Archiv für den Monat: August 2024

Grund und Boden

Ob wir auf schwankendem Grund oder mit beiden Beinen auf festem Boden stehen, all dies ist eine Frage der Haltung und der Selbstwahrnehmung. Worauf stehen wir, worauf ist Verlass, gibt es die ersehnte Beständigkeit unserer Anschauung? Wir nutzen gern alltägliche Erfahrungen für unsere Metaphern, um Seinszustände und Fortschrittsperspektiven zu beschreiben. Also, was bedeutet uns Grund und Boden?

Konkret sicher etwas, auf dem wir stehen, gehen und bauen können, etwas, das uns zum Nutzen dient, zur Gewinnung von Lebensmitteln, zur Ausbeutung von Schätzen für unsere Daseinsvorsorge und Gewinnung von Energie. Boden ist zwar einerseits für alle da, Menschen, Tiere und Pflanzen, aber beträchtlich eingehegt und gesichert durch Zuweisung an Verfügungsberechtigte. Wem gehört der Boden, auch in seiner Tiefe, das Wasser in und die Luft über ihm? Etwa denjenigen, die die Fähigkeit besitzen, ihre vermeintlichen Ansprüche daran zu verteidigen?

Rechte sind flexibel, abhängig von den jeweils geschaffenen Rechtsordnungen von Staaten und Gemeinschaften. Rechte folgen systemischen Vorgaben und den Möglichkeiten ihrer machtvollen Durchsetzung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Bodenrechtsordnung der DDR eine völlig andere war, als die der Bundesrepublik Deutschland. Die Durchsetzungsmacht schafft Recht und wird abgesichert durch Festlegungen in Katastern, den dinglichen Rechten im Grundbuch, Eigentum und Besitz, vieles in Registern vermerkt, anderes durch Gewohnheit ersessen.

Aber wie das Recht am Grund und Boden den jeweiligen Anschaffungen folgt, bemerkt auch der jeweilige Nutzer klimatische und sogar interstellare Einwirkungen auf einer stetigen Veränderung von Bodenzuständen infolge der Jahreszeiten, Wetterbedingungen und Interaktionen zwischen menschlicher Beanspruchung und physikalischen, meteorologischen Einwirkungen. So verweigern der Grund und Boden uns jede Eindeutigkeit der Betrachtung und fordern uns zur Mäßigung bei seiner Beanspruchung auf. 

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Spielanordnung

Gehen Sie über Los und kassieren Sie 2.000,00 Euro! So oder so ähnlich lauten viele Spielanweisungen. Der Spieler streicht das Geld befriedigt ein und bereitet sich auf die nächste Runde vor. Neues Spiel, neues Glück. Im Augenblick des Aufbruchs erfährt er in sich den Wunsch, alle seine Fähigkeiten zu nutzen, um die nächste Runde besser zu bestehen, erfolgreicher zu sein als in der letzten Runde und es möglichst weit zu bringen.

Die Umstände sind im Spiel und im Leben die Heraus­forderungen, denen sich der Mensch stellen muss. Es sind aber nicht die unüberwindbaren Umstände, die einen Menschen davon abhalten können, erfolgreich zu sein. Wie im Spiel macht der Mensch auch im Leben seine Züge und nimmt Einfluss auf seinen Erfolg. Die An­ordnungen im Spiel wie im Leben sind ähnlich. Es gilt, Heraus­forderungen zu bestehen. Gelangt man auf das falsche Feld, muss man eine Runde aussetzen, auf anderen Feldern kommt man weiter. So ist das Spiel dem Leben nachgebildet. Das Leben kennt Förderer, Verbündete, objektive Hindernisse und unerwartete Verbesserungen. Im Spiel ist der Spieler innerhalb der Runde wieder am Zuge, im Leben dagegen ge­schieht es zuweilen, dass der Spieler aufgibt und es anderen überlässt, sein Spiel zu Ende zu spielen. Worauf beruht diese Erkenntnis?

Im Spiel erscheint die Spielanordnung oft einfach. Auch ist man frei in seiner Entscheidung, überhaupt zu spielen. Die Herausforderungen des Lebens dagegen sind vielfältig und permanent. Das Leben wird meist ohne verbindliche Spielregeln gespielt bzw. der Mensch lässt es zu, dass andere Mitspieler Spielregeln entwerfen und diese auch wieder ändern. Er protestiert hiergegen nicht, da ihm seine Mitspieler erläutert haben, dass diese Regeln für ihn nützlich seien, sie sein Spiel spielten. Doch mitmachen lassen sie ihn nicht. Bis zu einem gewissen Grad ist dies richtig, denn wenn die Mitspieler keine Lust mehr hätten, nicht bereit wären, das Spiel der anderen zu spielen, käme es zu Konflikten, die die Spielanführer selbst ins Hintertreffen bringen würden. So wird scheinbar gemeinsam spielend jede Klippe gemeistert.

Der spielende Mensch in dieser Versuchsanordnung gewöhnt sich aber daran, dass ihm Züge abgenommen werden. Es wird für ihn gewürfelt und die Steine gesetzt. Er ist allmählich umfassend abhängig von seinen Mitspielern. Im wirklichen Leben sind seine Mitspieler diejenigen, die sich in Verbänden, Gruppierungen und politischen Parteien organisiert haben und mächtig Einfluss darauf nehmen, was und wie gespielt wird. Sie benötigen die Anpassungsfähigkeit des Spielers, um ihr Spiel zu spielen und haben sich selbst schützend in die Etappe begeben. Geschieht dem Bürger Schlimmes, so bleibt das in seiner Verantwortung. Haben die Mitspieler Erfolge, so verdankt der Mensch seine Teilhaber­schaft daran auch diesen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Dünkirchen

In meinem Besitz befindet sich eine Kopie des Abschlussberichts über den Kampf „Ostwärts Dünkirchen und die Einnahme von Dünkirchen am 04.06.1940“, verfasst von dem Infanterieregiment 337 am 27.09.1940. Nach eingehender Beschreibung aller Kämpfe unter Verwendung von Vokabeln wie „das Säubern feindlicher Stellungen“ und dem Hinweis, dass sich der stürmenden Truppe, gemeint ist die deutsche Truppe, ein Bild des Grauens bieten würde, schließt der Bericht: „Die dem Regiment zugefallene Beute während des Kampfes und nach Abschluss der Übergabe war unübersehbar. Erst in wochenlanger anstrengender Arbeit konnte ein Überblick über die Beute gefunden werden. Die Beutezahlen sind laufend gemeldet worden. An Gefangenen brachte das Regiment allein 18.000 Offiziere und Mannschaften ein.“

Der Bericht gibt einen Einblick in eine personalisierte Sprache, die keine menschliche Erfahrung und kein Empfinden wie Schmerz, Wut und Trauer mehr zulässt. Das mag bei kriegerischen Auseinandersetzungen so gewollt sein, belegt aber vor allem, dass wir es offenbar gelernt haben, das Töten und Verletzen sprachlich so zu verpacken, dass wir in die Lage versetzt werden, auch noch die schlimmsten Eingriffe in Lebensordnungen unter strukturell sauber dargelegten Aspekten zu begreifen und sogar Verständnis für die angeblich zwecknotwendigen soldatischen Aufgaben zu entwickeln.

Entgegen der Erwartungen spiegelt der Abschlussbericht den Narzissmus jener Zeit nicht wider, sondern beschreibt unerbittlich die Zwangsläufigkeit soldatischen Handelns. Der Durchbruch gelingt, der Gegner kapituliert. Es wird Beute gemacht. Kein Mensch kann Beute seines eigenen oder eines fremden Staates sein. Auch nicht durch eine kollektive Verabredung kann Gewalt gerechtfertigt werden, so wenig, wie ein Mensch Gewalt, die ihm durch ein Kollektiv angedroht wird, erleiden darf.

Es gibt keine Rechtfertigung für Krieg, Folter, Hinrichtungen, Quälen und Auslöschen des Lebens, weder durch Deutschland, noch durch andere Staaten. Zudem, wie gewonnen, so zerronnen.

Deutschland hatte seinerzeit seinen Sieg fast an der selben Stelle aufgrund der Invasion der Alliierten wieder verloren. Alle Kriege sind nur eine Aneinanderreihung von Misserfolgen. Die Sprache dieses Textes ist so unerbittlich, wie das Geschehen selbst. So war es also gewesen und ist leider auch gegenwärtig an vielen Stellen dieser Welt.

Alle Schicksale, die nur militärisch erfasst werden, sind menschlich eine Zumutung.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Perspektive

Alles sei nur eine Frage der Perspektive, so ist zu vernehmen. Nun ja, das hört sich richtig an, sind denn aber alle Perspektiven so gleichrangig, dass sie nebeneinander bestehen könnten? Wo weichen sie voneinander ab, wo stimmen sie überein? Etwa beim Ausgangspunkt der Wahrnehmung, in den vergleichbaren Untersuchungsmethoden oder gar im Ergebnis?

Ein Beispiel: Es gibt wohl eine allgemein verbreitete Betrachtung zum globalen Süden und dem dominanten Westen mit der gängigen Zuordnung: alte weiße Männer, Kolonialismus, Klimasünder etc. Wir kennen alle diese Zuschreibungen im Detail, aber was stimmt denn heute schon an diesen, wenn sich die Welt rasant verändert, Menschen des globalen Südens massenhaft in den Westen strömen und dessen Kultur einschlägig mit prägen?

Etiketten, wenn sie einmal angeklebt wurden, sind schwer abzulösen, weil Zuweisungen nicht zu unterscheiden vermögen zwischen dem, was einmal war und dem, was jetzt ist, sondern festhalten an einer in Ewigkeit verabredeten Betrachtung, die sich um Veränderungen kaum schert. Die Perspektive ist anfällig für jede Form der Instrumentalisierung durch Interessenten. So wird die Frage der Perspektive nicht nur bei historischen oder oft historisierenden Betrachtungen häufig auf einfache Art und Weise geklärt, sondern auch beispielhaft bei der Erwartung sich auftuender Möglichkeiten für das Leben unserer Kinder und Kindeskinder. Wenn hier, wie dies gegenwärtig geschieht, Unsicherheit und Furcht als Perspektive gewählt werden, dann kann es doch nur furchtbar werden.

Wenn wir aber die Perspektive Hoffnung und Zuversicht wählen, haben unsere Kinder und alle künftigen Menschen eine Chance, die sich ihnen stellenden Herausforderungen zu meistern, Fehlentwicklungen einzuschätzen und auch zu überwinden, also ihr Verhalten insgesamt auf das Gelingen des Lebens auszurichten. Im eigenen Interesse müssen wir lernen, eine wohlwollende Perspektive auf menschliches Handeln zu pflegen, denn dies ist förderlich für unsere Selbsterhaltung und unser künftiges Tun.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski