     eine     sehr     persönliche Behandlungsform Erfolg zu versprechen vermag.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski