Irgendwie sind wir, das heißt alle Menschen, miteinander verwandt. Mit dieser Einschätzung könnte es sein Bewenden haben, ist diese Einschätzung aber auch wirklich sinnvoll? Zweifel sind berechtigt. Alle Menschen bei der Betrachtung verwandtschaftlicher Beziehungen mit einzubeziehen, kommt einer Kapitulation vor der Totalität von circa 10 Mrd. Menschen gleich. Begreifen wir allerdings nur unsere nächsten Angehörigen, als die mit uns verwandten, sind wir sicher auch zu kurz gesprungen.
Es gibt bezüglich der Verwandtschaft etwas zu entdecken, was uns nicht täglich präsent ist. Das sind unsere Vorfahren. Warum? Weil Sie unverzichtbar für unser Dasein sind. Wären sie nicht geboren worden, hätten gelebt, geliebt, gearbeitet und die Frauen Kinder in die Welt gesetzt, dann gäbe es uns nicht. Frauen, wie Männer waren an diesem Leben beteiligt und haben seit ihrem Entstehen einen wesentlichen Beitrag zu unserer genetischen Ausstattung geleistet.
Über Jahre, Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg wurde ergänzt und verändert durch andere Menschen. Aber nichts ist auf diesem Weg verloren gegangen. Wir sind etwas Besonderes, aber auch Teil der Generationen, die sich vor unserem Auftreten entwickelt haben. Allerdings erschöpft sich Verwandtschaft nicht in einer genetischen Betrachtung, sondern wird genährt durch die Umstände, innerhalb derer eine Entwicklung des Menschen stattfindet.
Dazu gehören Plätze, Landschaften und Kontinente. Die Frage nach dem „Ich“ ist stets mit der Frage danach, wo ich herkomme, verknüpft. Unsere Herkunft ist wichtig für unsere Standortbestimmung in dieser Welt. Viele Faktoren sind ausschlaggebend. Neben dem geografischen, auch die Sprache, die Natur oder das städtische Umfeld, die Bildung, der Beruf, körperlicher Konstitution und Klima, um nur einige Aspekte zu nennen.
Über die Vergewisserung unserer Herkunft versichern wir uns der Einmaligkeit unseres Seins und der Bedeutung in dieser Welt. Das erlaubt uns, unser wahrgenommenes Ich im Zusammenhang mit allen uns verwandten Menschen zu reflektieren und so Erkenntnisse über uns selbst, unser Aussehen, unsere Verhaltensweise, unsere Eigenschaften und all das, was unser Leben bestimmt, zu gewinnen.
Durch die Erkenntnis von Verwandtschaft vergewissern wir uns, dass wir nicht allein sind, sondern die Chance wahrnehmen, prägend in die Matrix des Lebens einzugreifen, wie uns dies auch geschieht. Verwandtschaft macht uns zum ewigen Zeugen und Handelnden unserer eigenen Existenz.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski