Grenzen sind die Einfriedung von Möglichkeiten. Innerhalb von Grenzen entwickeln sich Staaten, Gemeinschaften und der Einzelne. Die äußeren Grenzen erlauben Selbstverwirklichung in einem überschaubaren Maß. Die Einhaltung von Grenzen respektiert das Andere und gewährt Freiheit im umfriedeten Raum. Grenzen schaffen Orientierung zum Beispiel auch bei der Erziehung eines Kindes. Um sicher durchs Leben zu kommen, sollen Kinder ihre Grenzen erkennen und sich dieses Wissen einprägen. Jede Grenzüberschreitung hat Konsequenzen. Das wissen wir. Grenzüberschreitungen provozieren Kriege, eröffnen aber auch neue Perspektiven.
Gewollte Grenzüberschreitungen sind Wagnisse, die auch anderen Gelegenheit geben, ihre Grenze zu verschieben, um sich ebenfalls neue Räume zu eröffnen. Grenzüberschreitungen können auf Rückzug nach Kenntnisnahme des fremden Terrains angelegt sein oder auf Eroberungen. Das Austesten eigener Grenzen verschafft Handlungsspielräume und vertraut auf die Toleranz anderer. Sobald die völlige Entgrenzung eintritt, ist die Freiheit ebenfalls grenzenlos.
Diese Freiheit wird schwer zu ertragen sein, da sie misstrauisch bleibt gegenüber ihrem eigenen Vermögen. Die äußere Freiheit fordert die Libertinage des Gefühls und des Verstandes, die völlige Disposition sämtlicher Einschränkungen, seien diese äußerer oder innerer Natur. „Anything goes“ überfordert den Menschen nicht nur, was seine Reminiszenz an einen Ordnungsrahmen angeht, sondern verlangt von ihm ständig seine eigene Unfreiheit bzw. was davon geblieben ist, in Frage zu stellen.
Es sind dann nicht mehr die äußeren Grenzen und die gesellschaftliche Orientierung, sondern die Unfähigkeit, alles zu verwirklichen, was möglich ist. Der grenzenlose Konsum und alle anderen Lebensumstände scheitern dann nicht mehr an den objektiven Möglichkeiten, sondern an der eigenen Unfähigkeit zu handeln. Der grenzenlose Mensch wird sich seiner ichbefangenen Unfreiheit bewusst. Die Entgrenzung zerstört das die Dinge ordnende Interesse seines Bewusstseins.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski