Diese Behauptung ist provokant und frech. Wer kann schon Lust dabei empfinden, dass etwas nicht funktioniert. Wir haben gelernt, dass wir uns durchsetzen müssen. Ein maßgeblicher Erziehungsspruch lautet: Nur dem Tüchtigen winkt das Glück! Von Kindesbeinen an wird uns Durchsetzungsvermögen antrainiert. Um zum Erfolg zu kommen, dürfen wir uns – zumindest im Rahmen der Gesetze – sämtlicher Tricks und Möglichkeiten bedienen.
Angesichts der allgemeinen Erwartungshaltung ist es zunächst einmal nicht abwegig anzunehmen, dass alle zum Erfolg hinstreben, sich wechselseitig stützen und beschleunigen bei der Erfolgsgewinnung und sich am Ergebnis auch gemeinsam freuen. Dabei verkenne ich nicht, dass es in dieser Gesellschaft die unterschiedlichsten Ziele unter Erfolgsgesichtspunkten gibt. Wo Menschen sich nicht in die Quere kommen, sondern aufeinander angewiesen sind, um gemeinsame Erfolge herbeizuführen, könnten die wechselseitigen Unterstützungsleistungen systemimmanent sein. So sehr der Erfolg aber allgemein erwünscht wird, so schwer ist es, den Weg dorthin zu finden. Es ist von wachsendem Erfolgsdruck die Rede. Bis zum Ziel gibt es zwar diejenigen, die bedingungslos oder auch engagiert helfen, indes weiß jeder von Quertreibern und sonstigen Missgünstigen zu berichten.
Der Weg zum Erfolg ist derart hart gepflastert, dass der Erfolgreiche oft nur noch von den anderen gefeiert wird, aber selbst nicht mehr mitmacht. Er weiß darum, was ihn dieser Erfolg gekostet hat. Denn der Misserfolg ist das soziale Stigma des Bemühten. Die Erfolgreichen werden wahrgenommen und diejenigen, die Misserfolg erleiden. Geschont bleiben nur diejenigen, die nichts tun. Zuweilen feiern sie mit den Erfolgreichen, bemühen sich von Misserfolgen fernzubleiben und sich nicht zu verbrennen. Das gescheiterte Projekt, der gescheiterte Mensch, fängt nach allgemeiner Auffassung zu stinken an. Es ist besser, nicht in den Bannkreis des Unglücks zu gelangen. Die geschicktesten Scheiterer verkünden fortwährend ihre Erfolge.
Bluff, Verstellung, Tricks, Behauptungen und ganz gemeine Lüge sind die Alltagsinstrumentarien gescheiterter Existenzen. Bei aller Beweglichkeit in der Camouflage empfinden sich Scheiternde aber oft als dumpf ihrem Schicksal ausgelieferte Menschen, die ihre Rolle leben müssen. Sie unternehmen nichts, um ihren Zustand zu ändern, bewegen sich ständig in dem Kreis der Eigensicherung. Freiraum für den zweiten Wind, die Entfachung neuer Kreativität und Überwindung der inneren Angst sind dabei nicht möglich. Einem der scheitert, ist kaum die Einsicht abzuverlangen, dass ein Scheitern ein Glücksumstand für ihn sein könnte. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, der einmal mit seinem Geschäft scheiterte, weil er Bilanzen nicht lesen konnte, wurde im zweiten Anlauf Steuerfachgehilfe, gründete eine Steuerberatungsfirma und kontrollierte mit dieser seine verschiedenen Unternehmen. Er war gescheitert. Dies hatte ihn nicht beeindruckt. Ich erinnere mich noch genau, dass wir am Tage der Insolvenz ein üppiges Abendessen gefeiert haben.
Scheitern kann ein Glücksumstand in dem Leben eines Menschen sein, weil er sich anderen Dingen zuwenden kann. Scheitern schärft Sinne. Scheitern ist ein Grund zu feiern, weil man genau dies bekennt und vermittelt, dass man – entgegen aller Gepflogenheiten – bereit ist, dies auch auszuhalten. Scheitern ist völlig normal angesichts der vielen Behinderungen, denen der Mensch durch wechselnde Glücksumstände, Gesetze usw. ausgesetzt ist. „Scheitern ist geil“ kann als Slogan eine neue Zeit einläuten und die Lust derjenigen beschränken, die viel Freude am Scheitern anderer empfinden. Dass andere scheitern, ist der Wunschtraum vieler, denn bei allgemeiner Immobilität würde sich die Auffälligkeit des Scheiterns Einzelner verringern. Der lustvoll gescheiterte Mensch bietet dagegen souverän alle Voraussetzungen für den ganz großen Erfolg. Er feiert beides, seine Niederlage und seinen Gewinn.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski