Manche Menschen haben Angst vor der Zukunft, manche vor dem Tod und manche vor anderen Menschen. Das ist normal. Ängste warnen uns vor Gefahren, denen wir persönlich begegnen könnten. Wahrnehmungen bestimmen uns dazu, dass wir uns verkriechen, schützen oder angreifen. Diese erzeugen Ängste in uns, ob wir sie bedenken oder nicht. Ängste sind nicht vernünftig. Sie können es auch nicht sein. Ängste muss man aber ernst nehmen. Als Symptom.
Wenn ein Mensch sich ängstigt, dann erinnert er sich möglicherweise an ein nicht verarbeitetes Erlebnis, dem er nicht gewachsen war. Er will nicht, dass sich dieses wiederholt. Ein Mensch ängstigt sich aber auch dann, wenn er noch keine Erfahrung im Umgang mit einem bestimmten Ereignis hat. Er weiß nicht, was auf ihn zukommt und das bereitet ihm Angst. All dies muss mit den Inhalten einer möglichen Gefahr, einer Bedrohung oder eines ungewissen Ereignisses überhaupt nichts zu tun haben, sondern Angst spielt sich in den Köpfen und im Gemüt von Menschen ab. Angst ist platzgreifend.
Kann ein Mensch seine Angst wieder aufgeben? Von sich aus ja, aber nur dann, wenn er erkennen kann, dass der Grund seiner Angst nicht besteht oder weggefallen ist und er nie verlacht wurde wegen seiner Angst. Sonst hält er an ihr fest wie an einer Trophäe und ist nicht bereit, das fehlgeleitete Gefühl einzugestehen. Wer Angst hat, kann therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Aber viele Menschen tun dies nicht, weil sie nicht als verrückt gebrandmarkt sein wollen. Das muss man verstehen.
Es gibt auch Menschen, die benötigen ihre Angst als ständigen Begleiter ihres Lebens, sie an Vorsicht ermahnend und als treuen Freund in einer komplizierten Welt. Angst ernst zu nehmen heißt, den Menschen ihre Angst nicht auszureden, aber auch nicht zu versuchen, sie rational zu begründen. Eine konkret begründbare Angst ist ein Widerspruch in sich selbst und gibt den sich Ängstigenden keine Chance, aus dieser wieder herauszufinden. Den sich Ängstigenden sollten wir zurufen: „Ja, ihr habt Angst vor der Welt, vor der Zukunft oder vor anderen Menschen. Das verstehen wir, das ist nicht schlimm. Mit eurer Angst könnt ihr leben oder euch auf etwas anderes konzentrieren. Das Leben ist nun mal voller Schwierigkeiten. Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.“
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski