Archiv für den Monat: Oktober 2018

Projektegoismus

Täglich werden wir mit einer Fülle von Ideen konfrontiert. Start Ups, etablierte Unternehmen, Wissenschaftler, Politiker und gemeinnützige Einrichtungen buhlen um unsere Aufmerksamkeit für ihre Projekte. Die große Auswahl ist erfreulich. Je größer der Wettbewerb, umso größer ist die Möglichkeit, dass ein Projekt Zustimmung erfährt und sich durchzusetzen vermag. Ist es aber auch wirklich so?

Ich befürchte, dass ein großer Hang zum Projektegoismus besteht. Damit will ich das Interesse daran bezeichnen, das eigene Projekt durchzuboxen und dabei auf vielleicht bessere Projekte anderer nicht nur keine Rücksicht zu nehmen, sondern deren Bedeutung überhaupt zu negieren. Dafür will ich ein Beispiel geben: Vor über einem Jahrzehnt habe ich im Rahmen der von mir vertretenen Ruck – Stiftung des Aufbruchs das Projekt für „Lehrer-Lease“ eine Personalagentur für Lehrer entwickelt. Teilweise in der Presse, aber auch bei der damaligen Bundesbildungsministerin Frau Schavan fanden meine Ideen große Zustimmung.

Verwirklicht wurde dieses Projekt allerdings nie, weil jeder für die Schulbildung zuständige Minister der Länder eigene Vorstellungen dazu entwickelt, was er für richtig hält. So hatte das von mir entwickelte Modell überhaupt keine Chance, berücksichtigt zu werden, obwohl damit zielgenau geeignete Lehrer ohne großen bürokratischen Aufwand hätten in die Schulen vermittelt werden können und die Flexibilität eine bedarfsgerechte Unterrichtsgestaltung ermöglicht hätte.

Selbstverständlich wäre damit auch eine erhebliche Kostenreduzierung bei gleichzeitiger Entwicklung und Einstellung von Lehrern ermöglicht worden. Vielleicht hätten sich auch noch Gestaltungsvarianten ergeben und das Projekt sich einbauen lassen in ein erweitertes Modell. Aber, soweit konnten die Überlegungen gar nicht gedeihen, weil das Projekt eines Nichtpolitikers sich nicht als betrachtungswürdig erweist.

So verhält es sich mit einer Fülle guter Projekte und offenbart unsere Unfähigkeit, uns vorbehaltlos und neugierig mit den Projekten anderer zu beschäftigen, diese zu begleiten, zu fördern oder auch weiter zu entwickeln. Denn auch dies erscheint mir wichtig. Der Spiritus Rector eines entwickelten Projektes sollte willentlich das von ihm entwickelte Projekt anderen anbieten mit der Bitte und Aufforderung, doch das ihre hinzuzufügen und somit dem Projekt noch mehr Geltung zu verschaffen.

Stattdessen ist meist Projektegoismus, Abschottung und fehlende Einsichtsfähigkeit in verbesserungsfähige Errungenschaften zu verzeichnen. Ein kooperatives künftiges Verhalten kann eine Tür zu noch mehr sinnstiftenden Möglichkeiten öffnen. Gehen wir also durch diese Tür der Wahrnehmungsbereitschaft und Kooperation.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Theorie und Praxis

Noetik ist die Theorie der Denktätigkeit. Theletik ist die Lehre vom Willen zu Handeln. Pragma ist die Anschauung des tatsächlichen Tuns. Kopfloses Handeln bringt uns nicht weiter, deshalb ist das Denken unumgänglich für sinnvolles Tun. Aber auch Denken, das keine Handlungsoption hat, erschöpft sich im Konjunktiv, könnte, sollte und wäre gut.

Um der Gefahr von zusammenhangslosen Parallelitäten zwischen Denken und Handeln zu begegnen, muss eine verlässliche Verbindung geschaffen werden, und zwar der auf der Theletik beruhende Wille zum Handeln. Diese Lehre greift nicht ein, sondern zeigt die Strukturen des Handelns auf, ermöglicht Plattformen und vergewissert sich sämtlicher Argumente, die für oder gegen das Handeln in der konkreten Form sprechen.

Erstaunlich, wie unüberlegt viele doch handeln, also ohne die Konsequenzen zu bedenken. Erstaunlich auch, wie wenig vom Wahrnehmen und Denken umgesetzt wird. Ich vermute, dass die Defizite gerade dieses fehlende Scharnier zwischen Denken und Handeln in unserer Zeit ausmachen.

Tu doch was, mach doch was, irgendwas. Dieser Slogan unserer Studentenzeit kann uns nicht mehr freuen. Aber auch zu erkennen, dass vieles in unserer Gesellschaft schiefläuft und dennoch nichts zu tun, macht unsere Agonie gleichermaßen deutlich. Nein, sicher, es gibt kein Patentrezept, aber Menschen haben in Ausnahmesituationen stets gezeigt, zu welchen Heldentaten sie fähig sind. Ist es nun nicht wieder an der Zeit, dass Menschen sich auf diese Fähigkeiten besinnen und durch Vorbild, Integrität, Reflexion, Empathie und Können gerade diesen Weg beschreiten, um nicht nur Proteste loszuwerden, sondern tätig einzugreifen, gemeinsam mit anderen Missstände zu beseitigen, um den Lebenserfolg zu sehen, ggf. auch zu genießen.

Dass dies möglich ist, zeigte nicht nur Nelson Mandela, Pablo Neruda oder Mahatma Gandhi. In jedem Menschen stecken Fähigkeiten, die er in diesem einzigartigen Leben nicht nur für sich, sondern auch für andere, unsere Gesellschaft und die Welt nutzen kann. Er kann und sollte sie auch dafür nutzen, alle diejenigen zu beeindrucken, die versuchen durch Verunglimpfung, Einschüchterung, Verhöhnung und Falschinformation selbstverständliche Mitmenschlichkeit in Frage zu stellen. Wir haben sehr viel nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und die ganze Gesellschaft zu verlieren, wenn wir nicht überlegt und planvoll handeln.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Michael Göring – „Hotel Dellbrück“

Nach „Der Seiltänzer“, „Vor der Wand“ und „Spiegelberg“ hat uns nun der erzählende Schriftsteller Michael Göring „Hotel Dellbrück“ zur Lektüre vorgelegt. Bevor ich aus diesem Werk vertiefend berichte, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wie in den bisherigen Romanen des Autors scheinen auch hier Biografien auf, die sowohl mit ihm als auch mit uns zu tun haben können. Nicht von ungefähr gibt es von ihm diese Aussage: „Wer liest, verreist – und die spannendste Reise führt am Ende zu einem selbst.“

So ist Hotel Dellbrück ein Reiseroman, der bereits vor 1938 erzählerisch Fahrt aufnimmt und auch am 18.06.2018 nicht endet. Eine zentrale Station des Ankommens, des Wartens, der Begegnung, des Rückkehrens, des Verweilens, des Schutzes und des Erinnerns ist dabei das Hotel Dellbrück in Lippstadt.

Sigmund und sein Sohn Frido haben diesen Begegnungsort als Mitgift für ihre Leben erhalten. Die Kraftspender für diese Lebensgaben sind Tono, der Hotelbesitzer, und seine Familie, die für das fremde jüdische Kind Sigmund ihrer Kaltmamsell sorgen und angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung nach England in eine Gastfamilie vermitteln. Sigmund wird dort gut aufgenommen, glänzend ausgebildet und nimmt an einem fast normalen Jugendleben teil. Doch bei den ersten erotischen Tastversuchen, religiöser Selbstbefragung und Klärung der nationalen Identität muss Sigmund erleben und bedenken, dass er sowohl Jude als auch Deutscher in seinem Gastland ist. Nach Ende des Krieges trifft er die Entscheidung, nach Lippstadt ins Hotel Dellbrück zurückzukehren und sich mit Tono´s Tochter zu vermählen. Von deren gemeinsamen Kindern lernen wir Frido näher kennen, begleiten diesen auf seinen Lebensreisen nach Indien und Australien, kommen dann wieder mit ihm zurück nach Lippstadt ins Hotel Dellbrück, wo er schließlich auf einen durchreisenden Flüchtling trifft. So arbeitet der Autor an unserer Einsicht, dass wir immer Reisende, immer unterwegs in der Welt und in unserem Leben sind.

Die besondere Herausforderung dieses Werkes liegt für mich in der Möglichkeit des Lesers, sich mit den Nöten, Zweifeln und Schwierigkeiten von Menschen unterschiedlicher Wurzeln und Lebensbedingungen zu beschäftigen, teilzunehmen an deren Mühen um Existenzsicherung, dabei aber auch immer das eigene Leben zu entdecken, Erinnerungen aufzufrischen, Urteile zu revidieren und sich einzulassen auf bisher Ungewohntes, Fremdes. Von Seite zu Seite kann so die Neugierde auf Denk- und Empfindungsangebote wachsen, der Wille, sich mit Fragen der Judenverfolgung, der Religion, der Ästhetik, der Kunst, der Heimat, der Lebensanschauung, der Natur, des Verweilens und des Fremden auseinanderzusetzen. Wie bei einem Kaleidoskop genügt ein kurzer Dreh des Sehrohrs, um das Bekannte aus einem anderen Blinkwinkel wahrzunehmen.

Weil der Autor ein Erzähler ist, lesen sich die 417 Seiten seines Romans flüssig. Die Sprache des Autors ist gegenwärtig, eine Sprache der Präzision, die Bilder ohne Pomp entstehen lässt, Bilder vom Kommen und Gehen von gewaltiger Natur, von Zerstörung, Armut, Verwüstung, religiöser Erweckung, Einsamkeit und Hoffnung.

Dieses Werk ist gelungen. Ich kann es empfehlen, weil es mich überzeugt hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Herrschaftszeiten

Ich sollte es mir ersparen, alles aufzuzählen, was der Welt in unserer Zeit zugemutet wird. Es sind jedenfalls viele involviert, uns den Garaus zu machen. Dabei geht es nicht nur um Politiker, Medienschaffende und Wissenschaftler, Urlauber und Handynutzer, keiner bleibt verschont, ich auch nicht.

Wir leben in Deutschland wie die Maden im Speck und finden das auch richtig. So soll es bleiben, Speckleben ist in Deutschland Menschenrecht. Keiner ist hier zur Umverteilung verpflichtet, keiner ist bereit, dort zu helfen, wo wirkliche Not ist, es sei denn, er hat etwas ganz Einfaches begriffen: Unser Speckleben in Deutschland ist purer Zufall.

So wenig es einen Anspruch auf Leben gibt, gibt es auch keinen Anspruch auf Speck. Neben umfangreichen theologischen Vorbehalten, ist unser Leben letztlich eine den Menschen überraschende Naturgabe, die uns auffordert, sie zu würdigen und gemeinsam mit anderen Menschen zu erhalten. Es geht dabei nicht um Geld, sondern es geht darum, das angenommene Leben zu gestalten. Es geht nicht um Fettlebe, sondern um Tun. Es geht nicht um Rechthaberei, sondern um Lernfähigkeit. Es geht auch nicht um Schönfärberei, sondern um Realitätssinn. Es geht also nicht um Dekor, sondern um Inhalt.

Sicher, die Neider, Gierhälse, Verächter und Anspruchsteller haben immer recht, denn sie sind ja so viele. Aber, hätten sie recht, wenn sie nicht schon im Speck leben würden? Könnte es sein, dass sie sich einfach weigern, ihre eigenen Potentiale zu entwickeln? Der tätige Mensch erwartet nicht, dass andere für ihn tätig werden, sondern ist Selbstgestalter. Da das Leben eine wunderbare Veranstaltung für jeden Menschen ist, kann gemeinsam das Werk gelingen, wenn – anstatt zu jammern – jeder anpackt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zitate

Ohne Bezüglichkeit oder Rückbezüglichkeit auf andere Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten scheint es kaum möglich zu sein, eine eigene Meinung zu vertreten. Meist wird ein Beitrag, ob dieser fachspezifisch, politisch oder medial ist, mit einem mächtigen Zitat eingeleitet und oft sind eigene Beiträge des Autors kaum noch zu erkennen unter dem Gewimmel fremder Gedanken. Warum ist das so?

Es ist daran zu denken, dass fremde Gedanken Denker dazu ermutigen, selbst einen Gedanken zu fassen. Zitate verleihen Beiträgen gleich welcher Art, ob diese wissenschaftlich oder literarisch sind, ein Signum der Authentizität. Wenn Andere das schon gesagt haben, kann ich dies auch sagen.

Möglicherweise soll das Zitat aber auf die Gelehrsamkeit des Autors selbst hinweisen, auf seinen Fundus an Gedanken oder seine Virtuosität im Umgang mit Wikipedia. Jedenfalls schaffen Zitate und Verweise auf andere Urheber ein dichtes Gewebe von Glaubwürdigkeit, das Angriffe von Neidern oder Besserwisser zu erschweren vermag. Da Zitate meist herausgerissene Feststellungen Dritter sind, oft in ganz anderem Kontext standen, als der eigene Beitrag, mögen sie den Autor nur kurz beschäftigen, bevor er sich an deren Glättung und die Einordnung in seine eigene Gedankenwelt macht. Die Zitate müssen sich fügen.

Und doch wäre die ganze Anstrengung umsonst, wenn es für alles nicht auch Konsumenten gäbe. Wie wirken nun Zitate auf die Konsumenten? Sie verleihen dem Autor, der sie in seine Beiträge eingefügt hat, Glaubwürdigkeit. Es kann nicht falsch sein, jemandem zu glauben, der sich auf andere berufen, sich mit deren Gedanken messen oder deren vorauseilende Zustimmung erfahren kann. Zudem vermitteln Zitate Bildung, Gelehrsamkeit und eine Übersicht, die dem Empfänger meist nicht gegeben ist. Er soll nicht alles verstehen, er soll aber bewundern, oszillieren zwischen den Gedanken des Autors selbst und den Zitaten und dabei die ganze Wucht des Beitrags erfahren. Er kann dem durch Zitate abgesicherten Beitrag vertrauen und selbst etwas abgekommen vom Glanz eines mächtigen durch Zitate geadelten Beitrags.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski