Archiv für den Monat: August 2021

Rechts-TÜV – rechtliche Unwucht, Rechtszertifizierung, Teil 2

Rechtsbegriffe lassen sich als Argumente begreifen, die einen Raum gestalten, der eine eigene Sphäre hat, aber einen Schlüssel bereithält, das ist das Judiz, das Rechtsgefühl. Dieses scheint aus dem Bauch zu kommen, durchdringt aber unser gesamtes Wesen.

Vermutlich, weil uns das Recht so nahe ist oder zumindest nahe erscheint, würden wir bei einer überfallartigen Befragung, was einem zum Recht so einfiele, vielleicht antworten: Also erst einmal Gesetze, Gericht, Gerechtigkeit, selbstverständlich auch Rechtsanwälte und Richter.

Ein Spaßvogel würde bemerken, dass man ja vor Gott, vor dem Gericht und auf hoher See alleine sei. Das Recht, das uns unmittelbar umgibt, uns einhüllt wie ein Kokon, scheint uns auf eine bestimmte Art fremd, ja sogar lästig zu sein. Um dieses Unwohlgefühl abzuschütteln, bemühen wir uns ungern darum, weiter vorzudringen in diesen uns eigentlich so geläufigen Bereich. Sozusagen der Schlüssel zu diesem Bereich ist das Judiz, das Rechtsgefühlt. Es scheint aus dem Bauch zu kommen, durchdringt aber unser gesamtes Wesen und ist uns seit der Menschwerdung geläufig.

Wir haben gelernt, was richtig und falsch ist. Wir kennen die Interessen anderer und achten darauf, dass auch unsere Interessen bedient werden. Das Judiz, das Wissen um das Richtige, wird aber nicht nur genährt durch ein diffuses Gefühl, sondern ist das Sublimat unserer vernünftigen Einstellung zum Recht, dem Rechtsbewusstsein, der geschichtlichen Erfahrung und der Erwartung, dass andere dies ähnlich sehen.

Die gesellschaftliche Kohärenz lässt uns sicher sein, dass die Abweichungen vom Standard in der Regel nicht so schwerwiegend sind, dass unser Rechtsgefühl versagen muss. Zwingend ist das allerdings nicht, denn in geschichtlichen Epochen wurde das Judiz auf die Probe gestellt bzw. ausgehebelt, in dem durch Umstürze, Diktaturen oder andere willkürliche Eingriffe das bestehende Rechtsgefüge so durchgeschüttelt wurde, dass nicht nur der Einzelne, sondern auch die ganze Gesellschaft nicht mehr wusste, was richtig und falsch ist.

Allerdings ist es nach einiger Zeit wieder gelungen, das Rechtsgefühl mit den Umständen so zu versöhnen, dass das Judiz wieder an Standfestigkeit gewann. Man könnte auch sagen, dass sich das Judiz wieder durchgesetzt hat, weil es eine durchaus konservative Komponente hat. Das Judiz ist erschütterbar, aber kann nicht endgültig eliminiert werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rechts-TÜV – rechtliche Unwucht, Rechtszertifizierung, Teil 1

In der juristischen Welt, aber auch in der realen Parallelwelt hantieren wir ständig mit Begriffen, die einen Rechtsbezug haben, ohne dass wir deren Bedeutungsschwere umfassend einschätzen können. Eine gewollte Zurückhaltung gegenüber dieser Erkenntnis soll uns die Chance erhalten, Rechtsbegriffe situationsabhängig zu interpretieren und gefahrloser durch das Minenfeld rechtli­cher Argumentation zu navigieren. Aber was ist schon rechtliche Argumentation, was ist ein Judiz, was verbirgt sich hinter einem Rechtsbegriff, welchem Irrtum sind wir beim Rechtsirrtum erlegen?

All diese Fragen werde ich versuchen, in der folgenden Abhandlungen zu klären, wobei klären ein wunderschöner Euphemismus für die absolute Unfähigkeit darstellt, irgendeiner Be­grifflichkeit den Bedeutungsraum zuzuweisen, den sie tatsächlich hat. Stets kann ich nur von meiner Wahrnehmung ausgehen und versuchen, diese Wahrnehmung mit einer öffentlichen Wahrnehmung abzugleichen und ggf. auf Mehrheitsverhältnisse bei der Beurteilung zu achten. Deren eigene subjektive Wahrnehmung kann und muss ich dabei selbstverständlich respektieren, denn sie beruht auf ihrer Erfahrung, ihren Ansprüchen und ihrer Handhabung, also einem individuali­sierten Gebrauch allgemein bekannter Begriffe.

Aber gerade dadurch ergeben sich die spannenden neuen Möglichkeiten des Dialogs und eine Auffüllung der Begrifflichkeiten jenseits jeder Verordnung. Wenn ich zuweilen die Wertigkeit eines Begriffes zwischen der juristischen Welt und der realen Welt abgleiche, ergeben sich daraus möglicherweise Erleichterungen bei der Erfassung von juristischen Begriffen und eine bestimmte Entlastung von ihrer Bedeutungsschwere.

Was wiegt zum Beispiel ein juristisches Argument im Vergleich zu jedem sonstigen rationalen oder emotionalen Argument? Welcher dieser Argumente hat ein größeres Gewicht? Welchem dieser Argumente müssen wir eine abschließende Bedeu­tungshoheit zuweisen? Stehen alle Argumente nebeneinander, gibt es Ober- und Unterordnun­gen? Wie beeinflussen diese Argumente uns selbst bei unserer Entscheidungsfindung?

All dies werde ich versuchen anzureißen, ohne dabei allerdings eine abschließende Aussage treffen zu können. Das können nur Sie, der Leser, und zwar dadurch, dass Sie sich der Bedeutung der Rechtsbegriffe bewusst werden und ihren Einsatz selbstverantwortlich vornehmen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Befreiung

Das Leben ist eine ungeplante Last für jeden Menschen. Stets ist er daher auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich von dieser zu befreien, ohne sich zu beschädigen oder gar zu eliminieren. Da ihm materielle und ideelle Vorteile dies zu versprechen scheinen, arbeitet er unentwegt an entsprechenden Konstruktionen.

Dabei erfährt er permanente Unterstützung derjenigen, die ihrerseits meinen, dass sich dies für sie vorteilhaft auswirken wird. Es sind die sich den Menschen bietenden Gewinnmöglichkeiten, gepaart mit Verlustängsten, die das erfolgversprechende Lebensmuster prägen.

So versucht der Mensch alle sich ihm bietenden Möglichkeiten auf eine Weise zu manipulieren, dass sie ihm stets günstig erscheinen. Für die Menschen ist es schwer zu entscheiden, was ihn einsichtig machen, von dem „Geworfensein“ ins Leben befreien könnte. Daher bleibt er in den angestammten Lebensmustern und wünscht sich seine Befreiung – zumindest virtuell, wenn dies gelingen sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Renaissance

Gerade lese ich ein äußerst spannendes Buch darüber, wie die Renaissance begann. Mit Verblüffung und Wehmut stelle ich bei der Lektüre fest, wie verschüttet für mich als Leser diese Zeit ist. Dies auch für den Protagonisten des Buches, einen Vatikanmitarbeiter, dem die griechisch-römische Vergangenheit der Menschheit und deren kulturelle Vielfältigkeiten und Erkenntnisse aufregend neu erschienen sind.

Auch, wenn Lukrezens Schrift vom „Wesen der Natur“, der Initialzündung der Renaissance, spätestens seit ihrer Wiederentdeckung nicht mehr unbekannt war, so erfahre auch ich immer wieder, dass zwar unsere Alltäglichkeit begrifflich von Gewesenem geprägt ist, aber die meisten Menschen den umfassenden Nutzen der Bildung nicht mehr vergegenwärtigen wollen oder können.

All das, was vor 500 Jahren entdeckt oder wieder entdeckt und vor 2.000 Jahren auf Pergamentrollen geschrieben wurde, was niedergelegt war in Briefen und aus Reden überliefert wurde, ganze Bibliotheken von Alexandria bis Athen füllte, Lesestoff in Schulen und Gesprächsstoff für hitzige Auseinandersetzungen sorgte, später in unendlicher Klein- und Feinarbeit von Mönchen kopiert wurde, damit uns Überlieferungen erhalten bleiben, ist heute profan abgelegt bei Wikipedia und allenfalls Kenntnisstoff im althumanistischen und altsprachlichen Unterricht.

Was wir im Internet nun abrufen können, scheint mir an Erkenntnis verloren zu haben. Ich stelle mir die Frage, was wir tun könnten, um die Vergangenheit, ihre Kulturen, ihre Lebensanregungen wieder umfassend für unsere Zeit erlebbar zu machen. Ich stelle mir vor, dass es möglich sein könnte, dass wir uns statt zu Podiumsdiskussionen in Gesprächskreisen treffen und uns austauschen über Dinge, die nicht offensichtlich sind, über Gedichte, Literatur und natürlich auch über Anregungen aus fernen griechisch/römischen Zeiten.

Ich weiß schon, dass dies vereinzelt geschieht, aber Schulen heute kaum noch Anregungen in dieser Richtung vermitteln. Wenn der Mensch aber nicht umfassend geübt ist, dann verliert er schnell die Fähigkeit, mit seinen Möglichkeiten intelligent umzugehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski