Archiv für den Monat: Oktober 2023

Zuwendung

Das Vermächtnis ist das Versprechen einer besonderen Zuwendung, die sehr oft in Testamenten abgegeben wird. Dann sind sie meist sehr direkt gehalten und begünstigen eine Person oder Einrichtung mit einem Anspruch, der nach dem Willen des verstorbenen Erblassers durch seine Erben erfüllt werden soll.

Vermächtnisse benötigen allerdings kein Testament, um wirken zu können, denn auch ein Schriftsteller oder Komponist kann das von ihm geschaffene Werk bestimmten oder allen Menschen überlassen, ohne jemals genau zu wissen, wem dieses Vermächtnis zugutekommt. Niemand muss ein Vermächtnis annehmen, wenn es aber geschieht, dann ist der Wille des Vermächtnisgebers für dessen Ausgestaltung und seiner Nutzung rechtlich verbindlich. Alle mit dem Vermächtnis verbundenen Auflagen und Regeln sind zu befolgen und somit auch die Bedingungen, unter denen es ggf. an einen Nachvermächtnisnehmer weiterzugeben ist.

Ein mit Bedingungen und Auflagen versehenes Vermächtnis ist ein verpflichtendes Geschenk, dass dem Zuwendungsempfänger zwar zugutekommt, aber stets auch daran erinnert, von wem er seine Nutzungsrechte ableitet. Somit soll gewährleistet sein, dass dem Beschenkten stets der Wohltäter und sein Werk in Erinnerung bleiben und er das Zugewandte auch nicht in einer Selbstanmaßung nützt, die dem mutmaßlichen Willen des Vermächtnisgebers widersprochen hätte.

Zu bedenken ist allerdings, dass Zuwendungsempfänger in der Regel darauf setzen, dass Zuwendungsgeber nicht mehr in der Lage sind, darüber zu wachen, wie mit dem Vermächtnis umgegangen wird und in einer Art Selbstermächtigung die Ablösung vom Willen des Vermächtnisgebers betreiben. Nur dort, wo eine Dauervollstreckung des Willens des Vermächtnisgebers gewährleistet ist, kann einer solchen Entwicklung begegnet werden. Dann besteht allerdings die Gefahr, dass infolge fehlender Anpassungsfähigkeit der im Vermächtnis zum Ausdruck gebrachte Willen nicht mehr zeitgemäß ist und so das Interesse des oder der Zuwendungsempfänger schwindet, die Zuwendung angemessen wirtschaftlich oder ideell zu honorieren.

Deshalb erscheint es mir sinnvoll, Vermächtnisse mit Gestaltungsklauseln zu versehen, die es zwar erlauben, dass die so Begünstigten ihren zeitweiligen Nutzen aus der Zuwendung ziehen, dies aber nur, wenn sie dem Zuwendenden etwas zurückgeben, zumindest wertschätzend.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zauberberg

Thomas Manns Bildungsroman kam mir in den Sinn, als mir von Patienten von einer Einrichtung berichtet wurde, die nicht in den luftigen Bergen der Schweiz liegt, sondern ohne Tageslicht im Keller der Charité. Dort werden keine Tuberkulose-Kranken versorgt, sondern der Versuch unternommen, sehr kranke Krebspatienten mit Hilfe von Strahlentherapien so zu behandeln, dass sie eine außerordentlich große Chance haben, wieder geheilt ins Leben zurückzukehren.

Auch, wenn der Aufenthalt der Patienten nur ambulant erfolgt und auf wenige Monate begrenzt ist, ist es doch offenbar so, dass Prozesse in Gang gesetzt werden, die alle Teilnehmer in unverhoffter Weise zu einer Gemeinschaft auf Zeit werden lassen. Diese Gemeinschaft schließt Ärzte, Angehörige des Pflegepersonals und Verwaltungskräfte mit ein. Es entsteht durch Blickkontakte, allmählich auch durch sprachliche Kommunikation eine Vertrautheit, die persönliche Nachfragen zum Befinden, zu Urlaubsplänen und sonstigen privaten Vorkommnissen zulassen.

Zögerlich zwar, aber durch den längeren Aufenthalt ständig gesteigert, entsteht ein wechselseitiges Interesse, welches auch begünstigt, dass sich die Patienten ohne Vorbehalte den Ärzten und dem Pflegepersonal anvertrauen. Distanziertheit, Scham und jede Form des persönlichen Widerstandes schwinden allmählich. Es ist unwahrscheinlich, dass Patienten, die auf die Dauer von etwa drei Monaten stets werktäglich zur etwa gleichen Zeit diese Abteilung aufsuchen, sich zuvor schon einmal begegnet sind. Es treffen sich also sehr fremde Menschen, gezeichnet von der Anspannung einer beginnenden Therapie, die sich regelmäßig auf etwa 40 Bestrahlungen insgesamt u. a. mit hohem Energieeinsatz der extrem teuren, aber effektiven Geräte belaufen.

Jedem Neuankömmling ist seine Unsicherheit, Sorge vor dem, was passieren wird, anzumerken. Es bleibt die Skepsis gegenüber der richtigen Behandlungsart, die Angst vor der Wirkung auf die inneren Organe, bange Erwartungen, ob der beabsichtigte Erfolg sich später auch einstellen wird. Es sind jüngere und ältere Patienten dabei, sie kommen aus den unterschiedlichsten Familien und gingen bzw. gehen auch unterschiedlichsten Berufen nach, seien diese Polizisten, Staatssekretäre, Taxifahrer, Ärzte oder Anwälte. Einige sind auch schon Rentner oder Pensionäre.

Was alle Beteiligten vom ersten Tag des Betretens dieser Unterwelt an eint, ist die Unausweichlichkeit des täglichen Rituals im Interesse einer möglichen Genesung. Wenn jeder darum weiß, schwinden plötzlich alle Grenzen der Verständigung. Mit dem Grüßen fängt es an, dann folgt schnell der Übergang in ein vertrauliches Du. Woher man kommt, spielt bei der Art und Weise der Begegnung überhaupt keine Rolle mehr. Man lernt sich kennen, indem man sich über das tägliche Befinden auch in intimsten körperlichen Bereichen austauscht, über Erschöpfungen, Schmerzen und Missbehagen spricht.

Die Zeit, die man jeden Tag miteinander verbringen muss, wird so auch eine Zeit, die man miteinander verbringen will, weil jeder teilnehmende Patient Gesprächspartner findet, die ebenfalls Zeit und Muße haben werden, sich einander zu widmen. Es geht dabei nicht nur um Offensichtliches, Allgemeines, sondern vor allem auch um sehr persönliche durch Empfindungen gesteuerte Angelegenheiten.

Aus dem Kennenlernen entwickeln sich Kumpel- und Kameradschaften, zuweilen auch Freundschaften, die weit über die gemeinsamen Momente im Tiefgeschoss hinausgreifen. Die „Drei von der Tankstelle“ hießen zum Beispiel Patienten, die nicht nur anderen Betroffenen, sondern auch vielen Angehörigen der Station durch die Intensität ihrer morgendlichen gemeinsamen Gespräche aufgefallen waren und auch diese es sehr bedauerten, dass mit Beendigung der Therapie sich diese Gruppe zwangsläufig auflöste. Die „Drei von der Tankstelle“ sind aber weiterhin freundschaftlich miteinander verbunden, pflegen zudem ihre Kontakte auch zu den Angehörigen dieser Krebstherapiestation. Dem Einsatz der dort Beschäftigten im Interesse ihrer Gesundheit verdanken sie sehr viel.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gewaltherrschaft

Gewalt gegen Sachen, aber nicht gegen Menschen … So lauteten Parolen zu den Aktionen der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), die Namen Gudrun Ensslin und Andreas Baader sind bekannt. Es ging ihnen zunächst vordergründig um die durch das „Kapital“ verursachten Missstände und Ungerechtigkeiten in dieser Welt, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland. Dagegen sei ein deutliches Zeichen zu setzen. So legten sie zum Beispiel in einem Frankfurter Warenhaus Feuer mit der Parole: „Burn Warehouse burn!“. Erstaunlich viele Bürger hatten für diese Aktion, wahrscheinlich wegen des eigenen schlechten Gewissens und weil sie nicht unmittelbar selbst davon betroffen waren, sogar Verständnis bzw. haben nicht verstanden, dass mit dieser Aktion eine Tür geöffnet wurde, die kaum mehr geschlossen werden konnte.

Die der ersten Aktion folgende Radikalisierung bis hin zu den schrecklichen Attentaten und Morden dürfte zumindest den älteren Menschen in unserem Land noch bekannt sein. All das, was schon gewesen ist, kommt mir in den Sinn, wenn ich heute Vertretern der „Letzten Generation“ bei Auftritten zum Beispiel in der Tagesschau „zuhöre“. Sie bedauern wortreich, dass durch ihre Aktionen die Freiheit von Menschen unter anderem im Straßen- und Flugverkehr erheblich beeinträchtigt würde, aber sie leider keine andere Möglichkeit sehen, als durch ihre Aktionen auf die katastrophalen Missstände in der Klimapolitik hinzuweisen.

Diese Art der Rechtfertigung fortschreitender Gewalt gegen Sachen, die sozusagen zwangsläufig auch Gewalt gegen Menschen mit umfassen könnte, wenn die Aktionen den gewünschten Erfolg nicht bringen und daher eine Radikalisierung unverzichtbar erscheint, entspricht bekannten Mustern. Spätestens dann, wenn Teilnehmer und Sympathisanten der „Letzten Generation“ zu Haftstrafen verurteilt werden, ist eine Enthemmung zu befürchten und die Gewalt könnte sich auch gegen Menschen, zunächst Polizisten, dann aber auch Politiker, Wirtschaftsführer und andere Menschen richten.

Derzeit gibt es noch bei Intellektuellen, wohlsituierten Bürgern und auch jungen Menschen viel Sympathie für das Vorgehen der „Letzten Generation“, aber was kommt dann, wenn zum Beispiel die schon jetzt bereits arg strapazierten roten Linien überschritten werden? Was geschieht, wenn überhaupt dieses Muster der Auseinandersetzung allgemein von Gruppen mit unterschiedlichen Interessen für die Durchsetzung ihrer Ziele adaptiert wird?

Eine sich selbst rechtfertigende Begründung für das eigene Handeln lässt sich immer finden. Durch die fortschreitende Belastung infolge der sich steigernden Aggressionen ist jedoch zu befürchten, dass unsere Gesellschaft selbst irgendwann in einen Erosionszustand gerät, die dann folgende Radikalisierung das Misstrauen schürt und gewalttätige Auseinandersetzungen viele Opfer schaffen werden. Die gesellschaftliche Auflösung geht mit der wirtschaftlichen und politischen Erosion einher.

Was können wir verhindern? Ist bei dieser Aussicht heute noch eine Einsicht möglich? Vielleicht! Wie bei der Bewältigung der Klimakatastrophe muss vorbeugend auch die gesellschaftliche, sich abzeichnende Katastrophe erkenntnisbereit besichtigt und konsequent mit allen gebotenen Mitteln behandelt werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski