Archiv für den Monat: Januar 2017

Entgrenzung

Grenzen sind die Einfriedung von Möglichkeiten. Innerhalb von Grenzen entwickeln sich Staaten, Gemeinschaften und der Einzelne. Die äußeren Grenzen erlauben Selbstverwirklichung in einem überschaubaren Maß. Die Einhaltung von Grenzen respektiert das Andere und gewährt Freiheit im umfriedeten Raum. Grenzen schaffen Orientierung zum Beispiel auch bei der Erziehung eines Kindes. Um sicher durchs Leben zu kommen, sollen Kinder ihre Grenzen erkennen und sich dieses Wissen einprägen. Jede Grenzüberschreitung hat Konsequenzen. Das wissen wir. Grenzüberschreitungen provozieren Kriege, eröffnen aber auch neue Perspektiven.

Gewollte Grenzüberschreitungen sind Wagnisse, die auch anderen Gelegenheit geben, ihre Grenze zu verschieben, um sich ebenfalls neue Räume zu eröffnen. Grenzüberschreitungen können auf Rückzug nach Kenntnisnahme des fremden Terrains angelegt sein oder auf Eroberungen. Das Austesten eigener Grenzen verschafft Handlungsspielräume und vertraut auf die Toleranz anderer. Sobald die völlige Entgrenzung eintritt, ist die Freiheit ebenfalls grenzenlos.

Diese Freiheit wird schwer zu ertragen sein, da sie misstrauisch bleibt gegenüber ihrem eigenen Vermögen. Die äußere Freiheit fordert die Libertinage des Gefühls und des Verstandes, die völlige Disposition sämtlicher Einschränkungen, seien diese äußerer oder innerer Natur. „Anything goes“ überfordert den Menschen nicht nur, was seine Reminiszenz an einen Ordnungsrahmen angeht, sondern verlangt von ihm ständig seine eigene Unfreiheit bzw. was davon geblieben ist, in Frage zu stellen.

Es sind dann nicht mehr die äußeren Grenzen und die gesellschaftliche Orientierung, sondern die Unfähigkeit, alles zu verwirklichen, was möglich ist. Der grenzenlose Konsum und alle anderen Lebensumstände scheitern dann nicht mehr an den objektiven Möglichkeiten, sondern an der eigenen Unfähigkeit zu handeln. Der grenzenlose Mensch wird sich seiner ichbefangenen Unfreiheit bewusst. Die Entgrenzung zerstört das die Dinge ordnende Interesse seines Bewusstseins.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Wort

„Am Anfang war das Wort“, so heißt es bei Johannes 1:1. Das Wort war bei Gott. Vermutlich wird Gott auch das letzte Wort haben, in der Zwischenzeit jedoch haben wir Menschen uns des Wortes bemächtigt. Immerzu wird unsere Welt mit Worten in allen organischen und technischen Varianten überflutet. Der Wort-Tsunami wird nicht nur von wortsüchtigen Menschen – alles ist gesagt, aber noch nicht von mir – sondern auch von Bots gebildet. Das Wort erschließt seine Bedeutung aus der Verabredung mit dem Empfänger, das Wort in Zusammenhängen zu denken, für sich zu bewahren und zu entwickeln. Das unermessliche Angebot aller Medien macht Worten die Vorrangstellung streitig.

Mächtiger als Worte sind Bilder, ausdrucksstarke Darstellungen von Gefühlen und Techniken. Worte sind zuweilen nur noch die Brücken zu wirkungsmächtigeren Eindrücken. Kaum gesprochen oder gelesen, vergehen sie, werden ersetzt oder verbannt. Es sind ja nur Worte. An Worte ist die Welt nicht mehr gebunden. Ihnen ist nur noch selten zu trauen. Lügen verbreiten sich in den für sie passenden Worten. Worte der Wahrheit werden aus Buchstabensuppen gefischt.

Wenn wir Menschen dem Wort keinerlei verlässliche Bedeutung mehr beimessen können, dann hat es sein göttliches Geheimnis offenbart.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Aleppo

Aufzeichnung Hans vom Glück aus „Der Traum vom Titelhelden“, 17.09.1986. „Wir erwischen unseren Helden im Souk von Aleppo, im Marktbauch bei Kutteln und Kaldaunen.

Ausrufer, Esel und kleine hupende, ratternde Lieferwagen, an die man sich anhängen kann im Tempo der tiefen Farben der Nacht, die süßesten Gerüche genießt oder bedrängt wird, von dem Hupen und den Schein­werfern gestellt, sehr zur Freude derer, die Nicht-Europäer sind. Raupen, Spinnen, Kokons, Fäden, die nicht leiten. Fäden, die den Ausgang ver­sperren, nicht gehen lassen wollen. Bleib.

Unser Titelheld hat sich schon ein Dutzend Mal im Kreise gedreht, sich tief und tiefer in den Bauch des Souks gebohrt. Je vertrauter ihm alles wird, desto mehr verblasst das Licht des Ausgangs. Er nähert sich immer wieder denselben Händlern, fühlt ihre Tücher. Ein Brummen und Summen. Tee wird ihm gereicht, süßer Tee, der zehn Gewürzstationen passieren muss, bevor er in den Mund schießt. Tee, der einen zum Ver­schwörer macht, wenn man ihn trinkt. Der Tee berauscht. Jeder Tropfen ist getunkt in Wissen, welches den Tropfen umschließt, ihn zur Perle macht. Unser Titelheld hat den Mund voll Perlen, jede eine Erfahrung, eine Verheißung. Das Glück im Leben ist kostenlos! Unser Held will be­zahlen. Sahib, ach Sahib, du hast nichts verstanden, dein Glück ist um­sonst! Dein Glück zwischen Hammelhälften, die an schweren eisernen Ketten hängen, dein Glück zwischen Nüssen und Gewürzen, Feigen, Salaten, Trauben, Tomaten. Im fahlgrünen Licht wird aus Spritzen heißes süßes Gebäck gepresst. Tücher, Teppiche, Tiere, dein Glück, Titelheld, Auge in Auge mit der Versuchung zu kaufen, und wenn es auch ein Ballen riesiger Baumwolle wäre, ein Hahn vielleicht oder zehn Meter des roten Stoffes, Gold vom Knöchel bis zum Kopf. Es ist Mittag in Aleppo. Der Dampf der Metro in Paris ist ein kühler Fächer verglichen mit dem Dunst von Menschen, Gewürzen und Tieren im Souk von Aleppo. Unser Held badet im Glück, er hat alles, was er braucht, alles, was er will für sein Spiel. Nichts liegt offen. Alles ist verkleidet, verhüllt, eingesperrt, versperrt in fremder Sprache, fremder Kultur. Wunderbar klebrige Luft. Erschöpft betritt er ein Café. Noch dunkler, noch klarer, ein Dutzend Wasserpfeifen gurgeln in der Stille. In den Gläsern Licht von allen Ampeln, Perlen in jeder Blase, Farbtöne, Gedanken, er setzt an zu einem langen ewigen Zug. Noch nie hat er seine Lungen so prall empfunden, gestärkt vom Rausch wie damals…“

Angesichts der wirkungsmächtigen Bilder in allen Medien von toten Kindern, Frauen und Männern in dieser Stadt, zerstörten Hoffnungen, Lebenserwartungen und städtischen Verwüstungen möchte ich daran erinnern, wir kraftvoll lebens- und glückspendend diese Stadt einst war. So vermessen dies angesichts allen Leids auch klingen mag, so hoffe ich doch, dass Geist, Seele und Alltäglichkeiten wieder an ihre Heimstätte zurückfinden.

Aleppo ist mehr als eine nur zerstörte Stadt, Aleppo ist tief mit unser aller Geschichte verbunden. Wir müssen den Mut haben, auch wieder an die Zukunft dieser Stadt und ihrer Menschen zu glauben. Gerade jetzt in finsteren Zeiten um unser selbst willen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Frauen, Männer, Kinder

Mir ist folgende russische Einschätzung bekannt: Eine Frau kann aus nichts alles machen, einen Hut, einen Salat oder einen Skandal. Eine Frau scheint in ihrem Rollenverständnis nicht unbedingt abhängig zu sein von der Anerkennung eines Mannes, sondern definiert ihr Rollenverständnis selbst, soweit die äußeren Umstände dies zulassen. Die äußeren Umstände sind für die Entwicklung der Frauen von außerordentlicher Bedeutung, ob diese religiös, physisch oder geschlechtsspezifisch strukturiert sind. Im Rahmen vorhandener Möglichkeiten ist weibliches Verhalten autonom und nicht von männlicher Anerkennung abhängig. Dies bedeutet aber keineswegs, dass es verzichtbare Austauschprozesse zwischen Frau und Mann und Frau und Frau gäbe. Frauen erwarten Beachtung und erkennen in dieser sich selbst. Sie beobachten genau und reagieren im Falle versäumter Aufmerksamkeit wie eingangs beschreiben.

Männer, die sind halt so. Wie aber ist Mannsein? Es gibt eine Außensicht und eine Innensicht. Beide sind nicht deckungsgleich, sollen aber oft zur Deckung gebracht werden, damit die Typisierung nicht allzu sehr ramponiert wird. Diese Typisierung ist in der Regel dankbar einfach: Macho oder Nichtmacho. Natürlich wird der Mann auch sehr viel differenzierter wahrgenommen, jedoch erleichtern Muster die Einordnung, schaffen Kategorien. Diesen Einschätzungen sieht sich der Mann zwar ständig ausgesetzt, empfindet sich aber in den seltenen Fällen selbst so. Es ist nicht nur seine geschlechtsspezifische Orientierung zu Frauen oder anderen Männern, sondern auch seine Erinnerung daran, wie alles begann, sich sein männliches Ich ausbildete und seine Erziehung ihn schließlich dann zum Mann werden ließ. Aber trotz aller äußerer oder innerer Umstände ist der Mann in erster Linie Mensch mit allen seelischen und geistigen Anforderungen, denen sich auch andere Menschen jedweden Geschlechts und sexueller Präferenz ausgesetzt sehen. Der Mann erfährt seine spezifische Anerkennung als solche erst durch andere, seien diese Mann oder Frau.

Kinder werden oft darauf getrimmt, schon junge Erwachsene zu sein. Das sind sie nicht. Sie sind aber vom ersten Atemzug an darauf aus, selbst in dieser Welt zu bestehen und die dafür erforderliche Ausbildung zu erfahren. So sind die Kinder auf ihre Eltern angewiesen, aber nicht für die Eltern da. Es ist der segensrechte Opportunismus der Natur, dass Kinder ihren Eltern und anderen Familienangehörigen gefallen, um dadurch Vorteile des Beachtenwerdens und Förderung zu erfahren. Aus den Reaktionen, die Kinder wahrnehmen, lernen sie, leiten ab, was geht und was nicht geht, verinnerlichen Rollenspiele und begreifen so allmählich ihre ganz unterschiedlichen Lebenschancen als Mann oder Frau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

 

Fake

Die Welt erwacht aus dem Dornröschenschlaf. Die Menschen reiben sich verwundert die Augen. Wo leben wir? Es ist von der Postrealität die Rede, vom Faktencheck und Postfaktischem. Jede Lüge wird Wahrheit, je öfter Sie im Internet geteilt wird. Wahrheiten, Ernsthaftigkeiten, Tatsachen scheinen sich aufzulösen, verlieren an Relevanz. Politiker, Medien, aber auch besorgte Bürger melden sich zu Wort, beschwören eine Zukunft, in der man noch Vertrauen haben kann auf das Gesagte oder Gesehene.

Auch Bilder lügen. Verschwörungserzähler schaffen dadurch Eindruck und machen gutes Geschäft. Ach wie schlimm, sagen viele! Ich finde dagegen, dies ist überhaupt nicht schlimm, sondern schafft uns die Möglichkeit, in ganz neue Welten vorzudringen, die früher nur wenigen Schriftstellern und Künstlern vorbehalten waren. Wenn das Menschentheater schon absurd ist, dann ist es folgerichtig, es auch als absurd zu inszenieren und nicht so zu tun, als sei alles durch Zahlen, Begriffe und Markierungen fixierbar.

Ja, es ist unbequem, plötzlich eine Welt zu entdecken, die Wahrheiten jeder Art zur Disposition stellt und in der Lügen gleichwertig sind. Aber, auch die sogenannten Wahrheiten sind nur asymptotische Annäherungen an eine verabredete Wahrheit, die die Wirklichkeit passgerecht erfindet. Deshalb ist die Lüge die sublimste Bestätigung der Wahrheit und zwingt die Empfänger zur Prüfung jenseits des Vertrauens.

Es gilt dann aber auch noch, dass die Revolution ihre Kinder frisst oder auf die Lügen gemünzt: Jeder Lügner wird über kurz oder lang mit seinen Lügen konfrontiert, muss der Unsicherheit standhalten, dass keiner seiner Lügen mehr einen Wahrheitsbeweis erbringen kann. Wenn die Welt von Behauptungen und Lügen überschwemmt wird, entfaltet sich daraus die Wahrheit – zumindest vorübergehend.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wind of Change

Es ist ein Sturm der Veränderung über unser Land und diese Gesellschaft in den letzten Jahren hinweggefegt. Wer das leugnet, ist ein Ignorant. Es ist auch ignorant, eine situative Anpassungsfähigkeit der Menschen zu fordern, wohlwissen, dass Veränderungen zwar möglich sind, aber nur allmählich als Entwicklungsprozess. Schauen wir genau hin, erkennen wir, dass dem auf Arbeitssicherheit programmierten Menschen zunehmend Zeitjobs angeboten werden.

Wo soziale Sicherheit erwünscht ist, muss er sich ggf. mit Hartz IV begnügen. Die komplett veränderte Arbeitswelt ist vielfach beschrieben, so dass ich mich auf wenige Stichworte konzentrieren kann. Gleiches gilt für die Freizeit. Taubenzucht, Briefmarkensammeln und sonstige genügsame Beschäftigungen vermitteln Freude am Tun, aber auch Kameradschaft und Geborgensein in der Gemeinschaft. Es gibt weiterhin solche Erfahrungen. Das leugne ich nicht, aber es sind nicht viele, die meist auch mit großem Aufwand verbunden sind. Dies können sich aber nur Wenige leisten.

Die Vielzahl der Menschen in unserer Gesellschaft erleben soziale Isolierung und Desinteresse an ihrer beruflichen Leistung als deprimierend. Vielen Menschen fühlen sich nicht nur als nicht anerkannt, sondern sie sind es auch. Die Erkenntnis und der einmal ausgesprochene Satz: „Ich verstehe Euch“, könnte eine Veränderung einleiten, die wieder die Wahrnehmung des Menschen in der Gesellschaft, bei der Arbeit, in der Familie und bei sich selbst im Fokus hat. Der Wert des Menschen in der Gesellschaft kann nicht durch Konsum erkauft werden, sondern nur durch sinnvolle Angebote zum wertschöpfenden Handeln.

Dies wurde schon sehr deutlich in der unerwarteten Bereitschaft vieler Mitbürger, sich bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise einzubringen, aufopfernd Hand mit anzulegen, um die Probleme zu meistern und sich zu freuen an dem dadurch erreichten Erfolg. Auch die von mir benannten frustrierten Menschen verfügen über gleiche Qualitäten, wurden aber nicht mit Möglichkeiten angesprochen, die es ihnen wieder leicht gemacht hätten, einen Gemeinsinn in ihrer Existenz zu entdecken.

Diese Menschen einzuladen, mitzumachen an gemeinsamen Projekten mag utopisch klingen, ist aber eine Chance, sie von der Sinnhaftigkeit ihres Lebens zu überzeugen. Nicht mit Einschränkungen oder Verboten, Reglementierungen und Vorschriften ist hier weiterzukommen, sondern mit der Offenheit, Freiräume für ein Tätigkeitwerden dieser Menschen zu öffnen. Der Aufruf zum Mitmachen allein reicht nicht, sondern das positive Handeln muss belohnt werden.

Es muss Spaß machen, sich zu engagieren. Das Maß des Engagements muss sichtbar werden und wieder eine soziale Anerkennung erfahren, die nicht nur in Geld zu bemessen ist. Das Leben ist nicht für Geld und das Geldverdienen da, sondern das Geld ist die Transmission unseres Engagements in eine andere Sphäre, um dann wieder in eine Form der Konkretheit zurückgeführt zu werden.

Soziale Anstrengungen gelingen nur, wenn alle mitmachen, d. h. diejenigen, die sich heute noch allein mit Geld freikaufen wollen, müssen erkennen, dass diese Form der Freiheit in unserer Gesellschaft zunehmend weniger zählt. Jedem muss erklärt werden, dass es einen Platz außerhalb unserer menschlichen Gemeinschaft nicht gibt, dieser Platz aber nicht selbstverständlich ist, sondern verdient werden muss.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Digital World

Wir leben in einer bereits veränderten Welt. Begriffen haben wir dies allerdings nicht, weil sich unsere Welt noch so analog anfühlt. Unsere Welt gibt es aber nur als Projektionsfläche für eine ganz andere Entwicklung, die durch die digitalen Möglichkeiten provoziert wird. Die digitale Möglichkeit des Handelns bestimmt dann unser Denken und wird es grundlegend verändern.

Digital denken heißt hier nicht produkt- sondern prozessgesteuert zu denken und dabei auf alle Umstände zu verzichten, die diesen Prozess stören. Prozessstörend ist dabei nicht nur das Festhalten an Körperlichkeiten, sondern sind auch Gesetze, Rechtsvorschriften und Regeln, die wir spezifisch so aufgelegt haben, dass sie unsere analoge Welt ordnen.

In der digitalisierten Welt mögen sie aus opportunen Gesichtspunkten heraus noch einige Zeit geduldet werden, Überlebenschance hat allerdings unser bisheriges Regelwerk nicht mehr. Wenn wir nicht ausgegrenzt sein wollen und glauben, ein Bestimmungsrecht über unser Leben zu haben, wird es Zeit, aus digitalem Anspruch und dem Korrelat der Verpflichtung heraus ein neues soziales Netz zu stricken.

Da möglicherweise die Erkenntnis reift, dass konkrete allein warengestützte Lebensmodelle keine Überlebenschance bieten, kommen auch Angebote anderer Art in den Genuss sozialer Aufmerksamkeit. Es eröffnet sich der Markt für Philanthropie und Allmende. Der Mensch, der im digitalen Raum auf sich selbst gestellt ist, vereinsamt weniger, wenn er die unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Raums nutzt, andere Menschen solidarisch zu unterstützen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Von der Hand gesprungen

Tod, wo ist Dein Stachel, heißt es beim ersten Korinther 15, Vers 15. Tod, wo ist Dein Sieg heißt es weiter. Egal. Tod ist Ende, aus. Rien ne va plus. Stillstand. Kein Herzschlag mehr, keine Hirnaktivitäten, keine Transaktionen sind mehr möglich; alles ist vorbei, nachwirkend nur Gefühle, Gedanken von Mitmenschen und Testamente.

Das Leben ist von der Hand gesprungen, wie die Schriftstellerin Rosemarie Bronikowski meint. Alle Lebensaufregungen haben zu einem Ende gefunden, aber waren sie vergeblich? Keineswegs. Bei Psalm 90, Vers 12 steht: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wir müssen das Leben mehr vom Ende her denken, begreifen, dass die Ausbildung, die wir im Leben erfahren, wichtig dafür ist, dass wir am Schluss loslassen können.

Ein in der Selbstausbildung noch unvollendeter Mensch stirbt und hinterlässt meist eine Unordnung, die vergiftend nachwirken kann. Nicht Erbschaftsteuer und Verteilungsgerechtigkeit beim Nachlass erhält das Andenken an den Verstorbenen und den Sinn seines Lebens aufrecht, sondern seine Fähigkeit beizeiten, das Materielle von dem Immateriellen zu trennen und seinen nächsten Angehörigen und der Welt etwas zu hinterlassen, was das Leben wirklich ausmacht: Liebe, Schönheit und Demut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Leben ist schön

Der bemerkenswerte Titel des Filmes von Roberto Benigni erinnert uns daran, das Leben trotz aller widriger Umstände mutvoll anzunehmen und uns dadurch zu bewähren. Das ist schnell gesagt, aber schwer getan. Vieles stinkt uns, wir sind genervt vom Wetter, dem Verkehr oder unseren Nachbarn. Wir haben zu wenig Geld, fühlen uns krank, übergangen, überhaupt schlecht behandelt. Die Liste der Befindlichkeiten, zu denen wir fähig sind, ist kaum zu erstellen.

Die meisten Befindlichkeiten sind dabei negativ besetzt. Es geht uns schlecht und das Leben ist überhaupt nicht schön. Wenn das alles so ist, warum leben wir dann und wie leben wir? Wir leben, weil wir geboren wurden. Wir haben uns das nicht ausgesucht. Auch wenn wir heute missmutig sind, so haben sich doch in den allermeisten Fällen bei unserer Geburt unsere Eltern über uns gefreut. Wir haben uns auch gefreut zu leben und dies durch alle zutraulichen Aktivitäten bei Aufnahme der Muttermilch bis zum Nachplappern des Gehörten zum Ausdruck gebracht.

Unsere Kindheit war meist schön, es sei denn, wir wurden systematisch unterdrückt und schlecht behandelt. Was hat dazu geführt, dass wir den Glauben an das Schöne am Leben auf der Strecke lassen? Die äußeren Umstände sind dies zwar auch, vor allem aber unsere eigene Ein­stellung, die routiniert schlechte Vorkommnisse addiert, die guten aber wie selbstverständlich aussondert. Wir sind auf das Unschöne fixiert. Missmut und Kritik kommt uns leicht über die Lippen, weniger aber Anerkennung und freudvolle Zustimmung.

Damit uns das Leben aber nicht nur zeigt, was es versagen kann, ist es erforderlich, dass wir es willkommen heißen, seine Schönheit behaupten, um dann den Beweis als Belohnung für unsere Zuversicht zu erfahren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski