Nichts geschieht ohne Grund. Wie Brot und Wein benötigen wir die bildende Kunst, Theater, Konzert, Oper, Musik schlechthin als Lebensmittel. Es ist denkbar, dass wir darauf verzichteten, würde der Verzicht nicht gravierende Folgen haben. Ohne musikalische Erfahrungen können wir nichts wahrnehmen, auch Bilder sind Spiegelungen von Lebenserfahrungen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse gestalten unsere Lebensentwürfe. Gleichzeitig stabilisieren unsere kulturellen Erfahrungen unser Dasein, setzen Impulse und gestalten die Zukunft. Bevor wir Zukunft wahrnehmen, wird sie in der Kunst erahnt. Wir antizipieren unser Leben, ohne dessen Realität immer sofort bemessen zu können. Wenn Kinder am Computer Straßenkämpfe üben und sich einschwören auf neue Formen der Kommunikation und der Konfrontation, so bereiten sie sich dabei schon auf ihre zukünftigen Erfahrungen vor. Sie gestalten ihre Lebensentwürfe anhand von gedachten Leitbildern, deren Realität sich dereinst noch erweisen muss. Wenn wir aufmerksam in die Zimmer der Jugend spähen, können wir die Policies der nächsten Generation in ihrer Entwicklung wahrnehmen. Sie beinhalten, gewappnet zu sein für die Zukunft, an ihr aber auch aktiv teilzunehmen und sie damit herbeizuführen. Die kriegerische Auseinandersetzung ist ein Merkmal dieser Kulturgestaltung. Die Kriege, die sich in den Kinderzimmern abzeichnen, haben allerdings mit unseren konventionellen Kampfformen nicht das Geringste zu tun. Sie tragen nicht den Ideologien Rechnung, sondern der Besitzstandswahrung in einer durch Migrationsbewegungen, demografische Veränderungen und Güterverteilung völlig umgestalteten Welt. Mit den konventionellen Denkschemata ist die jetzige Generation darauf nicht vorbereitet. Weder greifen aktuell gängige Mittel für die Bewältigung künftiger Krisen noch schafft eine historisierende Wertediskussion Klarheit. Ob alle noch Zeugen eines gigantischen Zeitenwechsels sein können, ist fraglich. Es ist naheliegend, dass sich bei Verteilungskämpfen, die auf Ländergrenzen und Kontinente keine Rücksicht mehr nehmen, Eliten entwickeln und durchsetzen werden, die andere nur soweit beschäftigen, am Leben erhalten oder sich vergnügen lassen, als es ihrer Sache dient. Schon immer war Schauspiel und Film dazu angetan, uns in künftige Wirklichkeiten Einblick nehmen zu lassen. Schauen wir aufmerksam zu, erfahren wir mehr und können uns darauf einstellen. Der Ich-Wert des Einzelnen, der Zusammenhalt des Clans gewinnen Vorrang vor jeder anderen Gruppierung. Religiöse Intensität wird auf gleicher Ebene mit rigidem Realitätssinn stehen. Diese Entwicklung ist unvermeidlich und entspricht unserer evolutionären Bestimmung. Einen Unterschied macht allein, ob wir darauf vorbereitet sind oder nicht.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski