Minderheiten beugen sich den Mehrheiten. In demokratisch verfassten Staaten bestimmen in der Regel Mehrheiten, wer wie regiert. Mehrheitlich gefasste Beschlüsse sind auch für Minderheiten bindend, so nehmen wir den politischen Raum wahr.
Wir wissen aber, dass es nicht stimmt. Bei der letzten Wahl in den USA wurde nicht Donald Trump, sondern Hillary Clinton von der Mehrheit der Wahlberechtigten in den USA gewählt. Der Unterschied von 3 Mio. Stimmen dürfte dabei schon relevant sein. Mehrheiten werden aber auch dadurch erzeugt, dass man sie in einen kreativen Prozess der Desinformation schafft oder sie selbst dann behauptet, wenn sie überhaupt keine sind.
Würden wir den Begriff der Mehrheit einer eingehenden Prüfung unterziehen, würden wir schnell feststellen, dass es keine Mehrheiten gibt, die in einen klar abgegrenzten Widerspruch zu Minderheiten stehen, sondern Mehrheiten eine Momentaufnahme darstellen und sich so nur temporär abgrenzen von Minderheiten. Die sogenannte Minderheit ist also stets potentielle Mehrheit, je nach Augenblicksbetrachtung. Hätte man in England zwei Monate später nach der Abstimmung über den Brexit erneut abstimmen lassen, wäre möglicherweise eine Mehrheit für den Brexit überhaupt nicht zustande gekommen.
So geschieht es auch mit allen Wahlen oder Beschlüssen. Sie sind rein situativ und die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen entspricht ausschließlich dem Bedürfnis, die Unsicherheit hinsichtlich der Richtigkeit einer Entscheidung nicht auf die Spitze zu treiben. Da Mehrheiten nie nachhaltig sind, haftet mehrheitlich getroffenen Entscheidungen oft etwas Unerbittliches an, um die fehlende Zustimmung der Minderheit zu kaschieren.
Statt dessen sollte die Mehrheitsentscheidung die Entscheidung der Minderheit mitbedenken, denn nur so kann sie sich gegen den verdächtigen Zufall absichern. Nur im formellen Konsens lässt die Toleranz der Minderheit eine Mehrheitsentscheidung gelten. Ist die Minderheit nicht bedacht, drängt sie auf Revision und wartet nur auf eine sich bietende Möglichkeit. So wird aus der Rivalität ein sich perpetuierender Stillstand oder Chaos geschaffen.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski