Archiv für den Monat: Januar 2025

Feierlaune

Ganz egal, ob ich früher oder später nach Hause gehe, wenn ich Straßen entlangschlendere, sehe ich Massen von Menschen vor Kaffees, Restaurants, Bistros oder Biergärten sitzen. Ich vermute dann, dass sie in Feierlaune sind und verbinde dies in meiner Erinnerung mit Feierabend.

Früher, d. h. während meiner Kindheit und Jugend konnte ich noch Männer dabei beobachten, wie sie nach getaner Arbeit an Kiosken standen und Biere tranken. Frauen und Männer saßen auf Bänken und viele Eheleute hatten Kissen in die Fenster gelegt, und es sich darauf mit ihren Ellenbogen behaglich gemacht, um die Straße zu beobachten.

Die Leute, die heute ihren Feierabend in öffentlichen Restaurationseinrichtungen feiern, haben zur Verstärkung ihrer Feierlaune meist umfangreiche kulinarische Köstlichkeiten aufgeboten. Der Körper ist so umfassend und wohl versorgt. Dass sie keinen Hunger erleiden werden, sieht man den Feiernden an. Aber, so frage ich mich dann, was gibt es denn eigentlich zu feiern?

Ich versuche es zu ergründen und erfahre, dass man schon immer einmal hier essen wollte, aber es sehr schwer sei, einen Platz zu bekommen. Das kann ich nur bestätigen. Oft habe ich Schlangenbildungen feierwütiger Menschen beobachtet und manche Lokale bieten Zeitfenster für den Abendspaß an.

Wo bleibt dann aber die Feierlaune, wenn alles so reglementiert ist? Was feiern wir überhaupt? Früher war es das Ende des Schichttages, des 8-Stunden-Tages in der Fabrik oder im Büro. Die Arbeitswelt und unsere Verhältnisse haben sich geändert und damit ändern sich auch die Möglichkeiten, der Feierlaune nachzugeben. Feiern geht heute von morgens bis abends, wenn und soweit die Laune dies gebietet. Wenn kein Spielverderber darunter ist, gibt es immer etwas zu feiern.

Das Leben ist doch ernst genug, oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vergebung

Auf den Konsum von Nachrichten, Talkshows, Interviews und Einschätzungen zur politischen Lage habe ich in letzter Zeit verzichtet. Der Pegel meiner Aufnahmefähigkeit ist überschritten, auch, wenn ich das Rumoren in der Gesellschaft, die Entwicklungen bei den herrschenden Kriegen und die meisten politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen durchaus mitkriege. Es kann und wird womöglich noch schlimmer kommen, Europa und Asien in weitere Kriege verwickelt bzw. bestehende Auseinandersetzungen und Kriege verstetigt werden. Zu den kriegerischen Auseinandersetzungen gesellen sich die wirtschaftlichen Verwerfungen, schließlich ist sogar ein Zivilisationsbruch möglich, dessen Dimension mit den bisherigen Erfahrungswerten nicht mehr zu messen sein wird. Und doch wird das nicht das Ende sein.

Nach allen Kriegen, ggf. auch zumindest begrenzt atomaren Auseinandersetzungen, Weltwirtschaftskonflikten und sogar unvorstellbaren Metzeleien wird die dann eintretende Erschöpfung die Menschen zwingen, ihre Untaten zu beenden und zu versuchen, eine einigermaßen erfreuliche Lebenssituation in dieser Welt wiederzubeleben.

Zu unserer Lebenszeit werden wir uns wohl kaum wieder vergeben können, aber vielleicht dürfen wir uns doch die Hoffnung erhalten, dass künftige Generationen wieder ausreichend klug sein werden, vernünftig und pragmatisch Orientierungen zu schaffen, die unseren Planeten zumindest noch teilweise bewohnbar bleiben lässt. Dass der Mensch denkt und Gott lenkt, davon kann keine Rede sein, wie Brecht schon wusste, sondern alles, was wir machen, alles, was passiert, ist menschlich, hand made und gefährlich.

Dummheit

Der Begriff Dummheit beherrscht derzeit stark die öffentliche Diskussion. Kein Wunder. Es geschehen in dieser Welt Dinge, die die meisten Menschen sich nicht erklären können. Dies beginnt mit dem Krieg in der Ukraine, setzt sich fort an der lebensweiten Zerstörung unserer natürlichen Ressourcen und verdichtet sich in abstrusen Behauptungen, wie denjenigen der Weltverschwörung. „Wie können Menschen so dumm sein!“

Das scheint die natürliche Reaktion auf die unzähligen Zumutungen an unseren Verstand und unser Gemüt zu sein. Aber ist es Dummheit? Die Intelligenz eines Menschen wird u. a. nach Quotienten berechnet und es ist prüffähig, dass auch intelligente Menschen Rädelsführer in den oben beschriebenen Szenarien sind.

Ich habe während meiner juristischen Ausbildung am juristischen Institut den Hinweis erhalten, dass Menschen mit außerordentlich niedrigem IQ in der Lage sind, andere Menschen zu verführen und zu bestimmen. Diese werden im Psychologenjargon „Salonblödsinnige“ genannt.

Festzuhalten scheint mir, dass die Fähigkeit zur Intelligenz nur eine geringfügige Auswirkung auf Dummheit hat. Es ist sogar denkbar, dass Dummheit eine Konstruktion ist, die Intelligenz zu leiten vermag. Dummheit ist die Fähigkeit des Menschen, Einsicht in bestimmte Sachverhalte zu verhindern, zu erschweren oder so zu manipulieren, dass die behaupteten Sachverhalte der Wirklichkeit entgleiten.

Erkenntnisfähigkeit und Erkenntnisbereitschaft geben sich hier die Hand. Wird das eine nicht geschult, versagt auch das andere. Der Mensch ist und bleibt dumm, nutzt aber diesen Zustand, um ihn als allgemeinverbindlich zu erklären. Wenn keiner mehr genau hört, deutlich sieht, sich seines Verstandes und seines Gemütes nicht mehr erkenntnisbereit bedient, hat die Apathie der Dummen den Sieg davon getragen. Fini!?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erkenntnis

Ohne den Willen, zur Erkenntnis zu gelangen, ist Denken sinnlos. Dabei beruhen Erkenntnisse nicht allein auf einem kognitiven Prozess, sondern werden auch emotional und sinnlich bestimmt. Erkenntnis ergibt sich aus der Möglichkeit, etwas wahrzunehmen, was dann denkend verarbeitet werden kann. Erschöpfte sich das Denken in der Repetition des wahrnehmbaren Offensichtlichen, wäre das Denken vergeblich, wie auch ein emotional aufgeladenes Denken wirklichkeitsfremd und ziellos wäre.

Das durch Erkenntnis genährte Denken erweist sich aber auch dann als vergeblich, wenn es wirkungslos, d. h. eine Option ohne zu Handeln ist. Andererseits ist jedes Handeln, das nicht auf einem durch das Denken ausgelöstes Erkennen beruht, gefährlich, weil es nur ein Ausprobieren von Möglichkeiten wäre.

So verhält es sich aber tatsächlich mit etlichen Verhaltensweisen, die durchaus eine allgemeine und wirkungsvolle Verbreitung erfahren, ohne dass erkennbar ist, auf welchem Erkenntnis- und deren Verarbeitungsprozess sie beruhen. Losgelöst vom methodischen Zwang des Erkennens, floaten sie den öffentlichen Raum, verbreiten sich schnell und bilden Klumpen, die erkenntnis-avers sind, aber dazu beitragen, dass sich eine allgemeine Meinungs- und Verhaltensdystopie über den Menschen, der Gesellschaft und unseren ganzen Planeten ausbreitet, die lähmen, aber vor allem erheblich zur Entfachung von Aggressivität unter den Menschen beitragen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Natur

Unsere Vorstellung, die Natur als Mutter des Lebens zu begreifen, beruht darauf, dass wir ihr diese Verantwortung zuweisen. Unsere Auffassung ist, dass die Natur uns wie eine Mutter geboren hat, uns pflegt, uns umsorgt und uns allgegenwärtig hilfreich durch unser Leben begleitet. Das ist eine eher selbstgefällige und romantische Betrachtung der Natur, eher verharmlosend als begreifend. Erstaunlich ist, dass schon Hölderlin vor 200 Jahren in einem Gedicht Folgendes ausgeführt hat:

So hast du manches gebaut,
Und manches begraben,
Denn es hasst dich, was
Du, vor der Zeit
Allkräftige, zum Lichte gezogen.
Nun kennest, nun lässest du diß;
Denn gerne fühllos ruht,
Bis dass es reift, furchtsamgeschäfftiges drunten.
(Entnommen aus Rüdiger Safranski „Hölderlin. Komm! Ins Offene, Freund!“ Hansa-Verlag, Seite 228)

Bei Hölderlin ist es weiterhin die Natur, die uns hervorgebracht hat, aber in dieser Legitimation ist die Natur auch berechtigt, uns zu erziehen, uns zu mahnen und zu fordern. Es ist eine Natur, die selbst Ansprüche stellt und nicht passiv die ihr zugewiesene Rolle als Mutter allen Lebens erduldet, sondern Forderungen erhebt, selbst handelt. Diese Natur sieht, was ihre Kinder anrichten und ermahnt uns, immer wieder zu vergegenwärtigen, dass sie es ist, die gibt und nimmt.

Diese Mutter Natur behält sich in letzter Konsequenz auch vor, diejenigen zu bestrafen und sogar zu vernichten, die sie nicht achten, sondern sogar glauben, sich ihrer bemächtigen zu können. Sie widersteht so jeder Zuweisung. Sie ist nur Mutter, wenn ihr Einverständnis mit unserem menschlichen Verhalten besteht, wenn nein, ist sie Furie. Das uns Verborgene der Natur entzieht sich unserer auf Hoffnung gegründeten Einschätzung der Friedfertigkeit und lässt eine gewaltige Antwort auf unsere Zumutungen an sie ahnen.

Die Natur hat kein Problem mit der Vergänglichkeit, auch nicht mit unserer Vergänglichkeit des „Stirb und Werde“, sogar der Vergänglichkeit sämtlichen Lebens auf diesem Planeten. Die Natur hat uns hervorgebracht und widerruft diesen Entschluss, wenn wir uns ihm nicht würdig erweisen. Neues entsteht und reift und kein Mensch vermag dies zu deuten. Wieder Menschen? Oder Maschinen? Wer weiß?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski