Archiv für den Monat: September 2024

Verwaltungsreformgesetz

Es geht voran. Berlin plant eine Reform seiner Verwaltung, und zwar sowohl auf Landes-, als auch auf Bezirksebene. Das Gesetz soll aber nicht Verwaltungsreformgesetz heißen, sondern Landesorganisationsgesetz, womit schon deutlich gemacht wird, dass es in erster Linie darum geht, die Kompetenzen von Land und Bezirken abzugrenzen, so mit Hilfe der Strukturveränderungen eine Konzentration von Aufgaben im Sinne der Bürger zu erreichen und Beschleunigung der Entscheidungsprozesse zu gewährleisten. Transformation, Konnexität und Spezialisierungen gesellen sich zur Digitalisierung, alles instrumentale Begrifflichkeiten, die zu einer neuen Verwaltungskultur beitragen, bei Querschnittsfeldern Klammerwirkungen erzeugen und die Veränderungsresistenz der Verwaltung überwinden helfen sollen. Ein Systemwechsel sei geplant, grundsätzlich seien neue Wege erforderlich. Die Schaffung eines einheitlichen Zuständigkeitskatalogs scheint zudem dafür angetan, dass sich künftig jeder mit dem beschäftigt, was er selbst kompetent auch umsetzen kann.

Die Darstellung der Ziele und Methoden einschließlich der Benennung von Klageverbesserungsrechten, Bezirksamtsschutzbehörden, alles unter Berücksichtigung der Veränderungsresistenz der Verwaltung durch Schaffung betrieblicher Anreicherungen, werden als Bausteine für eine Neuausrichtung der gesamten Verwaltung angesehen.

Kann die Vorstellungswelt der Verantwortlichen damit aber bereits erschöpft sein? Geplant werden strukturelle Reformen offensichtlich nur für die Jetzt-Zeit, wobei naheliegenderweise übersehen wird, dass vor der Reform bereits die nächste Reform mit zu bedenken sein dürfte. Die stete und oft auch hektische Entwicklung im digitalen Bereich, die auch Auswirkungen auf uns Menschen und unser Verhalten hat, zwingt uns doch im Interesse unserer Kinder und Kindeskinder dazu, das „Kommende“ bereits mitzudenken sowie den Versuch zu unternehmen, das Mögliche strukturell aufnahmebereit zu implementieren. In dieser Erwartung sollte eine Struktur- und Verwaltungsreform, wie bei einem PPP-Modell, hier Private Public Partnership, bereits prozessual diejenigen Mechanismen mit implementieren, die geeignet sein könnten, gesellschaftliche sowie technisch künftige digitale Veränderungen sofort in einen kontinuierlichen Prozess der „liquiden Verwaltung“ einfließen zu lassen.

Alle Prozesse der Verwaltung müssten zeitgegenwärtig und reaktionsschnell auf Veränderungen angebotsgerecht flexibel reagieren können. Es liegt auf der Hand, dass zum Beispiel bezogen auf Berlin, die Überhitzung der Stadt, Wasserknappheit, Bebauungsdichte, überhaupt alle Phänomene so mit bedacht werden sollten, dass schnelles Handeln künftig gewährleistet ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Verfassungskrise

Da das Grundlagengesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht Verfassung, sondern Grundgesetz genannt wird, wäre es unangemessen, die Krise des Grundgesetzes als eine Verfassungskrise zu beschreiben. Wieso das? Das Grundgesetz ist 1948 von fähigen Persönlichkeiten geschaffen worden, historische Erfahrungen wurden berücksichtigt und Perspektiven eröffnet, die im Zeitpunkt des Entstehens des Grundgesetzes noch kaum mit schneller Umsetzung rechnen durften. In diesem Sinne wurde das Grundgesetz als modern, komplex und integrativ bezeichnet. Und doch, da es Menschenwerk ist, haben dessen Auswirkungen auch dafür gesorgt, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften können.

Das zeigt sich meines Erachtens deutlich darin, dass mit der Wiedervereinigung das Grundgesetz kurzerhand für die hinzugewonnenen Landesteile der Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde, ohne durch Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung zu überprüfen, ob dieses Grundgesetz auch den Willen der neuen Bundesbürger abbildet. Dem Unbehagen und der Kritik daran begegneten die Verantwortlichen stets mit dem Hinweis, dass alles schnell gehen musste und die künftigen Bundesbürger des Ostens dieses Grundgesetz wollten oder es ihnen egal war, Hauptsache, sie profitierten nun auch vom gemeinsamen Staat und würden entschädigt für die vielen Jahre, die sie davor von der Bundesrepublik abgehängt waren.

Es hätte eine Aufholjagd des Ostens werden können, aber diese „Missachtung“ des Gedankens der Schaffung eines einheitlichen Verfassungsstaates führte in der Konsequenz auch dazu, dass die Bürger und ihre Betriebe sowie Einrichtungen des Ostens so behandelt wurden, als seien sie Besitzstände der vorhandenen Bundesrepublik. Die Rolle der Treuhand ist bekannt. Ihre fehlerhafte Einrichtung und teils gewissenlose Nutzung durch bestimmte Akteure führten dazu, dass Betriebe abgewickelt, ausgeplündert und stillgelegt wurden, statt einen vertretbaren Entwicklungsprozess einzuleiten, der es erlaubt hätte, Versäumnisse aufzuholen und vorhandene Entwicklungskräfte freizusetzen. Eine zwar in weitem Sinne nicht gelebte, aber gleichwohl per Staatsdoktrin verkündete Teilhaberschaft der DDR-Bürger an ihren Betrieben, spiegelte sich auch in einer Teilhaberschaft im öffentlichen Leben wider, deren Bodenständigkeit kurzerhand durch das Demokratiemodell der Bundesrepublik Deutschland abgelöst wurde.

Demokratien beruhen nun aber auf Verabredungen von Menschen, ihr Zusammenleben auf eine abgestimmte Art und Weise so zu ordnen, dass jeder Bürger auf die Interessen und Belange anderer Bürger bei der Ausübung seiner freiheitlichen Rechte Rücksicht nimmt. Dieser Aushandlungsprozess erfolgt in einer Verfassung als eine Manifestation des „Contract Sociale“, aus dem sich festgeschriebene und verbindliche Garantien für eine soziale Teilhaberschaft der Bürger ableiten lässt.

Diese rechtlich verbürgte Teilhaberschaft ist in der neu gefügten Bundesrepublik Deutschland nicht gewährleistet und führt in der Konsequenz zu einem Verhalten seiner Bürger, die darin eine Missachtung ihres fundamentalen Anspruchs auf Mitsprache sehen und Gelegenheit haben wollen, ihrem Gemeinschaftsverständnis nunmehr eine Stimme zu geben. Um die darin begründete Höhe des Grundgesetzes zu überwinden, wäre es erforderlich, das Versäumte nachzuholen, ein Verfassungskonvent zu berufen und über eine ausgehandelte Verfassung eine Abstimmung herbeizuführen. Geschieht dies nicht, droht eine Erosion unseres Staates.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Teilhabe

Besonders anlässlich der Wahlen in Thüringen und Sachsen war bei Politikern und in den Me­dien von Menschen die Rede, die demokratieverdrossen, abgehängt und frustriert seien. Anders sei es auch nicht zu erklären, dass Parteien wie die AfD und das BSW gewählt wurden. Den ganzen Salat an Argumenten muss ich hier nicht wiedergeben, er ist uns allen sattsam bekannt. Wie mag es aber tatsächlich um die Menschen bestellt seien, ob diese im Osten oder Westen, im Süden oder Norden Deutschlands leben?

Ich weiß es nicht, jedenfalls nicht mit dieser Ein­deutigkeit, die Welterklärer bevorzugen. Nach meiner Einschätzung präsentieren sich alle Men­schen, also auch die Wähler, mit ihren Erwartungen, Sehnsüchten und Ansprüchen in einer Vielfältigkeit, die ihnen oft selbst Sorge bereitet, sie ängstlich und bange werden lässt. Es ist alles viel zu viel und zu unübersichtlich für sie, selbst der private Raum nicht mehr ganz sicher. Die gespürten Verletzungen werden vor allem medial geschaffen durch öffentlich geäußerte Erwar­tungen und Verpflichtungen und durch die Erschaffung einer digital verpflichtenden Welt, die Zumutung provoziert, Menschen zwingt, sich permanent auf Unwägbarkeiten einstellen zu müssen.

Die Erfahrung der früher gepflegten Einheit und Konformität, die die Menschen zwar einerseits langweilte, allerdings aber auch beruhigte, veranlassen sie heute, in jedes für sie bild­haft bereitgestelltes Fahrzeug zu steigen, wenn dies die ehemals vertraute Ruhe verspricht und sich Gleichgesinnte darin befinden. Allerdings, wenn sie sich umschauen, werden sie nach ei­niger Zeit mit Erstaunen entdecken, dass sich Menschen im Wagen befinden, die voneinander abwei­chende Meinungen und Erwartungen haben. Was werden sie dann tun? Etwa austeigen? Das Fahrzeug wechseln? Wer weiß? Wer sind nun diejenigen, die die Menschen, Bürger, Wähler abholen und zum Einstieg in ihre Kutschen und Wagons verleiten oder nötigen?

Um im Bild zu bleiben, natürlich die Parteien. Für diejenigen, die ursprünglich nur eine Fahrt ins Blaue buchten, haben sie einen Chauffeur bestellt, Reiseziele benannt und verkaufen – um im Bilde zu bleiben – statt Rheumadecken ihre Programme. Bei Fahrten ins Blaue ist dies traditionell immer so, an Bord gelten die Regeln des Veranstalters. Doch nicht vergessen, ein jeder Reisende hat die Fahrt selbst gebucht. Fühlt er sich in seinen Erwartungen etwa dann enttäuscht, wird es niemanden geben, der ihn dafür entschädigt. Es entspricht lediglich seinem Motivirrtum, wenn er meint, er habe geglaubt, auf der Fahrt ins Blaue interessante Sonderangebote zu bekommen, tatsächlich aber feststellt, dass alle Angebote veraltet und durchschnittlich sind. Per­manent habe ein Vertreter des Reiseveranstalters auf ihn eingeredet, zur Ruhe sei er nicht gekommen, so wird er klagen, aber bereits nach kurzer Zeit sind wohl die Erinnerungen an seine gemachten schlechten Erfahrungen wieder verblasst. Eine neue Fahrt ins Blaue ist schon angekündigt, das Fahrzeug steht bereit und warum sollte er nicht mitfahren? Vielleicht ist dieses Mal alles anders.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Güte

Alles hängt vom Menschen und von seiner Einstellung zu sich selbst ab. Ist er mit sich selbst nicht „im Reinen“, wird es ihm kaum möglich sein, über seinen Schatten zu springen und die äußeren gesellschaftlichen Attribute von Marktmacht, medialer Öffentlichkeit sowie Frust und Kleinmut zu überwinden.

Diejenigen, die aus ihrer Integrität heraus handeln, Vertrauen schaffen und damit ideell wie auch wirtschaftlich erfolgreich sind, werden niemals die absolute große Macht für sich an­streben, weil sie wissen, dass ihre Aura kaum verletzbar ist.

Diejenigen, die aufgehört haben, Ansprüche zu stellen, und stattdessen geben, werden im Überfluss des ihnen selbst Dargebrachten alles einsetzen, um den­jenigen zu helfen, die es nötig haben. In einer Gesellschaft, in der jeder gibt, was er hat und mit anderen teilt, was er vermag, mutig und kühn seine Felder bespielt, werden andere ermutigt, mitzumachen; diese erfahren durch das Beispiel die Chance der eigenen Möglichkeit und so weiter.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Würde jedes einzel­nen Menschen wird nicht nur vom Staat geschützt, sondern gibt jedem Menschen das Recht, sich in dieser Gewissheit stolz und wohl zu fühlen, seine Fähigkeit zu entwickeln und nutzbringend für unsere Gesellschaft einzusetzen.

Die Menschen eines Landes, die mit sich selbst im Reinen sind, würden sich einander vertraut und sehr erfolgreich werden und dabei konziliant gegenüber anderen sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski