Archiv für den Monat: Januar 2015

Vom Wesen der Dinge

Eine harte Schale hat immer einen weichen Kern. Dies ist einer der Merksätze die in die Irre führen könnten. Eine weiche Schale kann auch einen harten Kern haben. Die Haut ist verletzlich und auch der Kern. Die Beschreibung des nur Äußeren wird dem Wesen des Ganzen nicht gerecht. Es scheint, als ob den Menschen das Wesen der Dinge so unheimlich ist, dass sie es nicht benennen wollen, sondern im Beschreiben des Äußeren verharren. Deskription. Im Leben der Menschen wird alles beschrieben: der letzte Urlaub, das Golfturnier, das gute Essen, die verschiedenen Sorten Wein, das Schulverhalten der Kinder und die sonstigen täglichen Auseinandersetzungen. Durch den Austausch hierüber versichern sich die Beteiligten wechselseitig die Unauffälligkeit ihres eigenen Beitrags und die Sicherheit, dass bei Wohlverhalten auch nichts anderes geschieht als das soeben Beschriebene. Aber warum die Dinge so sind, welche Hoffnungen und Erwartungen, insbesondere aber Einsichten wir mit unserem Gespräch verbinden, bleibt meist im Dunkeln. Es ist erforderlich, dass einer den Anfang macht, den Reigen eröffnet und erklärt, was ihn eigentlich beschäftigt, z. B. nicht nur, dass er lamentiert, dass es schrecklich sei, dass Menschen in einem Kriege umkommen, sondern fragt, warum der Mensch in der Lage ist, andere Menschen zu töten? Es ist ja allgemein bekannt, dass viele Menschen einen Glauben an Gott oder andere Mächte haben. Aber warum sie diesen Glauben praktizieren könnte eine Frage sein, deren Beantwortung nicht nur uns, die wir die Frage stellen, herausfordert, sondern auch diejenigen, die sich ermutigt sehen, ihre Ängste und Bequemlichkeiten zu überwinden und selbst zu handeln.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Dienstleistung und Auftrag

  • Während die industrielle Fertigung und der Einsatz von menschlicher Arbeitskraft sich mehr und mehr im Verdrängungsprozess befinden, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, durch Gestaltungsmaßnahmen im Dienstleistungsbereich dauerhafte Beschäftigung von Menschen sicherzustellen. Während der industrielle Fertigungsprozess durch die Mechanik der Verrichtung weitestgehend definiert und erfasst ist, fehlen für den Dienstleistungsbereich bisher entsprechende klare Definitionen und Abgrenzungen.

Unter Dienstleistung ist eine Tätigkeit zu verstehen, die darauf gerichtet ist, ein nicht nur gegenständlich beschränktes Bedürfnis des Bestellers zu befriedigen. Dienstleistung kann zwar mit dem Warenverkehr gekoppelt sein, ist aber im Kern kein materieller Tauschprozess.

Auch wenn die Dienstleistung in ihrem Wesen weitestgehend bestimmt werden kann, so sind doch die Grenzen der Dienstleistung äußerst vage. Im Kernbereich z. B. erhält der Arzt den Auftrag, ein unbestimmtes Symptom auf seine Relevanz zu untersuchen. Völlig unklar ist dagegen, ob diese Dienstleistung auch ein intensiveres Gespräch zu den Ursachen etwaiger Beschwerden, die Exploration von persönlichen, beruflichen oder familiären Schwierigkeiten und z. B. auch die Zurverfügungstellung von Lesestoff und Getränken im Warte- zimmer mit einschließt. Das gilt für Anwälte und Unternehmensberater in gleicher Weise. Hat der Personal-Fitness-Trainer z. B. auch die Essgewohnheiten seines Kunden mitzuberücksichtigen? Kann von einer Krankenschwester erwartet werden, dass sie für ein Patientengespräch zur Verfügung steht?

Es gibt eine Fülle von ungeklärten Fragen im Dienstleistungsbereich, die damit zusammenhängen, dass bestimmte Postulate und Regeln bisher nicht verlässlich aufgestellt wurden und das es insbesondere an generellen und einzelvertraglichen Abmachungen mangelt.

  • Ein Vertrag kommt zustande durch Angebot und Annahme. Im Dienstleistungsbereich bietet der Dienstleister seine spezifischen Dienste an, z. B. die Schuhe seines Kunden zu putzen. Ein solcher Vertrag kommt in der Regel konkludent zustande. Schriftliches Regelwerk wäre dort nicht sozialadäquat. Bedeutet dies aber auch, dass der Schuhputzer verpflichtet ist, sich in ein Gespräch mit seinem Kunden verwickeln zu lassen? Was gilt für den Taxifahrer, der von seinem Kunden gefragt wird, wo sich welche gastronomische Einrichtung oder dergleichen befindet? Sind diese Auskünfte ebenfalls Gegenstand des Beförderungsvertrages und mit der Zahlung der Taxengebühr abgegolten? Wie verhält es sich mit der Beauftragung eines Anwalts? In der Regel werden keine schriftlichen Verträge geschlossen, sondern der Bereich der Betätigung wird definiert und durch Erteilung einer Vollmacht bekräftigt. Der Anwalt ist Jurist. Seine Aufgabe ist es daher, einen Lebenssachverhalt, der ihm dargeboten wird, so juristisch aufzuarbeiten, dass er z. B. bei Gericht oder in Verhandlungen vermittelbar ist. Zu den Aufgaben eines Juristen kann es dagegen niemals gehören, den Sachverhalt selbst zu ermitteln, technische Grundlagen festzustellen oder gar sich einzumischen, einzubringen in eine fremde Tatsachen- und Gefühlswelt. In einem nicht schriftlich fixierten Dienstleistungsverhältnis wird die Dienstleistung ausgestaltet durch eine bestimmte Erwartungshaltung und eine auch nicht näher beschriebene Bereitschaft, übertragene Aufgaben zu erfüllen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass beide Haltungen von Angebot und Nachfrage übereinstimmen, in der Regel tun sie dies aber nicht. So definierte Dienstleistungsverhältnisse beruhen auf ständigem Dissens, der zu Ärger und Verlusten bei Leistung und Gegenleistung führen kann. Daher erscheint es mir erforderlich, die Dienstleistung zu qualifizieren, und zwar auch dort und dann, wenn die Leistung nicht im Einzelnen schriftlich fixiert worden ist.
  • Zum Gegenstand der Dienstleistung gehört zunächst einmal die Kernaufgabe. Insoweit dürfte generell ein hinreichendes Verständnis zwischen Anbietendem und Angebotsempfänger bestehen. Wer in ein Taxi steigt, will befördert werden. Wer sich seine Schuhe putzen lässt will, dass sie blank werden. Wer einen Anwalt aufsucht, erwartet eine sachgerechte juristische Betreuung. Für den Mantelbereich jeder Dienstleistung ist so eine klare Definition nicht zu finden, sondern es wird erforderlich sein, zumindest in bestimmten Kategorien von Dienstleistungsangeboten Regeln aufzustellen, die Empfehlungs- oder Verbindlichkeitscharakter haben und an denen sich Patienten, Rechtssuchende oder auch Passagiere orientieren können.

Dies sollte unserem Verständnis von Handlungen entsprechend, die wir unternehmen, um uns an ihnen weiter auszubilden, mit hohem Einsatz für andere Menschen da zu sein und uns in den unterschiedlichen Fähigkeiten zu ergänzen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Facebook

Als ich ein Kind war, wohnten wir in einer Kleinstadt. Während des Tages nach Kindergarten und Schule tobten wir auf der Straße herum, spielten Brennball, „Himmel und Hölle“, Verstecken oder Fangen. Wir konnten dies unbekümmert mit den Kindern aus der Nachbarschaft tun. Nach dem Mittagessen trafen wir uns auf der Straße. So war das damals. Am Abend öffneten sich die Fenster zur Straße, Kissen wurden auf die Fenstersimse gelegt und der „Herr des Hauses“ im Unterhemd und seine Frau schauten dem Treiben auf der Straße zu, unterhielten sich mit Nachbarn und grüßten auch unbekannte Menschen, soweit sie diese als freundlich empfanden, andere wurden misstrauisch beäugt. Ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, alle hatten einander im Blick, trafen sich, redeten miteinander oder auch hinter dem Rücken des anderen. Am Sonntag war Kirchgang angesagt. Jeder nahm aus seinem Schrank die fesche Bluse oder den Anzug, um damit herumzuspazieren und anderen zu zeigen, wer man war. Man war also jemand. Eine respektable Persönlichkeit, hielt dem Vergleich mit den Kleidern anderer stand, gehörte dazu.

Dann kam Fernsehen, die Straßen wurden uninteressant, die Geburtsraten gingen zurück und Menschen zogen sich mehr ins Privatleben zurück.

Hatten sich dadurch ihre Bedürfnisse verändert? Ich behaupte nein, überhaupt nicht. Sie sind weiterhin auf die Begegnungen mit anderen Menschen angewiesen, die Kommunikation, die uns Sicherheit im Leben verschafft, Anerkennung bietet und Vergleiche ermöglicht. Wir wollen doch alle dazu gehören, haben Angst, nicht wahrgenommen zu werden, wollen Spuren hinterlassen und unsere Möglichkeiten, Dinge zu erfahren, erweitern.

Und dann öffnet sich Facebook im Internet, erlaubt den Vorteil der reflektiven Kommunikation, ständige Präsenz, Austausch mit wem auch immer, aber auch eigenen Bekannten und Freunden. Wir können sie teilhaben lassen an unserem Leben, nehmen aber gleichwohl Einfluss auf das Darzustellende. Wir kennen das Sprichwort: Aus den Augen, aus dem Sinn. Jetzt bleibt der Augenmerk immer auf den Inhaber der Facebook-Seite geheftet, abrufbar, erneuerbar, erweiterungsfähig und selbstbestätigend. „Ich bin ich und ich bin da.“ In diesem Sinne sind wir alle massenhaft. Das Dorf, die Kleinstadt, die Straße, die Wohnung, alles hat sich in der Dimension einfach erweitert. Ansonsten ist alles so wie früher.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gelassenheit

Wahrlich, wir leben in schlimmen Zeiten! Weil es so lustig ist, Macht zu haben und sie auch zu zeigen, tötet die ISIS wahllos Menschen, mitunter auch die eigenen. Das Ganze ist dann noch verbrämt mit einer theologischen Ideologie. Das kommt bei jüngeren Menschen offenbar ganz gut an, weil sich einige von ihnen ohnehin nicht leiden können oder sich gern von anderen führen lassen. Es fehlt an allen Ecken und Enden der eigene Vater und auf die Mutter will der Sohn auch nicht mehr hören. Macht ist geil und weil man ja auffallen will, sich erproben möchte und auf Anerkennung hofft, macht man halt mit, zumindest für einige Zeit. Aussteigen gibt es aber nicht. Das ist bei allen Sekten so, denn dann funktioniert der ganze Apparat nicht mehr.

Also: Im Nahen Osten wird getötet und an den Grenzen der Ukraine gezündelt. Möglicherweise gibt es wieder Krieg in Europa, denn auch hier gilt: Wer Macht hat, sucht für die Ausübung seiner Macht eine Begründung. Auch gibt es entweder den inneren oder den äußeren Feind. So erhält man sich eben seine Macht, ob man Putin oder Assad heißt. Sterben müssen Menschen allemal, sei es in Afghanistan, in Afrika oder auf Flüchtlingsschiffen. Also gelassen bleiben. Wir können es ohnehin nicht ändern, weder durch Pegida noch durch Gegendemonstrationen. Es ist außerordentlich schwer, Menschen etwas begreifbar zu machen, und zwar dass man Menschen erst Kinder zur Welt bringen lässt, um dann die Kinder anschließend wieder umzubringen. Man könnte meinen, dem Menschen sei das Leben anvertraut, damit er etwas Nützliches, bleibend Schönes oder herausragend Fortschrittliches in dieser Welt verwirklicht. Aber, stattdessen wird er schon bei Zeiten totgeschlagen, dass man niemals erfahren wird, zu welchen erhabenen Großtaten dieser Mensch tatsächlich fähig gewesen wäre, was er uns hätte erzählen können aufgrund seiner Erfahrungen, seinen Einsichten, entwickelnden Gedanken und Taten. Tot ist der Mensch. Damit basta!

Es gibt ja noch andere, sogar viele, also kann es auch auf den einzelnen Menschen gar nicht so ankommen? Sieht der einzelne Mensch, der sich entwickelnde Säugling dies genauso? Saugt er an der Brust seiner Mutter voll Verachtung? Betrachtet er seine Umgebung mit Abscheu? Ist ihm die Berührung seines Vaters verhasst? Nein, nein, sterben will ich nicht, würde das Kind schreien. Es war doch anstrengend genug, auf die Welt zu kommen und nun will ich erfahren, um was es hier geht, mich ausbilden und mein Leben leben. Mir wohl und keinem übel, kurzum: Ich habe nichts dagegen, wenn die anderen Kinder auch leben, und zwar auch selbst dann nicht, wenn aus den Kindern einmal erwachsene Menschen werden sollten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Pegida

„Pegida“, ein Wort hat sich in unserem Kopf festgesetzt. Wie der Ohrwurm eines Schnulzensängers. Und das ist nicht weit hergeholt. „Pegida“ kann fast jeder aussprechen, es klingt fremd, aber auch gebieterisch, kurzum eine ideale Produktbezeichnung. Doch, was wird hier vermarktet? Vermarktet wird Islamophobie, Angst vorm Fremden, Sozialneid, Frust, Lust, gegen Andere zu sein, aber gleichzeitig eine soziale Verbindung zu Gleichgesinnten einzugehen. Das mit möglichst einfachen Mitteln und ohne Risiko. „Pegida“ kommt, „Pegida“ geht, wie seinerzeit „Alice“, die unvergessene Werbeikone für eine Telefonsoftware. Die Werbung funktionierte, weil keiner wusste, wer oder was sich hinter „Alice“ verbarg. Was verbindet uns mit „Pegida“?

Wenig ist von denen zu hören, die da am Montag mitmarschieren, aber sehr viel von denjenigen, die die Aufmärsche kommentieren. Sie rücken die „Pegida“-Anhänger in die Nähe von Nazis oder beschwören, man müsse deren Anliegen ernst nehmen, sich mit ihnen auseinsetzen, anstatt sie zu verteufeln. Nur was sollte man denn ernst nehmen? Ernst nehmen, dass in jedem Stadtteil, nein in jeder Straße angeblich Minaretts gebaut werden? Sollte man ernst nehmen, dass 150 Asylbewerber für eine Kleinstadt einfach zu viele unkontrollierbare Menschen sind? Unsere Gesetze sind eindeutig. Wir können uns der Einwanderung nicht verschließen und sie ist auch erforderlich für unser Land und die Erfindung des Generationenvertrags. Verdruss und Ängste sind jeder Gesellschaft immanent, wir müssen jedoch denjenigen widerstehen, die glauben, Stimmungen instrumentalisieren zu können, um ihre eigenen Machtspiele daraus abzuleiten. Die Teilnehmer der „Pegida“-Demonstrationen zu verunglimpfen und sie der Lächerlichkeit auszusetzen, bringt überhaupt nichts. Sie müssten vielmehr bei einer Gegenoffensive erkennen, dass wir eine gesellschaftliche Ordnung haben, die auf Gesetz und Recht beruht und so stark ist, dass sie jeder Aushebelung unseres kulturellen Selbstverständnisses entgegentreten kann, aber auch kluge Voraussetzungen für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft schafft.

Vielleicht ist „Pegida“ exemplarisch so wichtig, damit wir immer wieder in die Lage versetzt werden, unseren eigenen Standpunkt zu überprüfen und in uns die Bestätigung zu finden, dass wir glücklicherweise in sehr angenehmen gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen leben, die es zur Aufrechterhaltung unserer Freiheit zu verteidigen lohnt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Beruf und Berufung

Viele sind berufen und nur wenige sind auserwählt. Einerseits will dieser Satz Nichtstun entschuldigen, andererseits resigniert der Verwender dieser Behauptung vor seinen Möglichkeiten. Wahr ist dieser Satz nicht. Wir sind alle berufen entsprechend unseren Möglichkeiten und Fähigkeiten, uns den Aufgaben zu stellen und diese alleine oder zusammen mit Anderen zu lösen. Berufen sind wir in unser Leben, in ein komplexes System von Aufgaben, Ansprüchen die wir hegen und die an uns gestellt werden, Dinge die wir tun und Herausforderungen, denen wir begegnen müssen. Unser Beruf ist nichts von unserer Berufung Entkoppeltes, also Fremdes, sondern Teil unserer Berufung, und zwar unabhängig davon, was wir in unserem Beruf tun, ob wir Haare schneiden oder ein Unternehmen leiten. Maßgeblich ist nicht was wir tun, sondern mit welcher Einstellung wir unserer täglichen Arbeit nachgehen. Wenn unser Verhalten von Offenheit, Integrität und Erkenntniswillen geprägt ist, sind wir in jedem Beruf auch Berufene und dafür auserwählt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erregung

Als ich als junger Anwalt einmal vehement den Rechtsstandpunkt meiner Partei vortrug und mich dabei echauffierte, weil ich den Eindruck gewonnen hatte, das Gericht wolle unserer richtigen Ansicht nicht folgen, bemerkte der Anwalt, der die Gegenpartei vertrat: „Herr Kollege, bekommen Sie denn auch eine Erregungsgebühr?“ Ich schloss meinen Mund, konnte und wollte nichts mehr sagen, während der Kollege in aller gelassenen Breite seine Ansichten vortrug, die nach meiner Überzeugung zwar hanebüchen waren, aber mit meinem Enthusiasmus jetzt nicht mehr bekämpft werden konnten. Die Luft war durch seine Bemerkung raus. Diesen Prozess gewann ich erst in der Berufungsinstanz, nachdem ich nicht nur gelernt hatte, Anderen den Vortritt zu lassen, sondern mich überhaupt nicht mehr aufzuregen, meine Emotionen für mich zu behalten. Wenn wir uns erregen, verengen wir unser Blickfeld, das heißt wir nehmen nicht mehr wahr, wie Andere auf uns reagieren, verlassen das Spiel des sprachlichen und des mimischen Miteinanders und konzentrieren uns ausschließlich auf die Bedeutung des eigenen Vorbringens. Dies geschieht in der Weise, dass wir die Äußerungen anderer Menschen nicht mehr berücksichtigen, sondern ihre Zu- gangssperren – völlig egal, ob diese zu Recht aufgebaut sind oder nicht – zu überwinden trachten, um sie direkt verbal zu erreichen und zu überstimmen. Wir glauben in diesem Moment, dass es so etwas wie ein Gehorsamszentrum gibt, in das wir korrigierend eingreifen könnten, vorbeugend und erzieherisch gleichermaßen einwirkend, alle Widerstände gegen unsere Belehrung beseitigen dürften. Das, was bei der Kinder- und Ju- genderziehung manchmal klappt, in Abhängigkeitsverhältnissen zu Duldungssituationen führt, kann keinerlei Bestand haben im Verhältnis zwischen gleichberechtigten und ebenbürtigen Gesprächs- und Ver- handlungspartnern. Statt uns zu erregen, müssen wir versuchen, das zu entdecken, was uns Widerstand leistet. Dies können gewichtige Argumente sein, die wir so vielleicht nur noch nicht betrachtet haben. Es können aber auch Attitüden sein, die nur auf einem Selbstbehauptungswillen des anderen Menschen beruhen. Der Kollege, den ich eingangs erwähnte, ist selbstverständlich beruflich verpflichtet, den Rechtsstandpunkt seines Mandanten zu wahren und kann nur dann auf meine Seite gezogen werden, wenn ich ihm etwas anbiete für seine Bereitschaft, dies zu tun und meine Argumentationen abzuwägen. Eigentlich ist jeder Gesprächspartner im Prinzip einsichtsfähig, benötigt zur Förderung dieser Einsicht aber eine besondere Form der Ermunterung durch Wertschätzung, Anerkennung der Argumente und allmähliche, in der Regel feinsinnige Annäherung von Positionen.

Selbst, wenn auf den ersten Blick argumentativ alles gut vertraut erscheint, ist es dies in der Regel nicht, sondern jeder Mensch ist offen für alle Möglichkeiten, die geboten werden, um den Stolz der eigenen Position zu wahren. Der nicht durch Erregung und eigene Emotionen blockierte Geist ertastet diese Möglichkeiten und verhält sich teilweise angepasst, teilweise fordernd hinsichtlich aller Chancen, die der Verlauf eines Gesprächs bietet. Aber nicht nur der Gesprächsverlauf sollte durch die Erregungslosigkeit markiert werden, sondern kaum irgendeine Auseinandersetzung des täglichen Lebens ist es wert, dass sie mit Erregungen befrachtet wird. Erregung befreit nicht, weil sie abprallt an denjenigen Menschen, die die Erregung auslösen und schädigend wirken im eigenen Selbstverständnis. Die Selbstbefragung des Erregten beschäftigt sich damit, weshalb die Anderen seinen offensichtlich besseren Argumenten nicht gefolgt sind, und lässt bei ihm gegebenenfalls auch Selbstzweifel entstehen, ob er vielleicht nicht gut genug gewesen sei. Der Prozess kann schließlich in völliger Ablehnung der Situation und im Rückzug enden. Zur emotionalen und geistigen Erschöpfung kommt die körperliche, die oft nicht kompensiert werden kann, sondern sich entlädt in der Vergabe weiterer Erregungen zum Beispiel gegenüber Mitarbeitern, der Familie und sonstigen völlig ahnungslosen Menschen. Deshalb ist es oft ganz wichtig zu bedenken, dass man mit Erregungen nichts verdienen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Übermensch

Insbesondere in der medialen Öffentlichkeit machen Menschen auf sich aufmerksam, die die Fähigkeit besitzen, präsent zu sein, niemals um eine Antwort verlegen, vielfach frech und obendrein noch nett anzusehen. Es wird mediale Prominenz geschaffen, und zwar in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, von Showbusiness bis Politik und Wirtschaft. Aus dem Fundus der öffentlich prämierten Persönlichkeiten werden dann die Führungskräfte berufen, ob in politische Gremien, Theater oder in die Wirtschaft. Es ist zwar denkbar, dass die so gekürte Person auch über herausragende Fähigkeiten verfügt, zu führen und zu gestalten. Zwangsläufig ist dies nicht und es ersetzt allemal nicht die Verpflichtung, sich eingehend, kontrovers und vielfältig mit den verbesserungsbedürftigen Strukturen des jeweiligen Unternehmens auseinandersetzen. So kann zum Beispiel bei einem Theaterintendanten, der ein sicheres Gespür für künstlerische Produktionen besitzt, nicht unterstellt werden, dass er das Theater auch wirtschaftlich klug, betriebswirtschaftlich beschlagen und medial wirksam führt. Universalprofis sind sowohl am Theater als auch in der freien Wirtschaft selten. Zu bedeutend sind oft auch die Interessengegensätze. Um bei dem Theaterbeispiel zu bleiben: Der Künstler im Intendanten wünscht sich verständlicherweise möglichst viel Geld für eine herausragende Theaterproduktion, der Kaufmann in ihm hätte abzuwägen zwischen den Kosten der Produktion und des Vertriebs unter Berücksichtigung der Nebenkosten; und der Schatzmeister in der Person des Intendanten würde sich gar den Kreditgebern, den Banken, den Gesellschaftern und sonstigen Zuwendungsgebern gegenüber verantwortlich fühlen.

Es ist daher sowohl im Theater als auch der freien Wirtschaft, in der Politik und überhaupt in unserem täglichen Leben zu überprüfen, ob die handelnden Personen über die spezifischen Kompetenzen verfügen und sie gegebenenfalls entsprechend den Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens bilden. Aus dem lebhaften Diskurs der Verantwortlichen, der Kontrolle durch Leistungsabgrenzung und öffentliche Bescheidenheit ergibt sich eine selbstbewusste, integrative und auf Nachhaltigkeit angelegte Struktur, also ein Netz von Verantwortungsträgern. Sie vermag sich gegenüber dem delegierten Entscheider zu behaupten, zumal Letzterer darauf angewiesen ist, seine Kompetenz andauernd dadurch zur Schau zu stellen, dass er Veränderungen vornimmt. Ob diese wirksam, verantwortbar und schlussendlich sinnvoll sind, bleibt dahingestellt. Der Wunsch nach einer Führungskraft ist verständlich, es reicht aber nicht aus, einer handlungsbereiten Persönlichkeit das Ruder zu überlassen und sich aus dem Gestaltungsraum zurückzuziehen. Vielleicht sollte einmal dem Nachdenklichsten und nicht dem Lautesten eine Gestaltungschance gegeben werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski