Archiv für den Monat: Dezember 2020

Kontaktbereichsbeamter

Wer erinnert sich nicht gern, zuweilen auch etwas wehmütig, an unsere Kontaktbereichsbeamten. Sie hatten ihr Revier, welches sie Tag für Tag abliefen, oft stehen blieben, in Ruhe Straßen, Höfe und Häuserfronten musterten, dabei nicht abgeneigt waren, Passanten Auskunft zu geben oder mit interessierten Bürgern zu sprechen. Es gab emotionale, sogar herzliche Begegnungen. Die Kontaktbereichsbeamten waren den Menschen täglich gegenwärtig. Dann fehlten sie eines Tages plötzlich. Ausgemustert. Sie wurden als überflüssig angesehen, als gestrig und sie wurden mit Spitzeln, Blockwarten und mit einer Art Hausmeister verglichen.

Da sie keine spezifischen Aufgaben hatten, wie zum Beispiel falsch parkende Autos aufzuschreiben, Delikte aufzuklären oder den Verkehr zu regeln, schienen sie sich als überflüssig, zudem kostenträchtig und damit nutzlos zu erweisen. Weit gefehlt. Aus meiner Sicht erfüllten sie die wichtigste Funktion auf der Straße, die eine Gemeinde und ein Staat leisten kann: Sie schafften Vertrauen. Sie schafften Vertrauen, nicht gegenüber einer imaginären Obrigkeit, sondern unter den Bürgern selbst. Ein solches Vertrauen gewährleistet keine Präsenz von Polizeibeamten in geschlossenen Fahrzeugen, die vielleicht zwei Mal am Tage, in einer Straße patrouillieren.

Sie können so nur das Offensichtliche wahrnehmen, erfahren aber nichts über ihren kurzen visuellen Eindruck hinaus. Mit dem Schwinden des Kontaktes zwischen Polizeibeamten und Bürgern werden auch Konflikte geschaffen, weil man sie persönlich nicht mehr kennt. Aufgrund der mangelnden Erfahrung und des fehlenden persönlichen Umgangs ist es mehr als verständlich – so bedauerlich dies auch ist – dass Polizeibeamten zunehmend nur noch in ihrer obrigkeitsstaatlichen Funktion wahrgenommen werden.

Dadurch schwinden Hemmungen sich mit ihnen als Gegner auseinanderzusetzen. Auch ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den letzten Jahren jemals bewusst mit einem Polizeibeamten ein Wort gewechselt hätte. Selbst die vielen Polizeibeamten, die vor öffentlichen und sonstigen gefährdeten Einrichtungen stehen, sind in das Geschehen außerhalb ihres Auftrages kaum eingebunden. Sie sind Statisten im Bereich öffentlicher Wahrnehmung.

Ich gehe allerdings davon aus, dass gerade im Interesse einer Konfliktvermeidung nicht nur die Bürger, sondern auch die Polizeibeamten ein größeres Interesse daran haben könnten, einander näher zu sein, mehr voneinander zu erfahren und sich gut miteinander aufgehoben zu wissen. Fazit: Ich plädiere für eine Wiederbelebung der segensreichen Tätigkeit der Kontaktbereichsbeamten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Partizipation

Im Zuge der Inhaltsfindung für den künftigen Sinn des Humboldt Forums im Berliner Schloss schlug ich vor, dieses zu einer Begegnungsstätte der Bürger auszugestalten, mit dem Ziel, einer in größerer Runde aktuelle Themen zu behandeln, dabei auch Vorschläge für unser Zusammenleben zu erarbeiten und diese dann in einer Art Contrat Social zu verabschieden. Ich stieß auf Zustimmung, unter anderem durch den früheren Umweltminister und Afrika-Beauftragten Klaus Töpfer, aber auch auf Skepsis und Ablehnung aus der Kultur- und Stadtpolitik. Die Ablehnung war leicht durchschaubar.

Man wollte das Humboldt-Forum künftig zu Museumszwecken nutzen und wollte darin auch ein partizipatives, weil aufklärerisches Moment sehen. Der Museumsbesucher würde sich mit den Kulturen der Welt auf eindringlichste Art und Weise durch den Besuch von Ausstellungen, Gesprächen und sonstigen Veranstaltungen auseinandersetzen.

Dass dies sehr begrüßenswert ist, will ich überhaupt nicht in Frage stellen. Diese Argumentation verkennt allerdings völlig die Notwendigkeit, dass zur Sicherung unserer Kultur und unserer Demokratie eine Bürgerbeteiligung außerhalb der Wahlen unabdingbar ist. Wir sehen leidvoll, dass Themen, wie Migration, Heimat, städtische Prioritäten, kulturelle Anliegen, Klimaschutz, Gesundheit und digitale Vernetzung fast ausschließlich in Fachkreisen und in politischen Gremien diskutiert werden, aber nicht in Bürgerformaten, wie zum Beispiel Bürgerparlamenten oder Bürgerversammlungen, in denen durch Selbstermächtigung auch diejenigen Bürger zu Wort kommen, deren Rechte meist nur hypothetisch bestehen oder sich in Fragerechten erschöpfen. Meinungsumfragen können zudem die Möglichkeiten wirklicher Bürgerbeteiligungen nicht ersetzen.

Man muss diesen Partizipationsmodellen noch nicht einmal normative Kraft beiordnen, um die Legitimität der daraus gewonnenen Ergebnisse anzuerkennen. Ich nehme wahr, dass mangels geeigneter Alternative sich solche Bürgerforen leider auf die Straße verlagern und als abschreckende Beispiele für bürgerliche Partizipation herhalten müssen. Aber gerade darin, dass dies geschieht, liegt das vorstehend von mir beschriebene Versäumnis unserer Gesellschaft.

Die Menschen wollen ihren Gedanken einen Ausdruck geben und finden dafür keinen anderen Ort mehr, als die Straße. Die Straße ist indes völlig ungeeignet ein Bürgerforum zu bieten. Ein kontinuierlicher Prozess der Gestaltung findet dort nicht statt, sondern das eigentlich Beredenswerte erschöpft sich in Demonstrationen und emotional vorgetragener Meinungen, die medial aufgeheizt die Politiker zum Handeln zwingen sollen. Diese reagieren mit Betroffenheit, gelegentlich Verständnis für diese Meinungen und schließlich bei einem Übermaß an Wahrnehmung vermeintlicher Rechte mit Gewalt.

So kann aber Partizipation nicht gelingen, weder in einer Meinungsdiktatur, noch in politischer Besserwisserei. Zudem besteht die Gefahr, die wir durchaus erkennen, dass Aufwiegler, Spinner und Opportunisten sämtlicher Couleur dieses Defizit ausnutzen, um Klientel für Zwecke zu mobilisieren, die überhaupt nichts mit konstruktiver und verantwortungsbewusster Partizipation zu tun haben.

Das Schloss und dabei das Humboldt-Forum auf dem Gelände des abgerissenen Palastes der Republik wäre ein idealer Ort gewesen und könnte es vielleicht in der Zukunft doch noch sein, Bürgerbeteiligungen zu ermöglichen, die weitläufig in unserer Welt schon in Städten und Landkommunen funktioniert haben. Die menschliche Gemeinschaft und dies nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich ist unverzichtbar dafür, dass wir die Welt friedfertig, fortschrittlich und lebenswert erhalten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Tradition

Unserem Zeitverständnis entsprechen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Deshalb ist es schwer, in bestimmten wesentlichen Fragen des Zusammenlebens auf unserem Planeten eine Übereinstimmung zu finden. Wenn die Zukunft eine geringe oder überhaupt keine Rolle spielt, können Klimakrisen, Naturkatastrophen, überhaupt Szenarien, mit der sich unsere Kinder und Enkelkinder auseinanderzusetzen haben, in keiner Weise aufschrecken.

Das mangelnde Verständnis für die Zukunft führt konsequent zur eingeschränkten Tätigkeit in der Gegenwart. Alle Kulturen fühlen sich zwar aufgerufen, die Gegenwart zu gestalten, aber mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Während zukunftsgewandte Kulturen die kommenden Generationen mit bedenken, bedienen sich Kulturen, bei denen nur Vergangenheit und Gegenwart zählen, der überlieferten Erfahrungen als Instrument der Gegenwartsbewältigung.

Die Vergangenheit ist sicher ein guter Lehrmeister, wenn es darum geht, aus Irrtümern und Fehlern Schlüsse zu ziehen und zu lernen, wie alles besser gemacht werden könnte. Wenn allerdings die Vergangenheit nur die Blaupause für die Gegenwart darstellt im Sinne einer Selbstvergewisserung, dass unsere Väter und Mütter schon die richtigen Entscheidungen getroffen hätten und auch alles gut gegangen sei, so verkennt diese Betrachtungsweise, dass sich Gegenwart und Zukunft ohne Rücksicht auf vergangene Gewissheiten entwickeln wird.

Klimakrisen, wie die derzeitige, gab es in der Weltgeschichte zwar auch schon, waren aber von Menschen nicht erlebbar, weil sie noch nicht vorhanden waren. Schon eine agrarisch geprägte Menschengesellschaft entsprach nicht mehr einer Gesellschaft zu Zeiten der industriellen Revolution und diese ist auch nicht mit unserer heutigen vorwiegend digital geprägten Gesellschaft vergleichbar. Wer aus der Tradition nicht das Bemühen um Zukunft abzuleiten vermag, wird vermutlich scheitern.

Darin besteht zudem das heute erkennbare Problem fundamentalistischer Religionen, denn sie verschließen sich der Zukunft. Das Christentum hat offensichtlich ein anderes Zeitverständnis und bedient sich der Tradition als Versicherung der Zukunft der Menschen auf dem Weg zu ihrer Erlösung. Insofern sind christliche Religionen in der Regel zukunftsgewandt und könnten versucht sein, Phänomene, wie die Digitalisierung in den religiösen Vorstellungskodex zu integrieren.

Das Problem dabei ist allerdings, dass Religionen, die generell keine weiteren Götter zulassen, eine große Konkurrenz in gottähnlichen Avataren haben, die sich im Internet entwickeln könnten. Die christliche Religion überzeugt den Menschen davon, dass der Mensch Gottes Werk sei und ihm alle Eigenschaften verliehen sind, die ihn zum Menschen machen einschließlich Sprache, Emotionen und Handlungsweisen.

KI, AI, Chatbots und jedes roboterähnliche Wesen verweisen auf eine Schöpfungsgeschichte, die den Menschen selbst ermächtigt und eine religiöse Vergewisserung unnötig macht. Während christliche Religionen noch hilflos mit dieser ungenauen Zukunft umgehen, haben traditionalistische Religionen sich zur Unterdrückung und Abwehr entschieden. Traditionell haben alle Religionen und Kulturen etwa das gleiche Verständnis vom Menschen, unterscheiden sich aber fundamental in der Gegenwarts- und Zukunftsbetrachtung.

Die Zukunft zu begreifen ist aber unerlässlich, um in der Gegenwart so zu handeln, dass unsere Kinder und Enkelkinder eine Zukunft haben. Trotz allem kulturellen Verständnis ist die Zukunft kein religiöses oder philosophisches Phänomen, sondern sehr real.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rücksichtnahme

Bin ich in den einschlägigen Medien unterwegs, verwundert mich die augenblickliche Diskussion im Zusammenhang mit dem Corona-Virus. Es ist einerseits von der grassierenden Ansteckung die Rede, andererseits gibt es Querdenker, die in Massendemonstrationen durch die Straßen ziehen und offensichtlich billigend in Kauf nehmen, dass sie mit Corona infiziert werden.

Ihre Aufmärsche rechtfertigen sie mit ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und allgemeine Handlungsfreiheit, die nach ihrer Überzeugung den Verzicht auf Mundschutz mit einschließt. Was bei allem öffentlichen Lärm allerdings übersehen wird, ist, dass die politischen Entscheidungen einen eher untergeordneten Einfluss auf die Eindämmung der Pandemie haben.

Es geht nicht um Grundrechte und deren Verletzung, es geht nicht um Freiheit und die Zuweisung von Fehlern. Es geht vielmehr, und dies an erster Stelle, um menschliches Zusammenleben, um unser Grundverständnis des menschlichen Wesens, seiner Bedürfnisse und seiner Verpflichtung gegenüber Staat und Gesellschaft.

Hätten früher schon religiöse Hinweise ausgereicht, um Menschen an ihre Verpflichtungen gegenüber anderen Menschen zu erinnern, sind heute nach der Erosion der Religionen deutlichere Ermahnungen nötig. Es geht nicht um die im Grundgesetz verbriefte Handlungsfreiheit eines Menschen, sondern es geht um die Rücksichtnahme, die jeder Mensch einem anderen Menschen schuldet.

Es kann im Belieben jedes einzelnen Menschen stehen, sich mit Corona anzustecken und für die Folgen persönlich einzustehen, aber dies berechtigt ihn nicht, andere Menschen anzustecken, sondern im Gegenteil. Es ist ein auch für ihn geltendes Gebot der Menschlichkeit, dies zu verhindern. Derjenige, der ein solches Gebot weder aus seiner christlichen Überzeugung, noch aus seinem Menschenbild abzuleiten vermag, sollte Artikel 1 des Grundgesetzes prüfen, der den Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen nicht nur gegenüber dem Staat sichern will, sondern auch als eine Selbstverpflichtung eines Menschen gegenüber einem Anderen ansieht.

Es ist mit der Würde eines Menschen nicht zu vereinbaren, einem anderen Menschen diese zu nehmen, indem er ihn der Gefahr aussetzt, sich bei ihm anzustecken. Daraus folgt, dass jeder Aufmarsch der Querdenker im höchsten Maße würdelos ist. Empathie bedeutet nicht, kranke Menschen zu bemitleiden, sondern alles zu tun, um deren Erkrankung zu verhindern. Was für den Krankheitsbereich gilt, umfasst auch alle anderen Lebensbereiche. Kein Mensch kann die Freiheit beanspruchen, sich zu Lasten anderer Menschen zu verwirklichen, sei dies körperlich, emotional oder geistig.

Unseren Handlungsoptionen sind durch unser Menschsein, unser soziales Zusammenleben und den Grundkonsens einer funktionierenden staatlichen Ordnung Grenzen gesetzt. Das Akzeptieren von Fakten, Respekt gegenüber anderen Menschen, demokratisch legitimierten Institutionen und Rücksichtnahme untereinander auch dann, wenn wir anderer Meinung sind, verbürgen zuverlässig unser eigenes Sein in der Gemeinschaft mit anderen Menschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski