Archiv für den Monat: März 2024

Vorbei

Mephistopheles lässt sich bei Goethe´s Faust so vernehmen: „Da ist´s vorbei!“ Was ist daraus zu lesen? „Es ist so gut, als wäre es nicht gewesen,…“

In fast allen mir bekannten Nachrufen auf verstorbene Menschen wird wortgewaltig versichert, dass man den Verblichenen immer in ehrender Erinnerung behalten würde, ihn nie vergessen und seine Leistungen auf Dauer gewürdigt bleiben würden. Und was geschieht dann wirklich? In der Regel dann: nichts, vorbei! Mag sein, dass eine Erinnerungstafel, der Grabstein, schriftliche Vermächtnisse oder auch Erbstreitigkeiten noch eine Zeit lang die Erinnerung an den Verstorbenen wachhalten, aber vom Menschen selbst bleibt nichts. Es ist vorbei. Warum mag das so sein?

Möglicherweise deshalb, weil Platz geschaffen werden muss für weitere Menschen mit ihren Beziehungen, Gedanken, Ansprüchen und Erfahrungen. Natürlich bleibt etwas vom Verstorbenen in dieser Welt, aber jede kommende Generation muss sich wieder befreien von der Elterngeneration. Dabei ist die Ahnung von der eigenen Sterblichkeit in dem Bemühen zu sehen, Verstorbene nicht abzuwerten, aber den Tod durch das Behaupten eines Erinnerungsversprechens zu überwinden. Dies wird aufgrund eigenen Interesses aber meist nicht eingehalten. So ist es also vorbei mit dem Leben eines Menschen, aber auch mit allem, was im Laufe des Lebens eines Menschen ohnehin sterblich ist. Dies gilt für Freundschaften, Ehen und viele Aktivitäten eines Menschen gleichermaßen. Aus dem Vorbei entsteht das Neue. Auch es ist von Anfang an bereits vorbei, irgendwann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Lehrer-Lease

Unter „Lehrer-Lease“ ist eine Beschäftigungsagentur für Lehrer zu verstehen, bei der junge, engagierte Lehrer mit überdurchschnittlichem Examen beschäftigt werden sollen. Diese werden je nach Bedarf Schulen zur Verfügung gestellt, und zwar sowohl um längerfristige Unterrichtsstrategien realisieren zu können, als auch um Unterrichtsverkürzungen oder gar deren Ausfall zu vermeiden. Es sollen zudem Schulen von Personalaufgaben entlastet werden.

Diese Überlegungen tragen den PISA-Studien Rechnung, wonach Deutschland im schulischen Bereich erheblich hinter den Erwartungen der Öffentlichkeit zurückbleibt. Politischer Wille zur nachhaltigen Verbesserung der Situation ist zwar teilweise zu erkennen, doch von einer grundlegenden Reform unseres Bildungssystems sind wir weit entfernt und stets scheinen die Haushaltslagen der Länder zum Sparen zu zwingen.

Um der Bildungsverpflichtung in Schulen gerecht zu werden, soll eine Beschäftigungsagentur für Lehrer dort wirksam sein, wo bereits heute eine Schnittstelle zwischen öffentlicher Schulversorgung und privaten Schulen sichtbar wird. Lehrer-Lease stärkt die Kompetenz öffentlicher Bildungseinrichtungen und bildet dabei nicht nur einen Rechtsformträgerwechsel zwischen öffentlichen und privaten Schulen ab, sondern schafft dabei etwas Neues, ein an Effektivität und Lernzielen inhaltlich organisatorisch und wirtschaftlich orientiertes neues Schulgebilde.

Durch Outsourcing und Verantwortungsteilung soll sozusagen ein neuer Typ einer zukunftsorientierten Ausbildungsstätte geschaffen werden. Ziel ist es dabei, bestehende Bildungsangebote an die Herausforderungen einer komplexen Lebens- und Arbeitswelt anzupassen, sowohl durch den strukturellen Umbau, als auch die Erweiterung vorhandener Bildungseinrichtungen, die Förderung der kulturellen Kommunikation, eines grenzüberschreitenden Austausches im Bildungsbereich und dies auf allen Sektoren einschließlich KI und Internet.

Um dies zu gewährleisten, sind speziell ausgebildete Lehrer erforderlich, die aber bisher kaum vorhanden oder noch nicht einsetzbar sind, wo sie benötigt werden. Es ist daher erforderlich, junge Lehrer, die ein ausgezeichnetes oder gutes Examen gemacht haben, so weiter zu qualifizieren, dass sie neue überzeugende Ideen konzipieren und realisieren können. Sie müssen sich sowohl fachlich, als auch methodisch fortbilden und über hohe kommunikative und soziale Kompetenz verfügen. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auch auf die Vertiefung der Kenntnisse in der Jugendpsychologie zu setzen sein. Lehrer sollten in der Lage sein, die unter den jeweiligen Lern- und Arbeitsbedingungen erforderlichen Sozialformen zu durchschauen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sprachvermögen

Vergewissern wir Menschen uns des Seins, indem wir sprechen? Ist es der Klang unserer Stimme, die uns dabei existenzielle Sicherheit vermittelt oder ist es die Aussage selbst, die unter Abstimmung unserer Gefühle und Gedanken unser Ich bestätigt? Oder ist es möglicherweise erst der Adressat unserer Aussage, der wesentlich zur Vergewisserung unseres Eigenseins beiträgt?

Sprache ist Verlautbarung, bildet aber auch geschrieben oder nur gedacht, den Nukleus unserer Existenz. Stellt sich also die Frage, ob der Mensch durch die Sprache erst geschaffen wird, allein durch die Sprache seine Handlungsfähigkeit erreicht und im Zuge einer Entsprachlichung sogar aufhören würde zu existieren? Dabei sind die vielen inzwischen vorhandenen medialen Formate als Ursache dieser Entsprachlichung zu benennen. TikTok, Instagram und Facebook, alle durch Proms, durch Menschen belebten Formate haben eine menschenähnliche Sprach- und Darstellungsfähigkeit erlangt, die nicht nur die Singularität des Menschen in Frage stellen könnte, sondern auch den Sinn der menschlichen Sprache an sich.

Derzeit ist es noch nicht gewagt zu behaupten, die natürliche Entwicklung seiner Sprechfähigkeit habe den Menschen zu etwas Besonderem werden lassen. In Zukunft könnte auch eine KI aufgrund Informationsfähigkeit der menschlichen Sprache bestimmen, was Menschsein ist. So gerät also durcheinander und ist schwer zu erkennen, was dabei Henne oder Ei ist.

Sprache ist mehr als nur Wert, Sprache ist die Qualität einer prozessualen Errungenschaft an menschlicher Erkenntnis. Um diese zu tradieren, wird der Mensch zwar auch künftig seine Befehle an maschinelle Wortmaschinen erteilen, aber in Nuancen seines Sprachvermögens weiterhin Geheimnisse bewahren und sich selbst sprechend seiner Existenz versichern, dies selbst dann, wenn er öffentlich kaum mehr im Stimmengewirr des Internets vernehmbar sein sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Streit

Konflikte, Auseinandersetzungen und Streit sind gängige Erfahrungen von Menschen, welche durch ihre Ansprüche, Interessen, verfestigte Ansichten, Sorgen und Meinungsverschiedenheiten befördert und gespeist werden. Streit wird zwar einerseits als Belastung und Stress, andererseits aber auch als Befreiung empfunden. Wie ist es also um die Produktivkräfte des Streits bestellt?

Streit kann zuweilen in der Lage sein, neue Sichtweisen zu öffnen, Kräfte energetisch freizusetzen und ist daher unverzichtbar für persönliche menschliche Klärungsprozesse und auch das Gelingen unserer Gesellschaft.

Um dies im allgemeinen Kontext zu verdeutlichen, wähle ich das einschneidendste gesellschaftliche Streitthema, und zwar den Krieg. Gäbe es keine Konflikte mehr unter den Staaten und damit auch keine Möglichkeit des Krieges mehr, erschiene dies zunächst als sehr verlockend, könnte aber auch weltweit erheblich zu Einschränkungen von Wirtschaftsleistungen und damit zur Reduzierung des Bruttosozialprodukts von Staaten beitragen. Wir wissen, dass die Waffen, die für kriegerische Auseinandersetzungen benötigt werden, angeblich einen erheblichen und teilweise unverzichtbaren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten. So kann man dem Streit auch einen wirtschaftlich produktiven Vorteil – zumindest auf Zeit – beimessen, wie zuweilen behauptet wird. Zudem weisen Streitereien oft auch einen kathartischen Effekt auf, der sich in wohltuender Erschöpfung frei nach Hamlet zu äußern vermag: „When they all are crying, dying and dead don’t you like it like that.“ So wohnt dem Streit nicht nur ein sich selbst erschöpfendes Moment in Erwartung seines Endes inne, sondern enthält auch reinigende Tatbestände, schärft die Sinne, stärkt die Leistungsfähigkeit und sprengt auch die Grenzen des emotional Möglichen.

Das ist das Eine, das Andere ist natürlich die zerstörerische Kraft des Streits, der psychische und physische Verwüstungen hervorzurufen und zu hinterlassen vermag. Da jedem Menschen ein Lebensversprechen zu seiner körperlichen Unversehrtheit bei der Geburt zuteil wurde, ist jeder Streit, der die Menschenwürde infrage stellt, in keiner Weise, also auch nicht durch wirtschaftliche und angebliche zivilisatorische Fortschritte zu rechtfertigen. Niemals dürfen wir die Verantwortlichkeit für unser Handeln mit der Behauptung des Angegriffenseins in Frage stellen.

Als Mitwirkender an einem Streit sind wir immer Opfer und Täter zugleich.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski