Archiv für den Monat: April 2021

Grenzüberschreitung

Im persönlichen Umgang der Menschen untereinander ist es oft schwer, Grenzen zu ziehen, aber dennoch sind sie da. Es handelt sich dabei bedingt um Grenzen, die gesetzlich vorgesehen sind, sondern eher um solche, die geeignet sein sollen, unser Zusammenleben für jeden gedeihlich und zumindest erträglich zu ordnen. Diese Grenzziehung folgt nicht der Parole: „Was du nicht willst, dass man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu.“  Denn tatsächlich ist es sehr unterschiedlich, was Menschen wahrnehmen wollen und für sich akzeptieren, aber andere Menschen gleichzeitig belastet. Dies kann beispielsweise das Rauchen aus dem Fenster sein, wenn der Mieter ein Stockwerk darüber als Nichtraucher darunter leidet. Paradebeispiele sind ferner Grillfreuden, Feuerschalen und laute Musik im öffentlichen oder privaten Raum.

Wir kennen alle viele derartige Beispiele und sind gelegentlich selbst Opfer oder auch Täter. Erstaunlich eingeschränkt ist allerdings die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu überprüfen und statt Grenzen zu überschreiten, auf die Willensdurchsetzung zu verzichten, sich mit Opfern zu verständigen oder diese anderweitig zu kompensieren. Da der Mensch nicht böse ist und auch seinen Mitmenschen durchaus schätzt, stellt sich die Frage, worauf das Bedürfnis nach Grenzüberschreitung und Regelverletzung beruht.

Anzubieten ist dabei: Gedankenlosigkeit, andere machen es auch, wird doch nicht so schlimm sein oder Selbstgerechtigkeit, was soll ich alles noch nicht dürfen können! Diejenigen, die Grenzen überschreiten, erkennen oft durchaus, dass etwas nicht stimmt, sind aber hilflos gegenüber ihrem eigenen Fehlverhalten und dessen Bewältigung, wenn sie darauf hingewiesen werden.

Die meisten Grenzüberschreitungen erfolgen aus Achtlosigkeit gegenüber dem Interesse anderer oder einer Fehleinschätzung. Derjenige, der sich dabei ertappt sieht, versucht sein Verhalten zu rechtfertigen, indem er zum Gegenangriff übergeht. Damit wird jede Grenzüberschreitung zu einem nicht auflösbaren Problem, da der wechselseitige Austausch von selbstgerechten Argumenten nicht zur Lösung führt. Grenzüberschreitungen können natürlich durch einen umsichtigen Veranlasser oder den potentiell Belästigten vermieden oder gemindert werden, indem wechselseitig Angebote zur Überwindung des Konflikts unterbreitet werden. Ob dies stets erfolgreich sein wird, ist fraglich, aber es ist zumindest den Versuch wert, auch in Corona-Zeiten bei hohem Pulsschlag friedlich miteinander auszukommen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Urknall

Goethe wollte sich selbst befragend wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Substantiell können Forscher dies heute sicher nachweisen. Weitgehend sind die Forscher inzwischen auch mit ihren Analysen in den Weltraum vorgedrungen und können das interstellare Gefüge so beschreiben, dass auch hier jedem eine Ordnung vermittelbar ist.

Es soll einen Urknall gegeben haben und dann stoben Partikel in einen unendlichen Raum, gestalteten Galaxien und verantworteten nicht sichtbare Materie, weil deren Gravitation so schwer war, dass sie selbst das Licht verschlungen hat. Das Universum vermessen wir nach Lichtjahren und machen es nach unserer Einschätzung einigermaßen gefügig. Selbst Hawkings hat schon über Parallelwelten spekuliert, die allerdings ähnlichen Gedankenmustern gehorchen müssen, wie die Welten, die wir als erfassbar begreifen.

Sehen wir jedoch einmal davon ab, was uns der Mystizismus anbieten könnte und unterstellen wir die Wirksamkeit des Urknalls, müssen wir uns doch eingestehen, dass wir überhaupt nicht einschätzen können, was diesen Urknall zwingend ausgelöst hat und wie der Raum tatsächlich beschaffen ist, in dem sich seither das gesamte Spektakel vollzieht. Alles, was wir wahrnehmen können, beruht auf unseren Annahmen, unserem Verständnis von Zeit und Raum und unserer Sucht nach Erkenntnis, die die eine Erkenntniswahrscheinlichkeit zwingend zur Folge hat.

Wenn sich im Nichts sämtliche Phänotypen des Etwas verbergen, stellt sich uns unwissenden Menschen die Frage, warum sich das „Nichts“ uns mit „Etwas“ offenbart. Aus menschlicher Sicht wäre auch denkbar, dass wir gleichzeitig das Nichts und das Etwas wahrnehmen und nach Opportunitätsgesichtspunkten verteilen. Solange wir selbst die Maßstäbe für unsere Weltenerfahrungen setzen, werden wir stets mit etwas bedacht werden, das dem undefinierbaren Nichts völlig unbedeutend, aber uns existenziell wichtig sein könnte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Religion

Seit einigen Jahren lesen meine Frau und ich jeden Morgen in der Bibel. Wir wollen ein Verständnis für Religionen entwickeln, Anregungen oder Bestätigungen erfahren. Wir sind offen für alle Aussagen und halten uns mit Wertungen zurück. Überraschend, aber für Kenner nicht neu ist dabei, dass Geschichten und Geschichte erzählt werden, die zeitlich verschoben, zeitlich ungenau, aber im Wesen beispielgebend das Ringen der Menschen um ein Verständnis Gottes aufzeigt.

Wir sind bei unserer Lektüre nach einem langen Weg bei Hiobs Klagen über sein Schicksal angelangt, dass er, der stets gerecht sei, von Gott mit körperlichen Gebrechen geschlagen werde. Elihu, einer seiner Freunde, antwortet ihm und gibt zu bedenken, dass kein Mensch Gottes Gunst erringen, vor ihm gut oder schlecht sein könne, weil es an sich anmaßend sei, Gott irgendwelche Eigenschaften zuzuschreiben und ihm gegenüber Erwartungen zu hegen, die auf menschlichen Einschätzungen beruhen.

Ich komme ins Grübeln. Wenn Gott das Unbegreifliche, das Unbenennbare, das Unmessbare, das Unwägbare und menschlich Unerreichbare ist, wieso glauben wir dennoch, wir könnten ihm durch unser Verhalten gerecht werden? Mir kommt dabei die Proklamation eines Gottesstaates in den Sinn oder die zehn Gebote, die Gott Moses aufgetragen und irgendwelche Schlachten, die er angeblich siegreich begleitet und auserwählte Menschen ertüchtigt haben soll.

Wenn wir einerseits Gott zutrauen, alles zu sein, wie können wir dann seine Herrschaft mit einer Religion begründen? Religionen scheinen mir Verabredungen zu sein, die Menschen in bestimmten Regionen oder Situationen miteinander eingehen und damit Ziele verfolgen, die entweder unserem Leben auf Erden einen Sinn geben oder die Sinnlosigkeit des irdischen Lebens erklären sollen, die Regeln und Moral Autorität verleihen, die Menschen beschwichtigen und trösten.

Eine wichtige Aufgabe von Religionen ist es, den Menschen zu erzählen, dass sie mehr sind als Haut und Knochen und mit ihrem Tode nicht alles vorbei sei. Interessanterweise sind unter Disposition dieser spirituellen Jenseitsverheißung die Menschen dabei, mittels Genveränderungen, Zellerneuerungseingriffen und sonstigen lebensverlängernden Maßnahmen Versuche zu unternehmen, eine durchaus reale menschliche Ewigkeit entweder auf diesem Planeten oder auf einem anderen zu schaffen. Dies könnte sich als Bedrohung aller Religionen erweisen, die das Jenseits aufgrund Gottes Macht bereits auf Erden als entscheidend für unsere ewige Existenz begreifen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski