Archiv für den Monat: November 2016

Vergehende Zukunft

„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran.“ So hieß in einem Lied der Gruppe „Fehlfarben“. Ja, das ist richtig. Geschichte wird gemacht in einem Gestaltungsprozess derjenigen, die in einer bestimmten Zeit unter bestimmten Umständen leben. Sie tragen die Bürde der Vergangenheit und gestalten eine Zukunft, die ihnen selbst trotz aller Prognosen ungewiss ist. Geschichte erscheint in der Nachschau oft sehr faktisch, überprüf- und ausdeutbar. Aufzeichnungen, Quellen und Dokumente erlauben eine Betrachtung, die das Prozessuale der Geschichte erkennen lassen.

Ordnung wirkt beruhigend und auch neue geschichtliche Erkenntnisse lassen sich bei allen unterschiedlichen Sichtweisen zumindest vorläufig stimmig einordnen. Würden man indes Geschichte ihrer Faktizität entkleiden, würde sich ein Chaos offenbaren, für welches wir keine Begrifflichkeiten finden könnten. An geschichtlichen Prozessen ist alles beteiligt, was Umstände und Bedingungen innerhalb und außerhalb des menschlichen Bereichs individuell und kollektiv ausmacht.

Geschichte ist der Moment der Bejahung und Verneinung, die Gunst des Planeten und widriger Umstände. Alles sublimiert sich in der Aneinanderreihung oder Clusterbildung von Momenten, pulsierend noch auch in entferntester Vergangenheit als auch schon in unvorstellbarer Zukunft. Geschichte ist unausweichlich, folgt der Logik seiner Zeit und wird bestimmt von Faktoren, die selbst nur vorläufig sind. Um die etwas kryptische Umschreibung zu verdeutlichen, meine ich, dass wir Einfluss nehmen sollten, aber nur bedingt Einfluss nehmen können auf den Verlauf der Geschichte.

Wir sollten nicht erschrecken vor Entwicklungen, die wir in vertraute Geschichtsbetrachtungen nicht einordnen können. Der technische Fortschritt, Bevölkerungsexplosionen, Klimaveränderungen und Kommunikation. All dies setzt geschichtliche Impulse frei, die uns als Akteure unerwartet handeln lassen müssen. Geschichtliche Muster der Vergangenheit jedenfalls taugen dazu nicht. Das werden über kurz oder lang auch diejenigen spüren, die noch glauben, alte Ordnungen und Herrschaftssysteme seien zukunftstauglich. Alles hat sich geändert und wird sich ändern. Auch wir.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fremdbestimmt?

Tausend Fliegen, die auf einem Scheißhaufen sitzen, können doch nicht lügen. Der Haufen muss einfach wunderbar sein. So ähnlich verhält es sich heute mit der Schwarmintelligenz. Wenn im Netz zu irgendeiner Aussage 1.000 Followers ihre Smileys setzen, diese Aussage wiederum 1.000 Mal teilen, entsteht eine eigenständige Wahrheit, auch wenn die dieser Aussage zugrundeliegende eine Lüge ist.

Diese Internetwahrheiten müssen überhaupt nicht von Menschen ins Netz gestellt worden sein, sondern es genügen Aussagen, die auf Algorithmen beruhen. Diese werden ihrerseits genährt durch mehrheitsfähige Destillate aus den Meinungen vieler Menschen bzw. Zielgruppen, die sich aufgehoben fühlen sollen in der 1.000fachen Bestätigung ihrer Meinung, auch wenn Algorithmen sie verbreiten und sie als wahr zertifizieren. Die durch Mensch und Maschine produzierte Wahrheit beruht also nicht auf einer intelligenten Ableitung, reklamiert aber gleichwohl eine Allgemeingültigkeit für sich, die jeden Widerstand erschlaffen lässt.

Wenn Tausende oder gar Millionen etwas für wahr erachten, wie soll dann derjenige, der den systemischen Fehler dieser Wahrheit erkennt, darauf reagieren? Klärt er auf, widerspricht er, so wird er bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls liquidiert. Also bleibt der Erkennende passiv, überspielt sein Unbehagen und wünscht sich angesichts der gleichförmig herbeigestriegelten Meinung zurück in die rosigen Zeiten der hitzigen Meinungsdebatten, die nur kleineren Gruppen zugänglich waren und deren Ergebnis andere Menschen selten bannten, geschweige sie an den Pranger stellten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nächstenliebe

Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. So steht es in der Bibel bei Galater 5 14.2 „Mir wohl und keinem übel“ ist ein alter Familienspruch meiner Familie. Beides klingt wohlvertraut und beinhaltet eine Anforderung, der wir uns gerne gewachsen sehen würden, aber auch über etliche Gründe berichten könnten, warum es dennoch nicht klappt.

Warum klappt es nicht? Ich meine deshalb, weil es schwerfällt andere Menschen zu lieben. Es ist schon schwer, mit sich selbst auszukommen. Wenn wir also den eigens für uns erdachten Maßstab an anderen Menschen anlegen würden, dann wäre es mit der Liebe nicht weit her. Die meisten von uns sind mit sich selbst in der Liebe deshalb nicht vereint, weil sie keine Distanz zu sich selbst aufbauen können, sondern die Selbstbetrachtung ein stetes Rechtfertigungsmoment für Unzufriedenheit darstellt.

Fast jedem Menschen geht es schlecht, irgendwie. Wie soll da Liebe entstehen? Der Familienspruch trifft unsere Haltung schon eher. Ich wünsche, dass es mir gut geht. Und wenn das so ist, soll es anderen auch nicht schlecht gehen. Natürlich darf deren Gutgehen nicht dazu führen, dass es mir schlechter geht. Eine solche Einstellung hat etwas mit Realismus zu tun. Es gilt das Prinzip des „Check and Balances“ auch in allen menschlichen Beziehungen. Ich muss nicht nur erlauben, sondern auch mir wünschen, dass es anderen Menschen gut geht, denn nur so habe ich eine Chance, an deren Errungenschaft zumindest indirekt teilzuhaben. Diese Rückbezüglichkeit wird oft verkannt. Kämen die heute vielgescholtenen vermögenden Men­schen auf die Idee darüber zu reflektieren, dass es ihnen möglicherweise noch besserginge, wenn es den anderen auch gut geht, dann würden sie etwas dafür tun, diesen Zustand herbeizuführen.

Was steht dagegen? Sicher nicht die Vernunft, sondern das Gefühl. Das Gefühl lieber nichts zu teilen, denn man weiß ja nicht, was kommt, ist der Nächstenliebe sehr ähnlich. Beides ist unvernünftig. Aber intelligente Menschen gewinnen spätestens dann an Einsicht, wenn sie sich im gesellschaftlichen Spiegel sehen und mit dem Spiegelbild nicht zufrieden sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Smart

Heutzutage ist alles smart. Smart City. Smart Home. Smart People. Smart Vacations. Smart Being everywhere. Was ist Smart eigentlich? So ein Mittelding zwischen intelligent und geschmeidig. Wer smart ist, ist sicher ein Oberschlaumeier. In einer Smart City funktioniert eigentlich alles wie von selbst, genauso wie im Smart Home. Das ist eine sich selbst erfüllende Feststellung. Es handelt sich also nicht um eine These, die widerlegt werden kann.

Smart ist schon das vorab prognostizierte Ergebnis, also das Vollendetsein, bevor es begonnen hat. Smart ist alternativlos. Widerstand ist sinn- und zwecklos. Natürlich ist es wichtig, sich um Verbesserung zu kümmern. Die Verkehrswege einer Stadt sind Grundvoraussetzung jeder Kommunikation, sei es per Rad, Automobil oder als Fußgänger. Aber alle diese Verbindungswege unter Einschluss der sonstigen kommunikativen Notwendigkeiten sind gleichwertig im Ringen um angemessene Berücksichtigung. Eine Stadt ist nicht deshalb smart, weil sie Fußgängerzonen anlegt oder Fahrradstraßen schafft, sondern sie muss alle Interessen der Verkehrsteilnehmer berücksichtigen.

Ein Haus ist nicht deshalb smart, weil es dem höchsten Energiesparstandard entspricht, sondern es kann ihm vielleicht dieses Attribut zugeordnet werden, wenn es dabei auch auf die vielfältigen Bedürfnisse seiner Bewohner eingehen kann. Verlangt ein solches Haus von seinen Bewohnern, dass diese sich nach ihm richten, dann ist es nicht smart. Smart kann nach meiner Lesart nur ein Verhalten sein, was auf konsensuale Art und Weise unsere Bedürfnisse ins Handeln umsetzt und dabei sich schon auf kommende Veränderungen einstellt. Das Herausbilden immer neue Herausforderungen wird zum Jetztzeitbild unserer Gesellschaft und wird sich sicher verstetigen. Es hat also keinen Zweck, nur Fahrradwege anzulegen, wenn die Mehrheit dann nicht mehr Fahrrad, sondern E-Bike fährt bzw. eine andere Art der Fortbewegung nutzt.

Es ist nicht smart, das Haus von außen so abzudämmen, dass es zum Schaden seiner Bewohner nicht mehr atmen kann und Wohnungen dauerbelüftet werden müssen. Leider ist vieles Masche, was smart zu sein propagiert. Aber positiv ist zu werten, dass die Gesellschaft nach Lösungen sucht. Das ist deutlich erkennbar und lässt die Übertreibungen verzeihlich erscheinen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ungleichheit

Eines der Topthemen unserer Zeit ist die Ungleichheit, die reale als auch die gefühlte. Auch die Vorstellungskraft erzeugt die Themen und die mediale Aufmerksamkeit schafft Überdruss, weil Ungleichheit in allen sozialen Zusammenhängen gebrandmarkt wird. Entsprechend medial wirksam sind dann auch die Apelle, die an diejenigen gerichtet sind, die tatsächlich oder auch scheinbar diese Ungleichheit zu verantworten haben. Die Schlagworte reichen von der Würde des Menschen bis zur Armut.

Selbst, wenn alles richtig ist und alles gesagt wird, erreicht keiner dieser Appelle seine Wirkung, d. h. einen gesellschaftlichen Plan zu beschließen, der, so vorläufig er auch sein mag, geeignet ist, zur Chancenverbesserung der Menschen in unserer Gesellschaft beizutragen. Es wird medial und politisch vielmehr oft abgehoben auf das Gefühl derjenigen, die abgekoppelt seien, die keine Chance hätten und daher in dieser Gesellschaft in das Abseits gerieten.

Bei dieser Betrachtung wird verkannt, dass diese persönlichen Umstände zwar bei Menschen vorliegen können, aber unsere Gesellschaft wesentlich selbst dazu beiträgt, dass diese Vorstellung emotional übertrieben wird. Ein in der Gesellschaft unterforderten Mensch fühlt sich bald überfordert und empfindet es als Zumutung, dass Zuwendungen seitens der Gesellschaft nicht umsonst zu bekommen sind. Die soziale Anerkennung ist aber ohne eigenes Engagement nicht denkbar. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist es, die äußeren Umstände strukturell so zu verändern, dass der Ehrgeiz des Menschen in unserer Gesellschaft entfacht wird, sein Leben in den Griff zu bekommen. Dabei reicht es nicht aus, auf die augenblickliche Situation abzuheben und sich darüber zu entrüsten, dass die Reichen immer reicher würden und die Entkopplung von Vermögen und Einkommen sich ereignete. Das ist wohl so, aber eine rein moralische Betrachtung dieser Verhältnisse ist gesellschaftlich sinnlos. Durch Ermahnungen kann man bei Menschen kaum etwas erreichen, aber durch Vorbilder und Veränderungen von Umständen, die zur Einsicht führen, dass es besser ist, die eigene Einstellung zu verändern und neue Wege zu gehen. Aus meiner Sicht ist das Kreislaufsystem von Einkommen und Vermögen in unserer Gesellschaft gestört. Dies deshalb, weil wir noch heute einem völlig antiquierten Eigentums- und Erbschaftsbegriff pflegen. Nun kann man zwar sagen, dass nicht alles falsch war, was früher einmal gedacht wurde, es ist aber nicht so absolut richtig, dass es heute nicht auf dem Prüfstand gestellt werden dürfte. Das gilt insbesondere für das Erbrecht.

Eigentum ist lebzeitig. Der tote Mensch hat keine Taschen, in denen er sein Eigentum vergraben könnte. Mit dem Tod verliert der Mensch sein Eigentum und es wächst nach der bei uns geltenden Rechtsordnung seinem Erben zu. Aber, warum ist es so und warum soll es so auf Dauer sein? Unser Erbrecht, welches sich unter anderem aus dem römischen Pandektenrecht entwickelt hat und vielfach Ausdruck gefunden hat auch im fidaikommis und andere Rechtsinstitutionen überdauerte, sah es aufgrund der konkreteren historischen Situationen als erforderlich an, dass zur Erhaltung der Familienstämme Vermögen weitergereicht werden. In einer eher vom Bauerntum geprägten Gesellschaft machte dies durchaus Sinn, führte aber bereits im Zuge der Industrialisierung zu Verwerfungen und ist heute ein groteskes Überbleibsel aus vergangener Zeit. In einer mobilen Leistungsgesellschaft in der es auf Besitzstandwahrung eigentlich überhaupt nicht mehr ankommt, schafft das Anhäufen von Vermögen um des Vermögens willen zwar Geld, Macht und Einfluss, aber entkleidet sich völlig des historischen Sinns.

Es gäbe nun die Möglichkeit, Erbschaften so drastisch zu besteuern, dass der Staat davon profitiert und eine Umverteilung vornimmt. Das ist hier die schlechtere Möglichkeit, denn jede Form der Umverteilung macht denjenigen, der eine Zuteilung erfährt, abhängig von der gebenden Hand. Sinnvoller ist es, die Stellung gemeinnütziger Einrichtungen im Bildungs-, Sozial- und Arbeitsbereich neu zu justieren und dafür zu sorgen, dass dorthin Vermögen nicht nur abfließen kann, sondern auch abfließen muss, um Leistungsanreize für andere zu schaffen, sich zu engagieren, seien dies Stiftungen, Genossenschaften oder andere hybride philanthropisch/ wirtschaftliche Organisationen. Das würde auch zur Erstarkung des bürgerlichen Engagements im Pflege- und im Lifestylebereich und auch in anderen Einrichtungen wie einer Mehrgenerationenbank führen, um neue gesellschaftliche Assets jenseits des Geldes zu schaffen. Sicher noch ein weiter Weg, aber provokant muss gedacht werden, um das Vermögenserhaltungsflegma zu überwinden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Heimat

Die Diskussion darüber, was Heimat sei, läuft in den Medien auf vollen Touren. Für die einen ist Heimat das, was sie verloren haben, die anderen suchen sie. Heimat ist der Wald, der Kiez oder der Apfelkuchen der Großmutter. Alle Sehnsuchtsorte und Verluste sind Heimat. Heimat ist die Chiffre für Sicherheit. Sicher lebt man aber nicht mehr, auch nicht als Flüchtling. Deshalb nimmt die Heimatdeutung gerade jetzt wieder Fahrt auf, wo manche sich schützen wollen vor Überfremdung, wie sie es nennen oder das Hineingeworfen sein in eine feindlich gesonnene Umwelt. Keiner scheint bei der Ausformung des Heimatbegriffs ganz auf seine Kosten zu kommen. Vielleicht deshalb, weil Heimat alles benennen kann. Heimat kann Weihnachten sein, aber auch die Jagd.

Für mich war es einmal während eines Griechenlandaufenthalts bei circa 40 Grad Celsius die Vorstellung von Rothenburg ob der Tauber bei Regen. Dies obwohl ich in dieser Stadt niemals gelebt habe, sondern sie nur besuchte, auch jüngst wieder, um dort von permanenten Weihnachtsdauerausstellungen, die man offenbar für Asiaten inszeniert, überrascht zu werden.

Heimat als Dekor. Vielleicht sind auch die Sterne in den Fenstern, die putzigen Schalen, Lichter, Gänsehälse in Blumentöpfen und schmiedeeisernen Riesenameisen in Vorgärten Heimat. Wenn dies so ist, dann vermittelt Heimat eine Arglosigkeit, mit der wir fast alle einmal im Kindesalter gesegnet waren, bevor die Lebenskämpfe begannen und die Zumutungen. Heimat als die Zeit, in der wir uns noch auf das Leben freuten, staunten über alle hinzuerworbenen Fähigkeiten, mit Genuss Äpfel aßen und Zeit hatten, stundenlang auf auf einen Käfer oder in den Himmel zu schauen.

Das alles tragen wir in unseren Herzen, abrufbar, wenn es erforderlich ist, sich auf das Einfache, Klare und Unverfängliche zu besinnen. Heimat ist unter diesem Blickwinkel nicht strapaziös. Heimat ist dann ein Angebot und stellt keine Ansprüche an uns. Wieso aber dann die Sprüche, dass man die Heimat schützen müsse, dass es sie zu verteidigen gelte gegenüber fremden Eindringlingen? Wie soll denn eine Heimat geschützt werden, die je nach Gemütslage und Ortsgebundenheit so unterschiedlich ausfällt.

Wenn meine Heimat mein Garten ist und vielleicht auch noch die Zwerge darin, ich aber die Oldtimersammlung meines Nachbarn überhaupt nicht schätze, wieso soll ich dann mich für ihn und er sich für mich engagieren, wenn wir beide aus unterschiedlichen Gründen unser Ambiente als Heimat begreifen? Kann das Höchstpersönliche verallgemeinert werden?

Das schon. Meine schwäbische Heimat, die ich im Herzen trage, soll möglichst nicht durch „fracking“ zerstört werden, auch Windräder finde ich nur begrenzt heimattauglich, selbst dann, wenn ich sie für die Energiegewinnung unabweisbar finde. Aber auch das, was mir das Dorf, der Weiler, der Bauernhof im Schwarzwald oder der Kreuzberg in Berlin als Heimat bietet, ist letztlich nichts anderes als die Projektionsfläche meiner Sehnsucht nach einem Rückzugsort, dem ich vertraue. Heimat taugt begrifflich schon deshalb nicht zur Abwehr anderer, weil diese mir meine Heimat überhaupt nicht streitig machen. Vielleicht sind sie aber neugierig, davon zu erfahren, wenn ich bereit bin, darüber zu sprechen und sie so in meine Heimat einzuladen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vertrag

Um Verabredungen bindend zu treffen, benötigen Menschen einen Vertrag. Der Vertrag ist somit die Grundlage jeder funktionierenden Sozialordnung.

Der Vertrag ist mehr als das geschriebene Wort und erschöpft sich nicht in einer aus dem Internet herunterladbaren juristischen Konstruktion.

Nur selten, wie zum Beispiel im Grundstücksrecht und teilweise im Gesellschaftsrecht sind Verträge an bestimmte Formen gebunden. Die Schriftform dient dabei der Beweisbarkeit, aber natürlich kommen Verträgen auch dann zustande, wenn man den Vertragsschluss kaum wahrnimmt, zum Beispiel der Beförderungsvertrag beim Einstieg in ein Taxi oder in eine Straßenbahn.

Aus vergangener Zeit besonders bekannt ist der Vertragsschluss durch Kaufleute mittels eines Handschlags. Dieser bringt zum Ausdruck, wir machen es so, wie wir es gesagt haben und im Übrigen gelten unsere Handelsbräuche und das Gesetz.

Ein Vertrag kommt zustande durch übereinstimmende Willenserklärungen, wobei die juristischen Vertragsargumente nicht unbedingt im Vordergrund stehen müssen, sondern auch Vernunft, Gefühl, Werte und Anschauung.

Ein Vertrag eröffnet Optionen für die Beteiligten, schafft Perspektiven, sichert die Interessen, vermeidet Konflikte und sieht in seinen Regelungen genaue Abwicklungsmodalitäten vor.

In Zeiten wie heute, wo dies technisch möglich ist und Vertrauen durch Misstrauen herausgefordert wird, sichern sich Vertragsbeteiligte durch aufwendige Vertragswerke und allgemeine Geschäftsbedingungen scheinbar überlegene Positionen. Manch einer verheddert sich im Gestrüpp der verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Bestimmungen des gesamten Vertragswerks, zumal allgemeine Geschäftsbedingungen auch gerichtlich überprüft und ggf. kassiert werden können.

Vertragsgestaltungen sollte man nicht allein den Juristen überlassen, sondern den Prozess, der zum Vertragsabschluss führt, mitgestalten, klarmachen, was man will und den Juristen einbinden, um die von den Vertragsbeteiligten vorgesehene Verabredung in Form und Inhalt kompatibel zu machen. Nur, wenn man selbst versteht, was man will, kann man den Willen des Vertragspartners mitberücksichtigen und zu belastbaren Verträgen gelangen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rente

Solange ich zurückdenken kann, gibt es die Rentendiskussion. Dabei geht es stets um die Frage, wie lange Rente gezahlt wird und wer für diese künftig aufzukommen hat. Es ist vom Generationenvertrag die Rede und vor allem davon, dass leider die immer jüngste Generation zusätzlich anschaffen muss, um die Rente zu bezahlen. Die gegenwärtige Generation hält dies für eine Zumutung, hält aber still, wohlwissend, dass die nächste Generation auch schon anvisiert ist, um die Rente anzusparen, obwohl sie dies natürlich noch nicht weiss.

Niemals ist es sicher, ob dieser Generationenvertrag funktioniert, aber er wird als so gerecht empfunden, dass sogar, um dem Klientel wohl zu gefallen, verschiedene Renteneinstiegszeiten für vertretbar gehalten werden. Es ist von der Rente ab 63 die Rede, ab 67 oder schon von Frühverrentung ab 55. Neben der staatlichen Rente gibt es verschiedene andere betriebliche und altersbetriebliche Altersversorgungen. All dies kostet Milliarden. Wir sind es unseren Arbeitnehmern schuldig, weil es gerecht ist, dass sie ab einem bestimmten Alter nichts mehr tun.

Natürlich wollen wir sie auch loswerden. Sie sollen auch nichts mehr tun und der nächsten Generation Platz machen. So würden wir es natürlich niemals sagen. Sieht aber so Solidarität aus? Ich habe da meine Zweifel. Solidarisch ist es, denjenigen zu helfen, die nicht mehr arbeiten können, das Wollen dürfte dabei eher zweitrangig sein. Wir Menschen sind in der Pflicht, für uns zu sorgen, ob wir Jugendliche sind oder alte Menschen. Wenn wir nicht mehr können, brauchen wir die Unterstützung der Familie und die des Staates.

Es spielt keine Rolle, ob wir bis zum Alter von 70 oder 80 arbeiten oder dies schon mit 60 nicht mehr können. Wenn wir Hilfe benötigen, sind wir auf ein umfassendes Angebot angewiesen und können uns nicht abfinden mit Regelzuweisungen, die von Zeit zu Zeit minimal erhöht werden. Der menschengerechte Pflegeaufwand ist enorm und derjenige, der sein Leben lang gearbeitet hat, kann von seinen Kindern und subsidiär auch von der Gesellschaft verlangen, dass er würdevoll die Zeit bis zu seinem Tode verbringen darf.

Dies gilt im Übrigen nicht nur für diejenigen, die neben ihren Arbeitgebern auch in die Rentenkasse eingezahlt haben oder für Pensionäre, sondern für alle, die im Dienste der Gesellschaft tätig geworden sind, ob sie verrentet waren oder nicht. Auch, wenn es altmodisch klingen mag, ein Ehrensold, eine staatliche Unterstützung, die in keiner Weise der Rente nachsteht, hat auch derjenige verdient, der keine Rentenanwartschaften erworben, aber zum Beispiel als Selbständiger gearbeitet, hohe Steuern gezahlt hat und dann verarmt ist.

Das gilt auch für diejenigen, die freiwillig und ehrenamtlich einen Großteil ihrer Zeit für die Gesellschaft tätig geworden sind und diese Tätigkeit einer beruflichen vorgezogen haben. Ist ein Ehrensold für diese nicht angemessen? Solidarisches Handeln verlangt von der Gesellschaft nicht nur diejenigen zu bedenken, die dem Mainstream entsprechen und die Mehrheit sind, sondern auch denjenigen, hinter denen üblicherweise keine Rentenlobby steht. Eine solidarische Gesellschaft erkennt die Nöte aller Menschen und fühlt sich diesen verpflichtet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Leitkultur

In einem Vortrag, den ich neulich hörte, beschrieb der Historiker Prof. Rödder als heute maßgebliche Leitkultur die Inklusion. Viele Zuhörer waren erstaunt, weil die meisten Nichtfachleute unter Inklusion die Eingliederung von Behinderten zum Beispiel in den Schulbetrieb mit anderen nichtbehinderten Kindern sehen. Dass der Begriff Inklusion so weit gefasst ist, dass er als Oberbegriff taugt, unter den sich unterschiedlichste Lebenssachverhalte subsummieren lassen, war auch mir nicht geläufig.

Eingedenk der Debatte darüber, ob es in Deutschland überhaupt eine Leitkultur gibt, erscheint es unmöglich, dass gerade Inklusion dazu taugen soll. Im gesellschaftlichen Sinne kann unter Inklusion integrale Bildung verstanden werden, die Eingliederung von Fremden und die Auflösung eines monozentristischen Weltbildes. Ist zunächst der Mann nicht mehr das Maß aller Dinge, dann später auch nicht der Mensch. Die Maschine holt uns ein. Manche, wie zum Beispiel Donald Trump haben dies instinktiv erkannt und wettern gegen alles, um das Mannsbild zu erhalten. Sie sind aber Excluder.

Auch in Deutschland gibt es inzwischen diese Haltung. Ob es gelingen wird, die Aufnahme von Fremden zurückzudrängen? Ich weiß es nicht. Aber taugt als Leitkultur ein Phänomen, das noch auf dem Prüfstand steht, der Prozess der Auseinandersetzung darüber andauert und auch die Befürworter noch verunsichert sind? Selbst diejenigen, die Fremde bei uns haben wollen, fügen ihrer Bekräftigung ein „ja aber“ bei. Zum Beispiel Schulen mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, bildungs- und körperlichen Voraussetzungen in einer Klasse: einverstanden, „ja aber“.

Multikulti war „in“, dann hieß es, geht doch nicht und jetzt sollen die, die zu uns kommen, Deutsch lernen und sich hier integrieren. Tun sie das aber auch? Wie steht es um die Inklusion, wenn wir insgeheim erwarten, die Flüchtlinge behalten ihre ehemals ausländische Identität und gehen später dann wieder nach Hause. Ist Inklusion ein Willensakt unserer Gesellschaft oder eine Zufallserscheinung, weil zum Beispiel diejenigen, die doch bleiben, sich hier integrieren müssen? Ich denke nur an die Gastarbeiter der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Eine Leitkultur der Inklusion nicht unter dem Aspekt des Anspruchs, sondern der einer Verwirklichung, vermag ich nicht zu erkennen. Wenn Inklusion alles umfassen soll also auch die Wirtschaft, die Kunst und das politische Verständnis, kann ich diesen Zusammenhalt schon gar nicht bejahen. Bei der Wirtschaft ist von destruktiven Entwicklungen die Rede, politisch geht die Bewegung weg von der Mitte und in der Kunst: „anything goes“. Wenn ich die Leitkultur von heute zu beschreiben hätte, würde ich behaupten, es gäbe keine. Es scheint mir, als würden wir versuchen, etwas zu finden, was uns zusammenhält, versuchen, die Voraussetzungen zu erarbeiten, die den Abschluss eines Contrat Social erlaubten. Es wäre höchste Zeit, eine europäische Kulturverfassung zu entwickeln. Auch wenn wir nicht die ganze Welt für unser Anliegen gewönnen, Deutschland allein ist viel zu klein, um auf alle Zeitfragen eine Antwort zu haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski