Archiv für den Monat: Mai 2015

Das kulturelle Selbstverständnis (Teil 2)

Der Künstler geht den mühsamen Weg oder wählt die rasche Fahrt. Wer helfen will, sollte Rasthäuser einrichten und nicht durch übereilte Schmeicheleien dafür sorgen, dass gerade derjenige, der sich auf den dornigen Weg gemacht hat, durch üppige Schlemmerei vorschnell satt wird und seinen Elan verliert.

Auch ist der Muezzin mit seinen Klageliedern nicht glaubwürdig, wenn er von der sterbenden Welt des privaten Kapitals singt. Keiner kann schlüssig belegen, dass die Abhän- gigkeit von staatlichen Subventionen anders ausgestaltet ist, als diejenige von privatem Kapital. Welche Freiheit liegt denn in staatlichen Subventionsverträgen? Keine. Welche Freiheit liegt in privatwirtschaftlichen Verträgen? Die Abschlussfreiheit und die Freiheit der inhaltlichen Ausgestaltung. Der Verdacht besteht.

Da singt so mancher Muezzin besonders inbrünstig in die Welt, dass das private Kapital schmutzig sei, Kunst und Kultur durch gezielte Boshaftigkeit und Eigennutz verderbe. Solange der Mensch schlecht ist, greift derjenige, der so singt, auf seine eigenen Erfahrungen zurück, müsste dabei aber gestehen, dass Politiker und Kulturfunktionäre auch nur ihr eigenes Süppchen kochen. Das Kreisen der Argumente führt zum Ausgangspunkt zurück. Kunst und Kultur benötigen nicht jeden Fürbitter, denn eine Spezies inszeniert sich stets selbst, um etwas mitzuglänzen. Sie hat dabei aber etwas Gefährliches. Selbstgefällig meißelt sie das Gesamtdenkmal der Kultur, dem „nachhaltigen Kulturmanager.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das kulturelle Selbstverständnis (Teil 1)

Kunst und Kultur müssen nicht erfunden werden. Sie benötigen weder Eltern noch Paten. Kultur ist. Wir vermögen uns gegen sie nicht zu wehren. Dieses Selbstverständnis entlarvt alle diejenigen, die meinen, dass Kunst und Kultur ohne ihren Einsatz als Bürger nicht auskämen. Sie schaffen sich, obwohl sie weder Kulturschaffende, noch in ihrer Funktion primär Kulturkonsumenten sind, einen Platz im Kulturapparat.

Kunst und Kultur werden von vielen aktiv gestaltet. Zu denjenigen, die das tun, gehören diese Heuchler nicht. Kunst und Kultur werden wahrgenommen, gesehen, geschmeckt, gefühlt, ertastet, erlitten und verachtet. Aber die Muezzins der Kultur treten auf in Symposien, Talkshows, Veranstaltungen aller Art und diskutieren über den Kulturbegriff, über die Nachhaltigkeit der Kultur, über die Angst vor dem Kulturverfall, über Soziokultur, über Edelkunst. Sie wägen ab zwischen allen Gefahren, die durch die Kommerzialisierung der Kunst und Kultur oder durch deren Verstaatlichung entstehen könnten, kurzum: Sie fordern die Nachhaltigkeit der Kultur. Es gehört zu unserer zivilisierten Welt, dass Menschen ihre Zeit damit verbringen, Geld zu verdienen, andere zu unterhalten und alles zu thematisieren, um daraus mediale Wirksamkeit zu erzielen. Davon leben sämtliche Medien und das ist auch verständlich.

Insofern haben die Kulturmuezzins ihren festen Arbeitsplatz. Widerspruch sollte sich allerdings dort regen, wo sie ihre Stimme erheben und verkünden, sie seien die wirklichen Bewahrer von Kunst und Kultur und insbesondere deren Förderer. Kunst und Kultur erfahren, wie Religion im engeren Sinn, die Einschränkung am ehesten durch angeblich Wohlmeinende, das heißt diejenigen, die glauben, dass ohne ihre Hilfestellung nichts mehr läuft. Dies ist, bei Licht betrachtet, Kunst- und Kulturfundamentalismus und führt Künstler in die Abhängigkeit. Nichts ist ungebändigter, freier, zügelloser und explosiver als Kunst und Kultur. Wir gestalten sie stets neu, verändern sie, indem wir sind. Sie sind fragil, wirr und gleichsam behäbig. Auch in der Kultur wird Kunst geschaffen. Kunst und Kultur sind also keinesfalls Synonyme, sondern bedingen sich allenfalls idealiter. Kunst benötigt keine Norm bis auf die Freiheit, alles zu tun, was andere nicht beschädigt. Es ist gleichermaßen absurd, Kunst und Kultur zu fördern, da man so „den Schlitten vor die Ochsen spannt“. Es mag so manchem gefallen, die freie Fahrt zu zügeln, aber dies ist der Kunst nicht immanent.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Die Lust am Scheitern

Diese Behauptung ist provokant und frech. Wer kann schon Lust dabei empfinden, dass etwas nicht funktioniert. Wir haben gelernt, dass wir uns durchsetzen müssen. Ein maßgeblicher Erziehungsspruch lautet: Nur dem Tüchtigen winkt das Glück! Von Kindesbeinen an wird uns Durchsetzungsvermögen antrainiert. Um zum Erfolg zu kommen, dürfen wir uns – zumindest im Rahmen der Gesetze – sämtlicher Tricks und Möglichkeiten bedienen.

Angesichts der allgemeinen Erwartungshaltung ist es zunächst einmal nicht abwegig anzunehmen, dass alle zum Erfolg hinstreben, sich wechselseitig stützen und beschleunigen bei der Erfolgsgewinnung und sich am Ergebnis auch gemeinsam freuen. Dabei verkenne ich nicht, dass es in dieser Gesellschaft die unterschiedlichsten Ziele unter Erfolgsgesichtspunkten gibt. Wo Menschen sich nicht in die Quere kommen, sondern aufeinander angewiesen sind, um gemeinsame Erfolge herbeizuführen, könnten die wechselseitigen Unterstützungsleistungen systemimmanent sein. So sehr der Erfolg aber allgemein erwünscht wird, so schwer ist es, den Weg dorthin zu finden. Es ist von wachsendem Erfolgsdruck die Rede. Bis zum Ziel gibt es zwar diejenigen, die bedingungslos oder auch engagiert helfen, indes weiß jeder von Quertreibern und sonstigen Missgünstigen zu berichten.

Der Weg zum Erfolg ist derart hart gepflastert, dass der Erfolgreiche oft nur noch von den anderen gefeiert wird, aber selbst nicht mehr mitmacht. Er weiß darum, was ihn dieser Erfolg gekostet hat. Denn der Misserfolg ist das soziale Stigma des Bemühten. Die Erfolgreichen werden wahrgenommen und diejenigen, die Misserfolg erleiden. Geschont bleiben nur diejenigen, die nichts tun. Zuweilen feiern sie mit den Erfolgreichen, bemühen sich von Misserfolgen fernzubleiben und sich nicht zu verbrennen. Das gescheiterte Projekt, der gescheiterte Mensch, fängt nach allgemeiner Auffassung zu stinken an. Es ist besser, nicht in den Bannkreis des Unglücks zu gelangen. Die geschicktesten Scheiterer verkünden fortwährend ihre Erfolge.

Bluff, Verstellung, Tricks, Behauptungen und ganz gemeine Lüge sind die Alltagsinstrumentarien gescheiterter Existenzen. Bei aller Beweglichkeit in der Camouflage empfinden sich Scheiternde aber oft als dumpf ihrem Schicksal ausgelieferte Menschen, die ihre Rolle leben müssen. Sie unternehmen nichts, um ihren Zustand zu ändern, bewegen sich   ständig in dem Kreis der Eigensicherung. Freiraum für   den   zweiten Wind, die Entfachung neuer Kreativität und Überwindung der inneren Angst sind dabei nicht möglich. Einem der scheitert, ist kaum die Einsicht abzuverlangen, dass ein Scheitern ein Glücksumstand für ihn sein könnte. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, der einmal mit seinem Geschäft scheiterte, weil er Bilanzen nicht lesen konnte, wurde im zweiten Anlauf Steuerfachgehilfe, gründete eine Steuerberatungsfirma und kontrollierte mit dieser seine verschiedenen Unternehmen. Er war gescheitert. Dies hatte ihn nicht beeindruckt. Ich erinnere mich noch genau, dass wir am Tage der Insolvenz ein üppiges Abendessen gefeiert haben.

Scheitern kann ein Glücksumstand in dem Leben eines Menschen sein, weil er sich anderen Dingen zuwenden kann. Scheitern schärft Sinne. Scheitern ist ein Grund zu feiern, weil man genau dies bekennt und vermittelt, dass man – entgegen aller Gepflogenheiten – bereit ist, dies auch auszuhalten. Scheitern ist völlig normal angesichts der vielen Behinderungen, denen der Mensch durch wechselnde Glücksumstände, Gesetze usw. ausgesetzt ist. „Scheitern ist geil“ kann als Slogan eine neue Zeit einläuten und die Lust derjenigen beschränken, die viel Freude am Scheitern anderer empfinden. Dass andere scheitern, ist der Wunschtraum vieler, denn bei allgemeiner Immobilität würde sich die Auffälligkeit des Scheiterns Einzelner verringern. Der lustvoll gescheiterte Mensch bietet dagegen souverän alle Voraussetzungen für den ganz großen Erfolg. Er feiert beides, seine Niederlage und seinen Gewinn.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Projekt

Das Projekt ist ein Monstrum, initiiert und gestaltet von Ansprüchen, Ängsten und Mutlosigkeit. Jedes Projekt hat zunächst eine Beschreibung, die das äußere Phänomen kennzeichnet. Gelegentlich steht dahinter ein origineller Gedanke, auf dessen Umsetzung man irgendwie hofft. Die meisten Projekte laufen bereits deshalb gegen die Wand, weil in der Regel der Gedanke schneller ist als das Fußvolk, das ihn umsetzen soll. Der Träger des originellen Gedankens setzt ihn selten um. Er versucht vielmehr, andere zu gewinnen, die es für ihn besorgen. Da sie oft nicht von demselben Gedanken beseelt sind, bewegt sich die Karawane nur langsam vorwärts. Vor der Aufgabenverteilung steht das allgemeine Palaver, dann werden die Ressorts abgesteckt und schließlich das Projektteam gebildet.

Jedes Projekt beginnt mit der sogenannten „Machbarkeitsstudie“. Die Machbarkeitsstudie ist der erste Versuch des Teams, das Projekt zu verhindern. Scheitert das Projekt nicht bereits auf diese Weise, so erfährt es seine nächste entscheidende Prüfung im Rahmen der Finanzierung und bei gemeinnützigen Projekten im Bereich der steuerlichen Abzugsfähigkeit und Umsetzung. Bemerkenswerterweise erfahren die meisten Projekte ihre Struktur durch steuerliche Einschränkungen. So kümmert sich z. B. ein Bauherr nicht darum, ob sein Bauvorhaben künstlerisch sinnvoll ist. Es ist ihm aber wichtig, das Projekt steuerverträglich zu gestalten. Grenzenloses, steuerfreies Denken findet bei keinem Projekt statt. Auch gute Projekte werden verworfen, weil sie schlussendlich nicht zur Steuerabzugsfähigkeit finden.

Projekte können natürlich auch der Triumph des Initiators sein. Es gelingt Projekten sich derart auf sich selbst zu konzentrieren, dass der Destinatär der Bemühungen – war er jemals sichtbar – auf jeden Fall über kurz oder lang verschwindet. Selbst dann, wenn Projekten der Grund abhanden kommt, werden sie im Falle der steuerlichen Machbarkeit und erreichbarer Finanzierung in aller Regel umgesetzt.

Auch das Team hat sich geschworen, auf Gedeih und Verderb das Projekt durchzudrücken und jeden Widerstand zu brechen. Überwogen zunächst Zweifel, flutet nunmehr das Engagement über sämtliche Unebenheiten hinweg.

Für gescheiterte Projekte gibt es dann die tröstliche Erklärung, dass alleine die Gestaltung des Projektes an sich das Team so zusammengeschweißt habe, dass das Projekt in jedem Fall sinnvoll war. Im Übrigen entwickeln Projekte eine Eigendynamik, die darauf gerichtet ist, alle zu denunzieren, die sie nicht verstehen. Im Extremfall löst sich das Projekt ohnehin auf, denn das ist folgerichtig: Beim Scheitern des Projekts will es keiner gewesen sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mehltau

Auf die Freizeitgesellschaft, die Spaßgesellschaft folgt übergangslos die Lähmungsgesellschaft: „Mehltau“. Es steht mir nicht an, diejenigen mit Häme zu bedenken, die sich in der Spaß- und Freizeitgesellschaft ausgetobt und auf das Vergnüglichste unterhalten haben. Allerdings sollten sie wissen, dass sie dies auf Kosten anderer getan haben. In einer entwickelten Gesellschaft schuften prinzipiell einige wenige hart für das   Vergnügen   der   Mehrheit.   Das   Sprachorgan der „Mainstreamvergnügten“ und ihrer Entourage findet selbstverständlich eine größere Resonanz als dasjenige der zaghaften, vertrockneten aber hoch edlen Spielverderber. Die Woge der Begeisterung schwemmt üblicherweise jeden Widerstand hinweg. Jetzt aber herrscht Flaute. Die Rufe der Mahner und der Besserwisser sind lauter zu vernehmen, aber noch lauter ist der Wehlaut aus jedem einzelnen „Prielloch“ unserer derzeit geschundenen Existenz.

Warum hat sich keiner darum gekümmert, als es noch Zeit war, so seufzt so mancher. Warum hat es uns keiner gesagt? Warum haben die nichts getan? „Die“ ist das Synonym für die Schuldigen. Das ist auch gerecht, denn in guten Zeiten wie in schlechten Zeiten marschiert der Gerechte Seit’ an Seit’ mit den Unterdrückten. Aber wo ist der Schutzengel jetzt geblieben?

Freizeit futsch, Vergnügen futsch, Geld futsch, Konsum futsch und was nun? Die bleierne Müdigkeit senkt sich über das Land. Einer muss was tun – doch wer nur und nach welchem Plan? Wir haben längst aufgehört, uns und unserer Kraft zum Handeln zu vertrauen. Der Homo agens ist ein Störenfried. Wer nichts tut, tut nichts verkehrt. Wir warten ab. Wir warten Kriege ab. Wir warten Rezessionen ab. Wir warten Depressionen ab. Wir warten ab, bis andere etwas tun. Aber auch die, auf die wir so sehnsüchtig gewartet haben, meinen nichts tun zu können.

Zu filigran ist – nach Auffassung der Handlungsbereiten – das internationale Netz der fehlenden Möglichkeiten. Beruhigend ist die Perspektive, dass allen der Frohsinn vergangen ist, sie alle im gleichen Boot sitzen und auf den Messias warten. Das drohende Unheil von Rezession und Krieg schürt bei den einen die Lebensangst, bei den anderen die unbändige Gewissheit: So schlimm wird es ja nicht kommen. Am besten sind Krisen durch Sitzfleisch zu meistern. Der Mehltau senkt sich über das Land. In schwierigen Zeiten ist der tiefe Riss, der durch unsere Gesellschaft geht, deutlich sichtbar. Dem Einen oder Anderen fällt erstmalig auf, dass das tägliche Brot vielleicht doch keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Gnade. Der Eine oder Andere begreift, dass er Verantwortung für sich und Andere trägt, unabhängig davon, ob Andere ihn in Anspruch nehmen oder nicht. Die Schuldzuweisung wird ihm nicht nützen. Mehltau liegt über dem Land. Wie fremd sind wir uns geblieben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Emotionen

Wie fühlen Sie sich? Wie hat das oder jenes auf Sie gewirkt? Sind Sie traurig? Sind Sie erschöpft?

Unsere Erfahrungswelt umwabern Emotionen. Ich bin sauer, weil die Fahrpreise erhöht worden sind. Ich bin entsetzt über Steuererhöhungen und fände es gerecht, wenn die Beamten mehr oder weniger Geld bekämen. Die emotionale Beobachtung folgt stets dem eigenen Blickwinkel. In jedem denkbaren Fall lassen wir die Emotionen aus dem Kessel, um uns auszudrücken. Dies geschieht nicht nur dort, wo wir persönlich betroffen sind: Die gesamte Verständigungssprache im Umgang miteinander als auch in den Medien ist angereichert mit Adjektiven und Adverbien, die auf eine bestimmte Gefühlslage hindeuten.

Keiner stellt diese zur Schau gestellten Emotionen in Frage. Insgeheim hat man sich wohl auf diese Art der Kommunikation geeinigt. Emotionen enthalten Chiffren, die weit über ihren Informationsgehalt hinausreichen. Derjenige, der davon spricht, dass es doch nur gerecht sei, wenn das oder jenes geschähe, vermag so seine eigene Meinung zu verschleiern. Die Geltendmachung des eigenen Anspruchs, der Einsatz hierfür und dessen Verteidigung könnten fragwürdig sein. Wird der eigene Anspruch durch Emotionen, die nicht allgemein tabuisiert werden können, verstärkt – Gerechtigkeit ist ja schließlich ein hehres Gut – so gelingt es, hartnäckig für die eigenen Interessen zu arbeiten, ohne sich sofortiger Angriffe auf die eigene Verhaltensweise auszusetzen. Damit ist aber nicht alles erklärt. Die Darstellungen von Emotionen schützen vor Erklärungen, sie typisieren sozusagen Lebenssachverhalte, denen man sich in ihrer komplexen Fragestellung dann nicht mehr aussetzen muss. Emotionen täuschen auch darüber hinweg, dass Menschen letztlich aneinander nicht interessiert sind. Durch Typisierung ihrer Erscheinung werden Emotionen zu austauschbaren Verbindungselementen zwischen Menschen ohne große Nachhaltigkeit. Emotionen sind berechenbar, sie sind aber auch berechnend. Sie sind sozusagen Schwert und Schild in der Hand eines jeden und geben nichts wieder über die wahre Gemütsverfassung: das Gefühl.

Das Gefühl ist etwas ganz anderes. Gestaltet möglicherweise dort Schuld, wo die zur Schau gestellten Emotionen anderes vermuten lassen. Deutlich wird dies in der Rechthaberei und in dem protzigen Beharren auf einer bestimmten Verhaltensweise. Tief im Innern mag gefühlt werden: Es ist nicht richtig. Gefühle und Emotionen sind nicht im Einklang. Gefühle weisen die Verfassung des Menschen aus. Seine Emotionen sind seine politischen Verlautbarungen. Wegen ihres hohen medialen Stellenwerts und ihrer weit verbreiteten gesellschaftlichen Akzeptanz, sind sie dazu angetan, Gefühle zu unterdrücken und auf Erklärungen zu verzichten. Wer will schon den Anspruch auf etwas behaupten und gleichermaßen bekennen, dass er an seinem eigenen Anspruch zweifelt und nach innerer Überprüfung gegebenenfalls zu der Einsicht gelangen könnte, dass ihm dieser Anspruch überhaupt nicht zusteht? Wer will schon zugeben, dass ihn Preiserhöhungen schmerzen, er aber einzusehen vermag, dass diese gerechtfertigt sind? Wenn er dann sauer ist über die Preiserhöhung, verrät er nichts über sein Inneres, befindet sich aber medial wirksam im Trend und gliedert sich in den beliebigen Bereich der Unzufriedenen ein. Die Ängste um die eigene Existenz und die Trauer über die eigene Fehleinschätzung werden durch lautstarke, emotionale Protestbekundungen gegen Politik und Medien kaschiert. Der Absturz in die gesellschaftliche Neurose fördert die Belanglosigkeit des Empfindens, verhindert das Bekenntnis zu Gefühlen, lässt unser Leben verarmen. Wir werden Zombies auf hohem emotionalem Niveau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Von der Oberfläche

Wir haben gesagt. Sie haben gesagt. Die haben gesagt. Wir meinen. Die meinen. Schier endlos repetieren wir die Meinungen anderer. Wir erfahren, was ein 17-jähriger Bengel einer Boygroup meint. Wir bekommen mit, welche Ansichten zur Welt ein 22-jähriges Model hat. Wir erfahren ohnehin sehr viel von den Ansichten der vermeintlich „Schönen und Reichen“. Warum?

Naheliegend ist, anzunehmen, dass derjenige, der die Meinungen anderer rezipiert, auch Teil dieses Meinungsbildungsprozesses ist, dass der Konsument einer Meinung die innere Übereinstimmung mit dem Meinenden selbst erfährt. Welche Meinung ist aber für uns angemessen, wenn wir weder zu den „Schönen und Reichen“, noch zu den medienerfahrenen Meinungsmachern gehören? Keine.

Wir sind das Blatt Papier, auf welches geschrieben wird. Wir sind die Ackerfurchen, in welche andere säen,  damit vermeintlich unsere Meinung aufgeht. Je dichter die Saat steht, desto üppiger lassen wir reifen. Was Meinungsforscher dann als unsere Meinung ernten, haben andere zuvor gesät. Was könnte daran schlimm sein? Wäre man zynisch, würde man sagen: eigentlich nichts.

Zweifelhaft ist jedoch – um im Bild zu bleiben – die Qualität des Saatguts. Welche Ernte verspricht die Nabelschau von 17- Jährigen? Welche Herausforderung erfährt der Mensch durch die privaten Lebensdramen eines Schauspielers? Welche Gefühle werden freigesetzt bei einer Fürstenhochzeit? Die Einen meinen, die Beamten hätten zu viel Geld, die Anderen behaupten genau das Gegenteil. All diese Meinungsbilder entsprechen den Meinungen von Politikern, von Medien und sonstigen für die Meinungsbildung relevanten Institutionen. Deren Wichtigkeit überträgt sich aufs Volk. So sind alle energisch mit Meinungsbildung beschäftigt, damit der Einzelne erschwert zu einer Meinung findet. Mit Gleichmut erträgt hier der Acker das Säen, und das Tag für Tag, Woche für Woche, und zwar, dass eine in den Medien relevant erfasste Gruppe von „Bauern“ über die Äcker tobt, ihre Meinungssaat ausbringt und auf Ernte hofft. Fachleute sind wenige darunter, denn Wissen ist komplex und nur Meinungen gewünscht. Der Fluch der bösen Tat ist die Belanglosigkeit und Austauschbarkeit jeglicher Aktion der Meinungsbilder in den Medien. Ihre Botschaft hat die Halbwertszeit eines Windes. Während er noch stinkt, wird der nächste schon vorbereitet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Der Volksmund wird nie geschlossen gehalten, er ist stets geöffnet. Angefangen vom Geplapper der Kinder bis zu den wirren Sätzen der Greise sind alle Menschen darauf aus, möglichst viel zu reden. Dies geschieht in der geschliffenen Form eines Präsidenten oder Wirtschaftsführers oder in dem Gequassel eines Groupies. Verbindend, quer durch alle sozialen Schichten, ist die Belanglosigkeit des Dargebotenen. Diese hindert allerdings keinen Schwätzer daran, möglichst viel mitzuteilen. Dabei geht es stets weniger um den Inhalt als um die Gestik des Vorbringenden. Er geht auch nicht davon aus, dass er irgendjemanden von seinem Gerede überzeugt, zumal der potenzielle Gesprächspartner die kurze Zeit des Schweigens nutzt, um seinen eigenen verbalen Gegenangriff vorzubereiten.

Die Sprache ist allenfalls ein Medium, welches in der Lage ist, auch Plätze im Leben zu markieren. Deshalb sind bei Podiumsdiskussionen Beiträge aller Podiumsmitglieder stets so lang und ausufernd, dass der ganze Raum schon nach ihnen stinkt und jeder Zuhörer wieder unverrichteter Dinge von dannen schleicht. Das Bild passt überall dort, wo sich ein Dialog nicht ereignet. Smalltalk oder Bigtalk. Der Wortschwall ist immer der gleiche. Inhaltliches wird ausgespart und ausführlich das veröffentlicht, was der Angesprochene so oder so auch erlebt hat oder hätte erleben können. Auf dieser Gesprächsebene vermeiden Menschen, tiefer gehende Gedanken zu veröffentlichen, weil sie entweder überhaupt nicht vor- handen sind oder die Angst des Missverständnisses bzw. der Langeweile besteht. Je geringer der Wortschatz eines Gesprächskombattanten, umso größer die Treffsicherheit bei jeder Gesprächsveranstaltung. Sprachliche Ausdifferenzierungen belasten oder langweilen das ebenfalls immer gesprächsbereite Gegenüber. Die Worte legen sich auf das Gemüt, erschöpfen die Gedanken und trüben jede Erwartung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Unterhaltung (Teil 2)

Eine nicht unerhebliche Anzahl von Rednern ist völlig auf Stichworte geeicht. Sie lauern geradezu darauf, da sie ihnen Gelegenheit geben, ihre interessanten Gedanken kundzutun. Sie sind Slalomfahrern vergleichbar, d. h. sobald ein weiteres neues Stichwort auftaucht, ändern sie sofort den Kurs und scheuen sich nicht, auf das nächste Ziel zuzusteuern. Anlässlich eines kleinen Abendessens können so unzählige Themen gestreift werden, ohne dass der Sprechende absetzen muss oder die anderen etwa beleidigt sind, weil sie nicht zum Zuge kommen. Nicht nur derjenige der Stichworte aufnimmt, sondern auch derjenige der Stichworte gibt, hat das Gefühl beteiligt zu sein. Darin liegt der große Vorteil dieses Sprachverhaltens.

Ohne dass es die meisten Redner überhaupt mitkriegen, gibt es eine erschreckend große Anzahl von Zuhörern, denen ihre Qual nicht mehr ins Gesicht geschrieben steht. Ihre   Interesselosigkeit dokumentieren sie durch ihre Anwesenheit unter gleichzeitiger Aufgabe jeglicher Regung.

Auf jeden Fall sind sie einfachere Zeitgenossen als die uneinfangbaren Frager, die durch ihre Beiträge zur Erschöpfung der Redner beitragen können. Dies ist allerdings höchst selten.

Unbekannt ist landauf, landab der Zuhörer, d. h. der Mensch, der eine Botschaft aufnimmt, versteht, verarbeitet und gegebenenfalls angereichert wieder versendet. Der Zuhörer muss in erster Linie ein Vermüllungsproblem befürchten, das bedeutet, dass er mehr erfährt, als er verkraften kann. Der geübte Zuhörer scheitert schließlich daran, dass er trotz aller An- strengung nichts erfährt, was ihm irgendeinen Sinn erschließt. Er ist eine hoffnungslos romantische Spezies.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Unterhaltung (Teil 1)

Der Sinn der Unterhaltung ist die Vermittlung einer Botschaft. Das Versenden und das Empfangen von Botschaften geschieht auf unterschiedliche Weise, die sich in der Redegewohnheit der Beteiligten niederschlägt. Weitverbreitet ist die deskriptive Redeweise: Der sich in der Sprache mühende Redner vermeidet die Erwähnung jeglicher inhaltlicher Informationen, sondern beschränkt sich auf die Beschreibung äußerer Phänomene. Dieser Stil ist allgemein üblich und ermöglicht ein abendfüllendes Programm durch die einfache Wiedergabe memorierter, beliebig erfahrener Umstände wie Wetter, Reisen, Örtlichkeiten, Kindererziehung etc. Der Vorteil dieser Redeweise ist es, dass der Empfänger dieser Botschaften in keiner Weise mit irgendwelchen Inhalten belastet wird. Er kann, ohne sich auf das soeben Vernommene einlassen zu müssen, seine Botschaften auf gleiche Art und Weise zurückreichen. Diese Konversationsart ist vorwiegend bei Social Events, Parties und gelegentlichen, unerwarteten Zusammenkünften anzutreffen.

Für eine andere Form der Unterhaltung ist der Überzeugungston des Redners charakteristisch. Dieser Ton sammelt Erlebnisse und vermischt sie mit daraus gezogenen eigenen oder abgeleiteten Erkenntnissen, die mit dem Unterton der Verhinderung jedweden Widerspruchs vorgebracht werden. Wie Überzeugungstäter sind diese Redner in der Lage, auch den größten Quark so eindringlich zu schildern, dass kein direkter oder kollateral betroffener Zuhörer sich der sprachlichen Determinante entziehen kann. Jede Replik ist sinn- und nutzlos, wird nicht wahrgenommen, begleitet bestenfalls auf applaudierende Art und Weise den Redner.

Sozusagen als Variante zum Überzeugungsredner gibt es das endlose Reden. Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, unabhängig davon, welches Thema gerade zum Mund gekommen ist, darüber so ausführlich und langatmig zu dozieren, dass sich einige Zuhörer bequem zurücklehnen, weil sie sicher den Rest des Abends nicht mehr dazu kommen, irgendetwas zu sagen, andere jeden Widerstand aufgeben und sich ihrem Empfängerschicksal fügen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski