Archiv für den Monat: Oktober 2015

Sinnkrise

Es will mir partout nichts mehr einfallen, wozu ich etwas schreiben kann oder will. Die Flüchtlinge sind da, gehen nicht mehr weg und wir haben ein Problem. Spätestens, wenn die Medien aufgehört haben, ständig darüber zu berichten, werden der Staat und die Gesellschaft dieses Problem auch lösen. Dieses Glück wiederfährt derzeit Griechenland und auch der Verteidigungsministerin. Es gibt immer wieder eine „neue Sau“, die durch das mediale Dorf getrieben werden kann.

Die Spuren der Verwüstung sind unübersehbar. Kaum sind wir in der Lage, uns mit Putins Syrienabenteuer näher zu beschäftigen, sterben in der Türkei knapp 100 Menschen bei einem Bombenattentat und 200 werden verletzt. Zeitlich überlappend mit der Klärung der Schuldfrage registrieren wir die Wahlen in Wien und Weißrussland.

Als ob da noch etwas gewesen sei, tauchen dann in unserem längerfristig angelegten Gedächtnis der Ukrainekonflikt und das Sterben an Ebola in Afrika auf. Worüber dann schreiben? Darüber, dass die Klimaziele nie erreicht werden, der Planet wahrscheinlich irgendwann seine lästigen Bewohner abschüttelt, der wirtschaftliche Aufschwung nicht zu verstetigen ist und der religiöse Fanatismus wütender ist, denn je? Die Sprache, um all das zu beschreiben, verstört und irritiert, verliert an Bedeutung. Sie wirkt so abgedroschen und verkündet das Ende der Buchdruckkunst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Freiwillige Selbstaufgabe

Das menschliche Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft entspricht keinem abstrakten Modell, sondern wird von komplexen konkreten Umständen bestimmt, in denen sich die gesamte Menschheitsgeschichte spiegelt, Fehler impliziert, Errungenschaften verarbeitet, Zukunftserwartungen berücksichtigt, Visionen zulässt und auch neue Lebensentwürfen einer kritischen Prüfung unterzieht.

Als Voraussetzungen für das menschliche Zusammenleben gelten die persönlichen und familiären Verhältnisse, dörfliche und städtische Gemeinschaften, Heimat, Regionen, Nationen, Erdteile, Religionen, Wirtschaft, Klima, Fauna und Flora, kurzum die gesamten Verhältnisse auf unserem Planeten. Aus der Vielzahl von Möglichkeiten angebotener Herausforderungen kristallisiert sich dann ein gesellschaftliches Konzept heraus, welches uns entspricht, unserer Gemeinschaft zusammenhält und formt.

Wie in einem Kaleidoskop verändert sich dabei je nach Lichteinfall und Bewegung der Blickwinkel und damit auch die Anschauung, jedoch nicht der Vorgang des Prüfens und Betrachtens an sich. In Deutschland, Europa, ja auf unserem gesamten Planeten ist es selbstverständlich, dass unsere Gesellschaft sich verändert und dies zu einer Anpassung der Lebensverhältnisse führt. Doch was steht zur Disposition und was gewinnen wir hinzu? Entspricht es unserem kulturellen Willen, dass wir „Guten Tag“ oder ein „Grüß Gott“ durch „Hallo“ ersetzen? Sind Umgangsformen und Höflichkeiten disponibel? Ist das unflätige Benehmen in aller Öffentlichkeit Ausdruck eines neuen kulturellen Selbstverständnisses, also darauf komme es doch wirklich nicht an? Bedeutet Familie nichts anderes als die Last der Versorgung und des Geborenseins? Gibt es eine nicht nur gierige Begründung für das Primat der Wirtschaftlichkeit vor dem Gemeinsinn? Haben Fallzahlen denklogisch den Vortritt vor Gesundheit und Heilung?

Die Liste der Fragestellungen ließe sich fortsetzen und je nach Interessenslage beantworten. Der massive Verlust sämtlicher gesellschaftlicher Errungenschaften würde uns erschrecken, der schleichende Verlust zivilisatorischer und kultureller Errungenschaften tut es offenbar nicht. Je mehr wir verlieren, umso libertärer mag unsere Gesellschaft werden, aber auch anfälliger für jede säkulare und religiöse Indoktrination, da das Feld bereits weitgehend von ehemals nicht disponiblen Werten geräumt ist. Wenn alles abgeschafft werden darf, dann hat die Integrität einer Gesellschaft kaum noch eine Chance. Nutzen wir also die Gunst der Stunde, beleben unsere Gesellschaft in ästhetischer und rücksichtsvoller Weise und erhalten so ihr Wesen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Falsche Optik/Wortwahl

Deutschland schafft sich ab. So lautet die gewagte These des Erfolgsautors Thilo Sarrazin. Ich halte sie für falsch. Wir Deutschen sind viel zu skeptisch gegenüber Veränderungen und Neuerungen als dass wir das Wagnis eingehen würden, uns selbst abzuschaffen. Aber zu unserem Wesen scheint auch eine Verunsicherung zu gehören, die uns zu drängen scheint, es allen recht zu machen und dabei selbst den Überblick zu verlieren. Vom Altbundespräsidenten Wulff stammt der seltsame Satz: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Was wollte er mit dieser Aussage bezwecken? Den Religionsfrieden schaffen? Nein, er wollte ausdrücken, dass hier eine Willkommenskultur bestünde, Muslime auch in Deutschland so selbstverständlich seien wie Christen und Juden.

Aber, warum hat er dann nicht gesagt, dass Muslime zu Deutschland bzw. unserer Gesellschaft gehören, soweit sie deren Errungenschaften wertschätzen und unsere Gesetze und Regeln achten? Hierzu sind die Kirchen und Moscheen verpflichtet. Der Religionsausübung kann und darf ein gesellschaftlicher Vorrang vor unserem Grundgesetz nicht eingeräumt werden.

Nicht die Religion, sondern der Staat und unsere säkulare Gesellschaft genießen Priorität und Menschen jeden Glaubens können nur in diesem Rahmen durch Haltung überzeugen und Vorbild sein. Es gilt hier stete Überzeugungsarbeit zu leisten, ob als Christ, Jude oder auch als Moslem. Das ist eine Bringeschuld der Religionen gegenüber unserer Gesellschaft und keinesfalls darf die religiöse Überzeugung oder die Kirche einen höheren Stellenwert einnehmen als die Leitbilder dieser Gesellschaft, damit sich deren Toleranz entfalten kann.

Eine falsch verstandene Toleranz oder sogar die Vereinnahmung von Religion durch die Gesellschaft behindert den Integrationsprozess und sollte dringend abgeschafft bzw. verhindert werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Contrat Social

Jeder Mensch hat das Recht auf ein würdevolles Leben. Ihm die Chance der Verwirklichung dieses Lebens zu gewährleisten, ist menschliches und rechtliches Gebot. Dies gilt für Flüchtlinge in gleichem Maße wie für uns.

Flüchtlinge haben eine Heimat. Wenn sie diese verlassen, um an einem anderen Ort Zu­flucht finden, haben sie komplexe Gründe: Zum einen die Flucht aus einer lebensbedrohlichen Situation, zum anderen aber Selbstverwirklichung auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Keiner käme zu uns, wenn ein selbstbestimmtes, freies, würdevolles, beschäftigungsorien­tiertes Leben ohne Gefahr in seiner Heimat gewährleistet wäre. Deshalb sind wir vordringlich in der Pflicht, diejenigen Konfliktherde zu beseitigen, die Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Gleichzeitig sind wir gehalten, Infrastrukturvoraussetzungen in den konfliktbe­lasteten Gebieten zu schaffen und zu unterstützen, die Alternativen für Menschen aufzeigen, in ihrer Heimat zu bleiben und sich selbst zu verwirklichen. Solange es uns nicht gelingt, gemeinsam mit anderen Staaten, politischen Einrichtungen und den betroffenen Men­schen selbst eine befriedigende Lösung für sie und ihre Heimat herbeizuführen, werden sie zu uns kommen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, müssen wir einen Integrationskompass erarbeiten, dem eine Wunschliste beigegeben ist, in der Flüchtlinge und Migranten, als auch die aufnehmende Gesellschaft ihre Erwartungen, Wünsche und Erfahrungen fortschreiben können, um daraus kontinuierlich ein genaueres Profil für die Umsetzung der Integration zu gewinnen.

Staat, Bürger, die Wirtschaft und gemeinnützige Organisationen sind gefragt, um gemeinsam mit allen Beteiligten auf der Grundlage eines solchen Integrationskompasses die Flüchtlings-Policy zu erarbeiten, die dann in einem Contrat Social mit der Gesellschaft und dem Staat verabredet wird und uns allen Gelegenheit gibt, den Eingliederungsprozess zu verstehen und zielorientiert und nachhaltig zu handeln. Dies verhindert Aggressionen und Ängste und fördert den Integrationsprozess menschlich und vernünftig.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kreativwirtschaft

Junge Menschen, Berlin und Start-Ups. Da gibt es nur einen Nenner: Kreativwirtschaft. Was ist das eigentlich? Sind alle jungen Menschen, die etwas tun, kreativ, Künstler gar? Und was bewirtschaften sie dann, wenn sie kreativ sind? Etwa ihre Küche oder Schlafzimmer, wird dort aufgeräumt? Sicher wird ordentlich gewirtschaftet mit dem, was vorhanden ist. Das ist löblich, aber nicht kreativ, selbst dann nicht, wenn beim Wirtschaften in den Wirtschaften über die Stränge geschlagen wird.

Es ist so einfach, sich lustig zu machen über ein bescheuertes Kompositum, wie Kreativwirtschaft in „be Berlin“. Natürlich ist es böswillig zu unterstellen, dass diejenigen, die sich dieser Kreativwirtschaft verbunden wähnen, einer Verabredung angehören, die vor allem darauf hofft, dass andere für sie sorgen. Und das tun in Berlin tatsächlich manche Politiker sehr gerne, denn junge Menschen, Kreativität und Start-Ups sind „Bringer“ in dieser hippen Stadt. So glauben die Politiker zumindest.

Tatsächlich vermute ich, dass hier alles seinen sozialistischen bzw. kapitalistischen Gang geht, die Einen künstlerisch veranlagt sind und die Anderen zum Unternehmer taugen. Es ergeben sich Crossover-Situationen und Verbindungen, die harte Arbeit auch im künstlerischen Bereich zum Erfolg führt, aber das scheint mir nichts Neues zu sein. Zu jeder Zeit haben sich Künstler mit ihren Werken durchgesetzt oder Designer ihre Produkte an den Markt gebracht. Die Könner machen von ihren Fähigkeiten dabei wenig Aufhebens, arbeiten konsequent und setzen darauf, dass die Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft so sind, dass sie ihre Chance unter Gewährung von Freiheit und Unabhängigkeit wahrnehmen können. Es ist in dieser Stadt gut und befriedigend, das Selbstbewusstsein, die Professionalität und die Freude am Gelingen zu spüren. Wenn man all das unter Kreativwirtschaft verstehen sollte, dann ist Berlin ein guter Lehrmeister.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erzählen

Wir leben in Zeiten des medialen Overflows. Filme, Soaps und Medien. Überall Geschichten. Was soll da noch das Erzählen und was ist damit gemeint? Unter Erzählen verstehe ich etwas anderes als die Üppigkeit medialer Ereignisse. Erzählen heißt, sich einer Geschichte zu ver­gewissern, sei sie wahr oder erfunden. Der Erzähler weckt Erinnerungen an vergleichbare und ähnliche Vorkommnisse im Leben Anderer und gibt damit der Erzählung selbst eine Heimat. Die Erzählung wird Teil unseres eigenen Erfahrungsreichtums, als hätten wir die Vorkomm­nisse selbst erlebt.

So bleibt die erzählte Geschichte lebendig und persönlich. Sie beglückt durch diese Verbindung und bereichert durch Erfahrungen, die andere schon vor uns gemacht haben und uns Gelegenheit geben, diese für die Gestaltung unserer Perspektiven zu nutzen. Erzählungen über auch reale Vorkommnisse in der Familie, der Heimat und des Berufslebens enthalten durch die Person des Erzählenden auch eine Wertung, die oft über den Bereich des Offensichtlichen hinaus greift und einen Kosmos von Möglich­keiten auch dann benennt, wenn nur eine von diesen wahrgenommen wird.

Dies gilt für reale Vorkommnisse ebenso wie für Fantasiegeschichten, wie sie zum Beispiel Eltern ihren Kin­dern erzählen. Dies schafft den Zauber einer besonderen persönlichen Verbindung, die durch kein anderes Medium geschaffen werden kann. Den Reichtum des Erzählens sollten wir pfle­gen und erhalten zu unseren Gunsten und zu Gunsten der Familie und der Gemeinschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski