Zuweilen wirken politische Entscheidungen, zumindest in Deutschland, wie aus der Zeit gefallen. Beispielsweise soll hier das Namens- und Geschlechtergesetz erwähnt werden. Während in der Ukraine und im Nahen Osten sich die Kriegsgeschehen massiv weiten und auch die Medien über unsere fehlende Verteidigungsfähigkeit spekulieren, die Wirtschaft schwächelt und die Politik zu Sparzwängen angehalten ist, wird erstaunlicherweise die politische Diskussion fast trotzig von den politischen Einschätzungen zum Straßenverkehr, den Blütenstreifen auf Ackerflächen und vom Familiengeld geprägt.
Fraglos sind dies alles Themen, die einer politischen Bewertung zugänglich sind, ggf. im Bundestag verhandelt werden müssen, aber mit welcher Priorität sollte dies geschehen und zu welcher Zeit?
All dies ist offenbar in einer Agenda aufgeführt, die vor langer Zeit festgelegt wurde. Deren Inhalt ist aber rückbezüglich, stammt aus ehemaligen Parteiprogrammen, leitet sich ab von der DNA heutiger Amtsträger, wurde festgezurrt im Koalitionsvertrag und schließlich den einzelnen Ministerien bzw. deren Amtsträgerschaft zugeteilt. Die Ressortverteilung bestimmt jenseits der politischen Binnen- und Weltlage zudem den politischen Verhandlungsgegenstand. Da die Zuteilung einzelner Ressorts nach Präferenzen der Parteien erfolgt ist, liegt es in der Selbstermächtigung des jeweiligen Amtsinhabers, seine Agenda während seiner Amtszeit nach Gusto umzusetzen. Und, so soll es nach Ansicht der jeweiligen Amtsinhaber auch geschehen, dafür werden sie mit den finanziellen Mitteln ausgestattet und können sich dabei selbstbewusst auf schriftlich festgelegte Absprachen berufen.
Nun aber erfährt unsere Gesellschaft das Weltgeschehen, also all unsere Zustände insgemein, eine ständige und sehr rasche Veränderung. Damit erscheint die genannte politische Agenda sehr oft wie aus der Zeit gefallen, unfähig, situativ auf zeitgegenwärtige Probleme angemessen zu reagieren und stattdessen das Drehbuch für Debatten zu liefern, die selbstverständlich auch behandelt werden sollten, aber nicht unbedingt jetzt. Wann ist es aber die richtige und wann die falsche Zeit dafür?
Eine Demokratie zeichnet sich nicht nur durch die Vielfältigkeit des politischen Verhandlungsgegenstandes, sondern auch dadurch aus, dass sie zäh dem Zeitgeist trotzt. Dennoch sollte sie in der Lage sein, flexibel mit ggf. notwendigen oder erforderlichen Verschiebungen im Fokus einer Legislaturperiode dazu in der Lage sein, Prioritäten konzentriert zu verabreden und die öffentliche politische Debatte nicht mit Themen zu strapazieren, die als zeitgemäß empfunden werden. Trotz aller Verabredungen und Vorbefasstheiten hinsichtlich der politischen Agenda, sollten deren Handlungsbevollmächtigten ihr Handeln punktgenau auf aktuelle Anforderungen ausrichten können.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski