Archiv für den Monat: November 2020

Hass

Viele Menschen haben ihn inzwischen schon zu spüren bekommen und noch mehr Menschen haben über die Medien ausufernden Hass wahrgenommen. Hass tritt aber nicht nur verbal und schriftlich in Erscheinung, sondern auch tätlich durch Attacken in unterschiedlichster Form, permanenter Belästigung, Stalking, Körperverletzung, bis hin zum Mord.

Als Vorwand für Hass dienen den Tätern Religion, Geschlecht, Volkszughörigkeit, Nachbarschaft, Unterschiede in der Pigmentierung der Haut, soziale Benachteiligung, politische Einstellung und zusammenfassend ausgedrückt: das Anderssein. Dabei unterscheidet sich jeder Mensch von dem anderen, sei es durch Herkunft, Bildung, Aussehen, Gene und viele weitere Faktoren mehr. Das bedeutet aber wiederum, dass jeder Umstand, den der Hassende definiert, ihn nach seiner Auffassung auch zum Hass ermächtigt.

Der Hassende rechtfertigt also seinen Hass mit Maximen, die er selbst schafft, indem er dessen Voraussetzungen sich selbst erklärt oder praktischerweise den Hass anderer kopiert und diesen zu seinem eigenen macht. Vorlagen dazu gibt es in allen Lebensbereichen. Es sind nicht nur auf Internetplattformen Agitatoren am Werk, die ohne Unterlass Hassvorlagen für Nutzer ausarbeiten und liefern. Das ist ein gutes Geschäft, insbesondere dann, wenn es sich im Darknet vollzieht.

Es ist aber auch politisch opportun, denn mit Hass lassen sich Dank der Zuverlässigkeit von Hassenden vorteilhafte Prozesse für die Provider generieren. Hinzukommt, dass die Hassprovider selbst sich kaum mit den Folgen ihrer Taten beschäftigen müssen, sondern es allein Sache der Hassenden und ihrer Opfer ist, sich mit diesem und seinen Folgen zu befassen.

Von Vorteil ist die Anonymität der Anstifter im Netz, aber selbst dann, wenn sie aufgedeckt wird, bleiben die Verantwortlichen verschont. Dies gilt im Übrigen meist für alle Anstifter. Es ist ihnen schwerer als den Tätern ihren Beitrag zum Hass und seine Folgen nachzuweisen und sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen. So klappt diese Hassmaschinerie wunderbar, insbesondere auch deshalb, weil die Hassenden keine Abgrenzung zwischen ihrer Person und ihrer Instrumentalisierung zum Hass durch die Anstifter ziehen können. Sie glauben vielmehr, dass der Hass mit ihnen zu tun habe, ihr alleiniges Werk sei. Das ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Rutger Bregman schreibt in seinem Bestseller „Im Grunde gut“ eindringlich, aber auch für mich zunächst verwunderlich, dass der Mensch eigentlich keine Bestie und folglich auch Hass keine immanent menschliche Eigenschaft sei.

Ich schließe daraus, dass Hass dort stattfindet, wo Menschen vermittelt wird, dass ihr Hass gut und nützlich nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Gesellschaft, die Religion, ein Volk, die Tiere oder jedwede andere Gemeinschaft sei. Der Hassende glaubt also, er tue etwas Gutes, wenn er hasst. Aber gleichwohl spürt er, dass etwas nicht stimmt und versucht, sich selbst diesen Stachel zu ziehen, indem er noch hartnäckiger auf die Rechtfertigung seiner Verhaltensweise pocht und das Opfer beschuldigt. Der Mensch ist fähig, dies zu erkennen und sich davon zu verabschieden, wenn er sich seiner Einzigartigkeit und seiner Verantwortung bewusst wird, indem er seine Manipulation erkennt.

Es wäre daher notwendig, die Ursachen des Hasses aufzudecken, anstatt nur die Phänomene zu erklären. Es wäre wichtig, Hass gesellschaftlich zu reflektieren und als einen Bildungsinhalt bereits Kindern und Schülern als Herausforderung nahezubringen, die es zu überwinden gilt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wozu?

Die öffentlichen Medien und vor allem das Internet sorgen für eine Unübersichtlichkeit von Wissen und Meinungen, die kaum ein Mensch mehr zu entwirren in der Lage sein dürfte. Um Übersicht zu gewinnen und zu erhalten, benötigt der Mensch Fakten, eine Möglichkeit, diese einzuordnen und sich so ein persönliches System der Verlässlichkeit zu schaffen.

Um zu einer sicheren Einschätzung zu gelangen, ist Selbstvertrauen nötig, welches ausschließlich strukturiert zu nutzen ist. Wie soll dies aber angesichts von TikTok, Instagram, WhatsApp und anderen digitalen Flipperspielen vom Menschen erwartet werden können?

Diese Formate befeuern in Minuten-, oft sogar nur in Sekundentakten Menschen, die sogenannten „User“, mit irgendwelchen verbalen oder bildlichen Informationen, die zwar Emotionen zu beeinflussen in der Lage sind, aber ihrer Frequenz und Beliebigkeit geschuldet, keinen Erkenntnisprozesse in Gang setzen, die dem Menschen erlauben, Ereignisse systemisch bei sich selbst rückzuversichern. Wenn dies kritisch zu betrachten ist, wie ich dies hier mache, warum geschieht es dann doch und wozu soll es führen? Stellt es möglicherweise eine gewünschte Entlastung des Menschen vor eigenen Erkenntnissen dar?

Wird stattdessen ein beruhigendes Format für Einschätzungen jenseits der individuellen und menschlichen Verarbeitung geschaffen, die eine gesellschaftliche Allgemeinverbindlichkeit hervorbringt, das soziale Miteinander stärkt und es jedem Nutzer der digitalen Angebote erlaubt, seine eigene Meinung durch diese Rückvergewisserung mit anderen Menschen emotional aufzuladen und sich dabei wohl zu fühlen? Was bedeutet es, wenn wir Menschen konsequent dank der medialen Befeuerung vom eigenen Denken und Empfinden entlastet werden?

Sicher wird dies zunächst als Fortschritt wahrgenommen, da jede Errungenschaft die Singularität des menschlichen Seins bestätigt. Was geschieht aber dann, wenn die menschlichen Fähigkeiten des Abwägens, des Einschätzens und des Widerspruchs dabei verkümmern und wir uns den Formaten ergeben haben?

Das Menschheitsrätsel haben Philosophen, Vertreter von Religion und Wissenschaftler sich stets gestellt und zu lüften versucht. Das Rätsel wird unlösbar sein, was wiederum die Chance bietet, darauf zu vertrauen, dass weitere Kräfte darauf wirken, die Kapitulation vor der medialen Kakophonie zu verhindern. Es wird wieder die Frage nach der Zufriedenheit des Menschen mit seiner Existenz, seinem Staunen und seinen Fähigkeiten und natürlich auch seiner Genügsamkeit gestellt werden. Denn wozu soll der Mensch denn zu etwas Anderem werden, als das, was er ist?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski