Wenn meist ältere Männer mich aufsuchen, um sich bezüglich der Gestaltung ihres Testaments von mir beraten zu lassen, erwarten sie häufig eine kostengünstige, steueroptimierte, rechtlich einwandfreie, möglichst Pflichtteilsansprüche ausschließende Regelung für ihr nachzulassendes Vermögen, und zwar von jetzt an bis in alle Ewigkeit. Diese soll ihnen zudem Gelegenheit lassen, selbst mit „kalter Hand“, also für die Zeit nach ihrem Tode, den Weg des Vermögens weiter zu steuern.
Wenn ich dann den Umfang des zu vererbenden Vermögens erfrage, will ich von meinem potentiellen Mandanten, also dem Erblasser, weiter erfahren, ob er sein Vermögen ererbt oder selbst erwirtschaftet habe. Dieser daraufhin: Selbstverständlich habe er nichts ererbt, sondern alles selbst erwirtschaftet! So verkündet der Erblasser in der Regel nicht ohne Stolz.
Nachdem dies geklärt ist, will ich wissen, was seine Familie macht. Er berichtet dann, dass es allen wirtschaftlich gut gehe, sie fast alle gut versorgt seien und einträgliche Berufe hätten. Nachdem ich über die Familie, also die Nachkommen des Erblassers, Hinreichendes in Erfahrung bringen konnte, stelle ich ihm die etwas simpel klingende, aber ihn doch stets verblüffende Frage, warum er sein Vermögen den Nachkommen denn überhaupt vererben wolle? Diese Frage erscheint den meisten Mandanten so ungewöhnlich, dass sie willens sind, mit mir ein grundsätzliches Gespräch über den Sinn des Vererbens zu führen.
Es geht um Sicherung kommender Generationen, Sicherung von Ausbildung, Pflege, Bedürftigkeit, Existenzsicherung, Chancengerechtigkeit, Start und Entwicklung von unternehmerischen Aktivitäten etc.. Das ist alles nachvollziehbar. Es geht aber auch um die Unterhaltsfürsorge bis zum Tode und über die Selbstversorgung hinaus, um die Probleme mit Erbengemeinschaften, Gerechtigkeit, Familiengesellschaften und Familienverfassungen. Dann wird es spannend. Erbrechtliche Beratungen lassen es zu, dem Erblasser selbst Gelegenheit zu geben, sein eigenes privates und berufliches Leben anzuschauen und daraus weitere Handlungsalternativen abzuleiten. Der Ballast des Nachlasses wird plötzlich offenbar. Diese Last tragen viele Erblasser selbst, haben oft nicht mit ihren potentiellen Erben gesprochen, wissen aber schon um die Gefahr des Streits unter den Kindern und Enkelkindern, also den Nachkommen bzw. ahnen diese Gefahr zumindest. Und dies ist die Wahrheit. In vielen Jahren meiner Berufstätigkeit habe ich kaum eine, zwar durch den Erbfall vermögend gewordene, aber nicht heillos zerstrittene Nachkommenschaft erlebt.
Gibt es Alternativen? Wo sind diese zu finden? Die meisten Menschen haben neben ihren geschäftlichen Anliegen doch auch solche, die sie eigentlich auch gern verfolgen würden oder verfolgt hätten, sich aber wegen des Aufwands nicht getraut haben, diese umzusetzen oder glauben – trotz aller inneren Vorbehalte – es gelte „Family first!“ Die meisten Menschen denken zudem, dass das Vererben ein unabdingbarer familiärer Prozess sei. Das trifft allerdings in keiner Weise zu. Jeder potentielle Erblasser kann selbst, natürlich unter Berücksichtigung potentieller Ausgleichspflichten unter dem Stichwort Pflichtteilsansprüche, seinen Nachlass auch an bestehende familienferne oder noch zu schaffende gemeinnützige oder nicht gemeinnützige Einrichtungen vererben, Stiftungen von Todes wegen errichten usw. Er kann so dafür sorgen, dass nachhaltig etwas geschaffen wird, was ihm zu Lebzeiten auch ein – zwar nicht erfülltes – aber wichtiges Anliegen war oder hätte sein können.
Er regelt dies nun also doch noch schenkungsweise mit „warmer Hand“, z. B. bei Gründung einer Stiftung. Wenn es erforderlich sein sollte, bleibt es ihm gleichwohl unbenommen, daneben auch die Familie zu berücksichtigen und/oder zu beteiligen, überhaupt umfassend gestaltend tätig sein, potentiell eine Stiftung zum Gesellschafter seines Unternehmens zu machen usw. Die anfangs so ungeheuer wichtigen steuerlichen Fragen verändern sich im Verlauf einer erbrechtlichen Beratung, ggf. kann die Gründung einer Stiftung und die Beteiligung der Familie daran, dazu führen, dass der für Zuwendungen eingesetzte Gradmesser der Gerechtigkeit familiär ungeprüft bleiben kann und die Nachkommen nach dem Tod des Erblassers neben seinem Bild auch noch eine Kerze zu seinen Ehren entzünden.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski