Archiv für den Monat: November 2018

Beifang

Moderne Medien brüsten sich damit, dass sie Dank Digitalisierung und Algorithmen in der Lage seien, individuell auf die Wünsche der Konsumenten einzugehen. Dabei geht es in den Printmedien um die von den Kunden nachgefragten Informationen aus Politik, Wirtschaft, Kul­tur und Technik. Was Printmedien als verbraucherfreundliche Zukunft beschreiben, gilt natürlich auch für das interaktive Fernsehen und alle Projekte des Internets.

Der Kunde ist König. Er kann wählen und aus dem vielfältigen Angebot aussuchen, was er will, wenn er nicht selbst Ansprüche stellt und fordert, wonach ihm verlangt.  Das können Kriminal- oder Liebesfilme sein, Berichte über Intrigen, Folter, Vertreibung und Verschleppung oder auch Schnulzen, Traumfahrten und schöne Landschaften. Hass und Liebe, Wut und Sanftmut, alles liegt nur einen Knopfdruck voneinander entfernt.

Nach etwas Eingewöhnung weiß das digitale Medium selbst, was der Konsument beansprucht, sei es an Informationen, Waren oder Dienstleistungen. Eigentlich alles wunderbar, genauso, wie es vorgesehen ist. Wir hören, sehen und lesen, was wir wollen. Wo ist der Haken? Das Problem ist, dass wir selbst nur noch das aussuchen, was in unsere Welt passt, wobei allmählich die Algorithmen die Kontrolle übernehmen, weil sie gespeichert haben, was wir wollen. Schließlich befinden wir uns in einem medialen Kokon, der undurchdringlich für Informationen ist, die wir sonst beim Durchblättern einer Zeitung, beim Zappen durch Fernsehsender oder Radiohören noch nebenbei mitgenommen haben.

Es erreicht uns nur noch das, was zu unserem Gefallen individualisiert wurde. Mangels Spiegelung mit anderen Meinungen oder Eindrücken, müssen wir glauben, dass das, was uns erreicht, der Wahrheit entspricht. Wir sind verwundert, entrüstet und ggf. sogar aggressiv, wenn wir feststellen, dass unsere Wahrheit keine Allgemeinverbindlichkeit haben soll. Unsere Welt hat mit den Welten anderer Menschen nichts mehr zu tun. Fremde Räume bleiben uns verschlossen, auch im Vorübergehen erhaschen wir keinen Blick in diese Räume. Wir sind aber darauf angewiesen, dass unsere Räume sich wieder weiten.

Das wird dauern, erleben wir doch in den Vereinigten Staaten von Amerika gerade das Gegenteil. Ein Präsident, ein Fernsehsender, eine Anhängerschaft und eine Botschaft. Sie lautete: Ich.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

 

Gedankenwechsel

Meist mit Anglizismen wird in letzter Zeit ein Vorhaben beschrieben, das mit „Mind Change“ und dem Prozess des Changemanagements zu tun haben soll. Damit wird die Erwartung verbunden, dass dann, wenn überhaupt irgendein Wechsel vom bisherigen Denken weg vollzogen sein sollte, sich irgendwelche Probleme lösen ließen. Diese Probleme sind etwa: Klimaveränderungen, Verdichtung der Städte, Vertreibung und Flucht, Alterung der Gesellschaft und Überbevölkerung, um nur ein paar Felder zu nennen.

Dass es Probleme im Großen und Kleinen gibt, um die wir uns kümmern müssen, dürfte jedem klar sein. Das war schon immer so. Nicht ganz klar nachvollziehbar ist mir allerdings die Feststellung, dass die bisherigen Methoden des Denkens und Argumentierens keine Lösungen mehr bieten würden, vielmehr ein „Change of Mind“ erforderlich sei. Darunter mag man disruptive Prozesse verstehen, „Design Thinking“ und was immer da noch angeboten wird.

Ich will das überhaupt nicht herabwürdigen, denn alles, was geeignet sein sollte, Probleme zu lösen, ist hoch willkommen. Aber ist es nicht so, dass wir schon immer ein Problem betrachten, dieses von allen Seiten her einhegen und unter unsere Möglichkeiten subsummieren, um es so zu lösen? Eine Art Relationstechnik, der sich die Lösung jeglichen Problems zu stellen hat. Der Bestandsaufnahme des Problems eröffnet sich die Vielfältigkeit der Betrachtungen aus unterschiedlichsten Perspektiven, die zum Denken in Sinnzusammenhängen veranlassen und durch Anreicherungen mit vielerlei Wissen Lösungen andeuten, die im wahrsten Sinne des Wortes überschlafen werden müssten. Problemlösung ist ein Prozess.

Problemlösung ist auf Zeit angelegt, weil unser Problembewusstsein selbst dann an diesem arbeitet, wenn wir uns dessen zumindest momentan gar nicht bewusst sind. Dies gilt individuell, wie auch kollektiv. Nicht auf hektisches „Mind Change“, sondern nur auf unsere Fähigkeiten, Probleme zu meistern, ist Verlass. Ist es uns gelungen, ein Problem gemeinsam zu erkennen, es in seiner Vielfältigkeit zu beschreiben und eine Lösung aufzuzeigen, steht der Beseitigung dieses Problems schon deshalb nichts mehr im Wege, weil wir nicht von der Beseitigung des Problems, sondern von dessen Erkennen her unseren Weg zur Lösung genommen haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Strickliesel

Wir erinnern uns doch sicher alle noch an die Strickliesel, oder? Dieses wunderbare Holzspielzeug mit den am „Kopf“ eingeschlagenen Ösen und innen hohl, damit der Flechtzopf endlos durchquellen kann. Mit den Fingern umspannten wir verschiedene Wollfäden, die abwechselnd übereinandergelegt und mit einer Häkelnadel verbunden wurden. Nenne wir dies also das Stricklieselprinzip, welches mir optisch und gebrauchserfahren als Vorlagen anderer Möglichkeiten des Gebrauchs dienen soll.

Nun also: Wir haben eine Welt und ein gesamtmenschliches Anliegen, dass das Leben auf diesem Planeten nicht enden möge. Um unseren gemeinsamen Lebensstrang immer wieder zu verlängern, benötigen wir nicht einen, sondern mehrere Fäden, die es kunstvoll zu verschlingen gilt, mittels unserer Plattformen, Dienstleister und sonstigen Einrichtungen seien diese weltlicher, kultureller, soziologischer, spiritueller oder naturwissenschaftlicher Natur.

Jeder Faden hat eine Bedeutung. Fällt eine Masche, müssen wir diese wiederaufnehmen und zurückführen in den Verbund mit den anderen. Weder von der Struktur, noch der Farbe, noch der Konsistenz her ist jeder Faden gleich, aber wir sind dank unserer Fähigkeit, alle Unterschiede zu bündeln, in der Lage, selbst Gegensätze so zu verarbeiten, dass der werdende Zopf belastbar ist.

Die Strickliesel ist zweifellos ein Symbol der Gemeinsamkeit und nicht des Trennenden, der Versicherung, dass Vielfältigkeit und sogar Gegensätzlichkeit geeint und in einem Ziel zusammengeführt werden kann, dem gemeinsamen Ergebnis. Das klingt kindlich, das klingt vielleicht sogar bieder und lustig. Es ist aber ernst gemeint. Wir müssen uns zumindest von Zeit zu Zeit des gemeinsamen Ziels versichern und uns auf den Prozess der Gestaltung einlassen.

Dazu sind wir in der Lage. Unsere Gegensätzlichkeit könne dann dabei befruchtend wirken. Wenn wir nicht ständig den Gegner im Auge haben und uns nicht ständig in Nebensächlichkeiten verlieren, nicht blind sind gegenüber den uns bietenden Möglichkeiten, sondern uns beharrlich um Lösungen bemühen, dann schaffen wir das im Kleinen, wie im Großen, in der Familie, in unserem Staat und auf unserem Planeten. Alles fügt sich. Also, ich häkele frohgemut weiter. Wer macht mit?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vokabular

Zur vokabularen Grundausstattung der Politik gehören Begriffe wie abgehängt, gerecht und künftig. Politiker haben immer vor, künftig die Welt gerechter zu gestalten und vor allem die Stimmen der Abgehängten zumindest künftig wieder deutlicher zu vernehmen. Dass das alles ein verlogenes Geschwätz ist, wissen wir längst. Wir lassen uns davon auch nicht mehr beeindrucken, selbst dann nicht, wenn Politiker mantraartig immer wieder ihr gleiches Vokabular aufsagen.

Dabei ist es aber nicht so, dass die Wirkung der Worte nicht wahrgenommen wird, aber anders, als die Politiker wohl glauben oder meinen. Denn diese Worte schaffen kein Vertrauen in die Politik, sondern geben lediglich denen Steilvorlagen, die beruflich darauf angewiesen sind, dass Politiker derartigen Unsinn schwatzen. Das sind die Medienvertreter.

Je waghalsiger der Gebrauch des Vokabulars durch die Politiker erfolgt, desto freudiger greifen im öffentlichen Raum Professionelle und Hobbyvervielfältiger die Schlagworte auf, um sie per Twitter, Blog oder sonst wie flächendeckend zu verbreiten. Dabei genügt diese Verbreitung einem Selbstzweck, also dem, dass die Verbreiter sich selbst Gehör verschaffen, öffentlich Aufmerksamkeit erheischen und die diebische Freude beim möglichen verbalen Durcheinander empfinden. Das wird auch nicht aufhören, dessen bin ich mir ganz sicher.

Aber, welche Freude mögen Menschen dabei spüren, Fakten ignorierend zu urteilen, Aufruhr zu verursachen und Hass zu verbreiten? Ist es Kalkül, ist es Langeweile, ist es der Versuch, ein noch unbekanntes Echo wahrzunehmen? Vielleicht ist der Grund nicht monokausal und entspringt dem Lebensprinzip, die Latte zumindest für andere immer etwas höher zu legen, zu sehen, ob die Anderen es noch schaffen, die Latte zu queren oder lieber aufgeben.

Waren es früher einige Sklaven, die im „Circus Maximus“ in Rom um ihr Leben kämpften und im Falle des Erfolgs gefeiert wurden, sperren uns heute wechselnde Mehrheiten oder Minderheiten in einen virtuellen Zirkus und traktieren uns so lange mit ihren Tiraden, bis wir erschöpft aufgeben oder sie zumindest einen verbalen Etappenerfolg erringen. Dann können sie sich des temporären Jubelerfolgs erfreuen, aus welcher fragwürdigen Richtung er auch kommen mag.

Die noch Jubelnden wissen aber ganz genau, dass das vergiftete Vokabular des Politikers und seiner Anhänger kaum einem Faktencheck standhalten würde und schon morgen alles ganz anders sein kann. Die Fakten haben sich nicht verändert, aber der Wind hat sich gedreht. Was sollten wir daraus lernen? Vielleicht Gelassenheit, Selbstmäßigung und Misstrauen gegen übermächtige Vokabeln im öffentlichen Raum.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski