Im persönlichen Umgang der Menschen untereinander ist es oft schwer, Grenzen zu ziehen, aber dennoch sind sie da. Es handelt sich dabei bedingt um Grenzen, die gesetzlich vorgesehen sind, sondern eher um solche, die geeignet sein sollen, unser Zusammenleben für jeden gedeihlich und zumindest erträglich zu ordnen. Diese Grenzziehung folgt nicht der Parole: „Was du nicht willst, dass man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu.“ Denn tatsächlich ist es sehr unterschiedlich, was Menschen wahrnehmen wollen und für sich akzeptieren, aber andere Menschen gleichzeitig belastet. Dies kann beispielsweise das Rauchen aus dem Fenster sein, wenn der Mieter ein Stockwerk darüber als Nichtraucher darunter leidet. Paradebeispiele sind ferner Grillfreuden, Feuerschalen und laute Musik im öffentlichen oder privaten Raum.
Wir kennen alle viele derartige Beispiele und sind gelegentlich selbst Opfer oder auch Täter. Erstaunlich eingeschränkt ist allerdings die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu überprüfen und statt Grenzen zu überschreiten, auf die Willensdurchsetzung zu verzichten, sich mit Opfern zu verständigen oder diese anderweitig zu kompensieren. Da der Mensch nicht böse ist und auch seinen Mitmenschen durchaus schätzt, stellt sich die Frage, worauf das Bedürfnis nach Grenzüberschreitung und Regelverletzung beruht.
Anzubieten ist dabei: Gedankenlosigkeit, andere machen es auch, wird doch nicht so schlimm sein oder Selbstgerechtigkeit, was soll ich alles noch nicht dürfen können! Diejenigen, die Grenzen überschreiten, erkennen oft durchaus, dass etwas nicht stimmt, sind aber hilflos gegenüber ihrem eigenen Fehlverhalten und dessen Bewältigung, wenn sie darauf hingewiesen werden.
Die meisten Grenzüberschreitungen erfolgen aus Achtlosigkeit gegenüber dem Interesse anderer oder einer Fehleinschätzung. Derjenige, der sich dabei ertappt sieht, versucht sein Verhalten zu rechtfertigen, indem er zum Gegenangriff übergeht. Damit wird jede Grenzüberschreitung zu einem nicht auflösbaren Problem, da der wechselseitige Austausch von selbstgerechten Argumenten nicht zur Lösung führt. Grenzüberschreitungen können natürlich durch einen umsichtigen Veranlasser oder den potentiell Belästigten vermieden oder gemindert werden, indem wechselseitig Angebote zur Überwindung des Konflikts unterbreitet werden. Ob dies stets erfolgreich sein wird, ist fraglich, aber es ist zumindest den Versuch wert, auch in Corona-Zeiten bei hohem Pulsschlag friedlich miteinander auszukommen.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski