Als ich als junger Anwalt einmal vehement den Rechtsstandpunkt meiner Partei vortrug und mich dabei echauffierte, weil ich den Eindruck gewonnen hatte, das Gericht wolle unserer richtigen Ansicht nicht folgen, bemerkte der Anwalt, der die Gegenpartei vertrat: „Herr Kollege, bekommen Sie denn auch eine Erregungsgebühr?“ Ich schloss meinen Mund, konnte und wollte nichts mehr sagen, während der Kollege in aller gelassenen Breite seine Ansichten vortrug, die nach meiner Überzeugung zwar hanebüchen waren, aber mit meinem Enthusiasmus jetzt nicht mehr bekämpft werden konnten. Die Luft war durch seine Bemerkung raus. Diesen Prozess gewann ich erst in der Berufungsinstanz, nachdem ich nicht nur gelernt hatte, Anderen den Vortritt zu lassen, sondern mich überhaupt nicht mehr aufzuregen, meine Emotionen für mich zu behalten. Wenn wir uns erregen, verengen wir unser Blickfeld, das heißt wir nehmen nicht mehr wahr, wie Andere auf uns reagieren, verlassen das Spiel des sprachlichen und des mimischen Miteinanders und konzentrieren uns ausschließlich auf die Bedeutung des eigenen Vorbringens. Dies geschieht in der Weise, dass wir die Äußerungen anderer Menschen nicht mehr berücksichtigen, sondern ihre Zu- gangssperren – völlig egal, ob diese zu Recht aufgebaut sind oder nicht – zu überwinden trachten, um sie direkt verbal zu erreichen und zu überstimmen. Wir glauben in diesem Moment, dass es so etwas wie ein Gehorsamszentrum gibt, in das wir korrigierend eingreifen könnten, vorbeugend und erzieherisch gleichermaßen einwirkend, alle Widerstände gegen unsere Belehrung beseitigen dürften. Das, was bei der Kinder- und Ju- genderziehung manchmal klappt, in Abhängigkeitsverhältnissen zu Duldungssituationen führt, kann keinerlei Bestand haben im Verhältnis zwischen gleichberechtigten und ebenbürtigen Gesprächs- und Ver- handlungspartnern. Statt uns zu erregen, müssen wir versuchen, das zu entdecken, was uns Widerstand leistet. Dies können gewichtige Argumente sein, die wir so vielleicht nur noch nicht betrachtet haben. Es können aber auch Attitüden sein, die nur auf einem Selbstbehauptungswillen des anderen Menschen beruhen. Der Kollege, den ich eingangs erwähnte, ist selbstverständlich beruflich verpflichtet, den Rechtsstandpunkt seines Mandanten zu wahren und kann nur dann auf meine Seite gezogen werden, wenn ich ihm etwas anbiete für seine Bereitschaft, dies zu tun und meine Argumentationen abzuwägen. Eigentlich ist jeder Gesprächspartner im Prinzip einsichtsfähig, benötigt zur Förderung dieser Einsicht aber eine besondere Form der Ermunterung durch Wertschätzung, Anerkennung der Argumente und allmähliche, in der Regel feinsinnige Annäherung von Positionen.
Selbst, wenn auf den ersten Blick argumentativ alles gut vertraut erscheint, ist es dies in der Regel nicht, sondern jeder Mensch ist offen für alle Möglichkeiten, die geboten werden, um den Stolz der eigenen Position zu wahren. Der nicht durch Erregung und eigene Emotionen blockierte Geist ertastet diese Möglichkeiten und verhält sich teilweise angepasst, teilweise fordernd hinsichtlich aller Chancen, die der Verlauf eines Gesprächs bietet. Aber nicht nur der Gesprächsverlauf sollte durch die Erregungslosigkeit markiert werden, sondern kaum irgendeine Auseinandersetzung des täglichen Lebens ist es wert, dass sie mit Erregungen befrachtet wird. Erregung befreit nicht, weil sie abprallt an denjenigen Menschen, die die Erregung auslösen und schädigend wirken im eigenen Selbstverständnis. Die Selbstbefragung des Erregten beschäftigt sich damit, weshalb die Anderen seinen offensichtlich besseren Argumenten nicht gefolgt sind, und lässt bei ihm gegebenenfalls auch Selbstzweifel entstehen, ob er vielleicht nicht gut genug gewesen sei. Der Prozess kann schließlich in völliger Ablehnung der Situation und im Rückzug enden. Zur emotionalen und geistigen Erschöpfung kommt die körperliche, die oft nicht kompensiert werden kann, sondern sich entlädt in der Vergabe weiterer Erregungen zum Beispiel gegenüber Mitarbeitern, der Familie und sonstigen völlig ahnungslosen Menschen. Deshalb ist es oft ganz wichtig zu bedenken, dass man mit Erregungen nichts verdienen kann.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski