Archiv für den Monat: Oktober 2016

Kommunizierende Röhren

Es wird behauptet, die Wähler der AfD seien die innerhalb der Gesellschaft abgehängten sozial schwachen und insgesamt etwas einfältigen Personen. Wenn dies in Wirklichkeit nicht stimmen sollte, so hoffen wir doch, dass es so sei. Es würde uns Intellektuelle und etwas wohlhabendere Menschen entlasten. Aber, ich glaube, wir liegen völlig daneben. Schon vor einem Jahr saß ich bei einem Abendessen mit vertrauten und geschätzten Professoren zusammen, die sich durchaus zumindest auf wissenschaftlicher Ebene um Deutschland verdient gemacht haben.

Wir kamen auf die AfD zu sprechen und ich war dann überrascht, dass sie meine Vorbehalte gegen diese Bewegung nicht teilten. Frau Petry sei doch sehr intelligent, auch Herr Gauland und andere, damit täte man der AfD Unrecht, wenn man ihnen geistiges Potential abspreche. Auf meinen Einwand, dass Björn Höcke und andere Parteivertreter auch im nationalsozialistischen Vokabular fischen, konterten die Professoren, dass es die Entgleisung einzelner immer schon im politischen Raum gegeben habe, aber keinen Rückschluss auf die gesamte Partei zulasse.

Ich war verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit die Herren bereit waren, eine solche Bewegung als integralen Bestandteil nicht nur des politischen, sondern des gesamten gesellschaftlichen Raums zu akzeptieren. Auf Fremdenfeindlichkeit und Islam kamen wir dann auch noch kurz zu sprechen. Beides scheint so ineinander verwoben zu sein, dass der Eindruck blieb, dass ohne den Islam, Kopftücher und Scharia es auch keine Fremdenfeindlichkeit gäbe.

Ein schwieriges Terrain für uns alle, die wir den säkularen Staat schätzen und nun erfahren, dass wir mit dem Ausspruch des früheren Bundespräsidenten Wulf, dass der Islam zu Deutschland gehöre, trotz aller Toleranz unsere liebe Not haben. Jeder soll hier in Deutschland nach seiner Façon selig werden, natürlich auch religiös, aber wir wünschen uns auch den religiösen Dialog auf Augenhöhe. Noch sehen wir da Defizite, vor allem was den Islam angeht.

Alle Menschen hierzulande nehmen wahr, dass in den arabischen Ländern die verschiedenen islamischen Strömungen sich blutig bekämpfen und es scheint, als gäbe es ein Nulltoleranzgebot gegenüber anderen Religionen. Mission impossible. Solche Zustände wollen wir hier in Deutschland nicht haben. Deshalb müssen auch wir, die wir mit der AfD fremdeln, stets deutlich machen, dass die Ewigkeitsgebote des Grundgesetzes nicht nur im Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern auch im Verhältnis der Bürger untereinander gelten.

Die Würde des Menschen als Schutzkokon für seine freie Entfaltung in dieser Gesellschaft ist unverzichtbar, gleich, wo er herkommt, welche Religion er ausübt und wie er sich hier zu verwirklichen gedenkt. Das funktioniert aber auch nur dann, wenn die Pflicht, die in diesem Recht enthalten ist, auch allgemeiner Imperativ ist und jeden, der zu uns kommt, verpflichtet, die ewigen Gebote des Grundgesetzes in gleicher Weise zu achten. Nur der kann ein guter Deutscher sein, der bei der Kommunikation von Mensch zu Mensch, von Gruppe zu Gruppe, von Religion zu Religion auf diese Regeln achtet und sie einhält.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Enttäuschung

Von den Menschen bin ich enttäuscht. Noch als Kind hatte ich mir das Leben wunderbar ausgemalt. Meine Kinderbücher erlaubten dies. Das waren die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute, viele Jahre später, wenn ich auf mein Leben zurückblicke, darf ich bekennen, dass mein bisheriges den Umständen nach großartig war: keine Kriege, kein Hunger, Familie und Erfolg im Beruf. Also, alles stimmte!?

Naja … . Ich hatte mir keine anderen Umstände, aber das Verhalten der Menschen anders vorgestellt. Ich hatte mir vorgestellt, dass sie gerne und mit Freude leben, ernsthaft und gewissenhaft ihren Aufgaben und Pflichten nachgehen und alle Verabredungen einhalten. Meine Vorstellung von den Menschen war durch die „Hasenschule“ genauso geprägt, wie durch Garry Coupers „Lederstrumpf“ oder „Der kleine Prinz„. Überall gab es Schwierigkeiten, aber diese Schwierigkeiten wurden gelöst durch aufrichtige und hilfsbereite Menschen.

Nicht, dass es diese Menschen nicht gibt, aber das Vertrauen in sie insgesamt habe ich verloren, seit ich wahrnahm, wie egozentrisch und anspruchsorientiert der größte Teil der Menschen ist. Dieser Teil der Menschen macht nicht den Eindruck, dass er besonders glücklich sei, aber kann dennoch nicht davon ablassen, an nichts anderes zu denken, als sein Wohlergehen. Dieses äußert sich im Konsum, Neid und Behinderung anderer Menschen bei ihrer Entwicklung.

Früher hatte ich gedacht, diese Menschen seien Verführte, dann aber festgestellt, dass sie sich absichtsvoll so verhalten. Dieses Verhalten vor sich zu rechtfertigen und anderen dann noch als ihr gutes Recht aufzuoktroyieren, das macht betroffen. Für jedes Unterlassen, für jede Gemeinheit und für jede Tatenlosigkeit gibt es stets eine rechtfertigende Begründung. Der Andere ist immer schuld. Die Spirale der Armseligkeit menschlichen Verhaltens bohrt in das Leben eine klaffende Wunde, die nur durch Rückzug, Distanz und anhaltende Verwunderung etwas verdeckt werden kann. Die Ohnmacht, wenig tun zu können, um die Enttäuschung auszugleichen, schmerzt sehr.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Infinitivsprache

Sie müssen zum Arzt oder zu einer Behörde und treffen dabei auf offensichtlich kompetente Mitarbeiter, die sie durch die Ihnen bevorstehenden Prozeduren geleiten. Dies geschieht unter anderem durch folgende Aufforderungen: Einmal folgen, einmal öffnen, einmal den Fingerabdruck rechts oder links machen, einmal tief durchatmen und wieder ausatmen.

Der öffentliche Raum kennt die Infinitivsprache. Weshalb ist das so? Die durch den Infinitiv aufgebauten Satzteile vermitteln Orientierung ohne Einmischung ins Persönliche. Wir wissen sofort, worauf es ankommt und müssen uns nicht plagen mit der Reflexion über zusätzliche Satzinhalte, die unser Verhalten individualisieren und sogar zum Widerspruch animieren könnten. Statt „einmal den Mund öffnen“ zu sagen, mich zu bitten, „können Sie bitte den Mund öffnen“, gäbe mir doch die Möglichkeit zu widersprechen und die Unabänderlichkeit der Anordnung in Frage zu stellen.

Zudem verkürzen die sprachlichen Anordnungen im Infinitiv auch für den Anordnenden erheblich die Zeit, aber – und dies ist noch viel wichtiger – macht jedes Nachdenken der korrekten Ansprache von Frau, Mann und Kind völlig überflüssig. So werden sprachliche Standards geschaffen, die durch ihre Entpersönlichung fallbezogen agieren lassen, ohne dass man sich im Einzelfall auf den Patienten oder den Bürger im Bürgeramt einlassen muss. Das Ganze noch durch ein Hallo abgerundet, vermeidet die Ansprache jegliche Form der Annäherung, die den Arbeitsablauf stören und gar zu Konsequenzen führte, die vorauszusehen dem Beteiligten unerwünscht sein könnten. Also, weiter so im Infinitiv: nicht wegsehen, nicht weghören und nicht weggehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Meinungsmacht

Neulich Nacht war ich auf der A 20 unterwegs, als ein Unfall den Verkehr zum Erliegen brachte. Um die durch die Warterei entstehende Langeweile zu überspielen, ließen meine Frau und ich die Radioprogramme durchlaufen, bis wir schließlich bei Radio Fritz landeten. In einer Sendung, die sich Blue Moon nennt, haben Zuhörer die Möglichkeit, mit Radiomoderatoren über aktuelle gesellschaftliche Themen zu diskutieren. Ein Anrufer aus Sachsen beschwerte sich darüber, dass Flüchtlinge hier alles erhielten, auch Fahrräder und Kinderwagen, sie es selbst aber schwer hätten mit der Abzahlung der Kredite für ihr neugebautes Haus und die Kosten, die immer weiter steigen. Nichts sei gerecht und die Regierung habe keinen Plan.

Als die Moderatorin den Anrufer fragte, wo er sich denn für seine Behauptungen informiere, da meinte er bei Facebook und erklärte Widersprüche zwischen seiner Aussage und der Wirklichkeit, zum Beispiel zum Thema, dass die Flüchtlinge nicht faul seien, sondern zunächst nicht arbeiten dürften, mit dem Hinweis: „Das ist halt meine Meinung.“ Nach einiger Zeit verschwand er aufs Klo und seine Frau übernahm das Telefon mit der Erklärung, sie habe zwar eine andere Meinung als ihr Mann, die doch dann seiner sehr ähnlich war, um ebenfalls zu schließen: „Das ist halt meine Meinung.“

Was hat mir diese Blue Moon-Stunde vermittelt? Eins, und das sehr nachdrücklich: Es geht gar nicht um richtig oder falsch, Lüge oder Wirklichkeit, es geht nur darum, eine Meinung zu haben. So war es für mich auch erklärlich, dass der Anrufer und seine Frau trotz aller Widersprüche und der wachsenden Fassungslosigkeit auf Seiten der Moderatoren in keiner Weise die Geduld verloren, sondern auch im Falle grotesker Widersprüche ihrer Behauptungen schlicht erklärten, dass dies ihre Meinung sei. Eine Meinung ist also auf keinerlei Wahrheit angewiesen, auch nicht darauf, etwas widerlegen zu wollen. Eine Meinung ist eine Meinung. Die Meinung kann heute so und an einem anderen Tag wieder anders ausfallen, sie ist an reale Vorkommnisse nicht gebunden und auch durch Argumente nicht beeinflussbar.

Der Inhalt einer Meinung kann vernünftig sein, aber auch völlig blödsinnig. Die Meinung kennt kein Gewicht, keinen Maßstab oder Gedächtnis. Die Meinung ist so ungebunden, wie die sie umgebende Luft. Sie ist leicht, wie ein Wölkchen und verschwindet, wenn sie abgeregnet ist.

Das poetische Bild kann allerdings nicht darüber wegtäuschen, dass dann, wenn nur die Meinung eines Einzelnen noch keinen Schaden anzurichten vermag, doch die auf gleiche Art und Weise erzeugte Meinung vieler sturmwetterartigen Charakter aufweisen kann. Wenn viele einer Meinung sind, bedeutet es zwar nicht, dass deren Meinung irgendeinen inneren Zusammenhang aufweist, aber sie verfinstern gleichzeitig den Himmel so, dass dringend Schutz gesucht werden muss vor dem sich entladenen Gewitter.

Es ist doch klar, dass AfD, Pegida und andere Gruppierungen von der Meinungsmacht fasziniert sind, die keine Argumente benötigt, jedenfalls keine stichhaltigen, sondern sich treiben lässt von der Meinung der Menschen. Sie sind die Stimme des Volkes, so sagen sie und das ist schon eine gewaltige Stimme, die ihre Meinung kundtut. Und die Stimme wird immer lauter, das Grollen unüberhörbar. Wenn dann irgendwann nach Blitz, Regen, Sturm und Verwüstung der Himmel wieder klar sein sollte, sagen die Menschen: ich habe doch nur meine Meinung gesagt, das darf man doch wohl, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Negativzinsen

Nicht mit Verständnis, sondern mit melancholischer Resignation haben die Meisten von uns zur Kenntnis genommen, dass nicht nur die Europäische Zentralbank, sondern inzwischen auch „normale“ Banken für die Verwahrung von Geld Zinsen verlangen, also die sogenannten Negativzinsen.

Die, die wir es gewohnt sind, für „unser“ Geld Zinsen zu bekommen, das heißt Sparzinsen und für gewährte Darlehen Darlehenszinsen, fühlen uns betrogen von der Entwicklung. Geld ist offenbar nichts mehr wert. Der Schein aber trügt. Es funktioniert nur nicht mehr mit dem Geld jetzt und künftig so umzugehen, wie wir es gewohnt sind. Die wundersame Vermehrung von Geld ohne unser Zutun wird künftig ausgeschlossen sein. Trotz der bestehenden restriktiven Bestimmungen und bankaufsichtlichen Maßnahmen kann Geld durchaus etwas wert sein, indem es arbeitet.

Dadurch, dass uns Banken nur noch Negativzinsen für unser Geld anbieten, fordern sie uns heraus, das Geld lieber selbst zu investieren, als es der Bank in der Bequemlichkeit anzubieten mit dem Hintersinn, dass die schon wüssten, was sie damit tun. Dadurch werden wir, die wir Geld haben, selbst zu Entrepreneurs, reichen Darlehen und Venture-Capital-Beteiligungen aus, die uns selbst in die Lage versetzen, den Erfolg unseres Investments zu ernten. Also Schluss mit dem Jammern.

Nehmen wir freudig die Herausforderung an und schauen uns die Produkte und die Unternehmen an, die unsere Investitionen lohnen. Dies sind nicht Fonds und Aktien in erster Linie, sondern Person to Person-Investitionen in unserem unmittelbaren Umfeld. Die Performance unserer benachbarten Unternehmen ist uns leider oft nicht hinlänglich bekannt.

Deshalb ist es erforderlich, eine Bank zu schaffen, die Investitionsmöglichkeiten auflistet, die sich aus unserer Region, in unserem unmittelbaren Umfeld ergeben könnten. Wir sind dann in der Lage, uns selbst ein Bild von den Akteuren und den Möglichkeiten des Investments zu schaffen. Für dieses Investment sind Standardregeln zu entwickeln, die sich niederschlagen in Vereinbarungen und Verträgen, in Organisationsformen und Exit-Regelungen genauso beinhalten, wie Insolvenz- und Ausfallversicherungen. Die Banken sind dabei unverzichtbar, wichtig zum einen als geldnahe Berater, Vermittler, ggf. Co-Finanzierer und Zwischenlagerstätte für unser Geld. In einem völlig neu definierten Rollenspiel wird Geld wieder aufgewertet, attraktiv und manifestiert sich in Sinn.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mensch und Maschine

Wenn von künstlicher Intelligenz die Rede ist, folge heute meist der Hinweis auf das Konkurrenzverhältnis zwischen Mensch und Maschine. Dabei ist der Begriff Maschine nicht nur ungenau, sondern passt überhaupt nicht. Selbst, wenn der Bereich, in dem sich künstliche Intelligenz entwickelt, äußerlich noch Hardware-Charakter aufweist, vollzieht sich der Deep-Learning-Prozess zur Schaffung künstlicher Intelligenz nicht mehr in einer Maschine in herkömmlichem Sinn. Die Mechanik ist belanglos und allenfalls Mittel zum Zweck, um das in der Software vorhandene Erkenntnis- und Handelsmuster umzusetzen.

Im Gegensatz aber zum Menschen, der auf seine Gliedmaßen angewiesen ist, kann sich der durch die künstliche Intelligenz manifestierte Handlungswille weit vielfältiger als nur durch eine Maschine ausdrücken. Nicht nur der klobig oder heute sogar schon feinmotorisch bewegte Roboter sind Handlungsoptionen, sondern auch jede andere Materie, die mit dieser intelligenten Software in Berührung kommt. Während wir Menschen darauf angewiesen sind, unsere Gedanken und Gefühle durch sprachlichen und/oder gestischen Austausch weiterzugeben, kann die künstliche Intelligenz direkt über ihre Modelle kommunizieren. Durch die erweiterten Handlungsoptionen der künstlichen Intelligenz kann der Mensch seine Überlegenheit nur durch seinen Geist behaupten. In der Umsetzung von Gedanken ist der Mensch unterlegen.

Diese Unterlegenheit spiegelt sich auch in der zunehmenden Konditionierung des Menschen durch die künstliche Intelligenz wieder. Die künstliche Intelligenz erkennt Sprachfehler und gibt dem Menschen die Grammatik vor. Die künstliche Intelligenz erkennt oft schon beim ersten Buchstaben, mit welcher Intention der Mensch sein sprachliches Vorhaben weiterverfolgt. Sie widerspricht Regelverletzungen und empfiehlt Handlungsmuster. Sie warnt bei Grenzüberschreitungen, bremst Autos ab, verhindert so Auffahrunfälle und übernimmt selbständig einen Großteil unserer Daseinsvorsorge.

Wir gewöhnen uns daran, was die unorganisch entwickelte Intelligenz mit uns macht, uns zwingt, ihren Regeln zu folgen, ob diese für uns logisch erscheinen oder nicht. Diese Intelligenz folgt ihrer eigenen Logik, zumindest in steter Evolution.

Wir können uns diese von uns bewunderten KI-Entwicklungen aber auch zu Nutze machen, den Bereich unserer Möglichkeiten erweitern, indem wir selbst unser gegenständliches Dasein verlassen.

Avatare sind uns schon hinlänglich geläufig. Auf sie projizieren wir unser Ich, statten sie aus mit Eigenschaften, die wir auf sie übertragen und geben ihnen eine virtuelle Erscheinungsform, die uns ähnelt. Aufgrund der bestehenden Reproduktionsmöglichkeiten tauchen die so errechneten Doppelgänger wieder in der realen Welt auf, sprechen, singen und verhalten sich wie die noch organisch lebenden, können gemeinsam Shows bestehen oder Gespräche führen. All dies ist jetzt schon möglich und lässt hoffen, dass sehr bald ein hinlänglich gut ausgebildeter Avatar die Atmosphäre verlässt und das Universum erkundet.

Noch geht unsere Vorstellung nicht weiter, als dass dieser von uns geschaffene Avatar, noch mehr vermag, als wir denken können, mit Lichtgeschwindigkeit Raum und Zeit durcheilt, um unsere körperlich gebundenen Erfahrungen an die Unendlichkeit des Universums zu übermitteln. Aber, das Licht ist begrenzt, benötigt selbst eine lange Zeit und vermag auch die Unendlichkeit nicht zu erschließen. Gemeint ist dabei die Unendlichkeit des Makrokosmos und des Mikrokosmos. Alles, was sich in unendlichen Weiten abspielt, findet sich jenseits der Körperlichkeit im subenergetischen Bereich. Der Gedanke oder die Empfindung. Beide sind an Raum und Zeit nicht gebunden, sind – soweit der Anstoß erfolgt ist – wirkungsmächtig und frei. Die Reise zur Fokussierung von Gedanken und Empfindungen erfolgt durch Inter-Journey und Outer-Journey, das heißt Reisen in das Innere meines Ichs und Reisen in die Zeit bis zum Urknall. In dem Augenblick, in dem ich dies denke oder empfinde, bin ich bereits auf einem anderen Planeten und erschließe mir die Zukunft. Auch in unteilbaren Teilen ist eine Idee des Ganzen unstofflich und damit eine Projektion meines Ichs. Alles ist somit Projektionsfläche des Ichs. Es kommt überall da vor, wohin oder woher ich denken und fühlen kann. Im Augenblick des Denkens bin ich dort, wo ich sein will, und zwar auch in der Weite des Universums. Da das projektierte Ich jederzeit bereits da ist, weiß ich Bescheid, sobald ich die Botschaft entschlüssele. Ich selbst bin dann zwar auch eine Projektion des Ichs, aber authentisch in dem Moment, in dem ich mich selbst für mich halte und erkenne.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nachsicht

Gott vergibt… Django nie! Wenigstens die Älteren unter uns erinnern sich noch an diesen grandiosen Film von Giuseppe Colizzi. Wir Zuschauer waren alle einverstanden mit Django und seiner Unerbittlichkeit, mit der er alle Schurken aus dem Weg räumte. Nehmen wir dies als Metapher für unser Leben im Allgemeinen. Sind wir bereit zu vergeben?

So einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten. Bestimmte Taten kann man nicht vergeben. Das planvolle Morden im Dritten Reich oder das Wüten des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha. Hier kann die ungeheuerliche Tat nur als Mahnung dienen, um uns davon abzuhalten, sie immer wieder zu begehen. Ich habe jetzt natürlich zwei sehr bekannte Beispiele für Taten benannt, die nicht vergeben werden können. Es muss aber nicht die Dimension eines Genozid sein, dass Taten unvergebbar werden.

Jede absichtsvolle Beschädigung eines Menschen, um ihn daran zu hindern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist unverzeihbar. Die Zeit mag darüber hinweggehen und dem Geschehenen seine Aktualität nehmen, aber die Störung der Integrität eines Menschen bleibt in unser aller Gedächtnis ewig vorhanden. Eine Skandalisierung des Nichtvergebenkönnens erfolgt merkwürdigerweise dort, wo ein Vergeben problemlos möglich ist.

Mehrere markante Politikerinnen und Politiker sollen ihre Doktorarbeit gefälscht oder darin nicht richtig zitiert haben. Es geht auch um gefälschte Lebensläufe und nicht abgeführte Steuern. Überall dort, wo Skandalisierung ein mächtiges Zugpferd für die Missetat darstellen kann, ist jede Nachsicht offenbar vergeblich. Was hat uns der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg denn eigentlich angetan? Er hat, als er noch jünger war, eine Doktorarbeit gefälscht und damit sich selbst geschadet. Als es aufflog, musste er gehen. Er wurde aber nicht Politiker oder gar Verteidigungsminister, weil er eine Doktorarbeit geschrieben hat.

Und doch, wenn es darum geht, einen Beleg für einen Schurken in Nadelstreifen zu finden, wird er benannt und gleichzeitig darauf verwiesen, wie er so selbstgefällig als Minister am Times Square posiert hätte. Gleiches ließe sich von Annette Schavan berichten oder anderen bekannten Persönlichkeiten, die irgendwann einen, wenn auch entscheidenden Fehler, in ihrem Leben getan haben. Die Verdienste von Frau Schavan um unser Gemeinwesen sind unbestreitbar und dennoch ist sie medial „Persona non grata“.

Worauf beruht diese Unnachsichtigkeit gegenüber anderen, insbesondere im öffentlichen Leben stehenden Menschen, eine Unnachsichtigkeit, die wir gegenüber unserem eigenen Fehlverhalten niemals entwickelt haben. Das gerade scheint mir der springende Punkt zu sein. Indem wir andere Verfehlungen bezichtigen und diese Bezichtigungen lebendig halten, sind wir in der Lage, von unserer eigenen Unzulänglichkeit im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen und Institutionen abzulenken.

Der nicht erkannte Tierquäler, Falschbezieher von Sozialleistungen oder Kinderpornokonsument aus dem Internet findet an seiner Verhaltensweise meist nichts Unanständiges, um selbst desto nachdrücklicher keine Nachsicht denjenigen zu gewähren, die Ähnliches im öffentlichen Raum getan haben. Diese Bigotterie wird nicht aufzulösen sein, aber man sollte sich dessen bewusst bleiben, wenn man leichtfertig in den Chor derjenigen einstimmt, die unnachsichtige Bestrafung anderer für deren Vergehen fordern, statt sich selbst an die Regeln zu halten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fehlerlos

So wünschen wir es uns. Alles soll möglichst fehlerlos sein: das Auto, der Kühlschrank, die Kinder und die Ehefrau oder der Ehemann. Wir haben Maßstäbe für die Fehlerlosigkeit gebil­det, sowohl im technischen als auch im beruflichen und menschlichen Bereich. Was die DIN-Vorschriften im technischen Bereich vorgeben, ersetzen im betrieblichen Bereich CSR und Good Government und im menschlichen Bereich „Political Correctness“.

Inzwischen ist aus ge­regelten Teilbereichen der angestrebten Fehlerlosigkeit eine Unfehlbarkeitspyramide erwach­sen, die eine Rundumschau auf den Prozess der Implementierung von Fehlerlosigkeit in unse­rer Gesellschaft erlaubt. Fehlerlos sind wir Menschen nicht an sich. Wir müssen uns dahinge­hend erziehen lassen und auf Widerstand verzichten. Die Schlagworte sind hinlänglich be­kannt und belegen unsere Defizite als umfassend komplex. Von herausragender Bedeutung ist dabei selbstverständlich die Sexualität.

Diese brodelt allgegenwärtig und darf Menschen in allen Phasen ihres Lebens zwar nicht abgesprochen werden, muss aber die ihr zugedachte Aufgabe in multipolaren Ausdrucksformen finden. Die Endindividualisierung der Sexua­lität dürfte zwar dabei noch ein Fernziel sein, aber ein durchaus erreichbares. Was für die Se­xualität gilt, hat auch Auswirkungen auf die Angst. Wir dürfen uns nicht mehr fürchten müs­sen, in einer fehlerlosen Gesellschaft ist Schluss damit.

Soweit die scheinbaren Realitäten durch Sprache behauptet werden, müssen wir beginnen unsere Sprache von Fehlern zu säu­bern, die diese Missverständnisse erlauben. Nur das Reine ist wirklich fehlerlos. Es werden schon erhebliche Anstrengungen unternommen, um unsere Sprache reinzuhalten. Dies ist kein ganz einfaches Unterfangen, da unsere Sprache, die sich allmählich entwickelt hat, auf eine solche Radikalkur nicht vorbereitet ist. Aber, ich bin überzeugt, irgendwann wird es gelingen, die Sprache so umzukrempeln, dass sie kompatibel ist.

Kompatibel aber womit? Was können wir mit fehlerlosen Umständen anfangen, wenn wir selbst noch Fehler haben? Die Gedanken sind frei! Ach Quatsch, wie soll derjenige, diejenige oder dasjenige sich fehlerlos ausdrücken, wenn es, sie oder er noch fehlerhaft denken oder empfinden? Wir vermuten doch zu Recht, dass der, die, das Sprechende eine vom Mainstream abweichende Mentalreservation behält und damit das ge­sprochene Wort verunehrlicht.

Das Wort wird in seinem Kern fehlerhaft durch unsere Gesin­nung. Wir sollten also früh damit beginnen, uns in Gruppen zu versammeln, unsere Fehler einander zu bekennen, uns demütigen vor anderen, um einen erkenntnisreichen Status zu er­langen, Vorbild zu werden für Andere. Dies darf nicht davon abhängig sein, welche berufli­che Qualifikation jemand innehat, sondern wir müssen alle voneinander lernen, unsere Grup­pen sollten sexuell, ethnisch, spirituell, religiös, intellektuell, handwerklich, transzendent, materialistisch und biologisch völlig durchmischt sein und keiner darf es merken, geschweige denn erwähnen, um der, die, das Nichtberücksichtige nicht zu diskreditieren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Opfer

„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“ So berichtete Berthold Brecht den Nachgeborenen von seiner Lebensrfahrung. Die Zeiten haben sich nicht geändert. Auch wir leben in finsteren Zeiten, die keiner nach der Wende so für möglich gehalten hätte. Da alle Menschen mutmaßlich die Gräueltaten weltweit kennen, die unter islamistischen, rassistischen und sonstigen Motiven begangen worden sind und auch fast jedem die martialischen Aktivitäten von Staaten und Potentaten weltweit  bekannt sind, kann ich mich darauf beschränken, einzelne Aspekte dieser gewalttätigen Auseinandersetzungen zu benennen.

Wir leben nicht in schrecklicheren Zeiten als früher, sondern unsere Bewertungsmaßstäbe und die gesellschaftliche Bedeutung von Vorkommnissen, auch aufgrund neuer Kommunikationsmöglichkeiten, haben sich verändert. Hat früher ein Mensch den Plan gefasst, sich selbst umzubringen, so tat er dies in selbstgewählter Abgeschiedenheit. Nur das unmittelbare Umfeld nahm davon Notiz. Dafür gab es Gründe, die religiös begründet waren. Dem Selbstmörder wurde jedes Andenken verwehrt und in den Familien wurde sein Namen künftig verschwiegen. Religiöse Überzeugungen können einen Selbstmörder heute nicht mehr davon abhalten, seinem Leben ein Ende zu bereiten, sondern sogar das Gegenteil ist oft richtig. Zudem hat er die Möglichkeit, seiner Selbstauslöschung ein bleibendes Andenken zu bescheren, indem er andere mit in den Tod nimmt.

Diese postmortale Anerkennung, die über die Netze Millionen von Menschen erreicht, ist ein wesentlicher Aspekt der in letzter Zeit zu erlebenden Selbstmordserien. Dies gilt für die religiös motivierten Selbstmordattentate im gleichen Maße wie für die persönlich motivierten. Ohne die medialen Verbreitungsmöglichkeiten wären Selbstmorde in Verbindung mit Morden bei weitem nicht so wirkungsvoll.

Weniger auf Inhalte, als auf Wirkung unter Einsatz der sozialen Medien setzen aber auch Politiker, die die Welt dank der medialen Möglichkeiten neu zu ordnen gedenken. Eine Gesellschaft, die sich auf Likes und Smileys eingelassen hat und zudem in der Lage ist, durch einen Tweet das soziale Leben eines Menschen zu zerstören, wird nicht mehr bereit sein, sich argumentativ mit Inhalten auseinanderzusetzen, sondern nur noch auf Impulse zu reagieren, deren Wirkung das auslösende Ereignis bei Weitem übersteigt. Wir werden Opfer unserer Fähigkeit, die reale Welt nur noch als Projektionsfläche unserer virtuellen Möglichkeiten zu begreifen, ob in der Jagd auf einen Pokemon-Troll oder einen realen Menschen, den wir umbringen, wenn die Spielanleitung dies vorsieht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski